Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Begründungsanforderungen bei Untergang des Rechtsmittelschriftsatzes auf dem Postweg
Leitsatz (NV)
Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf den Verlust des Rechtsmittelschriftsatzes bei der Postbeförderung gestützt, muss zur Glaubhaftmachung vorgetragen werden, zu welchem Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) der Briefumschlag von welcher Person und auf welche Weise (Abgabe beim Postamt oder Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten) zur Post aufgegeben worden ist. Diese Angaben sind glaubhaft zu machen, z.B. durch eine eidesstattliche Versicherung der Person, die den Brief aufgegeben hat. Die bloße Vorlage der Kopie des Postausgangsbuchs reicht nicht aus.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Rechtsanwältin. Sie lebt seit dem 31. Dezember 1996 von ihrem --zwischenzeitlich von ihr geschiedenen-- Ehemann getrennt und hat ihren Wohnsitz seit 1997 zusammen mit ihren beiden minderjährigen Kindern in Belgien. Sie erzielte im Streitjahr 1998 in Deutschland Einkünfte aus freiberuflicher Arbeit in Höhe von 47 952 DM. Ihr in Deutschland wohnhafter früherer Ehemann zahlte im Streitjahr an sie Unterhalt in Höhe von 14 220 DM, der in Belgien zu 80 v.H. besteuert wurde. Die Klägerin hat letzteres durch eine Bescheinigung EU/EWR der zuständigen belgischen Steuerbehörde nachgewiesen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) behandelte die Klägerin als beschränkt steuerpflichtig. Er lehnte es ab, sie, wie von ihr beantragt, gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht zu unterwerfen, da ihre in Belgien besteuerten Einkünfte den in § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG bestimmten absoluten Höchstbetrag von 12 000 DM überstiegen. Die betreffenden Einkünfte seien insoweit nach deutschem, nicht aber nach belgischem Steuerrecht zu ermitteln.
Das Finanzgericht (FG) gab dem FA Recht. Es ließ die Revision nicht zu.
Dagegen richtet sich die Beschwerde, die mit Schriftsatz vom 26. April 2004 begründet wurde. Der Schriftsatz ging am 3. Mai 2004 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Die --antragsgemäß verlängerte-- Begründungsfrist endete am 30. April 2004. Nach entsprechendem Hinweis des Vorsitzenden vom 3. Mai 2004, zugestellt am 11. Mai 2004, beantragt die Klägerin mit Schriftsatz vom 12. Mai 2004 wegen nicht vorhersehbar verlängerter Postlaufzeit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Beigefügt wurden jeweils in Kopien vier Seiten des Postausgangsbuches sowie zwei Seiten eines Schriftsatzausgangsbuches ihres Prozessbevollmächtigten. Der betreffende Schriftsatz vom 26. April 2004 wird in dem Postausgangsbuch unter dem Datum 26. April 2004 als "Nachtrag" aufgeführt. Auch in dem Schriftsatzausgangsbuch ist der Schriftsatz an letzter Stelle aufgeführt.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO begründet worden ist. Eine Beschwerdebegründung ist beim BFH vielmehr erst am 3. Mai 2004 eingegangen, nachdem die Frist für die Begründung der Beschwerde bereits am 30. April 2004 abgelaufen war.
Wiedereinsetzung wegen der versäumten Frist zur Begründung der Beschwerde kann der Klägerin nicht gewährt werden. Nach § 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 FGO ist Wiedereinsetzung auf fristgebundenen Antrag zu gewähren. Diesen Antrag hat die Klägerin gestellt. In ihm hat sie behauptet, die Beschwerdebegründung sei von ihrem Steuerberater rechtzeitig abgesandt worden. Eine nähere Darstellung des angeblichen Absendevorgangs und eine Glaubhaftmachung des diesbezüglichen Sachvortrags durch Vorlage präsenter Beweismittel, die mit hinreichender Sicherheit den Schluss auf die Richtigkeit des von der Klägerin zur Entschuldigung Vorgetragenen zulassen, fehlen jedoch. Aus dem von ihr gestellten Wiedereinsetzungsantrag lässt sich lediglich entnehmen, dass die Beschwerdeschrift rechtzeitig gefertigt, für den Versand vorbereitet und die Sendung im Postausgangsbuch, aus dem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin neben dem Schriftsatzausgangsbuch jeweils einen Auszug in Kopie vorgelegt hat, als abgesandt vermerkt worden ist. Die Vorlage des Postausgangsbuches, die bei Bevollmächtigten, welche Rechtsberatung berufsmäßig ausüben, zur Glaubhaftmachung des Absendevorgangs allerdings regelmäßig erforderlich ist (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, und BFH-Beschluss vom 25. April 1995 VIII R 86/94, BFH/NV 1995, 1002), genügt jedoch für sich allein nicht, um die rechtzeitige Absendung der Beschwerdebegründung glaubhaft zu machen. Es bedarf --neben der Vorlage des Postausgangsbuches-- der lückenlosen und schlüssigen Darstellung des Absendevorgangs dahin, welche Person zu welcher Zeit in welcher Weise (z.B. Einwurf in einen bestimmten Briefkasten, Aufgabe bei einem bestimmten Postamt) den Brief, in dem sich das betreffende Schriftstück befunden haben soll, aufgegeben hat (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1996 I R 13/96, BFH/NV 1997, 120, und vom 26. November 1993 VIII R 53/93, BFH/NV 1994, 644).
Eine solche schlüssige und detaillierte Darstellung des Absendevorgangs fehlt hier. Dessen bedurfte es im Streitfall um so mehr, als der betreffende Schriftsatz vom 26. April 2004 in dem vorgelegten Auszug aus dem Postausgangsbuch unter jenem Datum des 26. April 2004 als "Nachtrag" bezeichnet wird, was es als möglich erscheinen lässt, dass die Absendung dieses Schriftstückes an diesem Tage vergessen worden ist. Auch der Umstand, dass der in den Akten befindliche Briefumschlag, mit dem die Beschwerdebegründung versandt worden ist, einen Freistempler des Prozessbevollmächtigten mit dem Datum 26. April 2004 enthält, ändert daran nichts. Die Freistempelung des Briefes besagt lediglich, dass die Sendung versandfertig gemacht worden, nicht aber, dass es auch tatsächlich zur rechtzeitigen Versendung gekommen ist. Damit fehlt es an der Glaubhaftmachung, dass der Prozessbevollmächtigte ohne eigenes Verschulden verhindert war, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.
Fundstellen