Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehler des FA sind keine Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO; Überlange Verfahrensdauer; Überraschungsentscheidung und Verletzung der Aufklärungspflicht; Rüge materiell-rechtlicher Fehler im NZB-Verfahren unbeachtlich
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 S. 3, Abs. 2 Nr. 3, § 96 Abs. 2
Gründe
Von einer Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung das Bundesfinanzhofs abgesehen.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Versagung rechtlichen Gehörs
Sofern der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend macht, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, indem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ohne sein Wissen seine Schreiben vom 2. Juli 1997 der Bußgeld- und Strafsachenstelle übergeben habe, ist ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht in zulässiger Weise dargetan. Als Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kommen nur Fehler des Finanzgerichts (FG), nicht dagegen solche des FA in Betracht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Anm. 25, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).
2. Auch die Verfahrensfehler, die dem FG im Laufe der mündlichen Verhandlung unterlaufen sein sollen, sind entweder nicht in zulässiger Weise gerügt oder liegen jedenfalls nicht vor.
a) Soweit der Kläger geltend macht, er habe sich am Tag der mündlichen Verhandlung noch nicht von der anlässlich der Akteneinsicht erhaltenen Kenntnis über die unseriöse Vorgehensweise des FA erholt gehabt und keine Zeit für ein Literaturstudium gefunden, so ist schon nicht nachvollziehbar, warum die Akteneinsicht zu derartig gravierenden Beeinträchtigungen geführt haben soll. Wenn sie tatsächlich vorgelegen hätten, hätte der Kläger darlegen müssen, warum es ihm nicht möglich gewesen ist, einen Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung zu stellen.
b) Ähnliches gilt für die angebliche Einschüchterung durch den Vorsitzenden Richter und den Berichterstatter des FG. Die vom Kläger wiedergegebenen Äußerungen der Richter lassen nicht erkennen, weshalb sie ihn daran gehindert haben sollen, der mündlichen Verhandlung weiter zu folgen. Sollte er dazu tatsächlich nicht mehr in der Lage gewesen sein, hätte er im eigenen Interesse einen Antrag auf Vertagung stellen müssen. Er hat nichts dazu vorgetragen, aus welchem Grund ihm das nicht möglich gewesen sein soll.
c) Soweit der Kläger rügt, das FG habe entgegen seinem Antrag drei weitere von ihm erhobene Klagen nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, hat er nicht dargetan, inwieweit dieser Umstand entscheidungserheblich hätte sein können. Der Kläger hat lediglich behauptet, in der Beiziehung der Akten hätte "der Schlüssel zum Erfolg" der Klage gelegen. Der Senat kann jedoch nicht nachvollziehen, warum das so gewesen sein soll.
3. Soweit sich der Kläger gegen Fehler der Entscheidung wendet, handelt es sich entweder um nicht begründete Verfahrensrügen oder um im Nichtzulassungsbeschwerde-Verfahren unerhebliche Beanstandungen der rechtlichen Würdigung durch das FG.
a) Nach der Senatsentscheidung vom 13. September 1991 IV B 105/90 (BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148) führt eine überlange Verfahrensdauer, wie sie der Kläger im Streitfall ohne weitere Substantiierung rügt, grundsätzlich nicht zur Verfassungs- und Rechtswidrigkeit der angefochtenen Steuerbescheide mit der Folge, dass auch die Zulassung der Revision nicht in Betracht kommt (vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 20. Mai 1994 XI B 63/93, BFH/NV 1994, 605).
b) Ein Verfahrensmangel liegt auch insoweit nicht vor, als der Kläger geltend macht, das FG-Urteil enthalte Punkte, die sich nicht eindeutig aus den gewechselten Schriftsätzen ergäben. Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dazu gehören nicht nur die gewechselten Schriftsätze, sondern u.a. auch die von den Beteiligten vorgelegten sonstigen Unterlagen. Bei den vom Kläger beanstandeten Ausführungen im Urteil der Vorinstanz handelt es sich um Schlussfolgerungen, die das FG aus den Schreiben des Klägers vom 2. Juli 1997 gezogen hat. Diese Schreiben gehörten zum Inhalt der Akten des FA. Der Kläger hat in seiner Beschwerdebegründung die Richtigkeit der Schlussfolgerungen des FG nicht in Zweifel gezogen.
c) Die Zulassung der Revision kann ferner nicht darauf gestützt werden, dass es sich bei der Vorentscheidung um ein Überraschungsurteil gehandelt habe. In besonderen Fällen kann eine Verletzung der Aufklärungspflicht dann vorliegen, wenn etwa das Gericht von seiner bisher unmissverständlich geäußerten Rechtsansicht später abweichen will, ohne die Rechtsfragen nochmals zur Erörterung zu stellen; insbesondere, wenn es in Verbindung mit einem bestimmten Beweisergebnis auf die Möglichkeit des Verzichts auf eine nochmalige mündliche Verhandlung hinweist (vgl. BFH-Entscheidungen vom 20. Juni 1967 II 73/63, BFHE 90, 82, BStBl III 1967, 794, und vom 9. Dezember 1969 II B 39/69, BFHE 97, 293, BStBl II 1970, 97). Dem Vorbringen des Klägers lässt sich schon nicht mit der notwendigen Sicherheit entnehmen, dass der Berichterstatter in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich die Rechtsansicht vertreten hat, der Klage sei in vollem Umfang stattzugeben. Wenn der Berichterstatter dem Kläger zufolge geäußert haben soll, der Rechtsstreit werde für ihn "positiv verlaufen", so ist dieses Ergebnis jedenfalls insoweit eingetreten, als das FG der Klage teilweise stattgegeben hat. Aber selbst wenn der Berichterstatter ursprünglich die Meinung geäußert haben sollte, dass der Klage in vollem Umfang stattzugeben sei, konnte er seine Auffassung auf Grund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung ―zu dem sich der Kläger äußern konnte― ändern, ohne darauf ausdrücklich hinweisen zu müssen (BFH-Beschluss vom 11. November 1997 X B 233/96, BFH/NV 1998, 605).
d) Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers musste sich dem FG nicht die Frage aufdrängen, ob bei Erlass der Einspruchsentscheidung der begründete Verdacht auf eine Steuerhinterziehung gegeben war. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist von der sachlich-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz auszugehen (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa Senatsurteil vom 26. November 1992 IV R 109/90, BFHE 170, 88, BStBl II 1993, 235). Das FG hat die Erweiterung des Prüfungszeitraums deswegen für zulässig gehalten, weil mit erheblichen Mehrsteuern zu rechnen gewesen sei. Auf die Frage, ob auch der Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit die Erweiterung des Prüfungszeitraums gerechtfertigt hätte ―(§ 4 Abs. 3 der Betriebsprüfungsordnung (Steuer)―, kam es demnach nicht mehr an.
e) Das FG war ―entgegen dem Beschwerdevorbringen― auch nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob bereits im Schreiben des Klägers vom 22. Mai 1996 eine Selbstanzeige zu erblicken sei. Zum einen handelte es sich um eine Rechtsfrage, die das FG selbst zu beantworten hatte und die der Beweisaufnahme (hier in Form eines Sachverständigengutachtens) nicht zugänglich war. Zum anderen kam es auf die Beantwortung dieser Frage nicht an. Der Kläger leitet aus § 171 Abs. 9 der Abgabenordnung (AO 1977) die Auffassung her, dass im Falle einer Selbstanzeige das FA nur ein Jahr Zeit habe, die in der Selbstanzeige mitgeteilten Tatsachen im Wege eines Änderungsbescheids auszuwerten. Das FG hat aber in seinem Urteil zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Auffassung unzutreffend ist. Es war demnach unter dem Gesichtspunkt der Verjährung unerheblich, ob an Stelle der vom FA als Selbstanzeige angesehenen Schreiben des Klägers vom 2. Juli 1997 nicht etwa bereits ein früher eingegangenes Schreiben als Selbstanzeige zu werten war.
f) Insofern als der Kläger mit der Beschwerde geltend macht, die Annahme der Vorinstanz, dass die erweiterte Prüfung zu Mehrsteuern führen würde, sei fehlerhaft, weil er die mutmaßlichen Steuermehrbeträge bereits beglichen habe, rügt er keinen Verfahrensmangel, sondern die Rechtsanwendung durch das FG. Materiell-rechtliche Fehler des FG können vom BFH jedoch lediglich im Rahmen der zugelassenen Revision überprüft werden.
g) Aus dem selben Grund kann die Zulassung der Revision auch nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass das FG § 169 AO 1977 falsch angewandt habe. Zudem drängt sich ―insbesondere auch aufgrund der Ausführungen auf S. 5 der Beschwerdeschrift― der Eindruck auf, dass der Kläger den Mechanismus der Regelungen über die Festsetzungsverjährung mit dem Ineinandergreifen von Festsetzungsfristen (§ 169 AO 1977), deren Beginn (§ 170 Abs. 1 AO 1977), dem Hinausschieben des Beginns (§ 170 Abs. 2 AO 1977) sowie den verschiedenen Ablaufhemmungen (§ 171 AO 1977) trotz zutreffender Ausführungen im vorinstanzlichen Urteil nicht verstanden hat.
4. Der Kläger hat sich zwar auch auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache berufen, hierzu jedoch nichts dargelegt (zum Darlegungserfordernis vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 21. November 1989 VII S 10/89, BFH/NV 1990, 585, 586; vom 25. Mai 1999 V B 162/98, BFH/NV 1999, 1497).
Fundstellen