Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die schlüssige Darlegung einer Gehörsrüge
Leitsatz (amtlich)
Dem Großen Senat wird gemäß § 11 Abs. 2 und Abs. 4 FGO die folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt.
Erfordert die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör im Urteilsverfahren (§ 119 Nr. 3 FGO) auch dann (substantiierte) Ausführungen darüber, was der Rechtsmittelführer bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und daß dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn der Rechtsmittelführer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen (etwa wegen seiner Erkrankung) an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen konnte oder wenn ihm eine Teilnahme an der in den Räumen des Prozeßgegners stattfindenden mündlichen Verhandlung aus gewichtigen Gründen nicht zumutbar war?
Orientierungssatz
1. Liegen erhebliche Gründe für eine Terminänderung vor, so verdichtet sich die in § 227 ZPO grundsätzlich eingeräumte Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Rechtspflicht. Der Termin muß in diesem Fall prinzipiell zur Gewährung rechtlichen Gehörs aufgehoben, verlegt oder die Verhandlung vertagt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Terminänderung verzögert würde. Welche Gründe als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Dabei sind sowohl der Prozeßstoff und die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Beteiligten und deren Prozeßbevollmächtigten als auch die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, daß im finanzgerichtlichen Verfahren nur eine Tatsacheninstanz besteht und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in mündlicher Verhandlung vorzutragen. Ausnahmsweise kann die Ablehnung einer Terminänderung durch das Gericht trotz Vorliegens erheblicher Gründe ermessensgerecht sein, wenn der Prozeßbeteiligte mit seinem Antrag auf Terminänderung offenkundig eine Prozeßverschleppung beabsichtigt oder seine prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt hat.
2. Haben die Kläger ihren Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung im Gebäude des beklagten FA mit der Erwägung begründet, daß ihnen angesichts der über Jahre hinweg währenden und noch andauernden erheblichen Spannungen zwischen ihnen und den Bediensteten des beklagten FA eine mündliche Verhandlung in den Räumen des FA nicht zuzumuten sei und trifft dieser Tatsachenvortrag zu, so liegt darin ein erheblicher Grund i.S. von § 227 ZPO für eine Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung. Eine Terminänderung kommt nicht nur bei einer objektiven Verhinderung des Beteiligten an der Wahrnehmung des Termins in Betracht. Vielmehr stellt das Beharren des Gerichts auf einem für den Prozeßbeteiligten unzumutbaren Termin eine Versagung des rechtlichen Gehörs dar. So liegt namentlich eine (mittelbare) Verletzung des rechtlichen Gehörs auch darin, daß das Gericht den Prozeßbeteiligten durch eine verfehlte Wahl des Verhandlungslokals einem unzumutbaren Druck aussetzt. Dies gilt um so mehr, als in einem Verfahren, in dem nur eine einzige Tatsacheninstanz gegeben ist, der freimütigen und ungehemmten Erörterung des Prozeßstoffs mit dem rechtsschutzsuchenden Bürger eine ganz besondere Bedeutung zukommt.
3. Das Abhalten einer auswärtigen Sitzung ist insbesondere dann sachdienlich (§ 91 Abs. 3 FGO), wenn dadurch eine wesentliche Beschleunigung oder Vereinfachung des Verfahrens oder eine erhebliche Kosteneinsparung zu erwarten ist.
4. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung steht im Ermessen des Gerichts. § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO steht aber in enger Beziehung zu dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör mit der Folge, daß Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts die Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Wiedereröffnungspflicht verdichten können.
5. Wird ein nicht vertretener Kläger durch eine plötzliche und nicht vorhersehbare Erkrankung an der Wahrnehmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gehindert, so begründet dies grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts, zum Zwecke der Gewährung des rechtlichen Gehörs den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, zu verlegen oder zu vertagen und für den Fall, daß die mündliche Verhandlung ohne Teilnahme des Klägers durchgeführt und das nach Schließung der mündlichen Verhandlung beschlossene Endurteil noch nicht wirksam geworden ist, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Etwas anderes gilt nur in den Fällen, in welchen der betreffende, nicht vertretene Prozeßbeteiligte die Absicht verfolgt, den Prozeß zu verschleppen oder es sonst an der zumutbaren und gebotenen Prozeßverantwortung hat fehlen lassen.
Normenkette
FGO § 11 Abs. 2, 4, § 119 Nr. 3, § 120 Abs. 2 S. 2, § 126 Abs. 4, §§ 155, 91 Abs. 3, § 93 Abs. 3 S. 2, § 96 Abs. 2; ZPO § 227
Nachgehend
Tatbestand
A. (Sachverhalt)
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) --zur Einkommensteuer zusammen zu veranlagende Eheleute-- erhoben nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage gegen den vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) erlassenen Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr 1985. Während des Klageverfahrens erließ das FA am 2. Februar 1993 einen Einkommensteueränderungsbescheid, mit dem es dem Begehren der Kläger teilweise Rechnung trug. Diesen Änderungsbescheid haben die Kläger gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Das Finanzgericht (FG) forderte die Kläger unter Hinweis darauf, daß das FA ihrem Begehren mit dem zum Gegenstand des Klageverfahrens gemachten Einkommensteueränderungsbescheid bereits im überwiegenden Teil entsprochen habe, wiederholt auf, die noch offenen Klagepunkte zu konkretisieren. Daraufhin beantragten die Kläger, das Klageverfahren bis zum Erlaß der Einkommensteuerbescheide 1991 bis 1993 auszusetzen.
Nach Zugang der Ladung zu der auf den 13. Juni 1994 angesetzten mündlichen Verhandlung im Hause des beklagten FA beantragten die nicht durch einen steuerlichen Berater vertretenen Kläger mit Schreiben vom 4. Juni 1994, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, weil eine neutrale und objektive Verhandlung im Gebäude des FA nicht möglich sei. Der in dieser Sache seit fast zehn Jahren geführte Schriftverkehr mit dem FA belege, daß eine Verhandlung im Gebäude des FA für sie als Steuerbürger "mehr als eine Provokation" darstelle. Ganz bewußt setze das FA gegen ihre kinderreiche Familie Gewaltmittel (Vollstreckungsmaßnahmen) ein.
Mit Schreiben an die Kläger vom 8. Juni 1994 lehnte das FG (Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 FGO) die beantragte Terminaufhebung ab, weil ein erheblicher Grund für eine solche Maßnahme i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nicht vorliege.
In der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 1994 erschien für die Kläger niemand. Nach Schließung der mündlichen Verhandlung verkündete das FG den Beschluß, daß eine Entscheidung den Beteiligten zugestellt werde.
Mit Schreiben vom 13. Juni 1994, eingegangen beim FG am 17. Juni 1994, überreichte der Kläger dem FG eine ärztliche Bescheinigung, in der ihm Arbeitsunfähigkeit seit dem 13. Juni 1994 attestiert wurde. In dem Schreiben heißt es, die Kläger gingen davon aus, daß ihnen wegen der Krankheit keinerlei Nachteile im Verfahren entstünden. Anderenfalls werde "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" beantragt.
Mit dem den Klägern am 4. Juli 1994 zugestellten Urteil hat das FG die Klage abgewiesen und diese Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Dem Antrag der Kläger auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1994 habe nicht entsprochen werden können, weil die Voraussetzungen einer Terminänderung nach § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO nicht vorgelegen hätten. Eine Terminaufhebung komme nur bei Vorliegen eines erheblichen Grundes in Betracht. Ein erheblicher Grund liege nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) dann vor, wenn ein Beteiligter aus objektiven Gründen verhindert sei, einen Termin wahrzunehmen.
Soweit die Kläger deswegen eine Terminaufhebung beantragt hätten, weil die mündliche Verhandlung in den Räumen des FA angesetzt worden sei, fehle es an einer Verhinderung aus objektiven Gründen. Die Verhandlung in den Räumen des FA habe die Kläger nicht gezwungen, zu den für sie zuständigen Bediensteten des FA in behördlichen Kontakt zu treten. Im übrigen liege die Entscheidung über die Anberaumung eines auswärtigen Termins im Ermessen des zuständigen Richters und sei in § 91 Abs. 3 FGO gerade zu dem Zweck der Kostenersparnis vorgesehen.
Soweit die Kläger durch Schriftsatz vom 13. Juni 1994 konkludent eine Terminaufhebung wegen Krankheit des Kläger beantragt hätten, sei eine Vertagung ebenfalls nicht angezeigt gewesen. Die Ablehnung der Vertagung beeinträchtige den Anspruch auf rechtliches Gehör nur dann, wenn besondere Umstände die Vertagung geböten. Die Kläger hätten es, wie der Ablauf des Klageverfahrens --insbesondere nach Erlaß des Einkommensteueränderungsbescheids vom 2. Februar 1993-- gezeigt habe, an einer pflichtgemäßen und zumutbaren sachlichen Mitwirkung fehlen lassen. Wenn sie die ihnen mehrere Monate gebotene Gelegenheit, Gespräche mit dem FA zu führen oder sich zum Inhalt des Klageverfahrens zu äußern, nicht genutzt hätten, könne die Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung keine Verletzung des rechtlichen Gehörs bedeuten (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Juni 1974 IV B 55-56/73, BFHE 113, 4, BStBl II 1974, 637).
Aus denselben Gründen sei auch eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht in Betracht gekommen.
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Ihre Verfahrensrügen begründen sie im wesentlichen wie folgt:
Das FG habe ihnen das Recht auf Gehör versagt. Es habe die beantragte Aussetzung des Verfahrens zu Unrecht abgelehnt. Auch die Ablehnung der Terminverlegung und die der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung seien zu Unrecht erfolgt. Die Erkrankung des Klägers, der auch die Klägerin vertreten habe, sei dem FG durch Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausreichend nachgewiesen worden. Die Ablehnung der Terminverlegung sowie der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung komme daher ihrem (der Kläger) Ausschluß von der mündlichen Verhandlung gleich. Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen der mündlichen Verhandlung werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß sie --die Kläger-- zuvor bereits Schriftsätze beim FG eingereicht gehabt hätten. Gerade bei nicht vertretenen Klägern komme der mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu.
Die Kläger beantragen (sinngemäß), die Vorentscheidung aufzuheben und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen mit der Maßgabe abzuändern, daß die Einkommensteuerfestsetzung 1985 entsprechend den Angaben in ihrer Steuererklärung erfolge.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
B.
Stellungnahme des beschließenden Senats zu der vorgelegten Rechtsfrage
I.
Bisherige Rechtsprechung des BFH
Bezieht sich die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs nur auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, so setzt die schlüssige Rüge dieses Verfahrensverstoßes nach einhelliger und auch vom Senat befürworteter Auffassung des BFH voraus, daß der Rechtsmittelführer substantiiert darlegt, wozu er sich nicht habe äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355; vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417, unter II. A. 2. der Gründe; vom 29. April 1987 I R 176/83, BFHE 150, 337, BStBl II 1987, 733, unter 1. der Gründe, und vom 1. Juni 1989 V R 72/84, BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677, unter II. 1. der Gründe). Wird die Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der Begründung gerügt, das FG habe einen bestimmten Sachvortrag oder einen Beweisantrag nicht zur Kenntnis genommen, muß überdies angegeben werden, daß bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags oder Beweisantrags eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. März 1989 V B 77/88, BFH/NV 1990, 509, unter 2. der Gründe; vom 28. März 1989 V B 90, 98/87, BFH/NV 1991, 98, unter 2. b letzter Absatz der Gründe).
Uneinigkeit besteht in der Rechtsprechung des BFH indessen darüber, ob derartige erhöhte Anforderungen an die schlüssige Darlegung des Gehörsverstoßes auch dann gestellt werden können, wenn der gerügte Mangel --wie etwa im Falle der dem Rechtsmittelführer versagten Teilnahme an der mündlichen Verhandlung-- den gesamten Streitstoff erfaßt. Dies wird teilweise verneint (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 30. März 1988 I R 140/87, BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836, unter I. 3. der Gründe; BFH-Beschluß vom 20. April 1989 VIII R 296-298/84, BFH/NV 1989, 798, unter 2., vorletzter Absatz der Gründe; BFH-Urteile vom 16. März 1989 IV R 27/88, BFH/NV 1990, 110, 111 linke Spalte; vom 17. November 1989 VI R 38/86, BFH/NV 1990, 650; vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, unter II. 2. der Gründe), wohl überwiegend jedoch bejaht (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. Januar 1986 III B 71/84, BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409, unter 2. der Gründe; in BFH/NV 1991, 98, unter 2. b der Gründe; BFH-Urteile vom 26. April 1991 III R 87/89, BFH/NV 1991, 830, 831; 6. Februar 1992 V R 38/85, BFH/NV 1993, 102, unter 2. der Gründe; vom 26. Mai 1992 VII R 26/91, BFH/NV 1993, 177, unter 1. a, aa der Gründe; BFH-Beschlüsse vom 12. November 1993 III B 234/92, BFHE 173, 196, BStBl II 1994, 401, unter 1. b der Gründe; vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382, unter I. 2. der Gründe; vom 31. Mai 1995 IV B 167/94, BFH/NV 1995, 1079, unter 2. der Gründe; offengelassen im BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, unter 1. c, aa der Gründe; ebenso im BFH-Beschluß vom 16. Dezember 1994 III B 43/94, BFH/NV 1995, 890, 891, linke Spalte).
Teilweise differenziert der BFH für die Frage des Ausmaßes des Darlegungserfordernisses danach, ob der Grund für das von dem Prozeßbeteiligten nicht zu vertretende Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung in der Sphäre des Gerichts oder gar in einer dem Gericht anzulastenden Pflichtwidrigkeit (z.B. versehentlich unterbliebene oder fehlerhafte Ladung) auf der einen Seite oder in der Sphäre des Prozeßbeteiligten (z.B. Verhinderung wegen plötzlich eingetretener, nicht voraussehbarer Erkrankung) bzw. in der neutralen Sphäre (z.B. nicht vorhersehbare ungünstige Witterungsverhältnisse; Ausfall öffentlicher Verkehrsmittel infolge Defekts oder Streiks) auf der anderen Seite liegt(vgl. z.B. einerseits das --einen vom Gericht irrig angenommenen Verzicht auf mündliche Verhandlung betreffende-- Urteil des VII. Senats in BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, in dem --unter II. 2. der Gründe-- ausgeführt wird, daß es in diesem Fall nicht darauf ankomme, "was die Klägerin in der mündlichen Verhandlung noch hätte vortragen wollen, und daß dies zur Klärung der Sache geeignet gewesen wäre", und andererseits den die Ablehnung eines vor der mündlichen Verhandlung gestellten "Vertagungsantrags" betreffenden Beschluß desselben Senats vom 12. Juli 1991 VII S 27/91, BFH/NV 1992, 190, in dem für einen schlüssigen Vortrag der Gehörsrüge gefordert wird darzulegen, "was der Betreffende vorgetragen hätte, wenn ihm rechtliches Gehör gewährt worden wäre"; vgl. auch die Rechtsprechung des I. Senats in BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836, unter I. 3. der Gründe einerseits, und im Urteil vom 22. Juli 1987 I R 186/83, nicht veröffentlicht --NV-- sowie in den Beschlüssen vom 21. Oktober 1992 I B 75/92, NV; vom 17. Februar 1993 I B 137/92, NV, und vom 18. März 1993 I B 158/92, NV, andererseits).
II.
Äußerungen in der Literatur
Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, daß der Rechtsmittelführer zur schlüssigen Rüge einer Gehörsverletzung zumindest in den Grundzügen anzugeben habe, was er im Falle der Gehörsgewährung noch Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte und daß dieser Vortrag die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können. Dies gilt nach einem Teil der Literatur auch für die Rüge, daß das Gericht die beantragte Terminaufhebung, -verlegung oder -vertagung zu Unrecht abgelehnt habe und der Rechtsmittelführer deswegen nicht an der mündlichen Verhandlung habe teilnehmen können (vgl. z.B. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 120 Rdnr. 65; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 115 Anm. 7 c). Nach Kühn/ Hofmann (a.a.O.) soll ein entsprechender Vortrag allerdings dann entbehrlich sein, wenn das Gericht trotz fehlenden Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden habe.
Nach einem anderen Teil der Literatur ist danach zu unterscheiden, ob der gerügte Gehörsverstoß nur einzelne Feststellungen und rechtliche Gesichtspunkte betrifft oder ob er sich --wie etwa bei der rechtswidrigen Ablehnung eines Antrages auf Vertagung der mündlichen Verhandlung-- auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht. Nur im ersteren Fall sei es gerechtfertigt, trotz der Ausgestaltung des Gehörsverstoßes als absoluten Revisionsgrundes (§ 119 Nr. 3 FGO) für eine schlüssige Rüge dieses Verfahrensmangels substantiierte Darlegungen des Rechtsmittelführers darüber zu verlangen, wozu er sich nicht habe äußern können, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und daß bei Berücksichtigung des übergangenen Vortrags eine andere Entscheidung in der Sache möglich gewesen wäre. Erfasse hingegen der gerügte Verstoß das Gesamtergebnis des Verfahrens, könnten entsprechende Ausführungen nicht gefordert werden (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rdnr. 14; Schwarz/Lindberg, Finanzgerichtsordnung, § 119 Rdnr. 19; Sangmeister, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 1992, 343). Anderenfalls überspanne man die Anforderungen an die Darlegung der Verfahrensrüge und negiere den Umstand, das § 119 Nr. 3 FGO den Gehörsverstoß als absoluten Revisionsgrund ausgestaltet habe (Sangmeister, StuW 1992, 343, 344 f.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 14). Die Pflicht zur Begründung der Revisionsrügen diene der Entlastung des Revisionsgerichts und könne daher nicht weitergehen als die Prüfungspflicht des BFH. Da die Rechtserheblichkeit des Verfahrensmangels nicht zu prüfen sei, wenn die Verletzung des rechtlichen Gehörs den gesamten Verfahrensstoff betreffe (vgl. dazu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., §§ 119 Rdnr. 11 und 126 Rdnr. 7), könnten hierzu auch keine Darlegungen des Rechtsmittelführers verlangt werden (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 14).
Es komme hinzu, daß die mündliche Verhandlung das Kernstück des Prozesses bilde. Dort habe der Prozeßbeteiligte die Möglichkeit, "seine Sache vorzubringen". Werde ihm die Gelegenheit hierzu genommen, sei ihm das rechtliche Gehör in gravierendster Weise abgeschnitten worden. Das Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung werde weitgehend durch deren konkreten Verlauf bestimmt. Habe ein Beteiligter an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen können, könne im nachhinein nicht festgestellt werden, wie die Verhandlung im Falle seiner Anwesenheit verlaufen wäre. Der Verfahrensbeteiligte sei deshalb objektiv gar nicht in der Lage, Ausführungen darüber zu machen was er im Falle seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte (Sangmeister, StuW 1992, 343, 344, 346, m.w.N.).
Entscheidungsgründe
III.
Auffassung des vorlegenden Senats
Der Senat verneint die Vorlagefrage mit den folgenden Erwägungen:
1. Die Versagung des Rechts auf Gehör stellt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 119 Nr. 3 FGO ("Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen...") einen absoluten Revisionsgrund dar. Da bei den absoluten Revisionsgründen i.S. des § 119 FGO die Kausalität des Verfahrensmangels für die Entscheidung unwiderleglich vermutet wird (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 1), braucht die Revisionsbegründung grundsätzlich keine Ausführungen darüber zu enthalten, inwiefern das angefochtene Urteil auf dem Mangel beruht.
Im Wege der teleologischen Reduktion des zu weit geratenen Wortlauts des § 119 Nr. 3 FGO hält der vorlegende Senat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH und der ganz herrschenden Lehre eine Ausnahme von dieser gesetzlichen Vermutung allerdings in den Fällen für geboten, in welchen sich die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs lediglich auf einzelne Feststellungen und rechtliche Gesichtspunkte bezieht. In diesen Fällen setzt eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs voraus, daß der Rechtsmittelführer im einzelnen substantiiert darlegt, wozu er sich nicht hat äußern können, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und daß bei Berücksichtigung des übergangenen Sachvortrags oder Beweisantrags eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (vgl. dazu die Nachweise aus der Rechtsprechung des BFH unter B. I.). Für diese Fälle läßt sich die vom Wortlaut des § 119 Nr. 3 FGO abweichende Praxis mit der Erwägung rechtfertigen, daß es nicht der Sinn dieser Regelung sein kann, ein verfahrensfehlerhaft zustande gekommenes Urteil aufzuheben, obwohl feststeht, daß es im zweiten Rechtsgang zu einer Bestätigung (Wiederholung) des angefochtenen Urteils kommen muß.
2. Solche erhöhten Anforderungen an die Darlegung des Gehörsverstoßes können nach Ansicht des vorlegenden Senats jedoch dann nicht gestellt werden, wenn der gerügte Mangel --wie im vorliegenden Fall, in welchem die Kläger die ihnen versagte Teilnahme an der mündlichen Verhandlung schlechthin rügen-- den gesamten Streitstoff erfaßt. Hier können --wie die nachfolgenden Erwägungen verdeutlichen sollen-- Ausführungen des Rechtsmittelführers über den Inhalt seines potentiellen Vortrages und dessen Eignung zur (weiteren) Aufklärung des Sachverhalts nicht verlangt werden (so insbesondere die ständige neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG--: vgl. z.B. Urteil vom 18. Oktober 1983 9 C 127.83, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 108 VwGO Nr. 140; Beschluß vom 4. Juli 1983 9 B 10275.83, Deutsches Verwaltungsblatt --DVBl-- 1984, 90; Urteile vom 10. Dezember 1985 9 C 84/84, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1986, 1057; vom 27. Februar 1992 4 C 42/89, NJW 1992, 2042; vom 3. Juli 1992 8 C 58/90, NJW 1992, 3185; vom 29. September 1994 3 C 28/92, NJW 1995, 1441; zur uneinheitlichen Rechtsprechung des BFH vgl. die Nachweise unter B. I.).
a) Ebenso wie die übrigen Prozeßordnungen geht auch die FGO in § 90 Abs. 1 Satz 1 von dem Grundsatz aus, daß das Gericht in Urteilssachen aufgrund einer mündlichen Verhandlung entscheidet. Wenngleich das dort statuierte Prinzip der Mündlichkeit auch nicht den Rang eines unbedingt geltenden Verfassungsrechtsgrundsatzes einnimmt, so stellt es doch eine einfach-rechtliche Prozeßmaxime dar, die als ein zentrales Mittel zur Verwirklichung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 6. Juli 1984 RiZ (R) 1/84, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1985, 240) das Urteilsverfahren beherrscht (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 7. März 1963 2 BvR 629, 637/62, BVerfGE 15, 303, 307; BFH-Urteil in BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, unter 1. c, bb, (2) der Gründe). Haben die Beteiligten eines Urteilsverfahrens nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet, so muß dem (End-)Urteil des Gerichts --von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen-- eine mündliche Verhandlung vorausgehen. Das Stattfinden einer mündlichen Verhandlung hat "seinen Rechtswert in sich" (BVerwG-Urteile vom 26. Mai 1978 4 C 50.77, Buchholz, a.a.O., 310, § 101 VwGO Nr. 8; in NJW 1986, 1057, 1058, linke Spalte, und in NJW 1992, 2042, rechte Spalte). Es soll nicht nur dem Gericht die Wahrheitsfindung erleichtern, sondern darüber hinaus dadurch "zur Befriedung beitragen, daß zwischen den Streitparteien in persönlichem Kontakt der Streitstoff in unmittelbarer Rede und Gegenrede erörtert werden (kann)" (BVerwG-Urteil in NJW 1992, 2042, rechte Spalte, m.w.N.).Die besondere Bedeutung dieses Mündlichkeitsgrundsatzes zeigt sich auch darin, daß der schriftsätzliche Vortrag der Beteiligten grundsätzlich nur zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dient (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO).
aa) Im Rahmen der mündlichen Verhandlung muß den Beteiligten zur Wahrung ihres Rechts auf Gehör die Gelegenheit geboten werden, sich anhand des Vortrags des wesentlichen Akteninhalts durch den Vorsitzenden oder Berichterstatter (vgl. § 92 Abs. 2 FGO) und der anschließenden Erörterung der Sache (§ 93 Abs. 1 FGO) davon zu überzeugen, daß ihr Begehren vom Gericht zutreffend aufgefaßt worden ist. Sie müssen überdies --und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftsätzlichen Vorbereitung genutzt haben oder nicht (vgl. BVerwG-Urteil in NJW 1986, 1057, 1058, linke Spalte)-- die Gelegenheit erhalten, zu den in der Erörterung (§ 93 Abs. 1 FGO) erfolgten Äußerungen des Gerichts und der Gegenseite Stellung nehmen und eigene Ausführungen tatsächlicher und rechtlicher Art machen zu können (vgl. BFH-Urteile vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208 letzter Absatz der Gründe; vom 21. Januar 1981 II R 91/79, BFHE 132, 394, BStBl II 1981, 401 unter 3. der Gründe; BVerwG-Urteil vom 11. April 1989 9 C 55/88, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1989, 857, 858). Dies gilt um so mehr in solchen Fällen, in denen --wie auch hier-- die Kläger im Verfahren vor dem FG nicht durch einen steuerlichen Berater oder sonstigen in der Abfassung steuerrechtlicher Schriftsätze erfahrenen und gewandten Bevollmächtigten vertreten waren. Dies gilt um so mehr auch deswegen, weil im finanzgerichtlichen Verfahren nur zwei Rechtszüge mit nur einer Tatsacheninstanz existieren.
bb) Bereits aus dem Vorgesagten erhellt, daß der Anspruch der Prozeßbeteiligten auf mündliche Verhandlung und auf Gewährung des rechtlichen Gehörs in derselben nicht davon abhängt, daß sie voraussichtlich in der Lage sein werden, aktiv eigene (neue) --rechtlich relevante-- Gesichtspunkte tatsächlicher oder rechtlicher Art in die mündliche Verhandlung einzuführen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung umfaßt --wie dargelegt-- vielmehr auch das Recht des Beteiligten, sich auf eine (passive) Kontrolle des äußeren und inhaltlichen Ablaufs der Verhandlung zu beschränken, sich über die Auffassung des Gerichts und der Gegenseite zu informieren und nur im Bedarfsfalle eine eigene Stellungnahme abzugeben. Anders gewendet umfaßt das Recht auf Gehör in der mündlichen Verhandlung nicht nur den Anspruch des Beteiligten, sein Anliegen aktiv vorbringen und verteidigen zu können, sowie den Anspruch, daß das Gericht diesem Vorbringen "Gehör schenkt". Es schließt vielmehr selbstverständlich den Anspruch ein, den Ausführungen des Gerichts und der übrigen Verfahrensbeteiligten "zuhören" zu können. Letzteres versteht sich schon deswegen von selbst, weil das Gesetz eine solche "passive Kontrolle" sogar einer unbeteiligten Öffentlichkeit zugesteht und dabei die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit für so gravierend hält, daß es sie in § 119 Nr. 5 FGO als absoluten Revisionsgrund formiert hat.
Folglich wird grundsätzlich auch demjenigen an der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gehinderten Prozeßbeteiligten das Recht auf Gehör versagt, der aller Voraussicht nach --etwa weil er (in prozessual vorbildlicher Weise) bereits alle wesentlichen, für den Erfolg seiner Klage sprechenden Tatsachen und rechtlichen Argumente schriftsätzlich vorgetragen hatte-- nichts oder nichts wesentliche Neues vorgetragen haben würde. Dann aber muß es in einem solchen Fall für eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ausreichen, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert vorträgt, daß er aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung gehindert gewesen sei. Eines darüber hinausgehenden Vortrags, was der Rechtsmittelführer im Falle seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung noch vorgetragen hätte, daß dies zur Klärung der Sache geeignet gewesen wäre und die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, bedarf es nicht (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, unter II. 2. der Gründe; in BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836, unter I. 3. der Gründe; BFH-Beschluß in BFH/NV 1989, 798, unter 2., vorletzter Absatz, der Gründe; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 14).
cc) Die Gegenauffassung überspannt die Anforderungen an eine schlüssige Gehörsrüge auch deswegen, weil das Vorbringen eines Verfahrensbeteiligten in der mündlichen Verhandlung, die --wie schon angedeutet-- wesentlich durch das Gespräch zwischen Gericht und Rechtssuchenden geprägt ist, weitgehend durch den konkreten Verlauf der mündlichen Verhandlung bestimmt wird. War ein Beteiligter an der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung schlechthin gehindert, so läßt sich im nachhinein nicht (zuverlässig) feststellen, wie die Verhandlung im Falle seiner Anwesenheit verlaufen wäre. Der betreffende Verfahrensbeteiligte ist daher weitgehend objektiv gar nicht in der Lage, konkrete Ausführungen darüber zu machen, was er im Falle einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung noch vorgetragen hätte (vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, unter II. 2.; ferner BVerwG-Urteil bei Buchholz, a.a.O., 310, § 108 VwGO Nr. 140; BVerwG-Beschluß in DVBl 1984, 90, rechte Spalte; BVerwG-Urteile in NJW 1992, 3185, 3186, linke Spalte; in NJW 1995, 1441).
b) Die Gegenauffassung vermag nach Ansicht des vorlegenden Senats auch deswegen nicht zu überzeugen, weil sie sich über den eindeutigen Wortlaut des § 119 Nr. 3 FGO hinwegsetzt und damit die Grenzen der Gesetzesauslegung überschreitet. Wie schon angedeutet, hat der Gesetzgeber die Verletzung des Rechts auf Gehör als absoluten Revisionsgrund ausgestaltet mit der Konsequenz, daß die Kausalität des Verfahrensmangels für die Entscheidung unwiderleglich vermutet wird (vgl. oben B. III. 1.). Es erscheint zwar vertretbar und sogar geboten, im Wege der teleologischen Einschränkung des zu weit gefaßten Wortlauts des § 119 Nr. 3 FGO bestimmte Fallkonstellationen von der dort statuierten unwiderlegbaren Kausalitätsvermutung auszunehmen (vgl. oben B. III. 1.) Es ist nach Auffassung des Senats aber nicht zulässig, § 119 Nr. 3 FGO dergestalt zu deuten, daß von der dort angeordneten (unwiderleglichen) Vermutung gar nichts mehr übrig bleibt, daß also in allen Fällen von Gehörsverstößen deren Kausalität für die Entscheidung besonders zu prüfen und vom Rechtsmittelführer schlüssig darzulegen ist.
c) Die Richtigkeit der vom beschließenden Senat befürworteten Auffassung ergibt sich überdies und vor allem aus rechtssystematischen Gründen, namentlich aus einer Zusammenschau des § 119 Nr. 3 FGO mit § 126 Abs. 4 FGO.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Urteile vom 30. September 1966 III 70/63, BFHE 87, 60, BStBl III 1967, 25; vom 20. Dezember 1967 III 343/63, BFHE 90, 519, BStBl II 1968, 208; in BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208; vom 8. November 1989 I R 14/88, BFHE 159, 112, BStBl II 1990, 386; vom 12. August 1986 VII R 138/83, BFH/NV 1987, 219; vom 19. Februar 1993 III R 101/89, BFH/NV 1994, 555), daß dem Revisionsgericht eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung gemäß § 126 Abs. 4 FGO jedenfalls dann versagt ist, wenn sich der Prozeßbeteiligte nicht zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens äußern konnte. Geht man von dieser Rechtsprechung aus, so können schon aus diesem Grund vom Revisionskläger, der sich ausweislich seiner Gehörsrüge nicht zum Gesamtinhalt des Verfahrens äußern konnte, keine Ausführungen dazu gefordert werden, was er im Falle ausreichender Gewährung des Rechts auf Gehör noch vorgetragen hätte und daß dies die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können. Denn diese Ausführungen haben nur den Sinn, dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht, d.h. ob dieser für die angegriffene Entscheidung kausal ist. Wenn indessen dem Revisionsgericht eine solche Prüfung verwehrt ist, weil sich der Gehörsverstoß auf das Gesamtergebnis des Verfahrens bezieht, so kann es nicht darauf ankommen, was der Rechtsmittelführer bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte; denn die Anforderungen an die "Bezeichnung" des Verfahrensmangels können nicht weitergehen als die Prüfungsbefugnis des Revisionsgerichts. Die von einigen Senaten des BFH (für jeden Fall der gerügten Verletzung rechtlichen Gehörs) verlangten Darlegungen des Rechtsmittelführers darüber, was er bei ausreichender Gewährung des Rechts auf Gehör noch vorgetragen hätte, wäre nur dann gerechtfertigt, wenn das Revisionsgericht --entgegen dem klaren Wortlaut des § 119 Nr. 3 FGO-- in allen Fällen des § 119 Nr. 3 FGO die Kausalitätsvermutung negieren und die Prüfungskompetenz des § 126 Abs. 4 FGO beanspruchen könnte. Diesen Schritt sind bislang aber auch diejenigen Senate des BFH nicht gegangen, die abweichend von der hier vertretenen Auffassung stets Ausführungen zur Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes fordern. So führt etwa der III. Senat des BFH in BFH/NV 1994, 555, 556 zutreffend aus: "Bei Verfahrensmängeln, die absolute Revisionsgründe i.S. des § 119 FGO beinhalten, ist § 126 Abs. 4 FGO grundsätzlich nicht anwendbar.... Eine Ausnahme gilt nur für den Revisionsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO), wenn sich die Verletzung auf einzelne tatsächliche Feststellungen (Hervorhebung durch vorlegenden Senat) bezieht, auf die es für die Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt.....".
d) Der systematische Zusammenhang des § 119 Nr. 3 FGO mit der unmittelbar benachbarten Regelung des § 119 Nr. 4 FGO bestätigt die Richtigkeit dieses Auslegungsergebnisses: § 119 Nr. 4 FGO sanktioniert die besonders schwere Form einer Gehörsversagung infolge mangelhafter Vertretung des Beteiligten. So liegt nach der Rechtsprechung des BFH der absolute Revisionsgrund des § 119 Nr. 4 FGO u.a. dann vor, wenn das Gericht irrtümlich einen Verzicht auf mündliche Verhandlung angenommen und durch Urteil entschieden hat (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679; BFH-Urteil vom 2. Dezember 1992 II R 112/91, BFHE 169, 311, BStBl II 1993, 194; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 19, m.w.N.) oder wenn das FG in einem Rechtsstreit mit einem Streitwert bis zu 1 000 DM ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden hat, obwohl der Beteiligte eine mündliche Verhandlung nach § 94a FGO begehrt hatte (vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1987 IX R 135/83, BFHE 151, 297, BStBl II 1988, 141; Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 19, m.w.N.). Auch in diesen Fällen hat sich der Prozeßbeteiligte nicht in der mündlichen Verhandlung zum Streitstoff äußern können. Für die Schlüssigkeit seiner Rüge der Verletzung des § 119 Nr. 4 FGO braucht er nicht darzulegen, was er in der unterlassenen mündlichen Verhandlung vorgetragen hätte und daß dies entscheidungserheblich gewesen wäre. Dann aber sollte dasselbe auch für den hier zu erörternden, ebenfalls den gesamten Streitstoff erfassenden und damit in der Intensität vergleichbaren Gehörsentzug gelten (vgl. auch Sangmeister, StuW 1992, 343, 347, rechte Spalte).
Nach Auffassung des vorlegenden Senats kann für die Frage des Ausmaßes der Darlegungspflicht bei einer Gehörsrüge i.S. von § 119 Nr. 3 FGO nicht danach unterschieden werden, ob der Grund für das von dem Prozeßbeteiligten nicht zu vertretende Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Prozeßbeteiligten bzw. in der neutralen Sphäre liegt. Diesen Sphärengedanken, der offenbar auch die Erklärung dafür liefert, daß einige Senate des BFH je nach der Ursache für das Nichterscheinen des Prozeßbeteiligten in der mündlichen Verhandlung unterschiedliche Anforderungen an die schlüssige Darlegung der Verletzung des Rechts auf Gehör i.S. von § 119 Nr. 3 FGO stellen (vgl. dazu die Nachweise unter B. I., am Ende), hält der beschließende Senat nicht für überzeugend. Für die Frage, ob der aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung gehinderte Kläger bei seiner späteren Gehörsrüge vortragen muß, was er noch Erhebliches vorzutragen gehabt hätte, kann es keinen Unterschied machen, ob der Hinderungsgrund auf ein Verhalten des Gerichts zurückzuführen ist oder außerhalb der gerichtlichen Sphäre verursacht wurde. Das Gesetz (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO) bietet für eine derartige Differenzierung keinen Anhalt.
e) Die gegenteilige Auffassung läßt sich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, daß anders den gerade in jüngerer Zeit häufiger auftretenden Fällen der Prozeßverschleppung und sonstigen Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten nicht wirksam begegnet werden könne. Zur effektiven Eindämmung dieses Phänomens stellt die contra legem vorgenommene "Hinweginterpretation" der unwiderlegbaren Kausalitätsvermutung des § 119 Nr. 3 FGO nicht das geeignete Instrument dar. Es überzeugt nicht, die atypisch gelagerten Mißbrauchs- und Verschleppungsfälle als Maßstab für die Auslegung dieser Norm heranzuziehen und damit die Masse der (vom Gesetzgeber bei Schaffung der Norm ins Auge gefaßten) Regelfälle mit jenen Extremfällen "über einen Kamm zu scheren". Im übrigen stellt das Gesetz an anderer Stelle geeignete Mittel zur Bekämpfung dieser Mißbräuche bereit. So kann die Ablehnung der beantragten Terminänderung trotz Vorliegens erheblicher Gründe i.S. von § 227 ZPO ausnahmsweise ermessensgerecht sein, wenn der Prozeßbeteiligte mit seinem Antrag auf Terminänderung offenkundig eine Prozeßverschleppung beabsichtigt oder seine prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt hat (st. Rspr.; vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Juni 1974 IV B 55-56/73, BFHE 113, 4, BStBl II 1974, 637, 638; vom 29. Juni 1992 V B 9/91, BFH/NV 1993, 180, unter 3. der Gründe; BFH-Urteil vom 4. Mai 1994 XI R 104/92, BFH/NV 1995, 46; vgl. auch BVerwG-Urteil vom 26. Januar 1989 6 C 66/86, NVwZ 1989, 650, 652; vgl. auch unten C. I. 2. c). Entsprechendes gilt auch für die Ablehnung eines Antrages auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 1. Oktober 1992 I B 67-70/92, BFH/NV 1993, 186; vgl. auch unten C. II. 3. b).
Überhaupt verliert der Rechtsmittelführer sein Rügerecht, wenn er nicht alle prozessualen Möglichkeiten ausschöpft, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (st. Rspr.; vgl. im einzelnen die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 13; vgl. auch unten C. I. 2 e).
C.
Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Die dem Großen Senat vorgelegte Rechtsfrage ist für den Erlaß des vom vorlegenden Senat in Aussicht genommenen Urteils entscheidungserheblich. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Bejaht man die Vorlagefrage und verlangt für die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör im Urteilsverfahren auch dann Ausführungen darüber, was der Rechtsmittelführer im Falle seiner Teilnahme an der mündlichen Verhandlung noch vorgetragen hätte und daß dies die Entscheidung hätte beeinflussen können, wenn der Rechtsmittelführer aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen konnte oder wenn ihm die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung nicht zuzumuten war, so ist die Revision der Kläger mangels substantiierter Darlegung des Gehörsverstoßes als unzulässig zu verwerfen.
Verneint man hingegen die Vorlagefrage, so hat die Revision Erfolg und führt zur Aufhebung der Vorentscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Denn sowohl durch die Ablehnung der von den Klägern beantragten Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung (unten I.) als auch durch die Ablehnung der von ihnen beantragten Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (unten II.) hat das FG den Klägern ihr Recht auf Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) versagt und damit gegen § 119 Nr. 3 FGO verstoßen.
I.
Verletzung des Rechts der Kläger auf Gehör durch Ablehnung der beantragten Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung
1. Nach § 227 ZPO i.V.m. § 155 FGO kann das Gericht aus erheblichen Gründen auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen sowie --nach Beginn der mündlichen Verhandlung-- eine Verhandlung vertagen. Liegen erhebliche Gründe für eine Terminänderung vor, so verdichtet sich die in dieser Vorschrift grundsätzlich eingeräumte Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Rechtspflicht. Der Termin muß in diesem Fall prinzipiell zur Gewährung rechtlichen Gehörs aufgehoben, verlegt oder die Verhandlung vertagt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Terminänderung verzögert würde (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1991, 830; in BFH/NV 1993, 180; BFH-Urteile in BFH/NV 1993, 177; in BFH/NV 1995, 46; vom 7. Februar 1995 VIII R 48/92, BFH/NV 1996, 43).
2. Welche Gründe i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO als erheblich anzusehen sind, richtet sich nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Dabei sind sowohl der Prozeßstoff und die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Beteiligten und deren Prozeßbevollmächtigten als auch die Gesichtspunkte zu berücksichtigen, daß im finanzgerichtlichen Verfahren nur eine Tatsacheninstanz besteht und die Beteiligten ein Recht darauf haben, ihre Sache in mündlicher Verhandlung vorzutragen (vgl. BFH-Urteile vom 14. Oktober 1975 VII R 150/71, BFHE 117, 19, BStBl II 1976, 48, und in BFH/NV 1996, 43).
a) Die Kläger haben innerhalb der Revisionsbegründungsfrist schlüssig Tatsachen vorgetragen, die --im Falle ihres Vorliegens-- die von ihnen vor der mündlichen Verhandlung beantragte Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung zwingend geboten.
aa) Die Kläger rügen mit ihrer Revision, daß das FG die von ihnen beantragte Terminaufhebung zu Unrecht abgelehnt habe. Nähere Angaben hierzu enthält die Revisionsbegründungsschrift nicht. Sie waren indessen entbehrlich, weil das FG den Terminaufhebungsantrag und dessen Begründung in der angefochtenen Vorentscheidung wiedergegeben und beschieden hat (vgl. auch BFH-Urteil vom 23. Oktober 1991 I R 5/91, BFH/NV 1992, 524).
bb) Die Kläger haben ihren Antrag auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung im Gebäude des beklagten FA mit der Erwägung begründet, daß ihnen angesichts der über Jahre hinweg währenden und noch andauernden erheblichen Spannungen zwischen ihnen und den Bediensteten des beklagten FA eine mündliche Verhandlung in den Räumen des FA nicht zuzumuten sei.
aaa) Trifft dieser Tatsachenvortrag der Kläger zu, so liegt darin entgegen der Ansicht des FG ein erheblicher Grund i.S. von § 227 ZPO für eine Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung. Rechtsirrig ist das FG davon ausgegangen, daß eine Terminänderung nur bei einer objektiven Verhinderung des Beteiligten an der Wahrnehmung des Termins in Betracht komme. Vielmehr stellt das Beharren des Gerichts auf einem für den Prozeßbeteiligten unzumutbaren Termin eine Versagung des rechtlichen Gehörs dar (vgl. z.B. Zöller/Stöber, Zivilprozeßordnung, Kommentar, 20. Aufl., § 227 Rdnr. 6, m.w.N.). So liegt namentlich eine (mittelbare) Verletzung des rechtlichen Gehörs auch darin, daß das Gericht den Prozeßbeteiligten durch eine verfehlte Wahl des Verhandlungslokals einem unzumutbaren Druck aussetzt. Dies gilt "um so mehr, als in einem Verfahren, in dem nur eine einzige Tatsacheninstanz gegeben ist, der freimütigen und ungehemmten Erörterung des Prozeßstoffs mit dem rechtsschutzsuchenden Bürger eine ganz besondere Bedeutung zukommt" (BVerwG-Urteil vom 22. November 1963 IV C 103.63, BVerwGE 17, 170, 172, betr. nachhaltige Erregung des Klägers infolge eines unzutreffenden ehrenrührigen Vorwurfs seitens des Gerichtsvorsitzenden; vgl. auch BFH-Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 247/78, BFHE 129, 524, BStBl II 1980, 299, betr. unzulässige Einschüchterung des Klägers durch den Gerichtsvorsitzenden).
bbb) Unter Beachtung dieser Grundsätze ist es zwar nicht generell bedenklich, wenn das Gericht die mündliche Verhandlung aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung sowie der Kostenersparnis in den Räumen der beklagten Behörde durchführt. Im Streitfall liegen indessen besondere Umstände vor, welche die Wahl eines anderen Verhandlungsorts zwingend geboten hätten. Den Klägern war es im Hinblick auf die erheblichen Spannungen zwischen ihnen und dem FA nicht zuzumuten, in den Räumen des FA zu verhandeln, weil sie sich dadurch berechtigterweise einem unzulässigen Druck ausgesetzt fühlen durften.
Entgegen der Ansicht des FG konnte die Ablehnung der von den Klägern beantragten Aufhebung des in den Räumen des FA anberaumten Termins auch nicht unter Hinweis auf § 91 Abs. 3 FGO gerechtfertigt werden. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht "Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist". Das Abhalten einer auswärtigen Sitzung ist insbesondere dann sachdienlich, wenn dadurch eine wesentliche Beschleunigung oder Vereinfachung des Verfahrens oder eine erhebliche Kosteneinsparung zu erwarten ist (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 91 Rdnr. 20). Soweit sich das FG zur Rechtfertigung seiner die Terminänderung ablehnenden Entscheidung auf diesen Beschleunigungs-, Vereinfachungs- und Kosteneinsparungseffekt berufen hat, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn zur Erreichung dieser Ziele war es nicht notwendig, gerade im Gebäude des FA zu verhandeln. Jeder andere Verhandlungsort am Sitz des beklagten FA, etwa einem Gerichtsgebäude oder die Räumlichkeiten einer anderen Verwaltungsbehörde (vgl. § 13 FGO), wäre in gleicher Weise zur Verwirklichung dieser Zwecke geeignet gewesen. Die Wahl eines solchen "neutralen" Verhandlungsorts hätte zudem die vom Gesetz (vgl. §§ 1, 32, 19 Nr. 3 und 51 FGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO, § 51 Abs. 2 und 3 FGO) angeordnete organisatorische, funktionelle und personelle Trennung der Finanzgerichte von den Verwaltungsbehörden dokumentiert und bereits deren Anschein der Parteilichkeit des Gerichts entgegengewirkt.
b) Der von den Klägern behauptete erhebliche Grund i.S. von § 227 ZPO für eine Aufhebung des im Gebäude des beklagten FA anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung lag auch tatsächlich vor. Ausweislich der Akten besteht kein Zweifel daran, daß zwischen den Klägern und den Bediensteten des FA erhebliche Spannungen bestanden, die es den Klägern unzumutbar machten, im Gebäude des FA zu verhandeln. Auch das FG hat das Bestehen solcher Spannungen nicht in Abrede gestellt.
c) Mit der Ablehnung des Antrags der Kläger auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1994 hat das FG daher den Klägern das rechtliche Gehör versagt. Dabei kann dahinstehen, ob die Kläger --wie das FG gemeint hat-- ihren prozessualen Mitwirkungspflichten dadurch nicht ausreichend nachkamen, daß sie, insbesondere nach Erlaß des Teilabhilfebescheids vom 2. Februar 1993, "die ihnen mehrere Monate lang gebotene Gelegenheit, Gespräche mit dem FA zu führen oder sich zum Inhalt des Klageverfahrens zu äußern, nicht..... genutzt haben.....". Selbst wenn man in diesem Verhalten eine Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten der Kläger erblicken könnte, würde dies die Versagung des rechtlichen Gehörs nicht rechtfertigen können. Zwar kann nach der Rechtsprechung des BFH ausnahmsweise die Ablehnung einer Terminänderung durch das Gericht trotz Vorliegens erheblicher Gründe i.S. von § 227 ZPO ermessensgerecht sein, wenn der Prozeßbeteiligte mit seinem Antrag auf Terminänderung offenkundig eine Prozeßverschleppung beabsichtigt oder seine prozessualen Mitwirkungspflichten in anderer Weise erheblich verletzt hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 113, 4, BStBl II 1974, 637, 638; in BFH/NV 1993, 180, unter 3. der Gründe; BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 46; vgl. auch BVerwG-Urteil in NVwZ 1989, 650, 652).
Indessen ergeben sich im Streitfall für das Bestehen einer Prozeßverschleppungsabsicht der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte. Auch der möglicherweise gegebene Verstoß der Kläger gegen ihre prozessualen Mitwirkungspflichten wiegt im Hinblick auf die unter B. III. 2. a aufgezeigte grundlegende Bedeutung der mündlichen Verhandlung für das finanzgerichtliche Verfahren nicht so schwer, daß er es rechtfertigen könnte, den Klägern die Möglichkeit zu verwehren, ihr materiell-rechtliches Begehren unmittelbar vor Gericht zu erläutern und evtl. erforderliche weitere Unterlagen noch in der mündlichen Verhandlung vorzulegen (vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 46, sogar für den Fall, daß der Kläger der Aufforderung durch den Berichterstatter nach Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit --VGFGEntlG-- nicht nachgekommen war; BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 180, unter 3. der Gründe; BFH-Urteile vom 29. November 1990 IV R 30/90, BFH/NV 1991, 531, 532, rechte Spalte letzter Absatz; in BFHE 132, 394, BStBl II 1981, 401, unter 3. der Gründe, betr. ebenfalls einen Fall, in dem der Kläger einer Aufforderung nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG nicht Folge leistete). Dies gilt um so mehr, als die Kläger im Verfahren vor dem FG nicht durch einen steuerlichen Berater vertreten waren, das Gericht den Klägern nur mehr eine einfache Frist, nicht dagegen eine solche mit präkludierender Wirkung i.S. von § 79b FGO (früher: Art. 3 § 3 VGFGEntlG) zur Präzisierung ihrer Klagebegründung gesetzt hatte und den Klägern nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung stand.
d) Auch ein Rügeverzicht i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO kommt nach Lage des Falles offenkundig nicht in Betracht.
e) Schließlich ließe sich ein Verlust des Rügerechts auch nicht damit begründen, daß es die Kläger versäumt hätten, alles ihnen Mögliche dazu beizutragen, den Gehörsverstoß zu vermeiden. Sie haben unverzüglich nach Zustellung der Ladung (26. Mai 1994) am 1. Juni 1994 das FG telefonisch darauf hingewiesen, daß ihnen eine Verhandlung im Gebäude des FA nicht zuzumuten sei. Sie haben überdies mit Schreiben vom 4. Juni 1994, eingegangen beim FG am 8. Juni 1994, ausdrücklich beantragt, den Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1994 aufzuheben und nochmals --mit ausführlicher Begründung-- ausgeführt, daß und warum ihnen eine Verhandlung in den Räumlichkeiten des beklagten FA unzumutbar erscheine. Mehr brauchten sie in diesem Zusammenhang nicht zu tun.
f) Dem Vorliegen eines erheblichen Grundes i.S. von § 227 ZPO steht im Streitfall auch nicht entgegen, daß das FG in den Ladungen zur mündlichen Verhandlung gemäß § 91 Abs. 2 FGO darauf hingewiesen hatte, beim Ausbleiben eines Beteiligten könne auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden (vgl. auch Beschluß vom 15. Dezember 1986 IV B 59-61/86, IV B 66/86, BFH/NV 1988, 643, 646, unter III. 2. a, m.w.N.).
II.
Verletzung des rechtlichen Gehörs der Kläger durch Ablehnung der von ihnen beantragten Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
1. Gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO kann das Gericht, solange ein von ihm beschlossenes (End-)Urteil noch nicht durch Verkündung oder Zustellung wirksam geworden ist (vgl. z.B. BVerwG-Beschluß vom 19. März 1991 9 B 56/91, Buchholz, a.a.O., 310, § 104 VwGO Nr. 25), auf Antrag eines Prozeßbeteiligten oder von Amts wegen die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung steht im Ermessen des Gerichts. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung hat das Gericht zu beachten, daß § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO u.a. auch dem Zweck dient, den Prozeßbeteiligten die sachgerechte Wahrnehmung ihrer Rechte insbesondere durch mündlichen Vortrag zu dem aufgrund der mündlichen Verhandlung gewonnen Gesamtergebnis des Verfahrens zu ermöglichen. § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO steht damit in enger Beziehung zu dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör mit der Folge, daß Bedeutung und Tragweite dieses Grundrechts die Ermessensfreiheit des Gerichts zu einer Wiedereröffnungspflicht verdichten können (vgl. z.B. BVerwG-Urteil in NVwZ 1989, 857, 858; ferner BVerwG-Beschluß vom 18. Mai 1983 9 B 3888/80, NJW 1984, 192, jeweils die Parallelvorschrift des § 104 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung --VwGO-- betreffend). So ist namentlich eine Ermessensreduzierung auf eine Wiedereröffnungspflicht gegeben, wenn der Beteiligte sein Ausbleiben im Termin der bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung noch rechtzeitig (vor Erlaß des Endurteils) entschuldigt (vgl. z.B. BVerwG-Urteil vom 11. November 1970 V C 81.69, Buchholz, a.a.O., 310, § 104 VwGO Nr. 3; Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Rdnr. 10) oder --allgemeiner ausgedrückt-- wenn das Absehen von der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung eine Verletzung wesentlicher Prozeßgrundsätze (insbesondere des Rechts auf Gehör) bedeuten würde (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115; vom 17. April 1985 I R 67/82, BFH/NV 1986, 409; BVerwG-Beschluß bei Buchholz, a.a. O., 310, § 104 VwGO Nr. 25, m.w.N.; Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Rdnr. 10, m.w.N.).
2. Nach den unter 1. dargelegten Grundsätzen war das FG zum einen verpflichtet, dem Antrag der Kläger auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung schon deswegen stattzugeben, weil ihnen --wie unter C. I. 2. a ausgeführt-- eine mündliche Verhandlung in den Räumen des beklagten FA nicht zuzumuten war.
3. Unabhängig davon war das FG zum anderen aber auch deshalb verpflichtet, dem Wiedereröffnungsantrag der Kläger zu entsprechen, weil der Kläger durch Erkrankung gehindert war, der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 1994 beizuwohnen.
a) Die Kläger rügen mit ihrer Revision, daß das FG die von ihnen am 17. Juni 1994 beantragte Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu Unrecht abgelehnt habe, da die Erkrankung des Klägers (Ehemannes), der auch die Klägerin (Ehefrau) vertreten habe, durch Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen worden sei.
b) Trifft dieser Sachverhalt zu, so war das FG zum Zwecke der Vermeidung einer Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verpflichtet. Wird ein nicht vertretener Kläger durch eine plötzliche und nicht vorhersehbare Erkrankung an der Wahrnehmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gehindert, so begründet dies grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts, zum Zwecke der Gewährung des rechtlichen Gehörs den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, zu verlegen oder zu vertagen (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 46, m.w.N.; BGH-Urteil in HFR 1985, 240) und für den Fall, daß die mündliche Verhandlung ohne Teilnahme des Klägers durchgeführt und das nach Schließung der mündlichen Verhandlung beschlossene Endurteil noch nicht wirksam geworden ist, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (vgl. z.B. BVerwG-Urteil bei Buchholz, a.a.O., 310, § 104 VwGO Nr. 3, Sangmeister, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1988, 320, 323, m.w.N.). Ein anderes hat die Rechtsprechung nur in den Fällen angenommen, in welchen der betreffende, nicht vertretene Prozeßbeteiligte die Absicht verfolgt, den Prozeß zu verschleppen oder es sonst an der zumutbaren und gebotenen Prozeßverantwortung hat fehlen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 186).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hingegen im Streitfall nicht vor. Dieser bietet --wie bereits ausgeführt (C. I. 2. c)-- für das Vorhandensein einer Prozeßverschleppungsabsicht der Kläger keinen hinlänglichen Anhalt. Ausweislich des am 17. Juni 1994 vorgelegten ärztlichen Attestes trat die (zur Arbeitsunfähigkeit führende) Erkrankung des Klägers erst am Tage der mündlichen Verhandlung ein, so daß die Kläger nicht bereits vor dem Tag der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit hatten, aus diesem Grund auf eine Terminänderung hinzuwirken oder durch Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten Vorsorge zu treffen. Die Kläger haben die Erkrankung des Ehemannes dem FG unverzüglich --noch mit Schreiben vom Tag der mündlichen Verhandlung-- angezeigt und durch Beifügung des ärztlichen Attestes glaubhaft gemacht sowie gleichzeitig und --mangels zwischenzeitlichen Wirksamwerdens des angefochtenen Urteils-- rechtzeitig die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Daß dieses Schreiben das FG erst vier Tage später --am 17. Juni 1994-- erreichte, ist nach Lage des Streitfalles unschädlich, zumal auch die Wahl einer schnelleren Übermittlungsart (z.B. Telefax) nicht garantiert hätte, daß das Gericht die Nachricht von der Erkrankung des Klägers und das ärztliche Attest noch vor oder während der mündlichen Verhandlung erhalten hätte. Im übrigen wußte das FG bereits aufgrund des rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellten Terminänderungsantrags (vgl. C. I. 2. e), daß der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen werde.
Wie unter C. I. 2. c dargelegt, wog auch die vom FG bemängelte Versäumnis der den Klägern bereits vor Anberaumung der mündlichen Verhandlung gegebenen Gelegenheit, den Inhalt des Klagebegehrens näher zu präzisieren, sofern man diese Säumnis den Klägern überhaupt anlasten kann, nicht so schwer, daß sie die mit der Ablehnung der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung verbundene Versagung des rechtlichen Gehörs rechtfertigen könnte.
c) Am Vorliegen des von den Klägern behaupteten Sachverhalts besteht kein Zweifel. Die Kläger haben glaubhaft bekundet, daß der Ehemann am Tag der mündlichen Verhandlung erkrankt war und dies anhand einer ärztlichen Bescheinigung nachgewiesen. Der Ehemann, der zugleich seine Ehefrau (Klägerin) vertrat, war deswegen aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an der Wahrnehmung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 13. Juni 1994 gehindert.
D.
Rechtsgrund der Vorlage
I.
Die Vorlage ist zum einen nach § 11 Abs. 2 und 3 FGO geboten. Mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung weicht der Senat von Urteilen und Beschlüssen des I., III., VII., IX. und X. Senats ab (vgl. insbesondere Beschlüsse des III. Senats in BFHE 145, 497, BStBl II 1986, 409, unter 2. der Gründe, und in BFHE 173, 196, BStBl II 1994, 401, unter 1. b der Gründe; ferner Beschluß des VII. Senats in BFH/NV 1992, 190; Urteil des I. Senats vom 22. Juli 1987 I R 186/83, NV, und die Beschlüsse des I. Senats vom 21. Oktober 1992 I B 75/92, NV; vom 17. Februar 1993 I B 137/92, NV; vom 18. März 1993 I B 158/92, NV; Beschluß des IX. Senats vom 8. Juni 1994 IX B 12/94, BFH/NV 1995, 130; Beschluß des X. Senats in BFH/NV 1994, 382).
Der I. und der IX. Senat haben auf Anfrage des vorlegenden Senats mitgeteilt, daß sie an ihren bisher vertretenen Auffassungen nicht mehr festhalten. Der X. Senat hat der vom vorlegenden Senat beabsichtigten Entscheidung zwar im Ergebnis voll, in der Begründung aber nur teilweise zugestimmt. Der III. und der VII. Senat haben einer Abweichung von ihren o.a. Entscheidungen nicht zugestimmt.
II.
Der Senat stützt die Vorlage zum anderen aber auch auf § 11 Abs. 4 FGO. Die Vorlagefrage ist --wie ausgeführt-- sowohl innerhalb der Rechtsprechung des BFH als auch im Schrifttum rege umstritten. Es kommt hinzu, daß die von der dargelegten Rechtsauffassung des vorlegenden Senats abweichenden Entscheidungen des BFH trotz insoweit kongruenter Verfahrensrechtslage nicht mit der neueren Rechtsprechung des BVerwG im Einklang stehen. Im Unterschied zu anderen Verfahrensordnungen haben sowohl die FGO als auch die VwGO die Versagung des rechtlichen Gehörs als absoluten Revisionsgrund ausgestaltet (§ 119 Nr. 3 FGO, § 138 Nr. 3 VwGO).
Fundstellen
Haufe-Index 67378 |
BFH/NV 1999, 122 |
BStBl II 1998, 676 |
BFHE 186, 102 |
BFHE 1999, 102 |
BB 1998, 1885 (Leitsatz) |
DB 1998, 1848 |
DStRE 1998, 777 |
DStRE 1998, 777-784 (Leitsatz und Gründe) |
DStZ 1999, 539 |
HFR 1998, 997 |
StE 1998, 567 |