Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfehler; Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Schätzung der Besteuerungsgrundlagen
Leitsatz (NV)
1. Die schlüssige Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs erfordert insbesondere Darlegungen, was der Beschwerdeführer bei einer ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können.
2. Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, so sind Ausführungen dazu erforderlich, aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwieweit die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner muss dargelegt werden, weshalb in der mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Beweisanträge gestellt wurden.
Normenkette
AO 1977 § 162 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 119 Nr. 6; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 22.03.2006; Aktenzeichen 4 K 2994/05) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen in der Beschwerdeschrift diese Voraussetzungen dargelegt werden. Hierzu sind schlüssig Tatsachen vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass ein Verfahrensmangel vorliegt und dass das angefochtene Urteil auf ihm beruhen kann. Dabei ist der materiell-rechtliche Standpunkt des Finanzgerichts (FG) zugrunde zu legen (ständige Rechtsprechung, z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. Juli 1999 VIII R 12/98, BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731). Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensmängel nicht.
1. Eine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) erfordert insbesondere eine substantiierte Darlegung, was der Beschwerdeführer bei einer ausreichenden Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (BFH-Beschluss vom 30. November 2001 III B 107/01, BFH/NV 2002, 526). An einem derartigen Vortrag fehlt es.
a) Die Klägerin macht geltend, ihr sei der nach der mündlichen Verhandlung eingegangene Schriftsatz des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamts --FA--) vom 28. März 2006 nicht übersandt worden. Darin führe das FA aus, dass es sich bei den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Bons nicht um Tagesendsummen-Bons, sondern lediglich um Stunden-Bons handle. Die Klägerin legt weder dar, was sie noch vorgetragen hätte, wenn ihr der Schriftsatz übermittelt worden wäre, noch inwiefern dieses Vorbringen zu einer anderen Entscheidung des FG hätte führen können.
Das FG hat zwar in Übereinstimmung mit dem FA die Kassenbuchführung der Klägerin in den Jahren 2000 und 2001 für nicht ordnungsgemäß erachtet und dies mit den fehlenden Tagesendsummen-Bons begründet. Es hat aber unabhängig hiervon und von den fehlenden Inventurunterlagen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) auch aufgrund der Nachkalkulation des FA für geboten erachtet (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 1994 IV R 6/93, BFH/NV 1995, 573). Nach dem insoweit allein maßgeblichen Rechtsstandpunkt des FG (BFH-Urteil in BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731) war es daher unerheblich, ob es sich bei den vorgelegten Bons um Stunden-Bons oder Tagesendsummen-Bons handelte.
b) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs darin sieht, dass nicht erkennbar sei, wie der Betriebsprüfer zu seinem Schätzergebnis gekommen sei, trägt sie nicht vor, welches Vorbringen das FG entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Oktober 2003 III B 5/03, BFH/NV 2004, 164).
Entgegen den Ausführungen der Klägerin hat im Übrigen das FG die Schätzung erläutert. Zunächst hat es dargestellt, dass eine Einzelkalkulation anhand der Aufschlagsätze der Klägerin auf den Wareneinsatz für Bier und Spirituosen anhand der Speisekarte und für Speisen anhand der Tageskarte zu erheblich höheren Betriebseinnahmen geführt hätten als erklärt. Sodann hat es ausgeführt, dass die Schätzung des FA mit dem mittleren Aufschlagsatz der Richtsatzsammlung für Speisegaststätten deshalb nicht zu beanstanden sei, weil bereits die Einzelkalkulation dieser drei Warengruppen zu wesentlich höheren Betriebseinnahmen, als der Besteuerung tatsächlich zugrunde gelegt, geführt habe. Da die Schätzung begründet wurde, bedarf es keiner Prüfung, ob die Klägerin mit ihrem Vorbringen zugleich einen wesentlichen Verfahrensmangel nach § 119 Nr. 6 FGO geltend macht.
2. Ob das FG die Höhe der Einnahmen zutreffend geschätzt hat, kann im vorliegenden Verfahren nicht überprüft werden, da die dabei zu beachtenden Grundsätze revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen sind (BFH-Beschluss vom 31. Mai 2005 VIII B 294/03, BFH/NV 2005, 1832). Gleiches gilt, soweit die Klägerin geltend macht, die Schätzung des FG beruhe auf einem Verstoß gegen Denkgesetze (BFH-Beschluss vom 22. Juni 1999 X B 25/99, BFH/NV 1999, 1612).
3. Soweit die Klägerin als weiteren Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung rügt (§ 76 Abs. 1 FGO), fehlt es ebenfalls an einer ausreichenden Begründung (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen oder aus welchen Gründen sich die Notwendigkeit einer Beweiserhebung dem FG auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Ferner muss dargelegt werden, weshalb in der mündlichen Verhandlung keine entsprechenden Beweisanträge gestellt wurden (z.B. BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2004 XI B 213/02, BFH/NV 2005, 566).
Die Klägerin macht geltend, sie habe im finanzgerichtlichen Verfahren 12 Bescheinigungen ehemaliger Kunden eingereicht, aus denen sich ergebe, dass sie in den Streitjahren Sonderaktionen in erheblichem Umfang durchgeführt habe. Gleichwohl habe das FG diese Bescheinigungen weder zum Anlass genommenen, die Betriebseinnahmen mit einem niedrigeren als dem mittleren Aufschlagsatz der Richtsatzsammlung für Speisegaststätten zu schätzen, noch die Stammkunden als Zeugen zu vernehmen. Damit ist eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht schlüssig dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Die Klägerin trägt nicht vor, welchen Inhalt diese Bescheinigungen im Einzelnen hatten, weshalb sich dem FG hieraus eine Vernehmung der ehemaligen Stammgäste oder eine abweichende Schätzung hätte aufdrängen müssen, zu welchen konkreten Tatsachen die Gäste als Zeugen hätten befragt werden sollen, was für Tatsachen sie voraussichtlich bekundet hätten, dass diese Bekundungen geeignet gewesen wären, zu einer abweichenden Entscheidung des FG zu führen, und weshalb die fachkundig vertretene Klägerin nicht von sich aus in der mündlichen Verhandlung entsprechende Beweisanträge gestellt hat.
Fundstellen