Entscheidungsstichwort (Thema)
Wesentlicher Verfahrensmangel - absoluter Revisionsgrund
Leitsatz (NV)
Gibt das FG einem Antrag des gesetzlichen Vertreters einer Kapitalgesellschaft auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nicht statt und verhandelt es ohne ihn, kann darin kein Fall der fehlenden Vertretung im Verfahren i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO, sondern allenfalls eine Versagung des rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 FGO liegen. Eine zulassungsfreie Revision folgt daraus nicht.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist nach Feststellung des Finanzgerichts (FG) ,,eine Société anonyme mit Sitz in Vaduz/Liechtenstein und Ge
schäftsleitung außerhalb des Geltungsbereichs des Körperschaftsteuergesetzes". Sie wird nach einem Auszug aus dem Handelsregister des Fürstentums Liechtenstein vom 12. Februar 1982 von dem Verwaltungsrat B mit Einzelzeichnungsrecht und von den Verwaltungsräten A und D ,,mit Kollektivzeichnungsrecht zu zweien" vertreten.
Nach Feststellung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) hatte B Ende 1977 an einem ihm gehörenden Mietwohngrundstück in Berlin und mehreren Eigentumswohnungen in München zugunsten der Klägerin dinglich gesicherte Nießbrauchrechte bestellt. Der Aufforderung des FA, Körperschaftsteuer- und Vermögensteuererklärungen abzugeben, kam die Klägerin nicht nach. Das FA schätzte daher die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Körperschaftsteuer für die Streitjahre 1978 und 1979 auf je 11 200 DM fest.
Die Klägerin legte gegen die Bescheide Einspruch ein und beantragte, deren Vollziehung auszusetzen, da in den Streitjahren von Verlusten auszugehen sei. Der Antrag wurde vom FA abgelehnt, die Beschwerde von der Oberfinanzdirektion (OFD) zurückgewiesen.
Mit der Klage vom 28. April 1983 wandte sich die Klägerin gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung. Nachdem das FG den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 3. September 1984 bestimmt und die Beteiligten zu diesem Termin geladen hatte, beantragte die Klägerin mit einem von B verfaßten und am 30. August 1984 beim FG eingegangenen Schreiben u. a. ,,Absetzung des auf den 3. 9. 84 anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung". Zur Begründung brachte die Klägerin im wesentlichen vor, B befinde sich in der Schweiz in Haft.
In der mündlichen Verhandlung am 3. September 1984 erschien für die Klägerin niemand. Das FG wies den Antrag der Klägerin, ,,die Verhandlung über den Rechtsstreit zu vertagen", zurück. Die Klage wurde abgewiesen. In den Urteilsgründen führte das FG u. a. aus, ein Vertagungsgrund sei mit der Inhaftierung des B nicht gegeben. Die Klägerin sei nicht gehindert gewesen, sich durch die beiden anderen Verwaltungsräte vertreten zu lassen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie meint, die Revision sei als ,,Streitwertrevision" und als ,,Verfahrensrevision" zulässig. Das angefochtene Urteil beruhe auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht vertreten gewesen sei. Das FG habe den Vertagungsantrag zu Unrecht abgelehnt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Die Revision gegen das Urteil eines FG war bis zur Änderung des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) i. d. F. des Gesetzes vom 14. Dezember 1984 (BGBl I 1984, 1514, BStBl I 1985, 8) durch Art. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274, BStBl I 1985, 496) zulässig, wenn der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM überstieg. Im übrigen fand die Revision statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hatte (§ 115 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Einer Zulassung zur Einlegung der Revision bedarf es nicht, wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO gerügt wird. Keine dieser Voraussetzungen liegt im Streitfall vor.
1. Der Wert des Streitgegenstandes übersteigt 10 000 DM nicht; er beträgt nur 2 240 DM. Nach Feststellung des FG wurde die Körperschaftsteuer auf jährlich 11 200 DM festgesetzt; für die beiden Streitjahre 1978 und 1979 sind damit Steuern von zusammen 22 400 DM im Streit. Für das vorliegende Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung ist von einem Streitwert in Höhe von 10 % dieses Betrages, also von 2 240 DM, auszugehen.
Gemäß § 155 FGO i. V. m. § 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) wird der Streitwert von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt. Bei der Ausübung dieses Ermessens ist das finanzielle Interesse der Beteiligten von entscheidender Bedeutung (BFH-Beschluß vom 16. März 1976 VII E 4/75, BFHE 118, 298, BStBl II 1976, 385). In einem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ist das Interesse des Steuerpflichtigen in der Regel darauf gerichtet, ein Leistungsgebot vorübergehend nicht befolgen zu müssen. Der Steuerpflichtige erstrebt, den streitigen Betrag nutzen oder aber die Kosten für dessen Beschaffung vermeiden zu können; sein finanzielles Interesse ist auf Verzinsung bzw. Zinsersparnis gerichtet. Dieses Interesse hat der BFH in ständiger Rechtsprechung mit 10 % des streitigen Abgabenbetrages angenommen (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1954 IV 437/53 U, BFHE 60, 145, BStBl III 1955, 56; Beschlüsse vom 6. Februar 1967 VII B 29/66, BFHE 87, 410, BStBl III 1967, 121; vom 24. Januar 1979 I R 91/78, BFHE 127, 300, BStBl II 1979, 441).
2. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung hat die Klägerin nicht eingelegt.
3. Die Klägerin hat auch keine Verfahrensrüge erhoben, die eine zulassungsfreie Revision rechtfertigen würde.
a) Der Vortrag der Klägerin, sie habe wegen der Inhaftierung des B um Terminaufhebung gebeten und das FG habe diesem Antrag nicht entsprochen, ist keine Geltendmachung eines wesentlichen Verfahrensmangels i. S. des § 116 Abs. 1 FGO. Insbesondere wird damit nicht gerügt, die Klägerin sei im Verfahren nicht nach den Vorschriften des Gesetzes vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO). Der BFH hat mit Beschluß vom 11. April 1978 VIII R 215/77 (BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401) entschieden, daß ein Fall der fehlenden Vertretung im Verfahren i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nicht vorliegt, wenn das FG den Antrag des Prozeßbevollmächtigten auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung ablehnt und die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Prozeßbevollmächtigten durchführt. Das gilt entsprechend, wenn - wie im Streitfall - ein im finanzgerichtlichen Verfahren nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten vertretener, ordnungsgemäß geladener Kläger selbst die Terminaufhebung beantragt. Die Klägerin hat eine fehlende oder mangelhafte Ladung zum Termin nicht gerügt.
b) Allerdings konnte in der Durchführung der mündlichen Verhandlung ohne den gesetzlichen Vertreter der Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen. Die Revision rügt ausdrücklich einen solchen Verfahrensmangel. Die Versagung des rechtlichen Gehörs wäre zwar ein absoluter Revisionsgrund i. S. von § 119 Nr. 3 FGO. Dieser Verfahrensmangel ist jedoch in der Aufzählung der Gründe für die zulassungsfreie Revision (§ 116 Abs. 1 FGO) nicht enthalten und kann daher die Revision ohne Zulassung nicht eröffnen (vgl. BFH-Beschluß vom 25. Juli 1979 VI R 3/79, BFHE 128, 176, BStBl II 1979, 654). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob das FG den Antrag auf Aufhebung des Termins ablehnen durfte oder nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 414177 |
BFH/NV 1986, 539 |