Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfolgsaussichten im Verfahren wegen Bewilligung von PKH; Einspruchszugang; Wiedereinsetzung

 

Leitsatz (NV)

Für den wirksamen Zugang seines Einspruchs innerhalb der Einspruchsfrist trifft den Steuerpflichtigen die Feststellungslast (Anschluß an das BFH-Urteil vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BFHE 121, 142, BStBl II 1977, 321). Zu den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO 1977.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO § 114; AO 1977 § 357 Abs. 1-2, § 110

 

Tatbestand

Im Streitjahr 1978 war der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) an der A-KG beteiligt. Gegenstand des Unternehmens war der Betrieb von einer Diskothek. Durch Gesellschaftsvertrag vom 4. November 1977 hatte der Kläger diese Gesellschaft zusammen mit dem Hotelkaufmann F gegründet. Persönlich haftender Gesellschafter der A-KG war die A-GmbH, zu deren alleinvertretungsberechtigtem Geschäftsführer der Kläger bestellt wurde. Nach Nr. 5 des Protokolls der Gesellschafterversammlung der A-KG vom 4. November 1977 erfolgte die Errichtung der KG mit Wirkung von dem Tage, der dem Tag der Eintragung der A-GmbH im Handelsregister des zuständigen Amtsgerichts (7. Dezember 1977) nachfolgt. Nach den Anmeldungen des Klägers und des Gesellschafters F zum Handelsregister vom 6. April 1978 und 6. Juni 1978 hat die A-KG am 8. Dezember 1977 begonnen. Am 24. März 1980 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der A-KG eröffnet. Am 10. September 1980 wurde das Verfahren mangels Masse eingestellt.

Da eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte der A-KG und eine Gewinnermittlung nicht abgegeben wurden, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen. Dabei berücksichtigte es die Feststellungen, die die zuständige Steuerfahndungsstelle im Zuge einer ab 12. Oktober 1978 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung getroffen hatte und die in dem Prüfungsbericht vom 2. August 1979 niedergelegt sind. Den Feststellungen liegen Geschäftsgrundlagen zugrunde, welche die Steuerfahndungsstelle am 28. August 1978 beschlagnahmt hatte. Nach Angaben des FA wurden nur Unterlagen für die Zeit vom Dezember 1977 bis August 1978 sichergestellt und teilweise an F bzw. den ehemaligen Steuerberater der A-KG zurückgegeben. Für das gesamte Streitjahr schätzte das FA den Gewinn aus Gewerbebetrieb auf 287 521 DM. Einen gleichhohen Gewinn hatte die Steuerfahndungsstelle nur für das erste Halbjahr 1978 ermittelt. Der Feststellungsbescheid 1978 vom 31. Oktober 1980 wurde dem Kläger bekanntgegeben.

Mit Schreiben vom 26. Januar 1981, das am 27. Januar 1981 beim FA einging, wies der Kläger darauf hin, daß er gegen den Feststellungsbescheid 1978 fristgerecht Einspruch erhoben habe. Nachdem das FA mehrmals mitgeteilt hatte, daß ihm ein Einspruchsschreiben innerhalb der Rechtsbehelfsfrist nicht zugegangen sei, legte der vom Kläger bevollmächtigte Rechtsanwalt mit Schreiben vom 8. Dezember 1981 die Ablichtung eines Schreibens vom 15. November 1980 vor, in dem der Kläger gegen den Feststellungsbescheid 1978 Einspruch erhoben hatte. Außerdem reichte der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 13. Januar 1982 eine am 12. Januar 1982 abgegebene eidesstattliche Versicherung ein, wonach der Kläger das genannte Schreiben mit einfachem Brief an demselben Tag (15. November 1980) an das FA abgesandt habe.

Der Kläger erhob außerdem Einwendungen gegen die Richtigkeit der vom FA geschätzten Besteuerungsgrundlagen. Das FA habe den Wareneinsatz unzutreffend ermittelt, da es von falschen Warenbeständen ausgegangen sei. Durch die Gewährung von Rabatten, durch die Ausgabe von Freigetränken, durch verschiedene Sonderveranstaltungen, durch Personalverzehr und Diebstahl seien die vom FA geschätzten Umsätze nicht zu erzielen gewesen. Speisen seien gratis abgegeben worden. Ein Herr H habe in erheblichem Umfang Barbeträge der KG zur Verfügung gestellt. Daß die vom FA geschätzten Gewinne nicht erzielbar gewesen seien, zeige auch der Umstand, daß er im Zuge der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der KG sein gesamtes Vermögen von ca. 500 000 DM verloren habe.

Schließlich habe das FA nicht beachtet, daß das wirtschaftliche Ergebnis aus dem Betrieb der Diskothek im Streitjahr nicht der A-KG, sondern der A-GmbH zuzurechnen sei. Die KG sei erst Ende 1978 ins Handelsregister eingetragen worden.

Das FA wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 27. Mai 1982 als unbegründet zurück.

Daraufhin hat der Kläger als Gesellschafter der A-KG Klage erhoben und mit Schriftsatz vom 30. August 1982 beantragt, ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen.

Mit Beschluß vom 7. November 1986 hat das Finanzgericht (FG) diesen Antrag abgelehnt.

Es führt im wesentlichen aus: Das Klageverfahren betreffe die Gewinnfeststellung der A-KG. Klagebefugt seien gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der geschäftsführende Gesellschafter bzw. nach Konkurseröffnung sämtliche Gesellschafter. Es läge in diesen Fällen aber kein Handeln im eigenen Namen vor, sondern Handlungen der Vertreter für die Gesellschaft. Gemäß § 142 FGO in Verbindung mit § 116 Nr. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) erhalte eine inländische juristische Person oder parteifähige Vereinigung auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden könnten und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde. Es sei nicht ersichtlich, daß im Streitfall außer den Vermögensinteressen der Beteiligten allgemeine Interessen betroffen wären.

Es fehle auch an hinreichenden Erfolgsaussichten nach § 142 FGO in Verbindung mit § 114 ZPO. Denn gegen die vom FA durchgeführte Schätzung beständen keine durchgreifenden Bedenken. Die Einwendungen des Klägers seien so allgemein gehalten, daß sie die Richtigkeit dieser Schätzung nicht zu erschüttern vermöchten. Aufgabe der KG wäre es gewesen, für das Streitjahr eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte, eine Bilanz und eine Gewinnermittlung einzureichen. Dies sei jedoch bisher nicht geschehen.

Unbegründet sei auch der Einwand, die Gewinne seien der A-GmbH zuzurechnen. Dies widerspräche den eigenen Angaben des Klägers und des Gesellschafters F, wonach die A-KG am 8. Dezember 1977 begonnen habe.

Außerdem beständen Zweifel daran, ob dem Kläger allein aufgrund seiner eidesstattlichen Versicherung vom 12. Januar 1982 wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 der Abgabenordnung (AO 1977) zu gewähren sei.

Gegen diesen Beschluß, der ihm am 13. November 1986 zugestellt wurde, hat der Kläger am 24. November 1986 persönlich Beschwerde eingelegt und gleichzeitig beantragt, ihm Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Die nach § 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat er nicht vorgelegt.

Er führt im wesentlichen aus: Eine Feststellungserklärung habe nicht abgegeben werden können, da die gesamten Unterlagen von der Steuerfahndung im August 1978 beschlagnahmt worden seien. Dabei habe es sich nicht nur um Unterlagen des Streitjahres, sondern auch um Unterlagen aus dem Jahre 1977 gehandelt. Zwar habe das FA im März 1980 die Herausgabe der Unterlagen an einen Steuerberater angeboten. Es sei jedoch bei dem bloßen Angebot geblieben. Der Warenbestand habe nicht, wie im Prüfungsbericht angegeben, 40 000 DM betragen, sondern sei um 70 000 DM höher gewesen. Eine Inventur sei vom FA nicht vorgenommen worden. Die Gesamtherstellungskosten für den Umbau des Lokals hätten 650 000 DM betragen; davon seien 300 000 DM bereits im Jahre 1977 angefallen. Die Verzehrkarten, die täglich nach Nummern sortiert und gebündelt aufbewahrt worden wären, seien vom FA nicht als Umsatznachweis berücksichtigt worden.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird als unbegründet abgelehnt.

1. Nach § 142 FGO in Verbindung mit § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg.

a) An den Erfolgsaussichten fehlt es schon deshalb, weil der Kläger nicht innerhalb der Beschwerdefrist die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem amtlich vorgeschriebenen Vordruck abgegeben hat (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1986 IV S 7/86, IV B 49/86, BFHE 148, 13, BStBl II 1987, 62).

b) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat aber auch deswegen keine Erfolgsaussichten, weil der Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1978 verspätet war. Eine Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO 1977 kommt nicht in Betracht, da die Jahresfrist nach § 110 Abs. 3 AO 1977 bereits abgelaufen war, als der Kläger das Einspruchsschreiben vom 15. November 1980 und die eidesstattliche Versicherung vom 12. Januar 1982 vorlegte.

Gemäß § 357 Abs. 1 AO 1977 sind Rechtsbehelfe (Einspruch, Beschwerde) als empfangsbedürftige Willenserklärungen beim zuständigen FA einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Soweit Zweifel über die rechtzeitige Anbringung (§ 357 Abs. 2 AO 1977) bestehen, trägt der Steuerpflichtige hierfür die Feststellungslast (vgl. BFH-Urteil vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BFHE 121, 142, BStBl II 1977, 321). An einem wirksamen Zugang des Einspruchs innerhalb der Rechtsbehelfsfrist, die am 3. Dezember 1980 abgelaufen war (§ 122 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 355 Abs. 1 AO 1977), fehlt es im Streitfall. Das Original des Einspruchsschreibens vom 15. November 1980 befindet sich nicht in den Feststellungsakten. Es wurde lediglich eine nicht beglaubigte Fotokopie als Anlage zum Schreiben des damaligen Bevollmächtigten vom 8. Dezember 1981 vorgelegt. Zwar hat der Kläger im Schreiben vom 26. Januar 1981 erklärt, gegen den ,,Feststellungsbeschluß" fristgerecht Einspruch erhoben zu haben. Aber selbst wenn man hierin eine Einspruchseinlegung sieht, war sie verspätet. Auf diesen Umstand und auf die Tatsache, daß das Einspruchsschreiben nicht bei ihm eingegangen war, hat das FA den Kläger bzw. seinen damaligen Bevollmächtigten mehrfach hingewiesen (Schreiben vom 7. Februar 1981, vom 4. April 1981 und vom 3. Dezember 1981). Selbst wenn der Kläger mit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 12. Januar 1982 glaubhaft gemacht hat, das Schreiben noch am 15. November 1980 an das FA abgesandt zu haben, beweist dies nichts gegen die Richtigkeit der wiederholten Versicherung des FA, daß der Einspruch nicht innerhalb der Einspruchsfrist bei ihm einging.

Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO 1977 kommt hier nicht in Betracht: Sie kann auf Antrag gewährt werden, wenn der Steuerpflichtige ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 110 Abs. 1 AO 1977). Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 110 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO 1977). Der Kläger hat weder einen Antrag gestellt noch die zur Antragsbegründung erheblichen Tatsachen rechtzeitig glaubhaft gemacht, obwohl das FA - wie ausgeführt - ihn noch innerhalb der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO 1977 davon unterrichtet hatte, daß ein rechtzeitiger Einspruch gegen den Feststellungsbescheid 1978 nicht vorliege. Auch wenn man das Schreiben des damaligen Bevollmächtigten vom 13. Januar 1981 und die gleichzeitig vorgelegte eidesstattliche Versicherung als Antrag und Glaubhaftmachung i. S. des § 110 Abs. 1 und 2 AO 1977 ansieht, gingen diese dem FA erst nach Ablauf der Jahresfrist (3. Dezember 1981) zu, so daß sie eine Wiedereinsetzung nicht mehr zu rechtfertigen vermögen. Demnach ist der Feststellungsbescheid 1978 bestandskräftig geworden, so daß die Klage keinen Erfolg haben kann.

Bei dieser Sachlage ist es dem Senat verwehrt zu prüfen, ob die Einwendungen des Klägers gegen die Richtigkeit der Gewinnschätzung im angefochtenen Steuerbescheid erfolgversprechend sind.

2. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen; Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO, § 1 Abs. 1 Buchst. c, § 11 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415159

BFH/NV 1988, 115

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