Leitsatz (amtlich)
Gegen die Gleichstellung der Tätigkeiten von Rundfunkanstalten mit der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit im Sinne des UStG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die die Aussetzung der Vollziehung von Umsatzsteuerbescheiden rechtfertigen.
Normenkette
UStG 1967 § 2 Abs. 3 S. 2
Tatbestand
Durch vorläufigen Bescheid des Antrags- und Beschwerdegegners (FA) wurde die Antragstellerin (Steuerpflichtige) gemäß § 2 Abs. 3 UStG 1968 wegen ihrer Umsätze aus den ihr eigentümlichen Tätigkeiten im März 1968 zu einer Umsatzsteuervorauszahlung von ... DM verpflichtet. Gegen diesen Bescheid hat die Steuerpflichtige Anfechtungsklage erhoben, über die das FG noch nicht entschieden hat. In der Klagebegründung geht die Steuerpflichtige davon aus, daß § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG 1967 Grundrechte verletze und auch sonst verfassungswidrig sei.
Mit der Anfechtungsklage hat die Steuerpflichtige auch die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 FGO beantragt. Diesen Antrag hat das FG in dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluß als unbegründet abgewiesen. In der Beschwerdebegründung trägt die Steuerpflichtige folgendes vor: Im Gegensatz zur Auffassung des FG müsse die Ausstrahlung des Rundfunkprogramms nach der deutschen Rechtsentwicklung als eine Tätigkeit mit ausschließlich hoheitlichem Charakter beurteilt werden. So sei sie auch nach dem für sie maßgebenden Landesrundfunkgesetz gewertet und ausgestaltet worden. Mit der Aufstellung der gegenteiligen Fiktion in § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG - "die Tätigkeit der Rundfunkanstalten gilt als gewerbliche oder berufliche Tätigkeit i. S. dieses Gesetzes" - habe der Bund unter Verletzung der Grundsätze von Bundesstaatlichkeit und Bundestreue (Art. 20, 28, 30) "in die Länder hineinregiert" und die landesrechtliche Festlegung ihrer Tätigkeit als Hoheitsausübung für das Bundessteuerrecht "leerlaufen lassen". Er habe damit auch gegen eine "systemimmanente Schranke der Steuergesetzgebung" verstoßen. Verletzt sei ferner der Gleichheitssatz des Art. 3 GG, weil die Rundfunkanstalten im Gegensatz zu allen anderen Trägern öffentlicher Gewalt ohne rechtfertigenden Grund als Steuersubjekte behandelt würden. Auch der Grundsatz der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 GG erleide eine unzulässige Einschränkung, weil die Besteuerung die wirtschaftlichen Grundlagen der betroffenen Anstalten gefährde, zumal diese die gesetzlich festgelegten Gebühren nicht selbständig ändern könnten. Dabei sei zu beachten, daß § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG kein "allgemeines" und damit zur Einschränkung geeignetes Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sei, weil die Vorschrift ausschließlich auf die Rundfunkanstalten abstelle.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Nach der Entscheidung des BVerfG vom 21. Februar 1961, BvR 314/60 (BStBl I 1961, 63) rechtfertigen ernstliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit eines Gesetzes, auf dem der strittige Steueranspruch beruht, die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids. Diese zum § 251 AO a. F. ergangene Entscheidung ist auch für die neue Regelung der Aussetzung der Vollziehung in § 69 Abs. 2 und 3 FGO maßgebend. Nach dieser Vorschrift soll, soweit hier einschlägig, die Aussetzung angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Die Prüfung findet in einem summarischen Verfahren statt. Es ist nicht Aufgabe dieses Verfahrens, zweifelhafte oder strittige Rechtsfragen abschließend zu entscheiden (Entscheidungen des BFH VI B 53/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 537, BStBl III 1967, 469, und VI S 2/66 vom 15. Februar 1967, BFH 87, 602, BStBl III 1967, 256).
Der Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 Satz 3 UStG 1967.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil V 76/64 vom 6. Juli 1967 (BFH 89, 164, BStBl III 1967, 582) dargelegt hat, ist davon auszugehen, daß Rundfunkanstalten mit ihren durch die Rundfunk- und Fernsehgebühren abgegoltenen Tätigkeiten öffentliche Gewalt ausüben. Es gibt aber keinen verfassungs rechtlichen Grundsatz, der die gegenseitige Besteuerung von Gemeinwesen oder die Selbstbesteuerung eines solchen allgemein oder auch nur wegen Steuertatbeständen untersagte, die den Bereich der Hoheitsausübung erfassen oder berühren. Wäre ein solches Verbot dem GG zu entnehmen, so wäre es nicht verständlich, daß in zahlreichen einzelnen Real- und Personensteuergesetzen sorgfältige Ausnahmeregelungen zugunsten der öffentlichen Hand getroffen sind und immer wieder getroffen werden. Diese Tendenz entwächst freilich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit dem Prinzip der ökonomischen Staatsverwaltung. Denn es wäre nicht sinnvoll, juristische Personen des öffentlichen Rechts zugleich zu besteuern und aus dem Steueraufkommen zu finanzieren. Ob dieses Prinzip etwa als Ausfluß der Rechtsstaatlichkeit einen verfassungsrechtlichen Rang hat, kann hier dahingestellt bleiben. Denn die Steuerpflichtige gehört zu denjenigen öffentlich-rechtlichen juristischen Personen der Leistungsverwaltung (Wohlfahrtspflege), die auf der Grundlage eines Sondervermögens tätig werden und sich aus ihrem Gebühren- und Beitragsaufkommen selbst zu finanzieren haben. In Fällen dieser Art kann die Besteuerung ein sinnvolles Mittel sein, um die Einnahmen finanzstarker Sonderverwaltungen für allgemeine staatliche Zwecke abzuschöpfen oder um mittelbare Ziele der Steuergesetzgebung und Grundsätze der Steuergerechtigkeit - wie hier die Wahrung der Wettbewerbsneutralität des Umsatzsteuerrechts - durchzusetzen.
Mit der Besteuerung der Rundfunkanstalten wird deshalb das GG jedenfalls nicht unmittelbar verletzt.
Die Steuerpflichtige macht rechtsirrtümlich geltend, mit ihrer Heranziehung zur Umsatzsteuer werde die in Art. 20 ff. GG niedergelegte verfassungsrechtliche Ordnung zwischen Bund und Ländern gestört. Sie beurteilt vor allem zu Unrecht die Fiktion des § 2 Abs. 3 UStG als ein Gesetz auf dem Gebiet des Rundfunkwesens oder jedenfalls als eine Norm, die für das Gebiet des Steuerrechts die Rundfunkgesetzgebung ihres Landes unwirksam mache. Hätte diese Vorschrift des Umsatzsteuerrechts eine rundfunkrechtliche Auswirkung, so wäre allerdings die verfassungsrechtliche Prüfung dieses Gesetzes unter dem Gesichtswinkel der Gesetzgebungs- und Funktionkompetenz erforderlich. Denn eine Gesetzgebungszuständigkeit und ein Organisationsrecht des Bundes auf dem Gebiete des Rundfunkwesens bestehen nicht (vgl. Art. 30, 73 ff. GG). § 2 Abs. 3 UStG beeinträchtigt aber in Wahrheit das vom Landesrecht geprägte Wesen der Steuerpflichtigen als einer zu hoheitlichen Tätigkeiten berufenen Anstalt des öffentlichen Rechts nicht im geringsten. Denn durch die Gleichstellung ihrer Tätigkeit mit der gewerblichen oder beruflichen im Sinne des UStG und nur im Rahmen dieses Gesetzes wird die Anstalt lediglich zum Steuersubjekt; der durch das Landesrecht zugewiesene und geregelte Hoheitsbereich der Steuerpflichtigen wird davon nicht berührt.
Aus der Ausstattung mit der Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen Anstalt und der Zuweisung öffentlich-rechtlicher Funktionen erwächst der Steuerpflichtigen anderseits auch - wie bereits oben ausgeführt - kein im Verfassungsrecht begründeter Anspruch auf steuerliche Exemtion. Mit der Behauptung dieses Anspruchs in der Beschwerdebegründung werden vielmehr rechtsirrtümlich dem Landesrecht Auswirkungen beigemessen, deren Herbeiführung dem Bund gemäß Art. 105 Abs. 2 GG überlassen ist.
Da der Bund nach diesen Erwägungen steuerrechtliche Folgen an die Tätigkeit der Rundfunkanstalten grundsätzlich anknüpfen kann, wird das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen Bund und Ländern auch nicht dadurch gestört, daß der Tatbestand des § 2 Abs. 3 UStG eine Fiktion aufstellt. § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG besagt unter Berücksichtigung des vorausgehenden Textes in den §§ 1 und 2 UStG nichts anderes, als daß die Tätigkeit der Rundfunkanstalten der Umsatzsteuer unterliegen soll, auch wenn (oder obwohl) diese Tätigkeit nicht so geartet sein sollte (oder geartet ist), wie die eines Betriebs gewerblicher Art einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Formulierung des Steuertatbestands enthält daher keinen Anhalt für die Schlußfolgerung, der Gesetzgeber habe das wahre Wesen der Rundfunkanstalten und die wahre Natur ihrer Tätigkeiten verkannt.
Auch der weitere Einwand, die maßgebliche Steuervorschrift verletze den Gleichheitssatz, kann Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit nicht hervorrufen. Nach dem Beschluß des BVerfG vom 2. Mai 1967 1 BvR 578/63 (BVerfGE 21, 362) gelten die Grundrechte grundsätzlich nicht für juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit diese öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Die Entscheidung ist jedenfalls einschlägig gegenüber dem Einwand der Steuerpflichtigen aus Art. 3 GG. Auf die Gründe der Entscheidung des BVerfG wird hingewiesen.
Das FG Hamburg, das in seinem Beschluß vom 5. Dezember 1968 II 155/68 (EFG 1969, 212) ernstliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG für berechtigt hält, weist unter Bezugnahme auf die erwähnte Entscheidung des BVerfG allerdings zutreffend darauf hin, daß die Verletzung des Gleichheitssatzes auch einen Einbruch in das Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit und des Willkürverbots bedeute. Die gesetzliche Ungleichbehandlung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gegenüber anderen derartigen Rechtsträgern könnte deshalb das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verletzen und die Verfassungswidrigkeit des maßgeblichen Gesetzes bedingen (vgl. dazu auch den Beschluß des BVerfG vom 21. Mai 1968 2 BvL 2/61, BVerfGE 23, 353 [372 f.]). Entgegen der Meinung des FG Hamburg enthält aber § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG keine derartige Verletzung der rechtsstaatlichen Ordnung. Die Natur und die Tätigkeit der Steuerpflichtigen entsprechen zwar der Begriffsbestimmung eines Hoheitsbetriebs in § 4 KStDV. Nach dieser zu § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG ergangenen Durchführungsbestimmung gehören diese Betriebe nicht zu den Betrieben gewerblicher Art im Sinne des genannten Gesetzes. Da § 2 Abs. 3 UStG auf § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG verweist, ist auch für das Umsatzsteuerrecht die Begriffsbestimmung des Hoheitsbetriebs in § 4 KStDV maßgebend. Ebenso einschlägig für das Umsatzsteuerrecht ist aber auch die ebenfalls zu § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG ergangene Durchführungsverordnung des § 2 KStDV. Hiernach gehören zu den Betrieben gewerblicher Art auch die Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen. Im öffentlichen Recht ist allgemein anerkannt, daß alle derartigen Betriebe, soweit sie nicht in Rechtsformen des Privatrechts tätig werden, öffentliche Gewalt ausüben und zur sog. "schlichten Hoheitsverwaltung" gehören. Da § 2 KStDV als die speziellere Norm dem § 4 KStDV vorgeht, steht fest, daß das Körperschaftsteuerrecht und damit auch das diesem angeglichene Umsatzsteuerrecht den Begriff der "Ausübung öffentlicher Gewalt" in einem gegenüber dem allgemeinen Verwaltungsrecht eingeschränkten Sinn versteht und deshalb auch nicht jeden der Ausübung öffentlicher Gewalt (im allgemeinen Sinn) dienenden Betrieb von Körperschaften des öffentlichen Rechts als Hoheitsbetrieb behandelt.
Auch die Rundfunkanstalten sind "Betriebe", die der Daseinsvorsorge der Bevölkerung dienen. Sie entfalten eine wirtschaftliche Tätigkeit, die auf Erzielung von Einnahmen gerichtet ist und werden in kaufmännischer Weise verwaltet. Daß ihre Leistungen nicht materieller Art sind (Berichterstattung, Unterhaltung), unterscheidet sie nach umsatz- und körperschaftsteuerrechtlichen Gesichtspunkten von den in § 2 KStDV genannten Betrieben nicht grundsätzlich. Im Gegensatz zu der in der angeführten Entscheidung des FG Hamburg vertretenen Auffassung ist der Senat deshalb der Überzeugung, daß der Gesetzgeber die Rundfunkanstalten den Betrieben gewerblicher Art von Körperschaften des öffentlichen Rechts gleichstellen konnte, ohne Grundsätze der Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit zu verletzen.
Schließlich greift auch die Berufung der Steuerpflichtigen auf Art. 5 GG nicht durch. Dieses Grundrecht kann die Steuerpflichtige zwar als subjektiv öffentliches Recht ausnahmsweise für sich in Anspruch nehmen, da es den ihr eigenen Lebensbereich schützt (vgl. den Beschluß des BVerfG vom 2. Mai 1967, BVerfGE 21, 263, 373 Nr. 4). Der Senat ist aber der Auffassung, daß die Heranziehung der Steuerpflichtigen zur Umsatzsteuer von damals 5 v. H. unter Berücksichtigung des Vorsteuerabzugs (§§ 12 Abs. 2 Nr. 7a, 15 UStG 1967) keine wirtschaftlichen Auswirkungen zur Folge hat, unter denen die Freiheit der Berichterstattung nennenswert zu leiden hätte. Im übrigen besteht weder nach der steuerrechtlichen Vorschrift noch - nach Auffassung des Senats - aus zwingenden innenpolitischen Gründen ein Hindernis, durch eine geringfügige Gebührenerhöhung die auf der Besteuerung beruhenden wirtschaftlichen Einbußen wieder auszugleichen. Es ergeben sich daher für den Senat auch aus Art. 5 GG keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 UStG 1967.
Die Beschwerde war deshalb mit der Kostenfolge nach § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1969, 415 |
BFHE 1969, 357 |