Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung des Verfahrens bei behaupteter verfassungswidriger Rechtsauslegung durch die Gerichte
Leitsatz (NV)
Ein anhängiges Musterverfahren vor dem BVerfG kann ein berechtigter Grund für die Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 74 FGO sein, wenn die Verfassungsmäßigkeit einer entscheidungserheblichen gesetzlichen Regelung angegriffen wird und das BVerfG darüber nach § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht mit Bindungswirkung entscheidet. Dagegen ist § 74 FGO nicht anwendbar, wenn der Vorwurf der verfassungswidrigen Auslegung und Anwendung von an sich verfassungs gemäßen Normen durch die Gerichte erhoben wird.
Normenkette
FGO § 74
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Klägers), mit der er sich gegen die umsatzsteuerrechtliche Nichtanerkennung der Zwischenvermietung seiner Eigentumswohnung wandte, abgewiesen. Seinen Hilfsantrag, den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in der Sache 2 BvR 1156/91 auszusetzen, hat das FG abgelehnt. Zur Begründung führt es insoweit u. a. aus, mit der -- aussichtslos erscheinenden -- Verfassungsbeschwerde werde "nicht die Verfassungswidrigkeit einer konkreten angewendeten Rechtsnorm, sondern die der Mehrwertsteuer optionsrechtsprechung des BFH" geltend gemacht.
Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbe schwerde. Der Kläger macht geltend, das FG hätte das Verfahren aussetzen müssen. Es habe verkannt, daß mit der bezeichneten Verfassungsbeschwerde die Verletzung von Grundrechten gerügt werde. Im übrigen wendet er sich dagegen, daß das FG seine Rechtsmeinung an die des BVerfG gesetzt habe.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge, das FG habe das Verfahren wegen eines vor dem BVerfG anhängigen Musterprozesses aussetzen müssen, erfordert eine genaue Bezeichnung des angeblichen Musterprozesses und die substantiierte Darlegung, daß dieses Musterverfahren die von der Rechtsprechung aufgestellten tatsächlichen Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung er füllt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. November 1993 III B 246/92, BFH/NV 1994, 800, unter 1. b).
Der Senat läßt offen, ob die Beschwerdeschrift des Klägers diesen Anfoderungen genügt. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, weil der Kläger keine Aussetzung des Verfahrens (§ 74 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) beanspruchen konnte.
Nach § 74 FGO kann das Gericht das Verfahren u. a. aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Vorschrift ist im Streitfall weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Ein anhängiges Musterverfahren vor dem BVerfG kann ein berechtigter Grund für die Aussetzung eines Verfahrens sein, wenn die Verfassungsmäßigkeit einer entscheidungserheblichen gesetzlichen Regelung angegriffen wird und das BVerfG darüber nach § 31 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht mit Bindungswirkung entscheidet. Dagegen ist § 74 FGO auch nicht entsprechend anwendbar, wenn -- wie im vorliegenden Verfahren -- der Vorwurf der verfassungswidrigen Auslegung und Anwendung von an sich verfassungsgemäßen Normen durch die Gerichte erhoben wird (vgl. zu der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1156/91: BFH- Beschluß vom 25. November 1993 V B 120/93, Umsatzsteuer-Rundschau 1994, 195, m. w. N.).
Im übrigen weist der Senat darauf hin, daß das BVerfG eine Reihe von Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen hat, die sich gegen gerichtliche Entscheidungen wandten, durch die die Umsatzsteuerfreiheit der Wohnungsvermietung an einen gewerblichen Zwischenvermieter wegen Gestaltungsmißbrauchs (§ 42 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) nicht anerkannt worden war (vgl. Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1994, 329). Darunter befindet sich auch die vom Kläger bezeichnete Verfassungsbeschwerde 2 BvR 1156/91 (vgl. Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG vom 29. September 1994, nicht veröffentlicht).
Fundstellen
Haufe-Index 420446 |
BFH/NV 1995, 628 |