Entscheidungsstichwort (Thema)
Übergehen eines im Klageverfahren nicht geltend gemachten Angriffs- oder Verteidigungsmittels; Unabhängigkeit einer zulassungsfreien Revision von dem Erfolg einer daneben eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Mit dem Vortrag, das FG habe einem selbständigen Angriffs- oder Verteidigungsmittel auch ohne Geltendmachung von Amts wegen nachgehen müssen, wird eine Rüge der fehlenden Urteilsbegründung nicht schlüssig dargelegt.
2. Für die Zulässigkeit einer auf § 116 Abs. 1 FGO gestützten Revision ist es unerheblich, ob die neben der Revision eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden als Eheleute für das Streitjahr (1987) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erhoben nach erfolglosem Vorverfahren Klage gegen den Steuerbescheid, mit der Adressierungsmängel des Bescheids und außerdem die Verfassungswidrigkeit des im Einkommensteuertarif berücksichtigten Grundfreibetrags sowie des für ihr Kind gewährten Kinderfreibetrags geltend gemacht wurden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es ließ die Revision nicht zu. Gegen das Urteil des FG haben die Kläger gleichzeitig Nichtzulassungsbeschwerde und die vorliegende Revision eingelegt. Mit der Revision machen die Kläger geltend, das FG habe zu der Frage nicht Stellung genommen, ob die Bekanntgabe des Steuerbescheids an sie -- die Kläger -- als Eheleute in nur einfacher Ausfertigung wirksam erfolgt sei. Bei der Beantragung der Zusammenveranlagung auf dem Einkommensteuererklärungsvordruck sei nämlich ausdrücklich ausgeschlossen worden, daß der Steuerbescheid jedem der unterzeichnenden Ehegatten zugleich mit Wirkung für und gegen den anderen Ehegatten bekanntgegeben werden konnte. Die Kläger begründen sodann eingehend ihre Auffassung, daß im Streitfall die Bekanntgabe des Steuerbescheids in nur einer Ausfertigung unwirksam sei. Dieser Bekanntgabemangel des Bescheids sei mit der Klage zwar nicht gerügt worden. Das FG habe die ordnungsgemäße Bekanntgabe des Bescheids aber in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen prüfen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Ohne Zulassung durch das FG oder den BFH ist die Revision daher nur zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. von § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden. Ein solcher wesentlicher Verfahrensmangel ist nur dann schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben.
Obwohl die Kläger diese Bestimmung nicht ausdrücklich nennen, kommt hier nur in Betracht, daß die Kläger i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO rügen wollen, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen. Der Vortrag der Kläger ergibt jedoch nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe zwar nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist. Diese Voraussetzung ist vielmehr bereits dann erfüllt, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat. Der selbständige Anspruch oder das selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel muß in dem Verfahren vor dem FG aber geltend gemacht worden sein. Es muß sich um einen wesentlichen Streitpunkt des Verfahrens handeln (Beschluß des erkennenden Senats vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638 m. w. N.).
Wie die Kläger selbst vortragen, hat die vom FG übergangene Bekanntgabe des streitigen Steuerbescheids an die Kläger in nur einer Ausfertigung im Klageverfahren jedoch noch keine Rolle gespielt. Mit ihrer Auffassung, das FG habe dieser Frage auch ohne Rüge von Amts wegen nachgehen müssen, machen die Kläger im Grunde geltend, das FG habe seine Amtsermittlungspflichten verletzt oder trotz richtiger Erkenntnis des Sachverhalts das darin liegende Problem übersehen. Dabei geht es nicht um fehlende Entscheidungsgründe, sondern um die Rüge der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes oder des materiellen Rechtsfehlers der Entscheidungsfindung.
2. Im Streitfall kommt hinzu, daß das FG auch gar keinen Anlaß hatte, die Frage der Wirksamkeit der Bekanntgabe des Steuerbescheids in nur einer Ausfertigung zu prüfen. Wie sich aus den dem Senat vorliegenden Steuerakten des FA ergibt, ist der Steuerbescheid dem Prozeßbevollmächtigten für die Kläger nicht nur in einer Ausfertigung, sondern in zwei Ausfertigungen bekanntgegeben worden. Eine der Ausfertigungen war gerichtet an den Kläger zu Händen des Prozeßbevollmächtigten, die andere an die Klägerin zu Händen des Prozeßbevollmächtigten. Die durch die falsche Behauptung der Kläger über die Bekanntgabe des Steuerbescheids aufgeworfene Rechtsfrage stellte sich für das FG also überhaupt nicht.
3. Die von den Klägern neben der Revision eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das FG kann auch im Falle ihres Erfolges der vorliegenden Revision nicht zur Zulässigkeit verhelfen. Bei einer wie hier ohne vorherige Zulassung durch das FG oder den BFH eingelegten Revision geht es allein um die Frage, ob diese eingelegte Revision zulässig ist. Diese Frage richtet sich nach § 116 Abs. 1 FGO. Im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde wird nur darüber entschieden, ob eine Revision nach § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist. Die Stattgabe der Nichtzulassungsbeschwerde sagt also nichts darüber aus, ob eine vor dieser Entscheidung eingelegte Revision, die sich allein auf § 116 Abs. 1 FGO stützen kann, zulässig ist. Für die vorliegende Revision ist es also unerheblich, ob der Senat auf die neben der Revision eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde die Revision zuläßt oder nicht. Der Senat verweist hierzu auf seine Entscheidung in BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638. Dieser Entscheidung haben sich mittlerweile andere Senate des BFH angeschlossen (s. Beschlüsse des BFH vom 25. März 1993 V R 100/92, BFH/NV 1994, 178, und vom 10. März 1994 IX R 43/90, BFH/NV 1994, 813). Der Streitfall enthält keine neuen Gesichtspunkte, die den Senat zu einer Änderung seiner Rechtsprechung veranlassen könnten.
Fundstellen
Haufe-Index 420959 |
BFH/NV 1996, 551 |