Entscheidungsstichwort (Thema)
Darstellung des Streitverhältnisses im Antrag auf PKH
Leitsatz (NV)
1. Durch Einreichen einer Klage- und Antragsschrift (neben Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung) unter Beifügung einer Kopie der Einspruchsschrift und eines den Einspruch ergänzenden Schreibens ist der Pflicht zur Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel im Antrag auf Prozeßkostenhilfe genügt.
2. Zur Sachaufklärungspflicht hinsichtlich der Höhe der Haftungsquote bei Lohnsteuerhaftung und zu den Folgerungen aus einer möglichen Nichtfeststellbarkeit der als maßgeblich angesehenen Berechnungsgrößen.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69; FGO §§ 137, 142; ZPO §§ 114, 117
Tatbestand
Gegen den Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller), der Geschäftsführer einer GmbH war, über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) wegen Nichtabführung angemeldeter Lohn- und Kirchensteuer für die Monate ... sowie für Verspätungs- und Säumniszuschläge einen Haftungsbescheid gemäß §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977).
Nach erfolglosem Einspruch erhob der Antragsteller Klage und beantragte hierfür gleichzeitig Prozeßkostenhilfe (PKH) und Beiordnung des unterzeichnenden Prozeßbevollmächtigten.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Antragsteller habe nicht im einzelnen substantiiert dargelegt, weshalb der angefochtene Haftungsbescheid nach seiner Auffassung rechtswidrig sei. Die bloße Einreichung des angefochtenen Bescheids, des Einspruchsschreibens und der Einspruchsentscheidung als Anlage zum Klage- und Antragsschreiben sei nicht ausreichend. Eine nähere Begründung seines Antrages habe der Antragsteller auch nicht nachgereicht. Nach Lage der Akten sei bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung kein Fehler des Haftungsbescheids ersichtlich. Soweit die Klage letztlich deshalb möglicherweise teilweise erfolgreich sein könne, weil der Antragsteller in dem fraglichen Zeitraum ... nur noch Geld für die Auszahlung der Nettolöhne zur Verfügung gehabt haben wolle, führe dies nicht zu einer teilweisen Gewährung von PKH. Die Rechtsverfolgung erscheine insofern mutwillig. Das FA habe den Antragsteller bereits im Einspruchsverfahren wiederholt im einzelnen aufgefordert, die entsprechenden Unterlagen zur Berechnung der Lohnsteuer, die auf die tatsächlich ausgezahlten Nettolöhne entfielen, einzureichen. Dieser Aufforderung sei der Antragsteller nicht nachgekommen. Im finanzgerichtlichen Verfahren, in dem nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Regelung der Zivilprozeßordnung (ZPO) über die PKH nur sinngemäß gelte, könne für die Frage der Gewährung von PKH nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Antragsteller im Vorverfahren seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei und er nach aller Wahrscheinlichkeit daher selbst bei einem Obsiegen insofern gemäß § 137 FGO die Kosten zu tragen hätte. Entscheidend sei, daß bei rechtzeitiger Vorlage der entsprechenden Unterlagen das FA die Haftungsbeträge aller Wahrscheinlichkeit nach entsprechend ermäßigt und sich das Klageverfahren insofern erübrigt hätte.
Der Antragsteller hat hiergegen Beschwerde eingelegt und zur Begründung u.a. - im Hinblick auf die in der Einspruchsentscheidung angegebenen Aufforderungen des FA, die Lohnunterlagen der Mitarbeiter der GmbH vorzulegen, weil sonst eine die Haftungsschuld herabsetzende Schätzung nicht möglich sei - vorgetragen, daß die vom FA geforderten Lohnunterlagen nicht vorgelegt werden können, weil sie in dem eingeleiteten Konkursverfahren verlorengegangen seien.
Das FA hält die Klage für mutwillig. Der Antragsteller sei der Aufforderung zur Vorlage der Lohnunterlagen weder nachgekommen noch habe er eine Stellungnahme abgegeben. Erstmals in der Beschwerdebegründung behaupte er nunmehr, die Unterlagen seien im Konkursverfahren verlorengegangen und mit der Auszahlung der Gehälter sei der Kreditrahmen der GmbH erschöpft gewesen. Deshalb seien dem FA weitergehende Ermittlungen bisher nicht möglich gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Entgegen der Auffassung des FG hat der Antragsteller bereits dadurch, daß er seiner Klage- und Antragsschrift - neben Haftungsbescheid und Einspruchsentscheidung - eine Kopie seiner früheren Einspruchsschrift und eines den Einspruch ergänzenden Schreibens beigefügt hat, seiner Pflicht zur Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel (§ 117 ZPO) genügt. Für die erhobene Klage besteht auch die für die Gewährung von PKH hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Der Auffassung des FG, die Rechtsverfolgung sei mutwillig, weil der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten zur Aufklärung der Höhe der Haftungsschuld im Vorverfahren nicht nachgekommen sei, kann nicht gefolgt werden. Der beschließende Senat hat mehrfach entschieden, daß ein Antragsteller rechtlich nicht gehindert ist, erst im Klageverfahren bzw. in der Beschwerde gegen die Versagung von PKH durch das FG neue Sachverhalte vorzubringen (vgl. Beschlüsse vom 9. Juli 1985 VII B 77/84, BFH/NV 1986, 387, und vom 2. Oktober 1986 VII B 39/86, BFH/NV 1987, 390, 391).
Entscheidend ist, daß das vom Antragsteller Vorgetragene ausreicht, seiner Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg zuzusprechen.
Das FA selbst ist bereits in der Einspruchsentscheidung davon ausgegangen, daß die von dem haftenden Geschäftsführer vertretene GmbH andere Gläubiger als die Mitarbeiter, denen Nettolöhne gezahlt wurden, nicht mehr befriedigt hat, mithin weitere Mittel nicht zur Verfügung standen. Es kommt also nicht darauf an, ob der Antragsteller, dem nach der Rechtsprechung des Senats die Feststellungslast für diese Behauptung zufällt (Senatsurteile vom 26. Juli 1988 VII R 83/77, BFHE 153, 512, 517, BStBl II 1988, 859, 861, und vom 6. März 1990 VII R 63/87, BFH/NV 1990, 756, 757), beweisfällig geblieben ist. Erwägungen der Beteiligten, die diese Frage betreffen, sind demgemäß unerheblich.
Für den Erfolg der Klage entscheidend ist vielmehr, ob - wie das FA in der Einspruchsentscheidung ausgeführt hat - die Haftungsschuld in unverminderter Höhe bestehen bleiben muß, weil der Antragsteller trotz mehrfacher Aufforderung die Lohnunterlagen der Mitarbeiter der GmbH im Haftungszeitraum nicht vorgelegt hat. Das FA ist insofern der Auffassung, eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen von Amts wegen nach § 162 AO 1977 könne nicht erfolgen, weil eine Kenntnis über maßgebliche Berechnungsgrößen (z.B. Bruttolöhne, Steuerklassen, Familienstand der Arbeitnehmer) nicht gegeben sei.
Hinsichtlich dieser Frage, die den Umfang der Sachaufklärungspflicht über die Höhe der Haftungsquote (bei im Grundsatz feststehender Haftungsreduzierung als solcher) und sodann auch evtl. die Folgerung aus einer möglicherweise gegebenen Nichtfeststellbarkeit der als maßgeblich angesehenen Berechnungsgrößen (Haftung in vollem Umfang oder Pflicht zur Schätzung) betrifft, kann aber der Klage die hinreichende Aussicht auf Erfolg jedenfalls dem Grunde nach nicht abgesprochen werden.
Ausschlaggebend ist dabei, daß für Zwecke der Entscheidung über die Gewährung von PKH die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht überspannt werden dürfen. Die Erfolgsaussichten sind in der Regel dann als hinreichend anzusehen, wenn die Gründe für und gegen einen Erfolg als gleichwertig anzusehen sind, so daß im Ergebnis für beide Beteiligten eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bestehen kann. Bei Abwägung der für und gegen den Erfolg sprechenden Umstände darf eine abschließende Prüfung nicht vorgenommen werden (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 6. Februar 1987 III B 169 und 170/86, BFH/NV 1987, 322).
Im Streitfall erscheint es als durchaus möglich, daß das FG zu der Rechtserkenntnis kommt, bei fehlender Erklärung des Antragstellers zu den von ihm geforderten Nettolohnunterlagen müsse mit anderen Mitteln versucht werden, die Höhe der Nettolohnzahlungen im Haftungszeitraum festzustellen (vgl. Senatsurteil vom 26. September 1989 VII R 99/87, BFH/NV 1990, 351, 353). Ob das FG die dazu erforderliche Aufklärung im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens selbst vornehmen wird oder von der ihm in § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen kann und wird (vgl. Senatsurteile vom 2. Oktober 1986 VII R 190/82, BFH/NV 1987, 223, 225 - zur Umsatzsteuer -, und vom 10. Mai 1988 VII R 94/85, BFH/NV 1989, 84f. - zur Lohnsteuer -), ist für die Entscheidung über die PKH ohne Bedeutung.
In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß das FA seine letzte Aufforderung (gerichtet an den Prozeßvertreter des Antragstellers), Lohnunterlagen (Lohnkosten, Lohnabrechnungen etc.) sämtlicher Arbeitnehmer für die Zeiträume ... zu übersenden, mit der Aussage verbunden hat: Sollten Sie meiner Bitte bis zum o.a. Termin ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht nachgekommen sein, so wird nach Aktenlage entschieden, d.h. der Haftungsanspruch geschätzt!
Der Senat verweist deshalb die Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das FG zurück (§§ 132, 155 FGO i.V.m. § 575 ZPO). Das FG wird darüber zu befinden haben, ob es der Klage in vollem Umfang eine Erfolgsaussicht beimißt und ob auch die von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen abhängigen, für die Bewilligung erforderlichen übrigen Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die vorliegende Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers aus dem Jahre ... stammt und somit für die gegenwärtige Situation nicht mehr aussagekräftig genug erscheint.
Daß der Antragsteller erst im Beschwerdeverfahren erklärt hat, er könne die angeforderten Lohnunterlagen nicht vorlegen, führt unter den dargelegten Umständen nicht dazu, ihm nach § 137 FGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
Fundstellen
Haufe-Index 418758 |
BFH/NV 1994, 336 |