Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung; Wahl und Auswahl ehrenamtlicher Richter
Leitsatz (NV)
- Zur schlüssigen Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts.
- Nicht jeder Fehler bei der Wahl der ehrenamtlichen Richter führt zu einem Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. Erforderlich ist vielmehr, dass die Wahl als willkürlich einzustufen ist und damit die Gefahr einer Manipulation der Richterbank befürchten lässt.
- Eine Verhinderung i.S. des § 27 Abs. 2 FGO liegt dann vor, wenn der ehrenamtliche Richter nach eigener pflichtgemäßer Abwägung unter Angabe eines Grundes mitgeteilt hat, verhindert zu sein. Dabei darf das Gericht bei dem auf gewissenhafte Amtsführung vereidigten ehrenamtlichen Richter davon ausgehen, dass er sich seiner richterlichen Pflicht nicht ohne zwingenden Grund entziehen wird; es muss deshalb in aller Regel auch nicht nachprüfen, ob der mitgeteilte Grund tatsächlich besteht. Eine Verpflichtung zur Überprüfung des angegebenen Hinderungsgrunds kommt mithin nur dann in Betracht, wenn es entweder offensichtlich an einer pflichtgemäßen Abwägung des ehrenamtlichen Richters fehlt oder hierfür zumindest (greifbare) Anhaltspunkte vorliegen.
Normenkette
FGO § 116
Tatbestand
I. Zwischen den Beteiligten war im erstinstanzlichen Verfahren die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung im Streit. Im Revisionsverfahren rügt der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der 3. Senat des Finanzgerichts (FG) Köln, der seine Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung am 16. Juni 2000 abgewiesen habe, sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757) ―FGO a.F.―.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor:
1. Das gesetzlich vorgesehene Verfahren zur Wahl der ehrenamtlichen Richter (§§ 23 ff. FGO) sei nicht eingehalten worden. Einem Mitarbeiter (Herrn RA A.) der Prozessbevollmächtigten sei von dem "für das Wahlverfahren zuständigen Beamten" des FG (Herrn S.) die Einsichtnahme in die Wahlakten verweigert und damit dem Kläger die Möglichkeit genommen worden, die Rechtmäßigkeit des Wahlverfahrens zu überprüfen.
2. Bei der Zuteilung der ehrenamtlichen Richter zu den einzelnen Senaten sei beim FG Köln von dem Grundsatz der alphabetischen Zuweisung insofern abgewichen worden, als ehrenamtliche Richter, die bereits in den Vorjahren einem Senat angehört hätten, auch weiterhin diesem Spruchkörper zugeteilt worden seien. Dies begründe die Gefahr, dass dem jeweiligen Senat nur gewogene ehrenamtliche Richter zugewiesen würden, und verstoße gegen die richterliche Unabhängigkeit.
3. Im Übrigen sei der 3. Senat des FG aufgrund der Mitwirkung des ehrenamtlichen Richters L. nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Für die Sitzung am 16. Juni 2000 sei der ehrenamtliche Richter M. geladen gewesen; da dieser jedoch am 8. Juni 2000 telefonisch unter Hinweis auf eine Krankheit abgesagt habe, sei aus der Hilfsliste des 3. FG-Senats Herr L. geladen worden. Aus den der Revisionsschrift beigefügten Kopien des Buches über die Heranziehung ehrenamtlicher Richter ergebe sich, dass M. lediglich im Jahre 1997 an einer Sitzung des 3. Senats teilgenommen, hingegen die drei Termine in den Jahren 1998 bis 2000 ―und damit auch die Sitzung am 16. Juni 2000― stets mit der "lapidaren" Begründung "Krankheit" abgesagt habe. Da nur außerordentliche Gründe geeignet seien, den ehrenamtlichen Richter von seiner Erscheinenspflicht zu entbinden, und die Verhinderung von M. angesichts seiner fortwährenden Absagen auch unwahrscheinlich gewesen sei, hätte das FG auf der Vorlage eines ärztlichen Attests bestehen müssen. Durch die Handhabung des 3. Senats sei den geladenen ehrenamtlichen Richtern das Erscheinen faktisch freigestellt gewesen mit der Folge, dass dem Kläger der gesetzliche Richter entzogen worden sei (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes ―GG―).
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die ohne Zulassung eingelegte und auf § 116 FGO a.F. gestützte Revision ist unzulässig, da aus den vorgetragenen Tatsachen der gerügte Verfahrensmangel nicht erkennbar wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F.). Die Revision ist deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
1. Der Vortrag, das FG sei aufgrund möglicher Fehler bei der Wahl der ehrenamtlichen Richter nicht nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist nicht schlüssig.
a) Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte führt nicht jeder Fehler bei der Wahl der ehrenamtlichen Richter zu einem Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO a.F. Erforderlich ist vielmehr, dass die Wahl als willkürlich einzustufen ist und damit die Gefahr einer Manipulation der Richterbank befürchten lässt (vgl. Bundesfinanzhof ―BFH― vom 18. August 1992 VIII R 9/92, BFHE 168, 508, BStBl II 1993, 55, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 4 f.).
b) Da die FGO vom Gericht nicht die Darlegung der Ordnungsmäßigkeit seiner personellen Zusammensetzung verlangt und somit der Gesetzgeber grundsätzlich auf die Gesetzmäßigkeit des richterlichen Handelns vertraut, neigt der erkennende Senat zwar zu der Auffassung, dass auch dann, wenn ―wie vom Kläger vorgetragen― das Bemühen des Revisionsklägers um Aufklärung des Verfahrens zur Wahl der ehrenamtlichen Richter ohne Erfolg bleibt, er zumindest darlegen muss, in welcher Richtung und aufgrund welcher Anhaltspunkte er einen Verfahrensmangel im vorbezeichneten Sinne vermutet (vgl. hierzu BFH vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384). Im anhängigen Verfahren ist hierzu indes nicht abschließend Stellung zu nehmen. Denn selbst dann, wenn man für den Fall, dass die erbetene Aufklärung insgesamt verweigert wird, den Revisionskläger von jeglicher Pflicht zur sachlichen Begründung seiner Vermutung über das Vorliegen eines Wahlfehlers entbinden würde, ist für eine schlüssige Verfahrensrüge jedenfalls der substantiierte Vortrag zu fordern, dass der Revisionskläger sich um eine zweckentsprechende Aufklärung der Wahlvorgänge bemüht habe (vgl. hierzu Bundesgerichtshof ―BGH― vom 26. März 1986 III ZR 114/85, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1986, 2115; vom 20. Juni 1991 VII ZR 11/91, NJW 1992, 512; BFH vom 6. November 1980 IV R 181/79, BFHE 132, 377, BStBl II 1981, 400; vom 4. März 1987 II R 47/86, BFHE 149, 23, BStBl II 1987, 438). Dies kann der Revisionsschrift jedoch nicht entnommen werden.
c) Der Vortrag, der von der Prozessbevollmächtigten beauftragte RA A. habe bei dem "für das Wahlverfahren zuständigen Beamten" ―Herrn S.― um Einsichtnahme in die Wahlakten gebeten, ist bereits deshalb unschlüssig, weil das vom Präsidenten des FG vorzubereitende Verfahren zur Wahl der ehrenamtlichen Richter ausschließlich durch den Wahlausschuss ―d.h. durch seine Mitglieder― bestimmt wird (vgl. §§ 24 bis 26 FGO; hierzu Sodan/ Ziekow, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, § 29 Rz. 4; Schmid in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 26 FGO Rz. 4 ff.). Dies schließt es zwar nicht aus, dass der Ausschuss oder der Vorsitzende bei vorbereitenden Arbeiten beispielsweise auf die Hilfe von Angehörigen des FG zurückgreift (vgl. zur Prüfung der Vorschlagslisten Schmid, a.a.O., § 25 FGO Rz. 11); eine Übertragung von Zuständigkeiten ―etwa im Hinblick auf das Wahlverfahren― sieht die FGO jedoch nicht vor. Demgemäß hätte in der Revisionsschrift dargelegt werden müssen, welche ―nachvollziehbaren― Gründe die Prozessbevollmächtigten (bzw. RA A.) dazu veranlasst haben, ihr Auskunftsersuchen nicht an den Präsidenten des FG zu richten (vgl. hierzu auch Bundesverfassungsgericht ―BVerfG― vom 25. April 1988 1 BvR 7/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1989, 443), sondern sich mit der Erklärung von Herrn S. zu begnügen. Soweit hierzu im Schriftsatz vom 16. Januar 2001 geltend gemacht wird, RA A. habe sich "an das Finanzgericht" gewandt und ihm sei daraufhin die Person benannt worden, an die ihn auch der Gerichtspräsident verwiesen hätte, kann diese Erläuterung bereits aufgrund des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist keine Berücksichtigung finden (vgl. BFH vom 6. Dezember 1978 I R 9/78, BFHE 126, 383, BStBl II 1979, 184); im Übrigen ist sie auch in der Sache unsubstantiiert, da sie den zunächst angesprochenen Bediensteten des FG nicht konkret benennt und sich im Hinblick auf die Behandlung von Auskunftsersuchen durch den FG-Präsidenten auf spekulative ―und somit unbeachtliche― Erwägungen beschränkt.
2. Fehl geht die Revisionsschrift weiterhin in der Auffassung, der Beschluss des Präsidiums, bei der Zuweisung der ehrenamtlichen Richter ―neben der alphabetischen Reihenfolge― deren bisherige Zuteilung zu einem bestimmten Senat zu berücksichtigen, verstoße gegen § 27 Abs. 1 Satz 2 FGO.
Abgesehen davon, dass die zum Beleg dieser Auffassung angeführte Literaturstelle (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 27 FGO Tz. 1) nicht nur unvollständig, sondern sinnentstellend wiedergegeben wird, ist der Vortrag vor allem deshalb unschlüssig, weil die Verteilung der ehrenamtlichen Richter auf die Senate im Ermessen des Präsidiums steht, das ―wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Urteil vom 27. Oktober 1961 VII C 26.61, BVerwGE 13, 147 ausgeführt hat― in einer der Rechtspflege dienenden Weise unter Berücksichtigung der besonderen Fachkenntnisse der einzelnen ehrenamtlichen Richter auszuüben ist. Demgemäß kann auch kein Zweifel daran bestehen, dass das Präsidium befugt ist, insbesondere im Interesse einer möglichst effizienten Senatsarbeit bei seiner Zuteilungsentscheidung die Kenntnisse zu berücksichtigen, die der ehrenamtliche Richter in der Vergangenheit aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Spruchkörper erlangt hat.
3. Schließlich werden auch mit der Rüge, die konkrete Besetzung des 3. Senats des FG Köln in der Sitzung vom 16. Juni 2000 habe deshalb nicht § 27 FGO entsprochen, weil die Vorinstanz die Angaben des ehrenamtlichen Richters M., er sei aufgrund "Krankheit" daran gehindert, den Termin wahrzunehmen, nicht durch die Vorlage eines ärztlichen Attests überprüft habe, keine Tatsachen bezeichnet, die den behaupteten Verfahrensmangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO a.F.).
Der Vortrag übersieht, dass nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG und des BFH eine Verhinderung i.S. des § 30 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie des § 27 Abs. 2 FGO dann vorliegt, wenn der ehrenamtliche Richter nach eigener pflichtgemäßer Abwägung unter Angabe eines Grundes mitgeteilt hat, verhindert zu sein. Dabei darf das Gericht bei dem auf gewissenhafte Amtsführung vereidigten ehrenamtlichen Richter davon ausgehen, dass er sich seiner richterlichen Pflicht nicht ohne zwingenden Grund entziehen wird; es muss deshalb in aller Regel auch nicht nachprüfen, ob der mitgeteilte Grund tatsächlich besteht (BFH vom 14. März 1986 VI R 11/85, BFH/NV 1986, 548; vom 18. Juni 1996 IV R 66/95, BFH/NV 1996, 840; Urteil vom 17. Januar 1989 VII R 187/85, BFH/NV 1989, 532; BVerwG in BVerwGE 13, 147; vom 28. Februar 1984 9 C 136/82, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ―NVwZ― 1984, 579). Eine Verpflichtung zur Überprüfung des angegebenen Hinderungsgrunds kommt mithin nur dann in Betracht, wenn es entweder offensichtlich an einer pflichtgemäßen Abwägung des ehrenamtlichen Richters fehlt (BFH in BFH/NV 1996, 840) oder hierfür zumindest (greifbare) Anhaltspunkte vorliegen (BVerwG in NVwZ 1984, 579).
Letzteres ergibt sich aus der Revisionsschrift nicht. Zwar mag eine wiederholte Terminabsage im Einzelfall ―also insbesondere dann, wenn sie nicht näher erläutert wird und die sonstigen Umstände auf ein pflichtwidriges Verhalten des ehrenamtlichen Richters hindeuten― Anlass für eine Überprüfung der geltend gemachten Verhinderung geben. Der Kläger verkennt jedoch, dass allein die Eintragungen in der Hauptliste des 3. Senats des FG ("Krankheit") keinen Schluss darüber zulassen, ob diese ―wie von ihm vorgetragen― auf "lapidare Begründungen" des ehrenamtlichen Richters M. zurückgehen oder ob den Eintragungen, wovon ―wie ausgeführt― auch bei einem ehrenamtlichen Richter grundsätzlich auszugehen ist, wahrheitsgemäße Angaben des Richters zu seinem Gesundheitszustand zugrunde lagen. Da in diesem Falle keine Verpflichtung bestand, den Grund der Verhinderung aktenkundig festzustellen (BFH vom 9. November 1998 V R 67/97, BFH/NV 1999, 643; BVerwG vom 23. Oktober 1980 2 C 5.80, Deutsches Verwaltungsblatt ―DVBl― 1981, 493), und der Kläger auch nicht vorgetragen hat, dass er den Versuch unternommen habe, seine mit den Listeneintragungen verbundenen Vermutungen ―die Verhinderung des M. sei aufgrund der fortwährenden Absagen "unwahrscheinlich"; den übrigen ehrenamtlichen Richtern sei das Erscheinen "faktisch freigestellt" gewesen― zu untermauern (vgl. eingehend BVerwG in DVBl 1981, 493), ist das Vorbringen der Revision auch insoweit unsubstantiiert. Darüber hinaus lässt der Kläger nicht nur außer Acht, dass das Alter des Richters M. ―er stand ausweislich der Hauptliste zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kurz vor Vollendung des 70. Lebensjahres― die genannte Schlussfolgerung nicht nahe legt; hinzu kommt, dass entgegen der Darstellung der Revisionsschrift in den eingereichten Kopien der Hauptliste lediglich für einen Fall (B, Sitzung 8/00 am 31. August 2000) die Verhinderung des ehrenamtlichen Richters "ohne weitere Angabe" dokumentiert wird. Auch insoweit bestehen mit Rücksicht auf die sonstigen Eintragungen (z.B. Auslandsaufenthalt, berufliche Verhinderung, Urlaub) für eine willkürliche Handhabung der Vertretungsregelungen durch den 3. Senat der Vorinstanz keinerlei Anhaltspunkte.
Fundstellen
Haufe-Index 635881 |
BFH/NV 2001, 1575 |