Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des rechtlichen Gehörs durch einen Verstoß gegen den Inhalt der Akten
Leitsatz (NV)
Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) oder des rechtlichen Gehörs durch einen Verstoß gegen den Inhalt der Akten liegt nur vor, wenn das FG den Akteninhalt nicht vollständig berücksichtigt hat, nicht aber, wenn es ihn zur Kenntnis genommen und in bestimmter Weise bewertet hat.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 27.03.2003; Aktenzeichen 2 K 498/01) |
Gründe
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat den behaupteten Verfahrensmangel nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, so muss der Beschwerdeführer ―ausgehend von der insoweit maßgebenden materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Finanzgerichts (FG)― für eine Rüge, das FG habe seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) dartun, das FG habe eine aktenkundige Tatsache nicht berücksichtigt und diese Tatsache sei auch aus der Sicht des FG entscheidungserheblich gewesen (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 28. Juni 2002 III B 41/02, BFH/NV 2002, 1337).
1. Im Klageverfahren focht der Kläger die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides vom 16. November 1993 an, weil seines Erachtens ―auch― hinsichtlich der Haftungsschuld Zahlungsverjährung eingetreten sei. Das FG wies die Klage ab, weil der Eintritt der Zahlungsverjährung durch eine Zahlungsaufforderung der Vollstreckungsstelle des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) gehemmt worden sei.
Der Kläger rügt, das FG setze sich damit über den klaren Inhalt der Akten hinweg und verstoße dadurch gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO. Das Urteil beruhe auf dem Satz "Zu einer erneuten Unterbrechung der Zahlungsverjährung führte die schriftliche Zahlungsaufforderung des Vollziehungsbeamten des Finanzamts am 8.10.1999." Dieser Satz widerspreche aber dem klaren Inhalt der Akten, da diese "Aufforderungen zur Zahlung" sich ganz ausdrücklich nicht an den Kläger als den Haftungsschuldner, sondern an die GbR und damit an die Schuldnerin des Rückzahlungsanspruchs gerichtet habe. Dies ergebe sich daraus, dass die GbR in der ersten Anschriftenzeile und damit als Empfängerin der Zahlungsaufforderung, der Name des Klägers erst in der zweiten Zeile und damit als Vertreter der GbR genannt sei. Auch der bezeichnete Schuldgrund der Zahlungsaufforderung "Investitionszulage f. 1991 lt. Hb v. 16.11.1993" bestätige, dass die Investitionszulage 1991, also die Primärschuld, die Schuld der GbR, eingefordert werde.
2. Mit diesem Vorbringen wird allenfalls ein materiell-rechtlicher Mangel gerügt. Ein Aktenverstoß begründet dann einen Verfahrensmangel, wenn der Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und den tatsächlichen Annahmen des FG dadurch erklärt werden muss, dass das FG den Akteninhalt nicht vollständig und richtig zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat und dadurch der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör und § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt wird (vgl. BFH-Entscheidungen vom 18. Juni 1993 V R 93/88, BFH/NV 1995, 364, 365; vom 31. Mai 1994 IX B 15/94, BFH/NV 1995, 128, und vom 7. Oktober 1996 VIII B 138/95, BFH/NV 1997, 412).
Der Kläger behauptet allerdings selbst nicht, dass das FG die Zahlungsaufforderung des Vollziehungsbeamten des FA vom 8. Oktober 1999 oder jedenfalls die darin enthaltene Adressierung nicht zur Kenntnis genommen hat. Wie seinem ausdrücklichen Vorbringen zu entnehmen ist, wendet er sich vielmehr gegen die Bewertung des FG, dass diese Zahlungsaufforderung zu einer erneuten Unterbrechung der Zahlungsverjährung des gegen den Kläger gerichteten Haftungsbescheides geführt habe. Zwar bezieht er sich zur Untermauerung seiner Rüge auf die konkrete Adressierung dieser Zahlungsaufforderung. Damit behauptet er aber nicht, das FG habe diese Adressierungsweise rein tatsächlich nicht wahrgenommen und insoweit einen unvollständigen Akteninhalt seiner Entscheidung zu Grunde gelegt. Er legt erst recht nicht dar, dass das FG, wenn es die Adressierung wahrgenommen hätte, zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Allein die (sinngemäß aufgestellte) Behauptung, die Adressierung der Zahlungsaufforderung sei so eindeutig, dass sie nach Art einer objektiven Tatsache einer anderen als der von ihm, dem Kläger, vorgenommenen Beurteilung nicht zugänglich sei, ist unschlüssig und trägt die Rüge der Aktenwidrigkeit der Entscheidung nicht. Auch der Hinweis des FG auf die Gegenvorstellung des Klägers, dass die Art der Adressierung der Zahlungsaufforderung mit der auf dem Deckblatt der Haftungsakte des Klägers und der des Gesellschafters R vergleichbar sei, verdeutlicht, dass das FG die gewählte Adressierung gerade nicht im Sinne des Klägers verstanden hat bzw. ―aus Sicht des Klägers― verstanden hätte.
Unschlüssig ist auch, dass der in der Zahlungsaufforderung genannte Schuldgrund eindeutig die GbR als Adressatin ausweise. Gerade die darin enthaltene Bezugnahme auf den Haftungsbescheid vom 16. November 1993 weist im Gegenteil auf den Kläger als Adressaten hin.
3. In Wahrheit richtet sich das Vorbringen des Klägers im Streitfall nicht gegen die vermeintliche Nichtberücksichtigung des Akteninhalts, sondern gegen die von dem FG aus dem Akteninhalt gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen, mithin dessen Beweiswürdigung, die zum Bereich der Rechtsanwendung gehört und deren (möglicherweise zu rügende) Fehlerhaftigkeit eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 8. September 2000 VII B 92/00, BFH/NV 2001, 605).
Fundstellen