Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einfacher Beiladung
Leitsatz (NV)
1. Eine (einfache) Beiladung zu einem Verfahren wegen der Rückforderung einer Steuererstattung ist zulässig, wenn in diesem möglicherweise über ein Tatbestandsmerkmal eines Rückforderungsschuldverhältnisses zwischen dem Beigeladenen und dem FA entschieden wird.
2. Bei gegenläufigen Interessen des Beigeladenen und des Klägers ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob die Beiladung ermessensgerecht ist; eine Beiladung ist jedoch auch in diesem Fall aufgrund des möglicherweise gegebenen Gewichts öffentlicher Belange und der Interessen der Hauptbeteiligten nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 1
Tatbestand
Die Beigeladene und Beschwerdeführerin (Beigeladene) ist für das Streitjahr zusammen mit dem Kläger, mit dem sie damals verheiratet war, zur Einkommensteuer veranlagt worden. In der Einkommensteuererklärung war für den Fall einer Einkommensteuererstattung ihr Konto angegeben. Die Einkommensteuer wurde vom Beklagten (Finanzamt -- FA --) auf 0 DM festgesetzt. Da sowohl von den Arbeitseinkünften der Beigeladenen wie von denen ihres damaligen Ehemannes Lohnsteuer einbehalten worden war, ergab sich ein Erstattungsbetrag. Dieser wurde vom FA doppelt, nämlich sowohl auf das Konto des Klägers als auch auf das der Beigeladenen überwiesen. Das FA hat deswegen gegen den Kläger einen Rückforderungsbescheid erlassen, gegen den dieser Klage erhob. Zu diesem Verfahren hat das Finanzgericht (FG) dessen inzwischen von ihm geschiedenen Ehefrau im Einverständnis mit dem Kläger und auf Antrag des FA beigeladen, weil ihre rechtlichen Interessen i. S. des §60 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Entscheidung berührt würden.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen, mit der geltend gemacht wird, die Beiladung sei nicht ermessensgerecht. Ob das FA gegenüber der Beigeladenen Rückforderungsansprüche habe, bestimme sich ausschließlich nach dem Rechtsverhältnis zur Beigeladenen, das von der Entscheidung des FG nicht berührt werde. Die Entscheidung habe auch keinerlei präjudizielle Wirkung. Die Beiladung beeinträchtige vielmehr den Rechtsschutz der Beigeladenen, weil sie ihr die Möglichkeit eines Einspruchsverfahrens nehme.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde (§128 Abs. 1 FGO; Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 6. Mai 1988 VI B 35/87, BFH/NV 1989, 113, und vom 15. Mai 1997 VII B 5/97, BFH/NV 1997, 867) ist nicht begründet.
Nach §60 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das FG zu einem Rechtsstreit andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden (sog. einfache Beiladung). Rechtliche Voraussetzung der Beiladung nach dieser Vorschrift ist also, daß rechtliche Interessen des Beigeladenen nach den Steuergesetzen berührt werden. Ist das der Fall, steht die Beiladung im Ermessen des FG. Die Ausübung des Ermessens kann vom BFH im Beschwerdeverfahren in vollem Umfang überprüft und ggf. durch eine eigene Ermessensentscheidung ersetzt werden (Beschluß des Senats in BFH/NV 1997, 867).
Die von der Beschwerde -- sinngemäß -- gegen die Annahme des FG, die rechtlichen Voraussetzungen einer einfachen Beiladung lägen vor, erhobenen Einwendungen führen aber ebensowenig zum Erfolg wie die Rüge, die Ermessensausführung des FG sei zu beanstanden.
1. Durch die Entscheidung des FG über die Anfechtungsklage gegen den Rückforderungsbescheid (Abrechnungsbescheid), der gegen den Kläger ergangen ist, werden rechtliche Interessen der Beigeladenen berührt.
Nach der Rechtsprechung des BFH sind Interessen im Sinne der eingangs genannten Vorschrift "berührt", wenn auch nur die Möglichkeit besteht, daß sie durch die Entscheidung des FG berührt werden können; strengere Voraussetzungen, nämlich daß dies wahrscheinlich oder sogar gewiß ist, sind nicht aufzustellen (BFH-Entscheidungen vom 8. Juni 1966 III B 5/66, BFHE 86, 327, BStBl III 1966, 466, und vom 27. Januar 1982 VII B 141/81, BFHE 134, 537, BStBl II 1982, 239). Die betreffenden rechtlichen Interessen müssen sich aufgrund der Steuergesetze ergeben; hingegen werden Interessen i. S. des §60 Abs. 1 FGO durch eine Entscheidung des FG dann nicht berührt, wenn die Entscheidung für die steuerlichen Rechte und Pflichten des am Rechtssreit nicht beteiligten anderen ohne Bedeutung ist, mag die Entscheidung über das Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten für diesen auch sonstige rechtliche Bedeutung haben, etwa weil sie ihn einem (zivilrechtlichen) Schadensersatz- oder Ausgleichsanspruch des Klägers aussetzen würde.
Die hier im Falle des Unterliegens des Klägers in dem Finanzrechtsstreit bestehende Möglichkeit, daß der Kläger (familienrechtliche) Ausgleichsansprüche gegen seine frühere Ehefrau wegen der dieser zugeflossenen Steuererstattung geltend machen könnte, vermag also ein für die Anwendung des §60 Abs. 1 Satz 1 FGO ausreichendes rechtliches Interesse der Beigeladenen an dem Rechtsstreit nicht zu begründen. Ein auf dem Gebiet des Steuerrechts liegendes rechtliches Interesse der Beigeladenen am Ausgang des Rechtsstreits ergibt sich aber daraus, daß in dem Fall, daß der Kläger in dem Rechtsstreit obsiegt, der gegen ihn gerichtete Rückforderungsbescheid des FA also -- ganz oder unter Umständen teilweise -- aufgehoben wird und er die Steuererstattung folglich -- ganz oder teilweise -- behalten darf, die Beigeladene zu erwarten hat, daß das FA den Erstattungsbetrag bzw. den betreffenden Teil des Erstattungsbetrages von ihr, und zwar nach den Steuergesetzen, zurückfordern wird; dies ist sogar die rechtslogische Folge einer solchen Entscheidung des FG. Hingegen kann sie im Falle des Unterliegens des Klägers sicher damit rechnen, daß ein Rückforderungsbescheid des FA gegen sie nicht ergeht. Die Entscheidung wird sich also auf das Rechtsverhältnis zwischen der Beigeladenen und dem FA auswirken. Daß diese Auswirkung unmittelbar-rechtlicher Art in dem Sinne ist, daß von der Entscheidung des FG rechtsgestaltende Wirkungen zwischen der Beigeladenen und dem FA ausgehen, ist nicht Voraussetzung einer einfachen Beiladung (sondern würde vielmehr zur notwendigen Beiladung der Beigeladenen führen müssen). Die in §60 Abs. 1 FGO enthaltene beispielhafte Benennung des Haftungsschuldners nach den Steuergesetzen als Beizuladener in einem Prozeß über die Steuerfestsetzung, die auf der (lediglich materiell-rechtlichen) Akzessorietät zwischen Steuerschuld und Haftungsschuld beruht, wäre sonst unverständlich. Die Auswirkung einer Entscheidung des FG im Sinne des Klageantrags wäre im Streitfall auch nicht bloß, was für eine Beiladung nicht ausreichen würde (vgl. Brandt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §60 FGO Rdnr. 71), in dem Sinne präjudizieller Art, daß vom FG nur über eine Rechtsfrage entschieden würde, deren Beantwortung auch für das Rechtsverhältnis zwischen der Beigeladenen und dem FA von Interesse ist. Hebt das FG den an den Kläger gerichteten Rückforderungsbescheid auf, weil es die Steuererstattung an den Kläger nicht als rechtsgrundlos i. S. des §37 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ansieht, und hat diese Entscheidung des FG -- infolge der Beiladung -- Rechtskraftwirkung auch für die Beigeladene, so steht vielmehr zwischen der Beigeladenen und dem FA fest, daß der Einkommensteuererstattungsanspruch aus der Zusammenveranlagung der (damaligen) Eheleute für 1994 durch Zahlung des Erstattungsbetrages an den Kläger erloschen ist. Damit aber wäre über ein Tatbestandsmerkmal eines Rückforderungsschuldverhältnisses zwischen der Beigeladenen und dem FA entschieden, weil sich aus dieser Entscheidung unmittelbar ergäbe, daß die vom FA an die Beigeladene geleistete Steuererstattung auf einen (zumindest) nicht (mehr) bestehenden (weil durch Tilgung erloschenen) Einkommensteuererstattungsanspruch geleistet worden ist. Dies genügt, um eine Berührung rechtlicher Interessen der Beigeladenen nach den Steuergesetzen i. S. des §60 Abs. 1 Satz 1 FGO bejahen zu können.
2. Die Beiladung ist auch nicht ermessenswidrig.
Nach der Rechtsprechung des BFH sind bei einer einfachen Beiladung Gesichtspunkte der Prozeßökonomie und der Rechtssicherheit zu berücksichtigen; die Beiladung soll dazu dienen, widersprechende Entscheidungen über denselben Gegenstand zu vermeiden. Außerdem sind sowohl das Interesse des Beizuladenden, etwaige seine Rechtsstellung nachteilig berührende Entscheidungen zu verhindern, als auch etwaige der Beiladung entgegenstehende Belange anderer Prozeßbeteiligter, insbesondere das Interesse des Klägers an der Wahrung seines Steuergeheimnisses, in Betracht zu ziehen (Beschluß des erkennenden Senats in BFH/NV 1997, 867; BFH-Beschluß in BFH/NV 1989, 113).
Die genannten Ziele der Beiladung können im Streitfall erreicht werden. Das liegt für die öffentlichen Belange der Prozeßökonomie und der Rechtssicherheit, insbesondere das Interesse, widerstreitende Entscheidungen in dem anhängigen Rechtsstreit des Klägers und in einem möglicherweise nachfolgenden Rechtsstreit der Beigeladenen wegen eines vom FA gegen sie erlassenen Rückforderungsbescheides zu verhindern, auf der Hand. Die auch für diesen Rechtsstreit entscheidende Frage, an wen das FA die Steuererstattung mit befreiender Wirkung auszahlen konnte, wird zweckmäßigerweise in dem hier vorliegenden Streitverfahren entschieden. Die Interessen des Klägers sind durch die Beiladung nicht nachteilig betroffen. Denn er hat der Beiladung ausdrücklich zugestimmt; zudem ist ohnehin nicht wahrscheinlich, daß in dem Rechtsstreit Gesichtspunkte zur Sprache kommen könnten, die der Beigeladenen bisher nicht bekannt sind und an deren Geheimhaltung der Kläger ein vernünftiges Interesse haben kann. Das gleiche gilt, was keiner Darlegung bedarf, für das FA.
Weniger eindeutig ist allerdings die Interessenlage der Beigeladenen. Ihr wird zwar infolge der Beiladung nicht, wie die Beschwerde behauptet, die Möglichkeit eines Einspruchsverfahrens gegen einen etwaigen Rückforderungsbescheid des FA abgeschnitten, der möglicherweise je nach dem Ausgang des Klageverfahrens gegen sie erlassen werden wird. Das Beschwerdevorbringen enthält jedoch insofern etwas Richtiges, als die Beigeladene in einem solchen Einspruchsverfahren aufgrund der Beiladung, sofern das FG den gegen den Kläger erlassenen Rückforderungsbescheid aufheben sollte, nicht mehr geltend machen könnte, der Einkommensteuererstattungsanspruch 1994 sei durch Auszahlung des Erstattungsbetrages an den Kläger dieses Verfahrens nicht erloschen. Ferner wird in Rechnung zu stellen sein, daß die Beigeladene es möglicherweise vermeiden möchte, zusammen mit ihrem früheren Ehemann Beteiligte eines Finanzrechtsstreits zu werden. Diese Belange der Beigeladenen wiegen indes gegenüber den vorgenannten, für eine Beiladung sprechenden Belange nicht so schwer, daß der beschließende Senat die Beiladungsentscheidung des FG als ermessenswidrig beanstanden könnte oder Anlaß hätte, das ihm im Beschwerdeverfahren eröffnete eigene Ermessen anders als das FG auszuüben.
Dies ist auch nicht allein deshalb geboten, weil die Beigeladene in dem Rechtsstreit voraussichtlich ein anderes materiell-rechtliches Ziel verfolgen wird als der Kläger. Allerdings hat der BFH zu §241 Abs. 2 der Reichtsabgabenordnung im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) entschieden, eine einfache Beiladung sei ausgeschlossen, wenn der Beizuladende ein den Belangen des Steuerpflichtigen entgegengesetztes Interesse am Ausgang des Steuerrechtsstreits habe (BFH-Urteil vom 20. März 1958 V z 59/58 U, BFHE 67, 29, BStBl III 1958, 283; vgl. RFH-Urteil vom 28. Juni 1933 VI A 646/33, RStBl 1933, 753). Diese entgegengesetzte Interessenrichtung des Klägers und der Beigeladenen ist zwar auch hier vorhanden. Denn das (steuer)rechtliche Interesse der Beigeladenen muß, wie bereits dargelegt, dahin gehen, daß der Kläger in dem Rechtsstreit unterliegt, weil die Beigeladene anderenfalls damit rechnen muß, selbst vom FA als Rückforderungsschuldnerin herangezogen zu werden. Wie der Senat bereits in dem Beschluß vom 17. August 1978 VII B 30/78 (BFHE 126, 7, BStBl II 1979, 25) entschieden hat, ist die vorgenannte Rechtsprechung jedoch auf die durch §60 FGO geschaffene Rechtslage nicht ohne weiteres übertragbar. Der beschließende Senat hält es insoweit zwar für notwendig, die Zweckmäßigkeit einer Beiladung bei gegenläufigen Interessen des Beigeladenen und des Klägers besonders sorgfältig zu prüfen; eine Beiladung ist jedoch auch in diesem Fall aufgrund des möglicherweise gegebenen Gewichts öffentlicher Belange und der Interessen der Hauptbeteiligten nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Für den Streitfall teilt der Senat die Auffassung des FG, daß eine Beiladung auch bei Berücksichtigung der Belange der Beigeladenen zweckmäßig ist.
Der Widerspruch der Beigeladenen gegen die Beiladung steht dieser ebenfalls nicht entgegen und gebietet ihre Aufhebung -- anders als möglicherweise ein Widerspruch des Klägers (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 126, 7, BStBl II 1979, 25) -- nicht; denn anerkennenswerte, weil hinreichend gewichtige Gründe für diesen Widerspruch bestehen, wie dargelegt, nicht, insbesondere ist das Steuergeheimnis der Beigeladenen erkennbar nicht berührt.
Fundstellen
Haufe-Index 170912 |
BFH/NV 1999, 815 |
HFR 1999, 550 |