Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernstliche Zweifel an Einkünften aus Gewerbebetrieb bei Beteiligung an einem Schneeballsystem
Leitsatz (NV)
Es ist noch nicht hinreichend geklärt, ob die leitende Beteiligung am -- auf dem sog. Schneeballsystem beruhenden -- "Unternehmensspiel Life" mit "Provisions"-Einnahmen für die Werbung neuer Mitglieder, die einen Mitgliedsbeitrag bezahlen müssen, eine gewerbliche Tätigkeit bildet. Ernstlich zweifelhaft ist auch, unter welchen Voraussetzungen im einzelnen die Anwerbung weiterer Teilnehmer den Rahmen einer privaten Tätigkeit überschreitet.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 2; GewStG § 2 Abs. 1; FGO § 69 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beteiligte sich 1994 an dem "Unternehmensspiel Life". Der Veranstalter bot als Spielleiter die Mitgliedschaft in der Spielgemeinschaft gegen Zahlung eines Beitrags von 6 500 DM an. Die Mitglieder waren berechtigt, weitere Mitglieder zu werben. An den Beiträgen der von ihnen geworbenen Mitglieder waren sie beteiligt. Für die ersten drei geworbenen Mitspieler erhielt der Werbende 1 500 DM, für jeden weiteren geworbenen Mitspieler jeweils 1 000 DM. Außerdem bekam der Werbende einen Anteil von den Beiträgen der geworbenen Mitglieder, die zu seinem "Stamm" gehörten. Dies waren alle neuen Mitglieder, deren Mitgliedschaft in der Kette der Werbenden auf das (Vor-)Mitglied zurückgeführt werden konnte.
Der Veranstalter unterstützte die Anwerbungen durch seine Organisation. Es fanden Informationsveranstaltungen statt, bei denen das System vorgestellt und versucht wurde, die Anwesenden für eine Teilnahme zu gewinnen. Der Veranstalter beschäftigte hierfür Mitarbeiter, denen von den Beiträgen der neuen Mitglieder ihres "Verwaltungsbezirks" 7,7 v. H. (= 500 DM des jeweiligen Beitrags) zustanden. Die neuen Mitglieder überwiesen ihre Beiträge auf ein Konto des Veranstalters. Dieser zahlte die "Provisionen" von diesem Konto per Scheck an die Mitarbeiter und Mitspieler aus.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erhielt Anfang 1995 eine Kontrollmitteilung des FA für Fahndung und Strafsachen, nach welcher der Antragsteller aus seiner Beteiligung an dem "Unternehmensspiel Life" im Jahr 1994 "Bruttoprovisionen" in Höhe von ... DM erzielt hatte. Das FA, das die "Provisionen" als gewerbliche Einkünfte ansah, setzte daraufhin gegen den Antragsteller einen einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag für Zwecke der Vorauszahlungen 1994 in Höhe von ... DM fest.
Der Antragsteller legte gegen den Bescheid Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Außerdem beantragte er, die Vollziehung des Bescheids auszusetzen. Nach Ablehnung des Antrags durch das FA beantragte er beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung.
Das FG beurteilte die Einnahmen des Antragstellers ebenfalls als gewerbliche Einkünfte. Es führte aus: Der Antragsteller habe sich wie ein "Einfirmenvertreter" am "wirtschaftlichen Verkehr" beteiligt. Die Werbung neuer Mitglieder für den Veranstalter und die Vermittlung der Mitgliedschaft gegenüber den Kunden seien eine Dienstleistung im Leistungsaustausch gegen die Provisionszahlungen. Diese sei steuerlich genauso zu bewerten wie die Tätigkeit sonstiger gewerblicher Vertreter. Ernstlich zweifelhaft sei aber die Höhe der Einkünfte. Das FA habe die "Bruttoprovisionen" angesetzt. "Bei der nach § 4 Abs. 1 EStG vorzunehmenden Schätzung (§ 162 AO 1977)" müßten jedoch auch Rückstellungen für Umsatz- und Gewerbesteuer und geschätzte Betriebsausgaben berücksichtigt werden. Die Vollziehung des Gewerbesteuer-Meßbescheids für Vorauszahlungszwecke werde daher in Höhe von ... DM ausgesetzt. Der Aussetzungsbeschluß des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 267 veröffentlicht.
Der Antragsteller beantragte beim FG, den Beschluß zu ändern, hilfsweise, die Beschwerde an den Bundesfinanzhof (BFH) zuzulassen. Er brachte vor, das FG sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Er sei schlichter Spielteilnehmer gewesen und durch keine schriftlich oder auch nur mündlich getroffenen Vereinbarungen an die Organisation gebunden gewesen. Er habe auch keine Provision von 7,7 v. H. der Beiträge nachrangig geworbener Mitspieler erhalten. Neue Mitglieder habe er ausschließlich in seiner Eigenschaft als Mitspieler geworben. Sein Interesse habe sich darauf beschränkt, dem Spielsystem folgend, sich an den Chancen und Risiken zu beteiligen, die typischerweise mit dem Schneeballsystem verbunden seien, nämlich auszuprobieren, ob genügend nachrangige Mitspieler geworben werden, um über die Teilhabe an den von diesen zu leistenden Einlagen die eigene Einlage erstattet zu bekommen und -- nach Möglichkeit -- darüber hinaus einen Spielgewinn zu erzielen. Er habe keinen geschäftlichen Betätigungswillen gehabt; noch weniger habe er diesen den von ihm geworbenen Mitspielern gegenüber zum Ausdruck gebracht. Auch den geworbenen Mitspielern habe -- im Gegenteil -- stets vor Augen gestanden, daß man sich an einem Spiel mit den spieltypischen Unwägbarkeiten beteilige, und daß eine wie auch immer geartete Leistung niemandem geschuldet werde.
Der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers legte im Lauf des Verfahrens zwei Schreiben vor, in denen der Antragsteller eidesstattlich versicherte, insgesamt nur 7 Personen bzw. 11 Personen geworben zu haben.
Das FG lehnte es ab, unter Änderung des Beschlusses vom 4. Juli 1995 die Vollziehung des Gewerbesteuer-Meßbescheids für Vorauszahlungszwecke in vollem Umfang auszusetzen. Es führte aus, es habe in dem Beschluß ausführlich dargelegt, daß die Mitspieler -- unabhängig davon, ob ein Mitarbeitervertrag bestehe -- gewerbliche Einkünfte erzielten. Es habe seiner Entscheidung somit keinen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt. Dem Hilfsantrag des Antragstellers, die Beschwerde zum BFH zuzulassen, gab es dagegen statt.
Mit der Beschwerde gegen beide Beschlüsse beantragt der Antragsteller, die Vollziehung des Gewerbesteuer-Meßbescheids in vollem Umfang auszusetzen. Zur Begründung bezieht er sich auf seine Ausführungen im Aussetzungsverfahren vor dem FG.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung bestehen ernstliche, die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gewerbesteuer-Meßbescheids für Zwecke der Vorauszahlungen 1994 (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) sowohl aus materiell-rechtlichen als auch aus tatsächlichen Gründen.
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird, der Gewerbesteuer. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen i. S. des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu verstehen (§ 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG). In § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Gewerbebetrieb definiert als selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, muß durch eine Tätigkeit verfolgt werden, die nach allgemeiner Auffassung als unternehmerisch gewertet wird (Beschluß des Großen Senats des BFH vom 3. Juli 1995 GrS 1/93, BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617, unter C.I., m. w. N.). Bei der Abgrenzung zwischen Gewerbebetrieb und privater Tätigkeit ist auf das Gesamtbild der Verhältnisse und auf die Verkehrsanschauung abzustellen (BFHE 178, 86, BStBl II 1995, 617, unter C.I., m. w. N.).
Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß der Antragsteller mit der Anwerbung von Teilnehmern für das "Unternehmensspiel Life" selbständig, nachhaltig und mit Gewinnerzielungsabsicht tätig geworden ist und auch am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilgenommen hat. Gewerblich wird eine solche Tätigkeit jedoch erst, wenn sie nach Art und Intensität den Rahmen einer privaten Tätigkeit überschreitet und nach der Verkehrsauffassung dem Bild eines gewerblichen Unternehmens entspricht (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 1996 X R 255/93, BStBl II 1996, 303). Das hat der XI. Senat des BFH bei einem hauptberuflich als Croupier nichtselbständig tätigen Steuerpflichtigen angenommen, der neben seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit fortlaufend mit Geschicklichkeitskartenspielen monatliche Spielgewinne von rd. 3 000 DM erzielt hatte und deshalb als Berufsspieler anzusehen sei (Urteil vom 11. November 1993 XI R 48/91, BFH/NV 1994, 622). Nach Auffassung des erkennenden Senats war der Croupier auch deshalb als Gewerbetreibender zu beurteilen, weil die Veranstaltung von Glücksspielen eine gewerbliche Tätigkeit ist (vgl. -- zur Vermittlung -- BFH-Urteil vom 4. Juli 1968 IV R 77/67, BFHE 93, 161, BStBl II 1968, 718). Da er die Teilnahme an den Kartenspielen angeboten und die Kartenspiele organisiert hatte, war er als Spielveranstalter anzusehen (vgl. -- zur umsatzsteuerrechtlichen Unternehmereigenschaft -- BFH-Urteil vom 26. August 1993 V R 20/91, BFHE 172, 227, BStBl II 1994, 54, unter II.1. a).
Unter welchen Voraussetzungen die Teilnahme an Veranstaltungen nach dem Progressionsprinzip -- wie dem "Unternehmensspiel Life" -- als gewerbliche Tätigkeit zu beurteilen ist, erscheint in der Rechtsprechung und im Schrifttum noch nicht hin reichend geklärt. Bei Anwendung der Grundsätze des XI. Senats des BFH zum Berufsspieler können die Entwicklung des Konzepts und seine Verwirklichung bei den Initiatoren zu gewerblichen Einkünften führen.
Nach den Ermittlungen der Steuerfahndung gibt es im Rahmen der Organisation des "Unternehmensspiels Life" auch Mitarbeiter, welche die Spielgemeinschaften betreuen. Sie werden als Generalmanager, Organisationsdirektoren usw. bezeichnet. Ihre Aufgabe besteht in der Entgegennahme und Sammlung neuer Mitgliedsanträge auf den Werbeveranstaltungen sowie teilweise im Inkasso und der Unterstützung neuer Mitglieder bei der Beschaffung des Mitgliedsbeitrags. Hierfür erhalten diese Mitarbeiter 500 DM (= 7,7 v. H.) Provision von jeder Einzahlung eines Neumitglieds ihres Verwaltungsbezirks. Derartige Mitarbeiter, welche die Spielgemeinschaften gleichsam hauptberuflich leiten, sind Finanzmaklern, Agenten oder Handelsvertretern vergleichbar. Ihre aus dem "Spiel" erzielten Einnahmen können ebenfalls als gewerblich zu beurteilen sein. Dagegen erscheint es nicht sachgerecht, Personen, die sich nur "nebenbei" an diesem "Spiel" in spekulativer Absicht beteiligen, als Gewerbetreibende anzusehen.
Im Streitfall ist noch nicht geklärt, wieweit der Antragsteller in die Organisation des "Unternehmensspiels Life" eingebunden war. Er selbst bestreitet, "leitender" Mitarbeiter gewesen zu sein. Er behauptet, nur 7 bzw. 11 Teilnehmer geworben zu haben. Die Höhe der in einem Jahr erzielten Einnahmen von ... DM erweckt zwar Zweifel an dieser Behauptung. Allein hierauf kann jedoch die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit nicht gestützt werden. Es muß daher geklärt werden, inwieweit ein "einfacher Mitspieler" an den Beiträgen der "Folgeanwerbungen" beteiligt war und ob ein "einfacher Mitspieler" mit der vom Antragsteller behaupteten geringen Zahl von Anwerbungen überhaupt derart hohe Einnahmen erzielen konnte.
Der Gewerbesteuer-Meßbescheid für Zwecke der Vorauszahlungen 1994 wird daher ausgesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 421605 |
BFH/NV 1996, 750 |