Entscheidungsstichwort (Thema)
Zolltarifsache i. S. von §116 Abs. 2 FGO
Leitsatz (NV)
1. Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gewährung von präferenzrechtlichen Zollbegünstigungen stellen nur dann Zolltarifsachen i. S. von §116 Abs. 2 FGO dar, wenn die Tarifierung der eingeführten Ware oder die Auslegung und Anwendung von mit der Einordnung der Ware nicht unmittelbar zusammenhängenden Vorschriften des Zolltarifs streitig sind.
2. Ein Urteil in Zolltarifsachen i. S. von §116 Abs. 2 FGO liegt dagegen nicht vor, wenn Gegenstand des erstinstanzlichen Erkenntnisses die konkrete Beschaffenheit der eingeführten Ware, die Richtigkeit der diesbezüglich in den vorgelegten Ursprungsnachweisen gemachten Angaben oder die Auslegung von außerhalb des Zolltarifs stehenden, gemeinschaftsrechtlichen Ursprungsregeln bilden.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) führte in den Jahren 1989 und 1990 aus Thailand und den Philippinen Thunfischkonserven in die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ein. Für diese Einfuhren nahm sie -- teilweise im Wege der Erstattung -- unter Vorlage entsprechender Ursprungs zeugnisse den in den Verordnungen (EWG) Nr. 4258/88 des Rates vom 18. Dezember 1988 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. L 375/47) und Nr. 3898/89 des Rates vom 18. Dezember 1989 (ABlEG Nr. L 383/90) festgelegten Präferenzzollsatz in Höhe von 18 % für die in den Anhängen II der Verordnungen als Boniten (Sarda spp.) bezeichneten Fische der Unterposition 1604 1490 der Kombinierten Nomenklatur (KN) in Anspruch. Mit Nacherhebungsbescheid vom 16. Juni 1992 erhob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt -- HZA --) Eingangsabgaben in Höhe von insgesamt ... DM mit der Begründung nach, die von der Klägerin vorgelegten Ursprungszeugnisse seien offensichtlich zu Unrecht ausgestellt worden, da die präferenzbegünstigte Fischart in Indonesien, Thailand und den Philippinen für eine industrielle Verarbeitung nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen würde. In der den Einspruch der Klägerin zurückweisenden Entscheidung nahm das HZA ergänzend auf einen Bericht der Europäischen Kommission (Kommission) über die Ergebnisse zweier von Vertretern der Kommission zur Überprüfung von Ursprungszeugnissen durchgeführten Missionsreisen nach Thailand und auf die Philippinen Bezug und führte aus, Thailand habe im Anschluß an diese Überprüfung gegenüber der Kommission sämtliche Ursprungszeugnisse, die die Spezies "Bonito (Sarda spp.)" betrafen, zurückgezogen, da die thailändischen Behörden nicht in der Lage gewesen seien, die Usprungseigenschaft der aufgeführten Thunfischkonserven nachzuweisen. Auch die Untersuchungen auf den Philippinen haben ergeben, daß es sich bei den tatsächlich ausgeführten Waren nicht um die präferenzbegünstigte Fischart gehandelt habe.
Die von der Klägerin erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, das HZA habe die von der Klägerin vorgelegten Ursprungsnachweise zu Recht nicht anerkannt. Aufgrund der Ergebnisse einer umfangreichen Beweisaufnahme gelangte das FG zu dem Schluß, daß im Hinblick auf die Fischbestände, ihren Fang und die Verarbeitung jede Möglichkeit ausgeschlossen sei, daß die von der Klägerin importierten Fischkonserven aus der präferenzbegünstigten Fischart "Sarda spp." hergestellt worden sein könnten. Aufgrund dieser Feststellungen sei auch die Anwendbarkeit der 51 %-Regel (gemeint wohl Anmerkung 2 zu Kapitel 16 KN und Allgemeine Vorschrift -- AV -- 3 b) nicht gegeben. Auch unter präferenzrechtlichen Gesichtspunkten sei die Nacherhebung des Differenzzolls nicht zu beanstanden. Insbesondere liege kein Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 693/88 (VO Nr. 693/88) der Kommission vom 4. März 1988 (ABlEG Nr. L 77/1) vor. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Urteilsabdruck in Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1997, 24 verwiesen.
Gegen das Urteil des FG hat die Klägerin mit zwei Schriftsätzen vom 6. September 1996 Revision und zugleich Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. In dem mit "Nichtzulassungsbeschwerde" überschriebenen Schriftsatz hat die Klägerin der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde Ausführungen zur gleichzeitigen Einlegung der Revision vorangestellt und dargelegt, weshalb ihrer Ansicht nach die zulassungsfreie Revision eröffnet sei. Das FG habe die aus der Anmerkung 2 zu Kapitel 16 KN und der AV 3 b abgeleitete 51 %- Regel im Streitfall für unanwendbar erklärt und damit in einer Zolltarifsache i. S. von §116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entschieden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liege eine Zolltarifsache auch in Streitigkeiten vor, in denen die Anwendung oder Auslegung von Vorschriften des Zolltarifrechts streitig sei, die mit der tariflichen Einordnung von Waren nicht unmittelbar zusammenhingen (Senatsbeschluß vom 14. Mai 1986 VII B 25/86, BFHE 146, 312). Darüber hinaus seien Streitigkeiten über das Vorliegen einer präferenzrechtlichen und damit tarifrechtlichen Zollbegünstigung ebenfalls Streitigkeiten in Zolltarifsachen. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob die entscheidungserheblichen Bestimmungen unmittelbar einer Anmerkung zum Zolltarif entnommen werden könnten oder -- wie im Streitfall -- horizontal in der VO Nr. 693/88 geregelt seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unzulässig (§124, §126 Abs. 1 FGO). Die Revision ist weder zugelassen worden noch zulassungsfrei statthaft. Eine die zulassungsfreie Revision eröffnende Zolltarifsache nach §116 Abs. 2 FGO liegt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht vor.
1. Grundsätzlich ist die Revision nur statthaft, wenn sie vom FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung vom BFH zugelassen wurde (§115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Ent lastung des Bundesfinanzhofs). Eine Zulassung der Revision ist im Streitfall nicht erfolgt. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der Senat mit Beschluß vom 10. Juni 1997 als unbegründet zurückgewiesen.
2. Ein Fall der nach §116 Abs. 2 FGO zulassungsfreien Revision ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gegeben. Die erstinstanzliche Entscheidung ist kein Urteil in einer Zolltarifsache.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt eine Zolltarifsache nur dann vor, wenn das FG in seiner Entscheidung über eine zolltarifliche Frage erkannt hat und das Urteil auf der zolltariflichen Entscheidung beruht (vgl. Senatsbeschluß vom 26. Februar 1991 VII R 41/89, BFHE 164, 5, BStBl II 1991, 526, m. w. N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §116 Anm. 7).
a) Sollte in der vom FG getroffenen Aussage zum Anwendungsbereich der 51 %-Regel eine Auslegung der AV 3 b i. V. m. Anmerkung 2 zu Kapitel 16 KN und damit die Entscheidung in einer zolltariflichen Frage gesehen werden können, würde das Urteil auf dieser Erkenntnis nicht beruhen. Die vom FG getroffene Feststellung, daß der 51 %-Regel eine Bedeutung nur für die Frage des Ursprungs zukomme, kann nämlich hinweggedacht werden, ohne daß der Bestand der erstinstanzlichen Entscheidung entfiele. Das FG hat deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es die Anwendbarkeit der 51 %-Regel im Streitfall aufgrund der tatsächlichen Feststellungen nicht für möglich halte. Darüber hinaus hat das FG darauf hingewiesen, daß es die Pflicht der Klägerin gewesen sei, eine etwaige unterschiedliche Warenbeschaffenheit innerhalb einer Sendung anzumelden. Der beiläufig vorgenommenen Beschränkung des Anwendungs bereichs der 51 %-Regel wurde erkennbar keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen. Bei diesem Befund kann nicht davon ausgegangen werden, daß das Urteil auf der Auslegung der zolltariflichen Bestimmungen beruht.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich nicht allein deshalb um eine Zolltarifsache, weil es im Streitfall um die Gewährung einer Zollpräferenz geht. Die von der Klägerin gezogene Schlußfolgerung, daß Zollpräferenzen stets tarifliche Vorzugsbehandlungen und die damit zusammenhängenden Streitigkeiten infolgedessen Zolltarifsachen i. S. des §116 Abs. 2 FGO seien, geht fehl.
Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gewährung von präferenzrechtlichen Zollbegünstigungen stellen nur dann Zolltarifsachen dar, wenn die Tarifierung der ein geführten Ware oder die Auslegung und Anwendung von mit der Einordnung der Ware nicht unmittelbar zusammenhängenden Vorschriften des Zolltarifs streitig sind. Im Streitfall geht es aber nicht um die Tarifierung der von der Klägerin eingeführten Thunfischkonserven oder die Auslegung sonstiger Vorschriften des Zolltarifs, sondern um die Anerkennung oder Nichtanerkennung der vorgelegten Ursprungszeugnisse und um den Nachweis, daß sich in den eingeführten Konserven tatsächlich die präferenzbegünstigte Fischart befunden hat. Sollte es sich bei der von der Klägerin eingeführten Ware tatsächlich um die präferenzbegünstigte Spezies gehandelt haben, wäre die Zuweisung zur Unterposition 1604 1490 KN unzweifelhaft. Gegenstand des Rechtsstreits ist somit die Beschaffenheit der eingeführten Ware und die Richtigkeit der diesbezüglich in den vorgelegten Ursprungsnachweisen gemachten Angaben. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, liegt jedoch dann keine Zolltarifsache vor, wenn nicht die zolltarifliche Einordnung, sondern die Beschaffenheit der Ware den Gegenstand des Rechtsstreits bildete (vgl. Senatsbeschluß vom 16. Juli 1992 VII R 13/91 BFH/NV 1993, 284, m. w. N.).
Auch hinsichtlich der Auslegung und Anwendung der präferenzrechtlichen Bestimmungen der VO Nr. 693/88 liegt keine Zolltarifsache i. S. des §116 Abs. 2 FGO vor. Der von der Klägerin beanspruchte Präferenzzollsatz ist nicht im Zolltarif selbst, sondern in zwei Verordnungen festgelegt, in denen die Gewährung der den dort aufgeführten Entwicklungsländern einseitig eingeräumten Präferenzen von der Beachtung der in der VO Nr. 693/88 festgelegten Warenursprungsregeln abhängig gemacht wird. Aufgrund dieser Verweisung richtet sich die Anerkennung und Überprüfung der geforderten Ursprungsnachweise nach den Bestimmungen der VO Nr. 693/88 und damit nach außertariflichen Vorschriften. In diesem wesentlichen Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem, der der Senatsentscheidung in BFHE 146, 312 zugrunde lag. Dort waren die Voraussetzungen der Präferenzgewährung -- z. B. das Erfordernis der Vorlage von Ursprungs zeugnissen -- in einer in die Tarifnr. 27.01 des Deutschen Teil-Zolltarifs eingefügten Anmerkung festgelegt. Die Vorinstanz hatte in diesem Fall über eine Frage entschieden, deren Beantwortung sich unmittelbar aus der Auslegung und Anwendung einer zum Bestandteil des Zolltarifs gewordenen Vorschrift erschloß und damit ein Urteil in Zolltarifsachen i. S. des §116 Abs. 2 FGO erlassen. Im Streitfall liegt indes keine Zolltarifsache vor, da -- wie bereits ausgeführt -- nicht die tarifliche Einordnung, sondern die Beschaffenheit der eingeführten Ware und die Auslegung und Anwendung von außerhalb des Zolltarifs stehenden Ursprungsregeln Gegenstand des finanzgerichtlichen Erkenntnisses waren.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Gleichbehandlung beider Fälle unter Gesichtspunkten des Rechtsschutzes nicht geboten. Bei der Einstufung einer Streitigkeit als Zolltarifsache i. S. des §116 Abs. 2 FGO kommt dem Erfordernis, daß sich die entscheidungserhebliche Rechtsfrage unmittelbar aus der Anwendung des Zolltarifs ergeben muß, die Bedeutung eines formalen Abgrenzungskriteriums zu. Eine extensive Auslegung des Begriffes Zolltarifsache wäre mit dem Sinn und Zweck der Regelung in §116 Abs. 2 FGO nicht mehr vereinbar. Denn die vom Gesetzgeber den Zolltarifsachen beigelegte grundsätzliche Bedeutung liegt darin, daß die Entscheidung über den Einzelfall hinaus für alle Waren derjenigen Gattung bedeutsam ist, zu der die streitbefangene Ware gehört (Senatsbeschluß vom 22. März 1977 VII R 39/74, BFHE 121, 400, BStBl II 1977, 430). Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht mehr gegeben, wenn die finanzgerichtliche Entscheidung nicht auf der tariflichen Einordnung einer Ware, sondern -- unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls -- auf der Auslegung und Anwendung von außertariflichen Vorschriften beruht.
Fundstellen
Haufe-Index 66914 |
BFH/NV 1998, 320 |