Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilerfolg einer AdV-Beschwerde
Leitsatz (NV)
1. Bis zum Erlaß der Grundsatzurteile des BFH vom 22. Juli 1997 VIII R 12/96 (BFHE 184, 34, BStBl II 1997, 761), VIII R 13/96 (BFHE 184, 46, BStBl II 1997, 767) und VIII R 57/95 (BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) bestanden ernstliche Zweifel daran, ob die auch hier streitigen "Ambros-Renditen" von den Finanzbehörden zu Recht der Einkommensbesteuerung unterworfen wurden.
2. Diese (nicht ungewichtigen) Zweifel in der rechtlichen Beurteilung der "Ambros-Fälle" führen im Streitfall dazu, daß die vom FG angeordnete Aussetzung der Vollziehung bis zum 22. Juli 1997 gerechtfertigt war, jedoch ab diesem Zeitpunkt nicht mehr aufrechterhalten bleiben kann.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) schloß im Jahr 1987 mit der Firma AMBROS S.A. (A) einen "Verwaltungsvertrag", aufgrund dessen sie der A am 9. März 1987 ein "Einlagekapital" in Höhe von 5 000 DM und am 5. Juli 1988 ein weiteres "Einlagekapital" in Höhe von 5 000 DM zur Verfügung stellte. Die A sollte dieses Kapital zusammen mit den Einlagen anderer Investoren dazu verwenden, an US-Börsen spekulative Geschäfte mit dem Ziel einer möglichst hohen Rendite zu tätigen. Vorgenommen werden sollten vorwiegend Stillhaltergeschäfte. Die A verpflichtete sich, das Einlagekapital mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu verwalten, übernahm jedoch keine Garantie für die Erzielung eines bestimmten Anlageerfolges. In den Vertragsbedingungen wurde darauf hingewiesen, daß die Kapitalanlagen spekulativen Charakter hätten und Verluste daher nicht ausgeschlossen werden könnten. Eine Nachschußpflicht des Investors bestehe nicht. Ein Guthaben sollte per Scheck bis zum 15. des auf das Quartalsende folgenden Monats an den Investor ausgezahlt werden.
Die A wies -- obwohl sie mit den von ihr getätigten Börsengeschäften überwiegend, mit Ausnahme des Streitjahres 1988, hohe Verluste erwirtschaftete -- gegenüber den Anlegern "Renditen" von 0,98 % bis 6,03 % je Monat aus. Diese "Renditen" zahlte die A entweder bis zum 15. des dem Quartalsende folgenden Monats per Scheck an die Anleger aus oder schrieb sie -- wenn die Anleger die Wiederanlage gewählt hatten -- ihren Einlagekonten gut.
Die Antragstellerin erhielt alle auf ihre Kapitaleinlagen entfallenden "Renditen" per Scheck ausgezahlt. Im Jahr 1989 kündigte sie den "Verwaltungsvertrag" und erhielt im selben Jahr ihre Einlagen in Höhe von 10 000 DM zurück. Die A konnte die "Renditen" und Anlagen derjenigen Anleger, die deren Auszahlung verlangten, infolge der erheblichen Spekulationsverluste nur durch Anwendung eines sog. Schneeballsystems, d. h. aus den Einlagen neu geworbener Anleger, leisten. Anfang 1991 brach das Schneeballsystem zusammen. Ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der A wurde mangels Masse abgelehnt. Die Verantwortlichen der A wurden wegen Betruges zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1988 gab die Antragstellerin die von der A gutgeschriebenen und ausgezahlten "Renditen" nicht an. Das Finanzamt X erließ daraufhin am 20. November 1989 einen Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1988. Nachdem das Finanzamt X durch eine Kontrollmitteilung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 6. Dezember 1993 von den im Streitjahr 1988 gutgeschriebenen und noch im selben Jahr an die Antragstellerin ausgezahlten "Renditen" in Höhe von 2 602 DM erfahren hatte, erließ es am 27. Dezember 1993 einen Einkommensteuerbescheid für 1988, in dem es diese "Renditen" als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfaßte.
Hiergegen hat die Antragstellerin nach erfolglosem Einspruch Anfechtungsklage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Den wiederholten Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1988 auszusetzen, lehnte sowohl das Finanzamt X als auch der zwischenzeitlich -- im Wege der Funktionsnachfolge -- örtlich zuständig gewordene Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) ab.
Die dagegen bei der zuständigen OFD erhobene Beschwerde der Antragstellerin hatte keinen Erfolg. Sodann hat die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1988 beim Finanzgericht (FG) beantragt. Das FG hat dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattgegeben, weil ernstlich zweifelhaft sei, ob es sich bei den von der Antragstellerin im Streitjahr bezogenen "Renditen" um steuerbare Einnahmen i. S. des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehandelt habe. Es hat die Vollziehung des angefochtenen Bescheids "bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung im Klageverfahren" ausgesetzt.
Mit der -- vom FG zugelassenen -- Beschwerde begehrt das FA, den Beschluß des FG aufzuheben, weil an dem Vorliegen von Einkünften i. S. des §20 EStG bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheides keine ernsthaften Zweifel bestünden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA hat teilweise Erfolg. Ihr ist insoweit stattzugeben, als das FG die Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1988 über den 22. Juli 1997 hinaus ausgesetzt hat. Im übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
1. Das FG hatte dem Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides aus seinerzeitiger Sicht zu Recht entsprochen.
a) Gemäß §69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides (= Verwaltungsaktes) auf Antrag auszusetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen eine Unklarheit in der Beurteilung von Tatsachen oder eine Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig erweisen könnte (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §69 Rdnr. 77, m. w. N.).
b) Bis zum Erlaß der -- ebenfalls "AMBROS-Fälle" betreffenden -- Grundsatzurteile des beschließenden Senats vom 22. Juli 1997 VIII R 12/96 (BFHE 184, 34, BStBl II 1997, 761), VIII R 13/96 (BFHE 184, 46, BStBl II 1997, 767) und VIII R 57/95 (BFHE 184, 21, BStBl II 1997, 755) bestanden ernstliche Zweifel daran, ob die auch hier streitigen "AMBROS-Renditen" von den Finanzbehörden zu Recht der Einkommensbesteuerung unterworfen wurden. So hatte sich denn auch der beschließende Senat in mehreren Beschwerdeentscheidungen für die Aussetzung der Vollziehung ausgesprochen (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 20. Dezember 1994 VIII B 143/94, BFHE 176, 263, BStBl II 1995, 262; vom 16. März 1995 VIII B 158/94, BFH/NV 1995, 680; vom 8. Februar 1995 VIII B 157/94, BFH/NV 1995, 773).
2. Diese (nicht ungewichtigen) Zweifel in der rechtlichen Beurteilung der "AMBROS-Fälle" sind indessen durch die genannten Grundsatzurteile des Senats vom 22. Juli 1997 in der Weise beseitigt worden, daß die Besteuerung der "AMBROS-Renditen" als Einkünfte aus Kapitalvermögen zutreffend erfolgte. Ab diesem Zeitpunkt (22. Juli 1997) ist deshalb die vom FG angeordnete Aussetzung der Vollziehung nicht mehr gerechtfertigt. Der angefochtene Beschluß des FG kann infolgedessen insoweit nicht aufrechterhalten bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 67241 |
BFH/NV 1998, 969 |