Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerdeschrift ohne Unterschrift; Verantwortlichkeit des GmbH-Geschäftsführers

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Wirksamkeit einer vom Prozeßbevollmächtigten nicht eigenhändig unterschriebenen Beschwerdeschrift.

2. Die Verantwortlichkeit für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten einer GmbH verbleibt auch dann bei deren Geschäftsführer, wenn dieser die tatsächliche Geschäftsführung durch einen Gesellschafter der GmbH, dem er Generalvollmacht erteilt hat, duldet.

 

Normenkette

FGO § 129 Abs. 1, § 142; ZPO § 114; AO 1977 §§ 34, 69

 

Tatbestand

Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war bis zum 30. April 1980 alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer einer GmbH, die inzwischen in Konkurs gefallen ist. Alleiniger Gesellschafter der GmbH war seit Ende 1978 der Kaufmann S, dem der Antragsteller bereits im Zeitpunkt seiner Bestellung als Geschäftsführer Anfang 1978 eine Generalvollmacht zur Vertretung der GmbH ausgestellt hatte. Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) nahm den Antragsteller wegen nicht abgeführter Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer der GmbH durch Haftungsbescheid nach § 69 i. V. m. § 34 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftenden in Anspruch.

Mit seiner beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klage gegen den Haftungsbescheid, über die noch nicht entschieden ist, macht der Antragsteller geltend, ihn treffe kein Verschulden an der Verletzung steuerlicher Pflichten, da die gesamte Geschäftsführung der GmbH und damit auch die Bearbeitung und Überwachung der Steuerangelegenheiten faktisch von Anfang an von dem Generalbevollmächtigten S wahrgenommen worden sei. Diesem gegenüber hätten ihm keine Überwachungs- und Kontrollpflichten obgelegen, weil es sich bei S nicht um eine von ihm hinzugezogene Hilfsperson, sondern um den alleinigen Gesellschafter der GmbH gehandelt habe.

Das FG wies den vom Antragsteller unter Darlegung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichem Erklärungsvordruck (§ 117 Abs. 3 und 4 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) gestellten Antrag auf Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren zurück. Es führte aus, die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Antragsteller habe die ihm obliegende Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer vorsätzlich verletzt. Seine Verantwortung als Geschäftsführer bleibe auch dann bestehen, wenn die Zuständigkeit für Steuerzahlungen aufgrund interner Abmachungen anderweitig geregelt gewesen sein sollte, denn öffentlich-rechtliche Pflichten könnten nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen außer Kraft gesetzt werden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG die Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren zu gewähren und ihm seinen Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt L., als Anwalt beizuordnen. Er macht geltend, die Verantwortung des gesetzlichen Vertreters sei daran geknüpft, daß es diesem tatsächlich und rechtlich möglich sei, seine Pflichten zu erfüllen. Im Streitfall sei ihm dies hinsichtlich der Steuerangelegenheiten der GmbH nicht möglich gewesen, weil der Gesellschafter S gewissermaßen in angemaßter Weise Geschäftsführeraufgaben wahrgenommen habe und ihn aus seinem Aufgabenbereich verdrängt habe. Das FG hätte in dieser Hinsicht den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Da es ihm wegen der angemaßten Geschäftsführertätigkeit des Gesellschafters S nicht möglich gewesen sei, sich um alle betrieblichen Angelegenheiten zu kümmern, habe er auch keine Kenntnis von den Unregelmäßigkeiten bei der Abführung der Lohnsteuer gehabt.

Die Beschwerdeschrift gegen den am 2. November 1984 zugestellten Beschluß des FG ist ausweislich des Eingangsstempels und eines dabei angebrachten Vermerks am 15. November 1984 vom Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers persönlich bei der Posteingangsstelle des FG abgegeben worden. Der Schriftsatz war nicht eigenhändig unterschrieben. Der Prozeßbevollmächtigte holte, nachdem er vom Berichterstatter des FG telefonisch auf die fehlende Unterschrift hingewiesen worden war, diese am 19. November 1984 auf dem Schriftsatz bei der Geschäftsstelle des FG nach. Er macht geltend, die Beschwerde sei frist- und formgerecht gemäß § 129 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt worden. Aus dem Diktatzeichen . . . und der am Ende des Schriftsatzes stehenden Wortfolge ,,. . . Rechtsanwalt" sei hinreichend ersichtlich, daß die Beschwerdeschrift von ihm herrühre. Weiter ergebe sich daraus, daß diese von ihm persönlich in der Klageannahmestelle des FG abgegeben worden sei, daß die Beschwerdeschrift für den Rechtsverkehr bestimmt gewesen sei und es sich nicht lediglich um einen Entwurf gehandelt habe. Die Unterschrift sei deshalb erst am 19. November 1984 nachgeholt worden, weil ihm der telefonisch übermittelte Hinweis des Berichterstatters erst an diesem Tage beim Abspielen des automatischen Anrufbeantworters bekannt geworden sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

Es bestehen Zweifel, ob die Beschwerde nicht bereits mangels der in § 129 Abs. 1 FGO vorgeschriebenen Schriftform unzulässig ist, denn die am 15. November 1984 beim FG eingegangene Beschwerdeschrift war vom Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers nicht eigenhändig unterschrieben. Auf die am 19. November 1984 nachgeholte Unterschriftsleistung kann nicht abgestellt werden, weil diese erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgt ist. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 129 Abs. 1 FGO) gegen den am 2. November 1984 (Freitag) zugestellten Beschluß des FG lief am Freitag, dem 16. November 1984, ab (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Frist kommt nicht in Betracht, weil die fehlende Unterschrift eines Rechtsanwalts unter einem Rechtsmittelschreiben nicht als entschuldigt angesehen werden kann (§ 56 Abs. 1 FGO).

Die Beschwerdeschrift gehört zu den bestimmenden Schriftsätzen, die zu ihrer Wirksamkeit grundsätzlich der eigenhändigen Unterschrift ihres Verfassers bedürfen, soweit das Rechtsmittel nicht (zulässig) zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Oktober 1972 III B 15/72, BFHE 107, 270, BStBl II 1973, 83). Nach der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des Großen Senats des BFH sind aber die Verfahrensvorschriften kein Selbstzweck. Auch sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozeßbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes bisher das Schriftlichkeitserfordernis, soweit es durch prozeßrechtliche Vorschriften zwingend gefordert wird, ausgelegt. Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muß feststehen, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, Neue Juristische Wochenschrift - NJW § 1980, 172; BFH-Beschluß vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242).

Nach diesen Auslegungskriterien wäre es möglich, die am 15. November 1984 beim FG eingegangene Beschwerdeschrift als formgerecht anzusehen. Denn aus dem Schriftstück kann neben dem zweifelsfreien Inhalt der Erklärung aus dem Diktatzeichen . . . und den maschinengeschriebenen Schlußworten ,,. . . Rechtsanwalt" in Verbindung mit den im Briefkopf aufgeführten Namen der Angehörigen der Rechtsanwaltskanzlei hinreichend deutlich entnommen werden, daß die Beschwerdeschrift von Rechtsanwalt L herrührte. Aus dem im Eingangsstempel des FG angebrachten Vermerk ,,Pers. abgegeben" geht ferner hervor, daß es sich bei dem Schriftsatz nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern daß er mit Wissen und Willen des Verantwortlichen in den Verkehr gelangt ist. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main hat dementsprechend für einen vergleichbaren Fall entschieden, daß dem Schutzzweck, dem das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift dienen soll, genügt ist, wenn der beim Rechtsmittelgericht zugelassene Anwalt eine von ihm nicht unterzeichnete Rechtsmittelschrift selbst zum Gericht bringt, sie dort bei der zuständigen Stelle abgibt und sich die Einlegung des Rechtsmittels bescheinigen läßt (Beschluß vom 1. November 1976 5 U 207/76, NJW 1977, 1246). Der Bundesgerichtshof (BGH) ist dieser Auffassung allerdings nicht gefolgt, wobei er u. a. auf den für das finanzgerichtliche Verfahren unerheblichen Gesichtspunkt abgestellt hat, daß die für die Gegenseite bestimmten Abschriften nur den gerichtlichen Eingangsstempel trugen und die Person, die den Schriftsatz übergeben hatte, nicht auswiesen (Urteil vom 29. September 1979 VI ZR 79/79, NJW 1980, 291). Der Senat braucht aber über die Wirksamkeit der Beschwerdeschrift nicht abschließend zu entscheiden, da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist.

Nach § 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das FG hat die Gewährung der beantragten Prozeßkostenhilfe zu Recht mit der Begründung abgelehnt, daß die bei ihm anhängige Klage gegen den Haftungsbescheid keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Es hat zutreffend ausgeführt, daß der Antragsteller als alleiniger Geschäftsführer der GmbH, die die von den Arbeitslöhnen ihrer Arbeitnehmer einbehaltenen Lohnsteuern und Kirchensteuern nicht an das FA abgeführt hat, den Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO 1977 zumindest grob fahrlässig verwirklicht hat. Das reicht für die Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner aus. Der Senat kann es für die Entscheidung im vorliegenden summarischen Verfahren dahingestellt sein lassen, ob die weitergehende Auffassung des FG zutrifft, wonach der Antragsteller die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten sogar vorsätzlich verletzt hat.

Die gegen seine Verantwortlichkeit hinsichtlich der Abführung der Steuerabzugsbeträge mit der Beschwerde erhobenen Einwendungen des Antragstellers greifen nicht durch. Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, es sei ihm nicht möglich gewesen, die Steuerangelegenheiten der GmbH ordnungsgemäß zu besorgen, weil der Gesellschafter S sich insoweit Geschäftsführungsbefugnisse angemaßt und ihn aus seinem Aufgabenbereich verdrängt habe. Wenn der Geschäftsführer der GmbH die tatsächliche Geschäftsführung durch einen anderen duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, daß dieser die steuerlichen Verpflichtungen der Gesellschaft ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt. Das gilt auch dann, wenn es sich - wie im Streitfall - bei dem Handelnden um einen Gesellschafter der GmbH handelt und der Geschäftsführer diesem Generalvollmacht erteilt hat. Denn die Verantwortlichkeit für die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen der GmbH gegenüber dem FA verbleibt nach dem Gesetz (§ 34 Abs. 1 AO 1977) beim Geschäftsführer. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nach § 103 der Reichsabgabenordnung, § 34 AO 1977 öffentlich-rechtlicher Natur und können daher nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen eingeschränkt oder beseitigt werden (vgl. z. B. Urteil vom 21. Mai 1969 I R 8/68, BFHE 96, 39, BStBl II 1969, 539). Ist der Geschäftsführer - worauf für den Streitfall das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren hindeutet - nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muß er als Geschäftsführer zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte der GmbH (BFH-Urteil vom 7. November 1963 V 45/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1964, 96). Zu diesem Verhalten hatte der Antragsteller insbesondere dann Anlaß, wenn er - wie er vorträgt - selbst der Auffassung war, daß der Gesellschafter S sich Geschäftsführungsbefugnisse anmaßte und ihn aus seinem Aufgabenbereich verdrängte. Er durfte es jedenfalls nicht über den Haftungszeitraum von 15 Monaten hinweg hinnehmen, daß ihn der Gesellschafter S von der Besorgung und Überwachung der Steuerangelegenheiten der GmbH ausschloß. Seine etwaige Unkenntnis von den durch den Gesellschafter S veranlaßten Unregelmäßigkeiten bei der Abführung der Lohnsteuer kann den Antragsteller demnach nicht entlasten. Auf den Umfang der tatsächlich von S wahrgenommenen Geschäftsführungsbefugnisse kommt es für die Haftung des Antragstellers nicht an. Das FG hatte deshalb - abgesehen davon, daß im summarischen Verfahren über die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ohnehin nur präsente Beweismittel verwendet werden können - keinen Anlaß, insoweit weitere Sachverhaltsfeststellungen zu treffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413875

BFH/NV 1986, 650

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