Leitsatz (amtlich)
Der Grundsatz, daß bei der Erhebung von Eingangsabgaben ein berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an einem vorläufigen Rechtsschutz in der Regel nicht anerkannt werden kann (Beschluß VII B 16, 46, 53, 56, 57, 69, 126/68 vom 30. April 1969, BFH 96, 8, BStBl II 1969, 528) gilt nicht, soweit solche Abgaben nach der Freigabe der eingeführten Ware nachgefordert werden.
Normenkette
FGO § 69
Tatbestand
Die Antragstellerin führte in der Zeit vom 10. Juni 1967 bis 17. August 1968 zwanzig Sendungen einer von ihr als wolframhaltiges Umschmelzmaterial bzw. legierter Schrott bezeichneten Ware ein. Bei der Abfertigung zum freien Verkehr wies das Zollamt (ZA) dieses Erzeugnis der Zolltarifnr. 73.03 zu und beließ es zoll- und - bis 31. Dezember 1967 - ausgleichsteuerfrei. Die darüber erteilten formlosen Bescheide wurden in fast allen Fällen mit der Begründung als vorläufig bezeichnet, daß Zweifel hinsichtlich der Tarifierung der Ware bestünden. In ihren endgültigen Zollbescheiden vom 6. und 11. September 1968 reihte das Zollamt die eingeführte Ware unter die Zolltarifstelle 73.01 - D - II ein und forderte von der Antragstellerin insgesamt 74 766,10 DM Zoll und 59 167,20 DM Ausgleichsteuer nach.
Diese legte gegen beide Bescheide Einspruch ein.
Durch Beschlüsse vom 6. Februar 1969 setzte das FG auf den Antrag der Steuerpflichtigen die Vollziehung der Zolländerungsbescheide aus. Zur Begründung führte es aus, daß an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte hinsichtlich der Tarifierung der von der Antragstellerin eingeführten Ware ernstliche Zweifel bestünden.
Mit den gegen diese Beschlüsse erhobenen Beschwerden wendet sich der Antragsgegner vor allem gegen die Tarifauffassung des FG und macht geltend, daß in dieser Hinsicht keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Zollbescheide erkennbar seien.
Unabhängig davon fehle es auch an einem berechtigten Interesse der Steuerpflichtigen an einem vorläufigen Rechtsschutz, da es sich bei den von ihr geforderten Steuern um Eingangsabgaben handle. Daran ändere es nichts, daß diese Abgaben nach der Weiterveräußerung der Ware nachgefordert worden seien. Denn bei ihrer Abfertigung zum freien Verkehr seien ausdrücklich nur vorläufige Bescheide erteilt worden, und die Antragstellerin habe deshalb mit den Nachforderungen rechnen müssen.
Das Hauptzollamt (HZA) beantragt, die Beschlüsse des FG aufzuheben und die Anträge der Steuerpflichtigen auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.
Die Steuerpflichtige beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerden haben keinen Erfolg.
Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht die Vollziehung eines Verwaltungsaktes auf Antrag des Steuerpflichtigen ganz oder teilweise aussetzen. Nach dem dafür sinngemäß geltenden § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Aussetzung u. a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Die danach für die Entscheidung über das Begehren der Antragstellerin bedeutsamen Erfolgsaussichten des von ihr eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahrens können nicht deshalb außer Betracht bleiben, weil es im Streitfall um die Erhebung von Zöllen und von Ausgleichsteuer, also von Eingangsabgaben geht. Denn dadurch wird weder das Rechtsschutzbedürfnis der Steuerpflichtigen im Sinne einer Verfahrensvoraussetzung für die von ihr beantragte gerichtliche Anordnung ausgeschlossen noch rechtfertigt dieser Umstand eine Ausnahme von der durch § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgestellten Regel.
Allerdings hat der Senat wiederholt zuletzt durch Beschluß VII B 16, 46, 53, 56, 57, 69, 126/68 vom 30. April 1969 (BFH 96, 8, BStBl II 1969, 528) entschieden, daß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines steuerrechtlichen Verwaltungsaktes für sich allein die Aussetzung der Vollziehung nicht rechtfertigen, wenn besonders schwerwiegende öffentliche Interessen an der alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes bestehen. Er hat ferner mehrfach ausgesprochen, daß aus diesem Grunde bei Zöllen und sonstigen Eingangsabgaben in der Regel ein berechtigtes Interesse des Abgabenschuldners an einer Aussetzung der Vollziehung nicht anerkannt werden könne. Es ist jedoch zu beachten, daß allen diesen Fällen Steuerfestsetzungen zugrunde lagen, welche bei der Abfertigung der eingeführten Waren zum freien Verkehr vorgenommen worden waren. Im Streitfall handelt es sich hingegen um eine erst nach der Freigabe der eingeführten Ware erfolgte Nachforderung von Eingangsabgaben und das gebietet eine andere Beurteilung der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes maßgebenden Interessenlage.
Wie dem oben angeführten Beschluß vom 30. April 1969 zu entnehmen ist, hat nämlich der erkennende Senat das besondere öffentliche Interesse an der alsbaldigen Entrichtung von Eingangsabgaben im wesentlichen aus der Eigenart der für die Erhebung und Sicherung dieser Abgaben geltenden gesetzlichen Vorschriften hergeleitet. Danach werden die aus dem Ausland eingeführten Waren vom Überschreiten der Zollgrenze an unter zollamtliche Überwachung gestellt und einer dinglichen Haftung für die sie belastenden Abgaben unterworfen. Von diesen Bindungen werden sie grundsätzlich erst freigestellt, nachdem die bei ihrer Abfertigung zum freien Verkehr vom ZA festgesetzten Eingangsabgaben entrichtet sind (§ 38 ZG, § 121 AO). In dieser Regelung hat der Senat eine besonders wirksame Gestaltung des mit der Erhebung der Zölle und anderer Eingangsabgaben bezweckten Wettbewerbsschutzes für die inländische Wirtschaft gesehen. Denn sie führt dazu, daß der Importeur über eine eingeführte Ware regelmäßig erst verfügen kann, nachdem er die dafür geschuldeten Abgaben entrichtet hat.
Das geschilderte Verfahren und die mit ihm verbundenen Wirkungen greifen jedoch nur insoweit Platz, als die Eingangsabgaben bei der Zollabfertigung festgesetzt werden. Bei Nachforderungen, welche aufgrund einer späteren Berichtigung oder Nachholung der Steuerfestsetzung geltend gemacht werden, befindet sich dagegen die Ware bereits im freien Verkehr. Sie kann daher durch die nachgeforderten Eingangsabgaben nicht mehr in der gleichen unmittelbaren und sofort wirksam werdenden Weise belastet werden, wie es bei der im Rahmen der Zollabfertigung erfolgenden Abgabenfestsetzung der Fall ist. Infolgedessen fällt es auch im Hinblick auf den mit diesen Abgaben bezweckten Schutz der inländischen Wirtschaft nicht so sehr ins Gewicht, ob sie, wenn ihre Erhebung bei der Zollabfertigung unterblieben ist, nach Feststellung des Fehlers sofort oder erst nach Rechtskraft des Nachforderungsbescheides entrichtet werden.
Aus diesen Gründen ist der erkennende Senat der Auffassung, daß bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden, mit denen Eingangsabgaben für bereits in den freien Verkehr getretene Waren nachgefordert werden, allein wegen der Art dieser Abgaben ein besonderes und überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung nicht anerkannt werden kann.
Ebensowenig kann im Streitfall der Tatsache eine besondere Bedeutung beigemessen werden, daß die vom ZA bei der Abfertigung der eingeführten Waren erteilten Abgabenbescheide unter Hinweis auf die hinsichtlich ihrer Tarifierung bestehenden Zweifel ausdrücklich als vorläufig bezeichnet worden waren. Zwar mußte infolgedessen die Antragstellerin mit der Möglichkeit einer Nachforderung rechnen; ferner hat der Senat in dem wiederholt erwähnten Beschluß vom 30. April 1969 auch darauf hingewiesen, daß der Abgabenpflichtige die für die Entrichtung der Eingangsabgaben notwendigen Mittel bei einem mit der erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt betriebenen Einfuhrgeschäft durch Weiterveräußerung der Ware von seinen Abnehmern hereinholen werde. Sein Interesse an der Aussetzung der Vollziehung von Eingangsabgabenbescheiden habe deshalb im allgemeinen nur eine geringe rechtliche Bedeutung. Jedoch stehen diese Ausführungen in deutlichem Zusammenhang mit den vorher erörterten §§ 38 ZG und 121 AO und können deshalb nur auf solche Eingangsabgaben bezogen werden, welche unmittelbar bei der Zollabfertigung festgesetzt wurden. Es erscheint dem Senat nicht gerechtfertigt, dem genannten Gesichtspunkt bei der Beurteilung des Interesses des Steuerpflichtigen an der Aussetzung der Vollziehung eines Nachforderungsbescheides die gleiche Bedeutung beizumessen. Der Umstand, daß die Antragstellerin im Streitfall mit einer Nacherhebung von Zoll und Ausgleichsteuer rechnen mußte, bildet deshalb - jedenfalls für sich allein - keinen ausreichenden Grund, von der im ersten Halbsatz des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgestellten Regel abzuweichen.
Fundstellen
Haufe-Index 412943 |
BStBl II 1970, 572 |