Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung; keine ernstlichen Zweifel gegen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts aus Bedenken gegen ein Prozeßurteil des FG

 

Leitsatz (NV)

1. Rechtliche Bedenken gegen ein vom FG erlassenes Prozeßurteil sind nicht mit ernstlichen Zweifeln gegen den angefochtenen Verwaltungsakt gleichzusetzen.

2. Führt die nach einem Schätzungsbescheid eingereichte, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Steuererklärung zu einer geringeren Steuer als der im Schätzungsbescheid festgesetzten Steuer, so bestehen i. d. R. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Schätzungsbescheids. Das gilt jedoch nicht bei fehlender Übereinstimmung der Werte in der der Steuererklärung beigefügten Eröffnungsbilanz mit den Werten der Schlußbilanz des Vorjahres.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2-3; AO 1977 § 162; KStG § 49; GewStDV § 25; UStG § 18 Abs. 3

 

Tatbestand

Die Antragstellerin ist eine Steuerberatungs- GmbH. Gesellschafter sind Steuerberater X und seine Ehefrau je zur Hälfte. Alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist X.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Antragstellerin gegen die auf einer Schätzung beruhenden Körperschaftsteuer-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbescheide 1989 vom 5./11. Juni 1991 durch Urteil vom 19. Mai 1993 als unzulässig verworfen, weil X trotz mehrfacher Aufforderung durch das FG keine Prozeßvollmacht vorgelegt habe. X hat in der gegen das finanzgerichtliche Urteil eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde die Auffassung vertreten, als gesetzlicher Vertreter der Klägerin sei er nicht zur Vorlage einer Prozeßvollmacht verpflichtet. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser Rechtsfrage zugelassen. Die Revision ist beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig.

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens beantragte X für die Antragstellerin, die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide auszusetzen. Diesen Antrag lehnte das FG durch Beschluß vom 12. Januar 1993 mit der Begründung ab, eine Aussetzung sei nicht möglich, da die Bescheide nicht wirksam angefochten seien. Es sei nicht ernstlich zweifelhaft, daß die von der Antragstellerin erhobene Klage wegen fehlender Vollmachtvorlage unzulässig sei.

Nach Ablehnung eines weiteren Aussetzungsantrags durch den Antragsgegner (Finanzamt -- FA --) beantragt die Antragstellerin nunmehr beim BFH erneut Aussetzung der Vollziehung. Zur Begründung des Antrags verweist sie auf die inzwischen zugelassene und eingelegte Revision. Das FA beziehe sich für seinen Ablehnungsantrag nur auf seinen Schriftsatz vom 10. Dezember 1992. Dieser Schriftsatz sei aber in den Klageakten nicht enthalten. Außerdem habe das FA in der Revisionssache erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des finanzgerichtlichen Urteils erkennen lassen. Das reiche aus, um die Voraussetzungen einer Aussetzung der Vollziehung zu bejahen.

Die Antragstellerin beantragt, die Vollziehung des Körperschaftsteuerbescheids 1989 und des Gewerbesteuermeßbescheids in vollem Umfang und die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 1989 bis auf einen Betrag von ... DM auszusetzen, hilfsweise aufzu heben.

Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.

Zwar verkenne das FA nicht, daß die Entscheidung des FG nicht überzeuge. Gleichwohl könne eine Aussetzung nicht erfolgen. Das FA bezieht sich insoweit auf seinen an das FG gerichteten Schriftsatz vom 10. Dezember 1992.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag der Antragstellerin war abzulehnen.

1. Der BFH ist Gericht der Hauptsache i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), da die Revision der Antragstellerin gegen das auf die Anfechtungsklage ergangene Urteil des FG beim BFH anhängig ist.

Ein erneuter Antrag war trotz der Ab lehnung des ersten Antrags durch das FG zulässig, da sich die Umstände verändert haben. Das FG hat den ursprünglichen Antrag abgelehnt, da es die Klage wegen nicht vorgelegter Vollmacht des Prozeßbevollmächtigten für unzulässig hielt. Das FG ging deshalb von der Unanfechtbarkeit der angefochtenen Steuerbescheide aus. Zu einer summarischen Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide konnte das FG auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nicht gelangen. Gegen das vom FG erlassene Prozeßurteil vom 19. Mai 1993 hat der BFH jedoch die Revision zugelassen. Damit besteht nunmehr die Möglichkeit, im summarischen Verfahren die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu überprüfen.

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.

a) Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen bzw. die Vollziehung aufheben, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei summarischer Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken.

b) Aus den von der Antragstellerin im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde und im Revisionsverfahren geltend gemachten Gründen gegen das vom FG erlassene Prozeßurteil ergeben sich keine ernstlichen Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte. Rechtliche Bedenken gegen das vom FG erlassene Prozeßurteil sind nicht mit Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte gleichzusetzen.

c) Bei summarischer Überprüfung ergeben sich keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide.

aa) Das FA war verfahrensrechtlich zum Erlaß von Schätzungsbescheiden berechtigt.

Die Antragstellerin hatte für den Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum 1989 bis zum Monat Juni 1991 keine Steuererklärungen abgegeben. Gemäß § 49 des Körperschaftsteuergesetzes, § 25 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung und § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes war die Antragstellerin verpflichtet, Jahressteuer erklärungen für das Jahr 1989 abzugeben. Da diese Erklärungen 17 Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums noch nicht vorlagen, war das FA gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Schätzung berechtigt.

bb) Aus den von der Antragstellerin unter dem Datum des 7. Juni 1992 eingereichten Steuererklärungen ergeben sich bei summarischer Überprüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schätzungsbescheide. Zwar führen die nach einem Schätzungsbescheid eingereichten und den gesetzlichen Vorschriften entsprechenden Steuererklärungen und Bilanzen in der Regel zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Schätzungsbescheids, wenn sie zu einer geringeren Steuer führen als der Schätzungsbescheid.

Im Streitfall hat das FA jedoch im Schriftsatz vom 10. Dezember 1992 gewichtige Einwendungen gegen das Zahlenwerk der eingereichten Bilanzen und damit die Grundlage der Steuererklärungen geltend gemacht. Wenn die in den Eröffnungsbilanzen angegebenen Bilanzpositionen nicht mit den Werten der Schlußbilanzen des Vorjahres übereinstimmen, spricht das für erhebliche Mängel der den Bilanzen zugrundeliegenden Buchführung. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Antragstellerin offenbar im Streitjahr 1989 an zwei Angestellte Lohn zahlte, ohne daß das aus der Gewinn- und Verlustrechnung erkennbar wurde.

Entgegen der Annahme der Antragstellerin befindet sich der Schriftsatz des FA vom 10. Dezember 1992 in den Akten des FG. Er ist der Antragstellerin auch durch Verfügung des FG vom 16. Dezember 1992 zur Kenntnisnahme übermittelt worden. Die Antragstellerin hat in den seitdem abge laufenen 22 Monaten keinen Versuch unternommen, die vom FA beanstandeten Unstimmigkeiten der Buchführung aufzu klären. Unter diesen Umständen bestehen erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen. Sie sind ohne Aufklärung der Unstimmigkeiten nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Schätzungsbescheide zu begründen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420367

BFH/NV 1995, 1039

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