Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Benachteiligung Verheirateter, Haushaltshilfe
Leitsatz (NV)
- Soweit der Gesetzgeber mit § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG in der für die Streitjahre 1992 bis 1995 geltenden Fassung eine Steuererleichterung zur Abmilderung der Mehrfachbelastungen durch Beruf, Haushalt und kindbedingte Betreuung geschaffen hat, hat er im Einklang mit verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigt, dass es sich hierbei auch um zwangsläufige Aufwendungen im Rahmen familiärer Unterhaltspflichten handeln kann.
- Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass in den Streitjahren 1992 bis 1995 nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG Alleinstehende ab einem Kind, Verheiratete aber erst ab zwei Kindern (begrenzte) Aufwendungen für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse steuermindernd geltend machen konnten, können nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung ausgeräumt werden.
- Das Ehegattensplitting stellt eine am Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Ehepaaren (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung dar und ist nicht geeignet, ehebedingte steuerliche Nachteile der Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG zu kompensieren.
- Bestehen gegen eine Vorschrift verfassungsrechtliche Bedenken, so ist auch die Möglichkeit einer abweichenden Festsetzung im Wege einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 zu prüfen.
- Ob die Ungleichbehandlung Verheirateter gegenüber Alleinstehenden ‐ insbesondere bei dauerhafter Erkrankung eines der Ehegatten ‐ die Voraussetzungen einer sachlichen Unbilligkeit i.S. des § 163 AO 1977 erfüllt, ist zunächst von der Finanzverwaltung zu prüfen.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 100; BVerfGG § 31 Abs. 1, § 93a; AO 1977 § 163; EStG § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a, b, § 33c Abs. 2, § 33b Abs. 6; EStDV § 65
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine im Dezember 1997 verstorbene Ehefrau, die frühere Klägerin, wurden in den Streitjahren 1992 bis 1995 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte als Notar, … Die Ehefrau war bis zur Geburt ihres Kindes (… 1992) nichtselbständig tätig. Sie war in den Streitjahren an multipler Sklerose erkrankt. Der am 5. Oktober 1992 ausgestellte Schwerbehindertenausweis wies zunächst einen Grad der Behinderung von 50, Merkzeichen "G", aus und wurde am 21. Oktober 1997 mit Wirkung ab 20. November 1996 auf 80, Merkzeichen "G", "aG", "B" erhöht. Seit 1997 galt für die Ehefrau Pflegestufe II. Über ihr Krankheitsbild liegt eine Bescheinigung des behandelnden Nervenarztes vom 29. Oktober 1997 vor. Danach konnte die Ehefrau eine Reihe täglich anfallender Handlungen seit 1992 immer weniger alleine erledigen und war dabei in zunehmendem Maße auf die Unterstützung anderer Personen angewiesen.
Ab August 1992 beschäftigten die Eheleute in ihrem Haushalt eine Haushaltshilfe und Kinderfrau zu einem monatlichen Bruttogehalt von 3 100 DM und führten hierfür Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ab. Die Kläger beantragten die Berücksichtigung der Aufwendungen für die Haushaltshilfe als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für die Streitjahre geltenden Fassung. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) folgte dem nicht; der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; die Entscheidung ist auszugsweise abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1082. Es könne dahingestellt bleiben, ob auch im Rahmen des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b EStG der Nachweis der Hilflosigkeit nur durch einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "H" nach § 33b Abs. 7 EStG i.V.m. § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) geführt werden könne. Jedenfalls komme einem ordnungsgemäß ausgestellten Schwerbehindertenausweis eine hohe Indizwirkung für den tatsächlichen Grad der Hilfsbedürftigkeit zu. Ein Abzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG scheide gleichfalls aus, weil der verheiratete Kläger nur ein Kind habe. Eine verfassungswidrige Schlechterstellung von Ehegatten gegenüber Alleinstehenden sei nicht gegeben; der Nachteil, dass § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG bei Alleinerziehenden nur ein und bei Verheirateten zwei Kinder voraussetze, werde durch die Vorteile der ehebedingten Steuervergünstigungen wie dem Ehegattensplitting und dem horizontalen Verlustausgleich mehr als ausgeglichen.
Der Kläger macht ―zugleich als Rechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau― mit seiner Revision geltend, das FG habe verfahrensfehlerhaft den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt (§ 76 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Wenn das FG geglaubt habe, aus der ärztlichen Bescheinigung den Grad der Hilfsbedürftigkeit in den einzelnen Streitjahren nicht erkennen zu können, dann hätte es den Sachverhalt weiter aufklären müssen und durch Zeugeneinvernahme des behandelnden Neurologen und der Haushaltshilfe aufklären können.
Hilfsweise wird die Verfassungswidrigkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG geltend gemacht. Auch wenn der Sonderausgabenabzug eine arbeitsmarktpolitische, sowie sozial- und familienpolitische Zwecke verfolgende Subvention sei, bleibe der Gesetzgeber an das Gebot der Gleichbehandlung gebunden. Hinsichtlich der Berücksichtigung der Aufwendungen würde der Kläger benachteiligt. Es gebe keine Unterschiede zwischen einem Ehepaar mit zwei Kindern und einem mit "nur" einem Kind und einem wegen Krankheit an der Betreuung des Kindes dauerhaft gehinderten Ehepartner. Der Kläger müsse als faktisch Alleinstehender ein Kind und eine dauerhaft erkrankte Ehefrau versorgen und werde trotz höheren Versorgungsbedarfs zu Unrecht schlechter gestellt als ein "schlicht" Alleinstehender. Eine Benachteiligung ergebe sich zudem gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit nur einem Kind, wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91 (BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) bereits festgestellt habe. Die vom FG angestellten Kompensationsüberlegungen seien verfehlt.
Der Kläger beantragt,
- die Vorentscheidung aufzuheben, die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre abzuändern und die Einkommensteuer ―unter Berücksichtigung eines Sonderausgabenabzugs gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG für 1992 in Höhe von 5 000 DM bzw. für 1993, 1994 und 1995 in Höhe von jeweils 12 000 DM― herabzusetzen;
- hilfsweise, die Streitsache nach Art. 100 des Grundgesetzes (GG) dem BVerfG vorzulegen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat setzt das Verfahren aus, um dem FA Gelegenheit zu geben, den Erlass einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) zu prüfen. Der Kläger hat zwar nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a und b EStG keinen Anspruch auf Abzug der geltend gemachten Aufwendungen. Dies begegnet aber unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG erheblichen Bedenken.
1. a) Nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG können Aufwendungen des Steuerpflichtigen in den Streitjahren bis zu 12 000 DM im Kalenderjahr für hauswirtschaftliche Beschäftigungsverhältnisse als Sonderausgaben abgezogen werden, wenn aufgrund der Beschäftigungsverhältnisse Pflichtbeiträge zur inländischen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet werden. Weitere Voraussetzung ist, dass zum Haushalt des Steuerpflichtigen
- nach Buchst. a)
zwei Kinder ―bei Alleinstehenden (§ 33c Abs. 2 EStG) ein Kind i.S. des § 32 Abs. 1 Satz 1 EStG― die zu Beginn des Kalenderjahres das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
- nach Buchst. b)
ein Hilfloser i.S. des § 33b Abs. 6 EStG gehören.
Leben zwei Alleinstehende, die jeweils die Voraussetzungen von Buchst. a oder b erfüllen, in einem Haushalt zusammen, können sie den Höchstbetrag insgesamt nur einmal in Anspruch nehmen (Satz 3 der Regelung).
b) Aus § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen für eine Haushaltshilfe. Zum Haushalt des verheirateten und in den Streitjahren von seiner Ehefrau nicht dauernd getrennt lebenden Klägers gehörte ein Kind. Alleinstehend sind nach § 33c Abs. 2 EStG Unverheiratete sowie Verheiratete, die von ihrem Ehegatten dauernd getrennt leben. Diese Voraussetzung erfüllte der Kläger nicht.
Dem Kläger kann ―angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. unter 2.)― der Sonderausgabenabzug auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift zugesprochen werden. Voraussetzung hierfür wäre, dass mehrere Auslegungen möglich sind (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 6. November 2002 XI R 42/01, BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257; vom 16. Juli 2002 IX R 62/99, BFHE 199, 451, BStBl II 2003, 74; BFH-Urteil vom 28. Juni 1968 VI R 214/66, BFHE 93, 278, BStBl II 1968, 774). Was unter Alleinstehenden zu verstehen ist, wird durch den Hinweis auf § 33c Abs. 2 EStG eindeutig umschrieben. Daran ändert nichts, dass der Gesetzgeber bei der Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG von einem Ehepaar ausging, bei dem beide Ehepartner gesund und zur Kinderbetreuung in der Lage sind (vgl. BVerfG-Beschluss vom 3. November 1982 1 BvR 620/78, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, und BFH-Beschluss vom 20. September 2002 III B 40/02, BFH/NV 2003, 157).
c) Die Ehefrau des Klägers war nach den Feststellungen des FG in den Streitjahren nicht hilflos i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b EStG. Dabei kann ―mit dem FG― zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, dass der Nachweis der "Hilflosigkeit" i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b EStG grundsätzlich auch anders als in § 65 EStDV vorgesehen, erbracht werden kann. Dass das FG den in den jeweiligen Streitjahren ausgestellten Schwerbehindertenausweisen eine hohe Indizwirkung beigemessen hat, ist nicht zu beanstanden. Denn bei der Ausstellung eines derartigen Ausweises haben die Behörden von sich aus zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Eintrag des Merkmals "H" vorliegen. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass die Ehefrau noch im Jahre 1997 die Pflegestufe II erhielt und nicht die Stufe III, die dem Merkmal "hilflos" gleich erachtet wird (§ 65 Abs. 2 Satz 2 EStDV; Mellinghoff in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 33b Rn. 26). Der Senat geht dabei davon aus, dass die Finanzbehörden mangels Sachkunde zur eigenständigen Prüfung der medizinischen Sachverhalte auf die Prüfung durch fachkundige Stellen angewiesen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Mai 1998 III B 22/98, BFH/NV 1998, 1474, m.w.N.).
Das FG hat darüber hinaus auch das vorgelegte ärztliche Attest, wonach die Hilfsbedürftigkeit während des Krankheitsverlaufes zunahm, gewürdigt und dabei berücksichtigt, dass es erst aus dem Jahre 1997, in dem die Ehefrau des Klägers verstarb, stammte. Die Schlussfolgerungen des FG sind möglich, sie verstoßen weder gegen Denkgesetze noch Erfahrungssätze und sind für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 118 Rz. 36, 39, 41, 54).
2. Nach Überzeugung des Senats begegnet die Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG).
a) Der Senat geht dabei von der Rechtsprechung des BVerfG aus, wie sie vom BVerfG zuletzt in der Entscheidung zur doppelten Haushaltsführung dargestellt und fortentwickelt worden ist (BVerfG-Beschluss vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BStBl II 2003, 534).
Danach sind Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Für die Frage, inwieweit der Gesetzgeber einer strengen Bindung an das Gebot der Gleichbehandlung unterliegt, kommt es wesentlich auch darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann. Der Gesetzgeber muss ―unter dem verfassungsrechtlichen Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung― bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen.
Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Der Einkommensteuer unterliegt grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen/beruflichen) Erwerbsaufwendungen sowie den (privaten) existenzsichernden Aufwendungen andererseits. Neben der Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen kommt es auch auf die Unterscheidung zwischen freier Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits an. Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands steht nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers. Dieser hat die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der privaten Lebensführung zuzuordnen sind.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG liegt eine Benachteiligung insbesondere auch dann vor, wenn Ehepartner oder Eltern wegen ihrer Ehe oder Familie und deren Gestaltung von Steuerentlastungen ausgeschlossen werden (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, sowie BVerfG-Urteil vom 21. Dezember 1961 1 BvL 29/57, 20/60, BVerfGE 12, 151, 167). So hat das BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 99, 216, 238, BStBl II 1999, 182 u.a. beiläufig ausgeführt, (auch) die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG benachteilige die eheliche Erziehungsgemeinschaft mit einem Kind gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften mit einem Kind, weil Alleinstehende i.S. des § 33c Abs. 2 EStG von dieser Abzugsmöglichkeit bereits dann Gebrauch machen konnten, wenn sie nur ein Kind unter zehn Jahren hatten.
b) Nach diesen auf Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG beruhenden Maßstäben begegnet die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG im Streitfall erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
aa) Der Kläger ist von der Abzugsmöglichkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG nur deshalb ausgeschlossen, weil er verheiratet und nicht alleinstehend war (vgl. auch BVerfGE 99, 216, 237, BStBl II 1999, 182). Wäre der Kläger mit seiner damaligen Ehefrau nicht verheiratet gewesen, so stünde ihm der Abzug zu, auch wenn er mit ihr dauernd zusammen gelebt hätte; der familienrechtliche Status des Verheiratetseins ist der ausschließliche gesetzliche Anknüpfungspunkt dafür, dem Kläger ―der ein Kind zu unterhalten hat― den Sonderausgabenabzug zu versagen. Die Regelung wirkt sich damit nachteilig auf die Ausübung der durch Art. 6 GG grundrechtlich geschützten Freiheit, zu heiraten, aus (zu den verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. bspw. Stephan in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, August 1993, § 10 EStG Rz. 220 f.; auch Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl. 1995, § 10 Rz. 145 f.; Blümich/ Hutter, Einkommensteuergesetz, März 1999, § 10 Rz. 543; Meier, Finanz-Rundschau 1990, 741 f., und insbesondere ausführlich zu den bereits im Gesetzgebungsverfahren geäußerten verfassungsrechtlichen Einwendungen Scheuermann-Kettner, Der Betrieb ―DB― 1989, 2139 ff.).
Das nach der Gesetzesbegründung im Vordergrund stehende Ziel der gesetzlichen Regelung, arbeitsmarktpolitische Effekte zu erreichen (vgl. BTDrucks 11/4688, S. 10 und 12, "vornehmlich aus arbeitsmarktpolitischen Gründen"; es ist nicht erforderlich, dass die Beschäftigte Kinder betreut; kritisch hierzu Scheuermann-Kettner, DB 1989, 2139 ff., A. II.), rechtfertigt eine Benachteiligung des Klägers nicht. Das Gebot folgerichtiger Umsetzung der vom Gesetzgeber einmal getroffenen Belastungsentscheidung im Sinne der Belastungsgleichheit verlangt, den verheirateten Arbeitgeber nicht anders als den alleinstehenden zu behandeln (vgl. bspw. BVerfG-Urteil vom 6. März 2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, 112f, 123, BStBl II 2002, 618, und Leitsatz 2 zum Gebot der Gleichbehandlung und der zweckgerechteren Ausgestaltung bei nichtfiskalischen Förderungs- und Lenkungszielen steuerrechtlicher Normen).
Soweit die Regelung nach der Gesetzesbegründung weiter einen Abbau der Mehrfachbelastungen durch Beruf, Haushalt und Betreuung bezweckt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Februar 2001 XI R 29/00, BFHE 195, 181, BStBl II 2001, 974), ist auch dies kein Rechtfertigungsgrund für die Benachteiligung des verheirateten Klägers. Abgesehen davon, dass sich der besondere verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie auf die "Doppelverdienerehe" ebenso wie auf die "Alleinverdienerehe" erstreckt (BVerfG in BStBl II 2003, 534), war der Kläger im Streitfall auf Grund der Erkrankung seiner Ehefrau bei typisierender Betrachtung nicht weniger einer Mehrfachbelastung durch Beruf, Haushalt und Betreuung ausgesetzt als ein Alleinstehender. Auch insoweit ist das Gebot folgerichtiger Umsetzung verletzt. Darauf, ob die Haushaltshilfe auch die Ehefrau mit versorgt haben mag, kommt es nicht an (vgl. Scheuermann-Kettner, DB 1989, 2141 f.).
bb) Die vom FG angestellten Kompensationsüberlegungen in Bezug auf das Ehegattensplitting sind nicht geeignet, bestehende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung auszuräumen.
Das Splittingverfahren knüpft an das bürgerlich-rechtlich normierte Institut der Ehe und die Realität der intakten Durchschnittsehe an (Zugewinngemeinschaft und Versorgungsausgleich). Es entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, indem es davon ausgeht, dass zusammenlebende Eheleute eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur Hälfte teilhat und damit ein Transfer steuerlicher Leistungsfähigkeit zwischen den Partnern stattfindet (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, 726 f.; BFH-Urteil vom 17. April 1998 VI R 16/97, BFHE 185, 475, BStBl II 1998, 473; BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 157). Diese das Splittingverfahren rechtfertigenden Gründe sind nicht auf Alleinerziehende übertragbar (BFH-Urteil vom 31. Juli 1997 III R 31/90, BFH/NV 1998, 439), weil zwischen Alleinerziehenden und ihren Kindern weder wirtschaftlich noch familienrechtlich eine Gemeinschaft des Erwerbs besteht, die zu einer anteiligen Teilhabe am Familieneinkommen führt, sondern ein Unterhaltsverhältnis (BFH-Urteil vom 27. Juni 1996 IV R 4/84, BFHE 181, 31).
Stellt das Ehegattensplitting mithin eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung dar (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 157; zum Realsplitting vgl. BFH-Beschluss vom 13. März 1995 X B 158/94, BFH/NV 1995, 777), so ist es nicht geeignet, ehebedingte steuerliche Nachteile zu kompensieren. Der Gesetzgeber hat durch die Besteuerung der Alleinstehenden mit dem Grundtarif und der Verheirateten mit dem Splittingtarif diese bei gleicher Leistungsfähigkeit (nur) gleichmäßig belastet.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist zwar eine gesetzliche Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen hinzunehmen, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Gleichbehandlung ausgeht und die Ehegatten teilweise begünstigt, teilweise benachteiligt werden, die Regelung im Ganzen sich aber vorteilhaft oder zumindest eheneutral auswirkt und wenn die gesetzlichen Vorteile denen zugute kommen, die zu den von der Benachteiligung Betroffenen gehören (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2000 XI B 75/99, BFH/NV 2001, 773, m.w.N.). Die Forderung der Eheneutralität der Regelung bezieht sich dabei auf den jeweils geregelten Sachkomplex, nur insoweit ist die gebotene Gesamtbetrachtung und Abwägung möglich. Dass sich die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG eheneutral verhielte, ist erkennbar nicht gegeben.
c) Der Gesetzgeber hat bei seiner Entscheidung, ob er Aufwand steuermindernd berücksichtigen will, die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der privaten Lebensführung zuzuordnen sind (BVerfG-Beschluss in BStBl II 2003, 534).
Mit § 10 Abs. 1 Nr. 8 EStG hat er im Einklang mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Steuererleichterung zur Abmilderung der Mehrfachbelastungen durch Beruf, Haushalt und kindbedingte Betreuung geschaffen (kritisch hierzu Stephan, a.a.O., § 10 EStG Rz. 220). Er hat dabei zutreffend berücksichtigt, dass dies zwar den Bereich der privaten Lebensführung betrifft, es sich hierbei aber auch um zwangsläufige Aufwendungen im Rahmen familiärer Unterhaltspflichten handeln kann. Für den faktisch zunehmend auf sich allein gestellten Kläger sind die Kosten der Haushaltshilfe für den Kindesunterhalt anfallende Kosten, die keine beliebige Einkommensverwendung darstellen, sondern zwangsläufigen pflichtbestimmten Aufwand. Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach finanzieller Leistungsfähigkeit ist dies ein maßgeblicher, die Abzugsmöglichkeit rechtfertigender Unterscheidungsgrund.
Unter dem Gebot steuerlicher Gleichbehandlung wäre es angesichts des Zwecks der Regelung nicht zu rechtfertigen, dem Kläger eine steuerliche Entlastung zu versagen, weil er ―auf sich gestellt― nur ein Kind zu betreuen hatte bzw. weil er verheiratet war. Darauf, ob sich die Ehepartner die Haushaltshilfe mehr oder weniger leisten können, ob es sich bei ihnen also um sog. gering- oder besserverdienende Eheleute handelt, kommt es für die Frage der steuerlichen Abzugsfähigkeit ―wie auch bei Alleinstehenden― nicht an.
3. Angesichts der verfassungsrechtlichen Bedenken ist zunächst die Möglichkeit einer abweichenden Festsetzung im Wege einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 zu prüfen (vgl. zur Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass z.B. BVerfG-Beschluss vom 10. November 1998 2 BvR 1220/93, BVerfGE 99, 268, BStBl II 1999, 193, m.w.N.). Eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 ist ein Grundlagenbescheid für den Festsetzungsbescheid. Das Verfahren über einen Folgebescheid kann grundsätzlich nach § 74 FGO ausgesetzt werden, um den Erlass eines Grundlagenbescheids herbeizuführen (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 1993 I R 30/93, BFHE 172, 304, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 31. Juli 1997 IX B 13/97, BFH/NV 1998, 201).
a) Eine sachliche Unbilligkeit i.S. des § 163 AO 1977 liegt vor, wenn die Festsetzung der Steuer zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwider läuft, dass die Festsetzung der Steuer unbillig erscheint, wenn also nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass die Besteuerung nach dem Gesetz zu einem vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führt (ständige Rechtsprechung, vgl. Nachweise z.B. Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 163 Rz. 32, 52; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 227 AO 1977 Tz. 40).
Ob die dargestellte Ungleichbehandlung des Klägers gegenüber Alleinstehenden insbesondere angesichts der dauerhaften Erkrankung der zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau des Klägers die Voraussetzungen einer sachlichen Unbilligkeit i.S. des § 163 AO 1977 erfüllt und eine niedrigere Steuerfestsetzung im Billigkeitsverfahren begründet, ist zunächst von der Finanzverwaltung zu prüfen. Eine Verpflichtung zur Billigkeitsmaßnahme kann im Streitverfahren nicht ausgesprochen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. September 2000 IV R 54/99, BFHE 193, 301, BStBl II 2001, 178, unter 2., m.w.N.).
b) Die Prüfung einer Billigkeitsmaßnahme erscheint dem Senat umso mehr geboten, als es sich bei der fraglichen gesetzlichen Regelung um auslaufendes Recht handelt und die verfassungsrechtlichen Fragen des Streitfalls durch die Rechtsprechung des BVerfG mittlerweile weitgehend im Sinne des Klägers rechtlich geklärt erscheinen (vgl. insbesondere BVerfG-Beschlüsse in BStBl II 2003, 534, und in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182).
Dass die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG mit ihrem Beschluss vom 23. November 1999 2 BvR 1455/98 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2000, 219) eine die Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a EStG angreifende Verfassungsbeschwerde wegen fehlender grundsätzlicher Bedeutung nicht zur Entscheidung angenommen hat, weil in der Regel für nicht mehr geltendes Recht kein über den Einzelfall hinausgreifendes Interesse an der Klärung der Verfassungsmäßigkeit nach Außerkrafttreten der entsprechenden Norm bestehe, steht dem nicht entgegen. Dieser Beschluss ist nach § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) nicht bindend (vgl. BVerfG-Beschluss vom 12. März 1980 1 BvR 643, 644/77, BVerfGE 53, 336, 348, und Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, 4. Aufl., 1997, S. 177), weil es sich nur um die Annahme der Verfassungsbeschwerde und nicht um eine Entscheidung in der Sache handelte. Die Bestimmungen über die Annahme einer Verfassungsbeschwerde des § 93a BVerfGG unterscheiden sich zudem grundlegend von den gesetzlichen Grundlagen für eine Vorlage gemäß Art. 100 GG.
Fundstellen
Haufe-Index 1151216 |
BFH/NV 2004, 940 |
DStRE 2004, 848 |
HFR 2004, 539 |