Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Zustellung
Leitsatz (NV)
Die öffentliche Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung ist unzulässig, wenn das Gericht bei der gebotenen Sorgfalt in der Lage ist, den Aufenthaltsort des Empfängers oder dessen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu ermitteln.
Normenkette
FGO § 53 Abs. 2; VwZG § 15
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) klagt vor dem Finanzgericht (FG) gegen den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA - X) wegen Anrechnung von Kapitalertragsteuer. Im Zeitpunkt der Klageerhebung wohnte sie in A (Ausland). Nachdem sich eine an die Privatanschrift des ursprünglichen Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt H, gerichtete Anfrage des FG als unzustellbar erwiesen hatte, wurde dem FG auf Anfrage vom zuständigen Einwohnermeldeamt mitgeteilt, daß Rechtsanwalt H ins Ausland verzogen sei. Anfragen des FG beim FA X und beim FA Y (zuständig für beschränkt Steuerpflichtige) nach dem (neuen) inländischen Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin blieben erfolglos; Schreiben des FG an die Beschwerdeführerin unter ihrer Anschrift in A blieben unbeantwortet. Das FG wies daraufhin durch Vorbescheid die Klage als unzulässig ab. Nachdem auch der Versuch des FG, den Vorbescheid unter Einschaltung der deutschen Botschaft in . . . zustellen zu lassen, fehlgeschlagen war, weil die Beschwerdeführerin unter der angegebenen Anschrift in A nicht mehr wohnhaft war und die Botschaft die neue Anschrift nicht ermitteln konnte, ordnete das FG die öffentliche Zustellung des Vorbescheids an. Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung, mit der Angabe, daß der Vorbescheid in der Geschäftsstelle des FG eingesehen werden könne, wurde am . . . ausgehängt.
Eine Abschrift des Vorbescheids und eine Ausfertigung des Beschlusses über seine öffentliche Zustellung sind den jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin auf deren Anforderung hin am . . . bekanntgegeben worden. Mit Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten vom . . . , zu dem eine nähere Begründung am . . . beim FG eingegangen ist, hat die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Vorbescheids mündliche Verhandlung beantragt und gegen den Beschluß über die Anordnung der öffentlichen Zustellung Beschwerde eingelegt sowie wegen der Versäumung der Antrags- und Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Die Beschwerdeführerin hat amtliche Bescheinigungen (Fotokopien) über die Abmeldung ihres Wohnsitzes in A und ihre Anmeldung bei der Meldebehörde in B (Inland) vorgelegt. Ferner hat sie durch Vorlage von Fotokopien (zum Teil Steuerbescheide) nachgewiesen, daß dem FA Y auf eine Anfrage, die an die Büroadresse ihres ursprünglichen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt H, gerichtet war, ihr jetziger Wohnsitz in B zutreffend mitgeteilt worden ist und die FA X und Y in den Jahren . . . in ihren (der Beschwerdeführerin) Steuerangelegenheiten mit ihren inländischen Empfangsbevollmächtigten korrespondiert haben, wobei auch dem FA Y ihre Anschrift in B mitgeteilt worden ist. Die Beschwerdeführerin meint, die öffentliche Zustellung des Vorbescheids durch das FG sei unzulässig (nichtig), weil zum damaligen Zeitpunkt ihre eigene Anschrift oder die Anschrift von ihr anerkannter Zustellungsbevollmächtigter nicht ,,allgemein unbekannt" gewesen seien. Das FG hätte sich nicht an die Privatanschrift, sondern an die ihm ebenfalls bekannte Büroanschrift ihres ursprünglichen Prozeßbevollmächtigten wenden müssen. Da dessen persönliches Büro noch heute unter der angegebenen Anschrift existiere, wäre auf ein Schreiben des Gerichts reagiert worden. Die Nachforschungen des FG und der zuständigen FÄ nach einer Zustellungsadresse seien ferner deshalb unzulänglich gewesen, weil den FÄ weitere inländische Bevollmächtigte und zum Teil auch ihre eigene Anschrift in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) bekannt gewesen seien. Das Gericht hätte zumindest der in dem Aktenvermerk . . . (Telefonat mit dem FA X) angedeuteten Möglichkeit nachgehen müssen, daß die Firma Z ihr Empfangsbevollmächtigter sei. Die an ihre frühere Anschrift in A gerichteten Schreiben des Gerichts habe sie nicht erhalten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG über die öffentliche Zustellung des gegen die Beschwerdeführerin ergangenen Vorbescheids ist zulässig und begründet. Der Beschluß über die Anordnung der öffentlichen Zustellung ist deshalb - dem sinngemäß gestellten Antrag der Beschwerdeführerin entsprechend - aufzuheben, so daß die Wirkungen der öffentlichen Zustellung des Vorbescheids entfallen.
1. Gegen die Anordnung der öffentlichen Zustellung des Vorbescheids durch das Gericht (§ 53 Abs. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 15 Abs. 6 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -) steht den Beteiligten die Beschwerde zu (§ 128 Abs. 1 FGO). Die Beschwerde ist im Streitfall innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung (§ 129 Abs. 1 FGO) eingelegt worden. Denn der angefochtene Beschluß ist den Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin (formlos) durch einfachen Brief am . . . bekanntgegeben worden; die Beschwerde gegen die Anordnung der öffentlichen Zustellung ist ausweislich des Eingangsstempels bereits am . . . beim FG eingegangen. Da der angefochtene Beschluß - im Gegensatz zum Vorbescheid des FG - nicht bereits früher durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt worden ist, bedarf es hinsichtlich der Einhaltung der Beschwerdefrist keiner Wiedereinsetzung der Beschwerdeführerin in den vorigen Stand (§ 56 FGO).
2. Ein Schriftstück - auch eine gerichtliche Entscheidung (§ 53 Abs. 2 FGO) - kann durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden, wenn der Aufenthalt des Empfängers unbekannt ist (§ 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG). Es handelt sich hierbei um eine Fiktion der Zustellung (vgl. § 15 Abs. 3 VwZG), die als ,,letztes Mittel" der Bekanntgabe zulässig ist, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln. Der Aufenthaltsort des Empfängers ist deshalb nicht schon dann unbekannt, wenn die betreffende Behörde bzw. das zustellende Gericht seine Anschrift nicht kennen; der Aufenthaltsort muß vielmehr allgemein unbekannt sein. Ob diese Voraussetzung der öffentlichen Zustellung vorliegt, ist im Einzelfall sorgfältig zu prüfen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. März 1971 V R 25/67, BFHE 102, 20, BStBl II 1971, 555; BFH-Beschluß vom 17. Oktober 1985 IV B 67/85, BFH/NV 1986, 576; BFH-Urteil vom 26. Juni 1986 IV R 202/84, BFH/NV 1987, 98; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 15 VwZG Tz. 2). Das FG ist im Streitfall seiner Verpflichtung zur Ermittlung des Aufenthaltsorts der Beschwerdeführerin oder zur Feststellung, ob für diese nicht im Inland ein Bevollmächtigter bestellt war, an den die Zustellung des Vorbescheids bewirkt werden konnte (§ 8 VwZG) nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.
a) Dem FG war zum Zeitpunkt der Anordnung der öffentlichen Zustellung lediglich bekannt, daß eine Zustellung des Vorbescheids an die Beschwerdeführerin unter ihrer bisherigen Anschrift in A nicht möglich war, weil diese nach Mitteilung der deutschen Botschaft dort nicht mehr wohnte. Von der nach § 8 Abs. 4 VwZG vorgeschriebenen Zustellung an den ihm benannten Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt H, hat das FG deshalb abgesehen, weil eine an dessen Privatanschrift gerichtete Anfrage als unzustellbar zurückgekommen war und die bisherige Wohnsitzgemeinde des Prozeßbevollmächtigten dem Gericht mitgeteilt hatte, daß dieser ins Ausland verzogen sei. Wie mit der Beschwerde nachgewiesen worden ist, wäre aber eine weitere Vertretung der Beschwerdeführerin gegenüber dem FG durch das Büro des Prozeßbevollmächtigten auch nach dessen Wegzug gewährleistet gewesen, wenn sich das FG mit seiner Anfrage nicht an die Privatanschrift, sondern - wie es gegenüber Rechtsanwälten geboten und üblich ist - an die Büroanschrift des Prozeßbevollmächtigten, die im Briefkopfs sämtlicher Schriftsätze genannt war, gewandt hätte. Von dem Büro des Prozeßbevollmächtigten aus ist dem FA Y auf Anfrage die jetzige Anschrift der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden, und es ist - wie die vorgelegten Durchschriften der Schriftsätze, die ebenso wie die Klageschrift und nachfolgende Schreiben des Prozeßbevollmächtigten u. a. das Zeichen ,,. . ." tragen, zeigen - mit verschiedenen FÄ in Steuerangelegenheiten der Beschwerdeführerin korrespondiert worden. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin besteht das Büro ihres ursprünglichen Prozeßbevollmächtigten unter der genannten Anschrift noch heute. Es kann dahinstehen, durch welche Personen und in welcher Form die weitere prozessuale Vertretung der Beschwerdeführerin erfolgt wäre, wenn sich das FG an die Büroanschrift des Prozeßbevollmächtigten gewandt hätte. Zumindest hätte das FG von dort aus die neue Anschrift der Beschwerdeführerin in B oder einen (anderen) inländischen Bevollmächtigten erfahren können, so daß die Zustellung des Vorbescheids durch öffentliche Bekanntmachung nicht erforderlich gewesen wäre.
Für das FG bestand auch trotz des ihm mitgeteilten Wegzugs des Prozeßbevollmächtigten ins Ausland Anlaß, sich in dem vorliegenden Verfahren weiterhin an das Büro des Prozeßbevollmächtigten zu wenden, weil ihm unter dem Briefkopf des Prozeßbevollmächtigten noch Schriftsätze vom . . . zugegangen waren, die von Rechtsanwalt R als amtlich bestelltem Vertreter, dem jetzigen Prozeßbevollmächtigten zu 2, unterzeichnet sind. Auf dem Briefkopf des Schriftsatzes vom . . . ist zudem die Privatanschrift des Prozeßbevollmächtigten durchgestrichen.
b) Eine nicht ausreichende Ermittlung, die die öffentliche Zustellung des Vorbescheids unzulässig macht, durch das FG liegt im Hinblick auf weitere inländische Empfangsbevollmächtigte der Beschwerdeführerin (neben dem Prozeßbevollmächtigten) vor. Die Beschwerdeführerin hat nachgewiesen, daß die FÄ X und Y in den Jahren . . . Steuerbescheide, Erinnerungen und sonstige steuerliche Mitteilungen, die sie betrafen, an die Firmen Z und W als ihre Empfangsbevollmächtigten bekanntgegeben haben. Das FG hat zwar von diesen FÄ auf seine Anfrage nach inländischen Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin keine verwertbaren Antworten erhalten. Es hätte aber Anlaß gehabt, dieser Frage mit größerem Nachdruck nachzugehen, da ihm bekannt war, daß auch die genannten FÄ Zustellungen von Steuerbescheiden an die im Ausland wohnende Beschwerdeführerin zu bewirken hatten. Zudem war nach dem Aktenvermerk des Berichterstatters vom . . . in dem mit dem Sachbearbeiter des FA X geführten Telefongespräch die Firma Z als mögliche Empfangsbevollmächtigte der Beschwerdeführerin erwähnt und nur mit Vermutungen ausgeschlossen worden. Das FG konnte aber aus seinen Aktenentnehmen, daß das FA X jedenfalls in dem Zeitraum vom . . . Einkommensteuerbescheide der Beschwerdeführerin an die Firma Z als Bevollmächtigte zugestellt hatte. Eine Nachfrage des FG bei dieser Firma - bzw. im Falle einer Rechtsnachfolge beim zuständen FA - hinsichtlich einer noch fortbestehenden Empfangsvollmacht oder auch hinsichtlich der neuen Anschrift der Beschwerdeführerin wäre somit im Interesse einer ordnungsgemäßen Zustellung des ergangenen Vorbescheids veranlaßt gewesen.
Da die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung des Vorbescheids nicht vorlagen, war der Beschluß über die Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung aufzuheben. Der Vorbescheid ist somit nicht wirksam zugestellt worden, so daß das FG auf den - rechtzeitigen - Antrag der Beschwerdeführerin hin (§ 90 Abs. 3 Satz 2 und 3 FGO) aufgrund mündlicher Verhandlung in der Hauptsache entscheiden muß.
Fundstellen
Haufe-Index 418169 |
BFH/NV 1992, 610 |