Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung von Verpflegungsumsätzen auf Fährschiffen, die zwischen EG-Mitgliedstaaten verkehren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Abgabe von Speisen bzw. Waren zum Verzehr an Ort und Stelle ist in den Mitgliedstaaten der EG unterschiedlich als Lieferung oder sonstige Leistung geregelt. Aufgrund des jeweils anderen Besteuerungsorts für Lieferung oder sonstige Leistung kann es bei solchen Verpflegungsumsätzen z.B. auf Fährschiffen, die zwischen Mitgliedstaaten mit unterschiedlicher Regelung verkehren, zu Doppelbesteuerung mit Umsatzsteuer kommen.
2. Die Frage hat daher im Hinblick auf die erforderliche gemeinschaftsrechtliche Klärung grundsätzliche Bedeutung.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 5-6; UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nrn. 1, 3, Abs. 3 Nr. 1, § 3 Abs. 6, § 3a Abs. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft dänischen Rechts, die mit ihren Seeschiffen den Fährverkehr auf der Linie G - F (Dänemark) durchführt.
Streitig ist, ob sog. Restaurationsumsätze auf den Schiffen der Klägerin innerhalb der deutschen 3-Seemeilen-Zone der deutschen Umsatzsteuer unterliegen. Die Klägerin gab in den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre (1984 bis 1989) keine derartigen Umsätze an. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte die Umsatzsteuer aufgrund geschätzter Umsätze fest.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage zurück. Es beurteilte die Abgabe von Speisen und Getränken an Fahrgäste als Lieferung i.S. von § 1 Abs.1 Nr.1, 1.Alternative, Abs.3 Nr.1, § 3 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 und nicht als sonstige Leistungen. Die Verabreichung von Speisen und Getränken sei nach dem UStG und der 6.Richtlinie des Rates vom 7.Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern --gemeinsames Mehrwertsteuersystem: Einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage-- 77/388 EWG --6.EG-Richtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 145/1) eine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinn. Für eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) habe keine Veranlassung bestanden. UStG und Richtlinie seien konform.
Hiergegen richtet sich die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs.2 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs.2 Nr.3 FGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
Sie beantragt erneut, das Verfahren auszusetzen und die Sache dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen:
a) Wegen Vereinbarkeit des § 1 Abs.1 Nr.1, 1.Alternative und Abs.3 Nr.1 sowie § 3 Abs.1 UStG 1980 mit Art.5, 6 und 9 der 6.EG-Richtlinie, wenn Restaurationsumsätze auf einem dänischen Fährschiff in der bundesdeutschen 3-Seemeilen-Zone dort umsatzbesteuert werden,
b) Vereinbarkeit wie zu a) mit dem Gleichheitssatz,
c) Vereinbarkeit wie zu a) mit allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen.
Sie regt überdies an, den vorliegenden Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerde in den Verfahren 2 BvR 1559/90 auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Klägerin ist begründet.
1. Grundsätzlich bedeutsam i.S. des § 115 Abs.2 Nr.1 FGO ist die von der Klägerin herausgehobene Rechtsfrage nach der EG-einheitlichen Behandlung der Beköstigung von Passagieren auf einem dänischen Fährschiff innerhalb der 3-Seemeilen-Zone als Lieferung oder Dienstleistung.
a) Im UStG 1980 ist die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle als Lieferung behandelt. Einer Klärung bedarf es insoweit nicht.
Nach deutschem Umsatzsteuerrecht sind die Restaurationsleistungen Lieferungen; denn § 12 Abs.2 Nr.1 Sätze 2 und 3 UStG 1980 nimmt "die Lieferung von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle" von dem ermäßigten Steuersatz aus, setzt mithin voraus, daß es sich hierbei um Lieferungsumsätze handelt. Die von der Klägerin herausgestellten Besonderheiten der Bewirtungsumsätze hat der Gesetzgeber berücksichtigt. Nach der Gesetzesbegründung soll aus steuersystematischen Erwägungen der Nahrungsmittel-Lieferungsanteil zurücktreten und die einheitliche Gesamtleistung als gewerbliche Speise- und Getränkeverabfolgung erscheinen (vgl. BTDrucks 8/2827, S.68 unter VI.4.).
b) Ob die Abgabe von Waren zum Verzehr an Ort und Stelle als Dienstleistung oder als Lieferung anzusehen ist, regelt die 6.EG-Richtlinie unmittelbar nicht. Art.5 und 6 der 6.EG- Richtlinie enthalten Definitionen von Lieferung und sonstiger Leistung (Dienstleistung), die denen des deutschen UStG entsprechen. Auch der durch die Richtlinie des Rates vom 16.Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen --91/680 EWG-- (ABlEG 1991 L 376, S.1) in Art.8 Abs.1 der 6.EG-Richtlinie eingefügte Buchstabe c enthält keine Sonderbestimmung dazu, ob die Abgabe von Waren zum Verzehr an Ort und Stelle als Dienstleistung oder als Lieferung anzusehen ist (vgl. auch Langer/Rokos, Die 6.EG-Umsatzsteuer-Richtlinie in der ab 1.Januar 1993 geltenden Fassung, konsolidierte Textfassung mit Erläuterungen, Erläuterungen zu Art.8, S.37).
c) Die Zulassung der Revision ist aber im Hinblick auf eine Klärung der einheitlichen Behandlung der hier streitigen Verpflegungsumsätze in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft als Lieferung oder sonstige Leistung geboten.
Im Schrifttum wurde neuerdings darauf hingewiesen, daß dieser Umsatz --im Gegensatz zur deutschen Handhabung-- in den meisten Mitgliedstaaten als Dienstleistung und nicht als Lieferung angesehen wird (vgl. Langer/Rokos, Die 6.EG-Umsatzsteuer- Richtlinie, a.a.O.). So könnte es zu einer Doppelbesteuerung dieser Umsätze kommen, wenn ein anderer Mitgliedstaat --z.B. Dänemark, der Sitz der Klägerin-- den hier streitigen Umsatz als Dienstleistung wertet: Bei einer Lieferung wäre nach Art.8 Abs.1 Buchst.b der 6.EG-Richtlinie i.d.F. der Streitjahre der Ort im Zeitpunkt der Lieferung maßgeblich (vgl. auch § 3 Abs.6 UStG 1980), bei einer Dienstleistung indes der Sitz des Leistenden gemäß Art.9 Abs.1 der 6.Richtlinie (ebenso § 3a Abs.1 UStG 1980).
Die unterschiedliche Regelung in einzelnen Mitgliedstaaten mit der daraus folgenden Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen kann in einem Revisionsverfahren zur Vorlagepflicht des Bundesfinanzhofs (BFH) an den EuGH gemäß Art.177 Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) führen (EuGH-Urteil vom 6.Oktober 1982 CILFIT/Ministero della sanit, Rs.283/81, EuGHE 1982, 3415, 3428 f.; Geiger, EG-Vertrag, Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Art.177 Rz.16).
Dies ist auch entscheidungserheblich i.S. des Art.177 Abs.3 EWGV und in einer (zuzulassenden) Revision mit dem Ziel einer Vorabentscheidung durch den EuGH klärbar. Sind die Restaurationsumsätze der Klägerin auf ihren Fährschiffen aufgrund des Gemeinschaftsrechts als Dienstleistung anzusehen, so unterfallen sie nicht der deutschen Umsatzsteuer; denn sie werden an dem Ort ausgeführt, an dem die Klägerin als Dienstleistende den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit hat (Art.9 Abs.1 der 6.EG- Richtlinie, § 3a Abs.1 Satz 1 UStG 1980).
Zwar gilt gemäß Art.9 Abs.1 der 6.EG-Richtlinie als Ort der Dienstleistung neben dem Sitz des Dienstleistenden auch der Ort, an dem der Dienstleistende eine feste Niederlassung hat. Der Senat müßte indes nicht entscheiden, ob die Klägerin auf ihren Fährschiffen Niederlassungen im Sinne eines ständigen Zusammenwirkens von persönlichen und Sachmitteln innehat, die für die Erbringung der Beköstigungsumsätze erforderlich sind (vgl. EuGH-Urteil vom 7.Juli 1985 Rs.168/64, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, 6.EG-Richtlinie, Art.9, Rechtsspruch 1). Selbst wenn eine Niederlassung i.S. des Art.9 Abs.1 der 6.EG-Richtlinie bejaht werden könnte, entfiele nicht die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage, ob die Ausgabe von Waren zum Verzehr an Ort und Stelle gemeinschaftsrechtlich einheitlich als Lieferung oder Dienstleistung angesehen werden müßte. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Sitz des Dienstleistenden vorrangiger Anknüpfungspunkt. Die Berücksichtigung einer anderen Niederlassung, von der aus die Dienstleistung erbracht wird, ist nur dann von Interesse, wenn die Anknüpfung an den Sitz nicht zu einer steuerlich sinnvollen Lösung führt oder wenn sie einen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat (EuGH-Urteil vom 7.Juli 1985, StRK, 6.EG-Richtlinie, Art.9, Rechtsspruch 1; vgl. auch EuGH-Urteile vom 23.Januar 1986 Rs.283/84, StRK, 6.EG-Richtlinie, Art.9, Rechtsspruch 2, und vom 15.März 1989 Rs.51/88, StRK, 6.EG-Richtlinie, Art.9, Rechtsspruch 3).
Fundstellen
Haufe-Index 64802 |
BFH/NV 1993, 78 |
BFHE 172, 187 |
BFHE 1994, 187 |
BB 1993, 2296 (L) |
DB 1993, 2415 (LT) |
DStZ 1994, 62 (KT) |
HFR 1994, 90 (LT) |
StE 1993, 597 (K) |