Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenhilfe; Beginn der Verjährungsfrist
Leitsatz (NV)
Nur die Abgabe der Steuererklärung selbst, nicht aber auch eine vom Finanzamt vorgenommene Schätzung setzt gemäß § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO die Verjährungsfrist in Lauf.
Normenkette
AO § 145 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) beantragt Prozeßkostenhilfe (PKH) für ein Revisionsverfahren, das bei dem erkennenden Senat unter dem Az. X R 37/87 anhängig ist.
Die Antragstellerin und ihr Ehemann wurden für 1973 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Besteuerungsgrundlagen wurden gemäß § 217 der Reichsabgabenordnung (AO) geschätzt, weil die Eheleue trotz Aufforderung eine Einkommensteuererklärung nicht abgegeben hatten. Der Einkommensteuerbescheid 1973 vom 11. Dezember 1975 wurde bestandskräftig. Wegen eines Formfehlers hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) den Bescheid am 4. August 1981 wieder auf. Am 17. August 1981 erließ er einen inhaltsgleichen neuen Bescheid für 1973. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Die Antragstellerin beantragt, ihr unter Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten PKH für das Revisionsverfahren zu gewähren.
Dazu macht sie geltend, sie sei nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten des Rechtsstreits auch nur teilweise aufzubringen. Auch biete die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg, da der Steueranspruch bei Ergehen des Steuerbescheids vom 17. August 1981 bereits verjährt gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts (FG) ersetze die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das FA die Abgabe der Steuererklärung i. S. des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist bereits deshalb unbegründet, weil die Revision keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 142 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) hat. Ob die Antragstellerin die Kosten der Prozeßführung aufbringen kann, ist nicht entscheidungserheblich.
1. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin war der Einkommensteueranspruch des FA für das Jahr 1973 im August 1981 noch nicht verjährt.
a) Gemäß Art. 97 §§ 10, 14 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) gelten die Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) über die Festsetzungs- und Zahlungsverjährung nicht für Steueransprüche, die vor dem 1. Dezember 1977 entstanden sind; insoweit sind noch die Vorschriften der Reichsabgabenordnung maßgebend. Gemäß § 144 Abs. 1 AO beträgt die Verjährungsfrist bei der Einkommensteuer fünf Jahre. Sie beginnt - bezogen auf den Streitfall - mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum abgegeben wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruchs folgt (§ 145 Abs. 2 Nr. 1 AO).
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin wurde die Verjährungsfrist nicht dadurch in Lauf gesetzt, daß das FA die Besteuerungsgrundlagen geschätzt hat. Darauf, ob, wie das FA meint, die Schätzung auch deshalb unbeachtlich ist, weil es den Einkommensteuerbescheid vom Dezember 1975 ersatzlos aufgehoben hat, kommt es nicht an.
Der Wortlaut des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO ist insoweit eindeutig, als nur die Abgabe der Steuererklärung selbst, nicht aber auch eine vom FA vorgenommene Schätzung die Verjährungsfrist in Lauf setzt (vgl. auch Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, Rdnr. 3 zu § 145). Darüber hinaus spricht die Regelung über den spätesten Zeitpunkt des Beginns der Verjährungsfrist für die Auslegung nach dem Wortlaut. Diese Bestimmung dient dazu, zu vermeiden, daß bei Nichtabgabe der Steuererklärung die Verjährungsfrist überhaupt nicht in Lauf gesetzt wird (BTDrucks IV/2442 S. 11). Berücksichtigt man ferner, daß die Erklärungspflicht, insbesondere im Hinblick auf eine möglicherweise zu niedrige Schätzung, nicht dadurch entfällt, daß das FA die Besteuerungsgrundlagen schätzt (vgl. nunmehr § 149 Abs. 1 Satz 4 AO 1977) und der Steuerpflichtige, der seiner Erklärungspflicht nicht ordnungsgemäß nachkommt, nicht besserstehen kann als der, der diese Pflicht erfüllt, so wird deutlich, daß der Gesetzgeber nur die beiden in § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO ausdrücklich genannten Zeitpunkte als für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebend hat ansehen wollen.
b) Der Hinweis der Antragstellerin auf Kühn (Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., 1966, Rdnr. 6 zu § 217 AO) führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Senat vermag der angegebenen Fundstelle nicht die Auffassung des Autors zu entnehmen, die Steuerschätzung ersetze die Abgabe der Steuererklärung i. S. des § 145 Abs. 2 Nr. 1 AO. Er könnte im übrigen einer derartigen Ansicht im Hinblick auf die unter a) dargelegten Gründe nicht folgen.
2. Der Einkommensteueranspruch 1973 entstand gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 1 Buchst. c des Steueranpassungsgesetzes mit Ablauf des Veranlagungszeitraums 1973, d. h. mit Ablauf des 31. Dezember 1973. Da weder die Antragstellerin noch ihr Ehemann eine Einkommensteuererklärung für 1973 abgegeben hatten, begann die fünfjährige Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 1976 und endete am 31. Dezember 1981. Der Einkommensteueranspruch für das Jahr 1973 war damit im August 1981 noch nicht verjährt.
Der Antrag auf Beiordnung eines Prozeßbevollmächtigten ist damit gegenstandslos.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 415588 |
BFH/NV 1988, 480 |