Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Rüge der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und der Verletzung der Sachaufklärungspflicht
Leitsatz (NV)
- Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage ist nicht in der erforderlichen Weise dargelegt, wenn der Beschwerdeführer lediglich Rechtsanwendungsfehler vorbringt und sich damit gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung wendet.
- Zur Darlegung einer Divergenz ist es erforderlich, dass in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtsätze des erstinstanzlichen Urteils herausgestellt werden, die mit tragenden Rechtssätzen in anderen BFH- bzw. FG-Entscheidungen nicht übereinstimmen. Die Rüge, das FG habe ein ‐ vom Beschwerdeführer zitiertes ‐ BFH-Urteil auf die Besonderheiten des Streitfalles fehlerhaft angewandt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Bloße Subsumtionsfehler des Tatsachengerichts können nicht zur Zulassung der Revision führen.
- Zur schlüssigen Rüge des Verfahrensmangels einer Verletzung der dem Gericht gemäß § 76 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht gehört der Vortrag, warum kein entsprechender Beweisantrag gestellt worden ist oder warum sich dem FG die Notwendigkeit der Beweiserhebung trotzdem hätte aufdrängen müssen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 76
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 25.08.2003; Aktenzeichen 11 K 67/02) |
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) mit Bescheid vom … als Geschäftsführerin einer in Konkurs geratenen GmbH für rückständige Lohnsteuerschulden und mit Bescheid vom … auch für Umsatz- und Körperschaftsteuern der GmbH in Haftung genommen. Beide Haftungsbescheide erlangten Bestandskraft. Mit Schreiben vom … beantragte die Klägerin die Rücknahme des zweiten Haftungsbescheides. Zur Begründung führte sie aus, dass sie zu keinem Zeitpunkt Geschäftsführerin der GmbH gewesen sei. Da dem Haftungsbescheid insoweit ein falscher Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, sei der Bescheid rechtswidrig und sogar am Rande der Nichtigkeit. Das FA lehnte den Antrag der Klägerin auf Rücknahme des Haftungsbescheides ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Klägerin ein Anspruch auf Rücknahme des Haftungsbescheides nach § 130 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht zustehe. Allerdings habe sie einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch das FA. Die im Streitfall vorgenommene Ermessensausübung durch das FA, die gemäß § 102 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einer richterlichen Überprüfung nur in begrenztem Umfang zugänglich sei, gebe zu rechtlichen Beanstandungen keinen Anlass. Das FA habe sich in sachgerechter Weise mit den Argumenten der Klägerin auseinander gesetzt. Insbesondere sei die Erwägung des FA, im Streitfall sei dem Aspekt des Eintritts von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit der Vorrang vor dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gerechtigkeit im Einzelfall einzuräumen, weil es die Klägerin versäumt habe, gegen den Haftungsbescheid Einspruch einzulegen und die nunmehr vorgebrachten Einwände rechtzeitig zu erheben, nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen. Denn der Klägerin sei zuzumuten gewesen, den Haftungsbescheid fristgerecht anzufechten und die Annahme des FA, sie sei als Geschäftsführerin der GmbH tätig gewesen, zu widerlegen. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei die Ermessensentscheidung des FA auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der Haftungsbescheid an einem besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler leiden würde. Die Klägerin habe durch ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen, dass das FA von einem unzutreffenden Sachverhalt ausging. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liege kein schwerwiegender Mangel vor, wenn der Steuerpflichtige es unterlassen habe, die Behörde auf den Fehler aufmerksam zu machen und die Behörde aus den ihr vorliegenden Unterlagen folgerichtig auf einen objektiv nicht vorliegenden Sachverhalt schließen würde. Im Streitfall habe der Steuerberater die Klägerin als Vertreterin der GmbH bezeichnet, an die nunmehr der Schriftverkehr zu richten sei. In der Folgezeit seien auch weiterhin Lohnsteuer- und Umsatzsteueranmeldungen für die GmbH abgegeben worden. Die fehlende Eintragung im Handelsregister habe das FA außer Acht lassen können, da sie die angebliche Pflichtenstellung der Klägerin nicht berührte. Diese hätte ohne weiteres den Sachverhalt aufklären können. Auf ein Schreiben, mit dem ihr die Einleitung eines Haftungsverfahrens eröffnet wurde, habe sie nicht reagiert. Deshalb habe das FA auf die Angaben des Steuerberaters vertrauen dürfen. Schließlich habe die Klägerin gegen die beiden Haftungsbescheide innerhalb der Einspruchsfrist keine Einwendungen erhoben.
Gegen das Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die sie im Wesentlichen auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) stützt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil in der Beschwerdeschrift ein Grund, der zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO führen könnte, nicht schlüssig dargelegt ist, wie dies § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfordert.
Für die nach § 116 Abs. 3 Sätze 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer konkret auf eine Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist darüber hinaus ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus dem ersichtlich wird, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232, und vom 2. Dezember 2002 VII B 203/02, BFH/NV 2003, 527, m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird das Vorbringen der Klägerin nicht gerecht. Denn ihrem Vorbringen ist keine abstrakte Rechtsfrage zu entnehmen, mit der sich die Klägerin anhand der bestehenden Rechtsprechung und des Meinungsstandes in der Literatur auseinander gesetzt und die sie besonders herausgestellt hätte. Vielmehr rügt die Klägerin die Bezugnahme auf eine BFH-Entscheidung (BFH-Beschluss vom 1. Oktober 1981 IV B 13/81, BFHE 134, 223, BStBl II 1982, 133) durch das FG als unzutreffend, weil dieser Entscheidung ein vom Streitfall abweichender Sachverhalt zugrunde gelegen habe. Einen gravierenden Rechtsanwendungsfehler sieht sie darin, dass das FG bei richtigem Verständnis des Urteils eine schwerwiegende Fehlerhaftigkeit des Haftungsbescheides nicht hätte verneinen dürfen. Im Kern ihres Vorbringens wendet sie sich damit gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Dies kann indessen nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 III B 16/00, BFH/NV 2001, 202; vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).
Sollte dem weiteren Vorbringen der Klägerin eine Divergenzrüge zu entnehmen sein, wäre auch diese nicht ordnungsgemäß erhoben. Die Klägerin stellt keinen abstrakten Rechtssatz des erstinstanzlichen Urteils heraus, der mit den tragenden Rechtsausführungen in den zitierten BFH- und FG-Entscheidungen nicht übereinstimmt. Im Übrigen ist eine solche Abweichung für den Senat auch nicht erkennbar. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin ist dem Urteil des BFH in BFHE 134, 223, BStBl II 1982, 133 nicht zu entnehmen, dass das FG im Streitfall das Vorliegen einer schwerwiegenden Fehlerhaftigkeit des Haftungsbescheides hätte annehmen müssen. In dieser Entscheidung hat der BFH ausgeführt, dass ein Verwaltungsakt nicht schon allein deshalb nichtig sei, weil er der gesetzlichen Grundlage entbehre oder weil die in Frage kommenden Rechtsvorschriften unrichtig angewendet worden seien. Ein Verwaltungsakt verdiene nur dann keine Beachtung, wenn er die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen in einem so erheblichen Maße verletze, dass von niemand erwartet werden könne, ihn als verbindlich anzuerkennen. Bei der Beurteilung der Schwere des dem Bescheid anhaftenden Mangels könne nicht außer Betracht bleiben, dass der Fehler durch das Verhalten des Steuerpflichtigen veranlasst worden sei. Ausgehend von diesen Überlegungen hat das FG den Inhalt der vom FA getroffenen Entscheidung auf Ermessensfehler überprüft und ist ―unter Beachtung der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 26. März 1991 VII R 15/89, BFHE 164, 215, BStBl II 1991, 532)― zu dem Ergebnis gelangt, dass die Ermessensentscheidung nicht zu beanstanden sei. Mit ihren Ausführungen wendet sich die Klägerin gegen die ihrer Ansicht nach fehlerhafte Anwendung der angesprochenen BFH-Urteile auf die Besonderheiten des Streitfalles. Auch insoweit macht sie damit einen Subsumtionsfehler des Tatsachengerichts geltend. Aber selbst wenn ein solcher Mangel vorliegen würde, könnte er im Beschwerdeverfahren nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Tz. 55).
Auch mit dem Vorbringen, das FG habe im Ergebnis die bestehende Rechtsprechung zur Begründung eines Haftungsbescheides nicht beachtet, wird ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht dargelegt. Denn auch dieser Einwand richtet sich gegen die materielle Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
Da die Klägerin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung herausgestellt hat und eine solche für den Senat auch nicht offenkundig ist, bedarf es keiner Entscheidung zu den in § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO aufgeführten Zulassungsgründen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2001 III B 103/01, BFH/NV 2002, 652).
Soweit die Klägerin das Vorliegen eines Verfahrensmangels (Verletzung der dem Gericht gemäß § 76 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht) rügt, ist diese Rüge ebenfalls nicht schlüssig vorgetragen. Denn aus dem Vortrag muss sich ergeben, inwiefern das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruht, es also ohne den Verfahrensfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Tz. 49). Im Streitfall war eine Feststellung zu der Frage, ob die Klägerin ihre Pflichten schuldhaft i.S. von § 69 AO 1977 verletzt hat, nach dem maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des FG nicht erforderlich. Dies gilt auch für die Feststellung der konkreten Höhe der Haftungssumme. Denn nicht die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides als solche stand zur rechtlichen Überprüfung an, sondern die Ermessensausübung des FA hinsichtlich der Ablehnung der Rücknahme des Bescheides. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, ob und in welcher Hinsicht Feststellungen zur Verschuldensfrage oder zur Haftungssumme die Entscheidung des FG beeinflusst hätten. Darüber hinaus gehört zur schlüssigen Rüge des von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmangels auch der Vortrag, warum kein entsprechender Beweisantrag gestellt worden ist oder warum sich dem FG die Notwendigkeit der Beweiserhebung trotzdem hätte aufdrängen müssen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Juni 2001 XI B 134/99, BFH/NV 2001, 1140, und vom 5. Juli 2000 VIII B 81/99, BFH/NV 2000, 1492). Der Vortrag der Klägerin wird den dargestellten Anforderungen nicht gerecht, denn er erschöpft sich in einer Wiedergabe des nach Ansicht der Klägerin zutreffenden Sachverhalts, den das FG allerdings verkannt habe.
Fundstellen
Haufe-Index 1147765 |
BFH/NV 2004, 974 |