Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel, Überraschungsentscheidung; grundsätzliche Bedeutung, Erlass von Steuerschulden
Leitsatz (NV)
1. Eine gegen § 96 Abs. 2 FGO verstoßende Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der bereits im Einspruchsverfahren zwischen den Beteiligten erörtert worden war.
2. Ein Erlass von Steuerschulden setzt voraus, dass er dem Steuerpflichtigen und nicht einem Dritten (Gläubiger des Steuerpflichtigen) zugute kommt und dass der Steuerpflichtige erlassbedürftig und erlasswürdig ist.
Normenkette
FGO §§ 76, 96, 105 Abs. 5, § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3 S. 3; AO § 227
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.05.2006; Aktenzeichen 12 K 73/06) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision nur zuzulassen, wenn bei einem geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.
a) Verfahrensmangel in diesem Sinne sind Verstöße gegen das Gerichtsverfahrensrecht, die das Finanzgericht (FG) bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die zur Folge haben, dass eine ordnungsgemäße Grundlage für die Entscheidung im Urteil fehlt (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Juni 2006 XI B 154/05, BFH/NV 2006, 1862, m.w.N.). Dazu gehört auch ein Verstoß gegen § 76 FGO (Verletzung der Sachaufklärungspflicht) oder gegen § 96 Abs. 2 FGO (Verletzung des rechtlichen Gehörs).
Die Darlegung eines Verfahrensmangels verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben, unter gleichzeitigem schlüssigen Vortrag, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel möglicherweise anders ausgefallen wäre (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 49, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
b) Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat nicht schlüssig vorgetragen, aus welchen Tatsachen sich eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht oder eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die Vorinstanz ergeben soll. Auch fehlen schlüssige Darlegungen dazu, was der Kläger noch vorgetragen hätte und weshalb das FG zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können, wenn es ihn ausdrücklich und bereits vor der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hätte, dass der Gesichtspunkt der Verschuldung bei Dritten entscheidungserheblich sei.
Soweit die Rüge des Klägers dahin zu verstehen ist, dass das FG seine Entscheidung überraschend auch auf den Gesichtspunkt der Verschuldung bei Dritten gestützt und ihm dadurch das rechtliche Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) versagt habe, wäre diese Rüge unbegründet. Das FG hat zwar darauf abgestellt, dass der Erlass von Steuerschulden dem Steuerpflichtigen zugute kommen müsse und dies nicht der Fall sei, wenn noch weitere Gläubiger vorhanden seien, bei denen der Steuerpflichtige ebenfalls verschuldet sei. Dieser rechtliche Gesichtspunkt war aber zwischen den Beteiligten bereits im Einspruchsverfahren erörtert worden. Nachdem der Kläger dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) mit Schreiben vom 8. Juni 2000 eine Aufstellung sämtlicher Bankverbindlichkeiten übersandt hatte, die sich damals auf xxx.xxx,xx DM beliefen, teilte das FA dem Kläger mit Schreiben vom 20. Juni 2000 mit, dass ein Erlass der Steuerschulden nicht dem Kläger, sondern den anderen Gläubigern (Banken) zugute käme und deshalb ausgeschlossen sei. In der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2002 erläuterte das FA diesen Gesichtspunkt näher (Seite 5 Ziff. 2.3). Wenn das FG seine spätere Entscheidung dann ebenfalls hierauf stützt, kann darin keine unzulässige Überraschungsentscheidung gesehen werden (vgl. zum Verbot einer sog. Überraschungsentscheidung Gräber/Ruban, a.a.O., § 96 Rz 31 f., m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
2. Soweit die Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) gestützt wird, ist sie zumindest unbegründet.
a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein. Klärbar ist die Rechtsfrage dann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der betreffenden Rechtsfrage abhängt (z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. Dezember 1998 XI B 54/98, BFH/NV 1999, 664, und vom 29. Juli 2002 XI B 219/01, BFH/NV 2002, 1490, beide m.w.N.).
b) Der Kläger hat sinngemäß die Rechtsfrage aufgeworfen, ob in die Betrachtung, wem ein Erlass von Steuerschulden zugute kommt, auch solche Gläubiger des Steuerpflichtigen einzubeziehen sind, deren Befriedigung unabhängig von der Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen gewährleistet ist, weil ihnen Dritte Sicherheiten bestellt haben. Von der Klärung dieser Rechtsfrage hängt die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits jedoch nicht ab. Denn das FA und ihm folgend das FG haben ihre Auffassung, dass die Einziehung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Streitfall nicht unbillig ist, nicht allein darauf gestützt, dass der Erlass nicht dem Kläger zugute käme. Vielmehr haben sie auch darauf abgestellt, dass der Kläger nicht erlasswürdig ist. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass ein Erlass nicht nur voraussetzt, dass er dem Steuerpflichtigen und nicht einem Dritten (Gläubiger des Steuerpflichtigen) zugute kommt, sondern auch, dass der Steuerpflichtige erlassbedürftig und erlasswürdig ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1965 I 390/61, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965, 483, und BFH-Beschlüsse vom 26. Oktober 1999 V B 130/99, BFH/NV 2000, 411; vom 18. Juli 2002 V B 52/02, BFH/NV 2002, 1546; vom 12. Mai 2003 V B 252/02, BFH/NV 2003, 1285; vom 8. August 2006 X B 31/06, juris).
3. Soweit der Kläger außerdem geltend macht, er sei entgegen der Ansicht des FA, die sich das FG zu eigen gemacht hat (§ 105 Abs. 5 FGO), erlasswürdig und erlassbedürftig, hat er weder einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Letztlich setzt der Kläger seine eigene Tatsachenwürdigung und Rechtsansicht anstelle der des FG. Damit kann jedoch die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreicht werden. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn für einen darüber hinausgehenden offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht Anhaltspunkte ersichtlich sind (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. September 2001 V B 77/00, BFH/NV 2002, 359; vom 7. Februar 2005 IX B 239/02, BFH/NV 2005, 1052). Solche Anhaltspunkte bestehen im Streitfall jedoch nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 1797592 |
BFH/NV 2007, 1826 |