Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Schein erteilte Vollmacht

 

Leitsatz (NV)

Erhält ein FA Kenntnis von einer nur zum Schein erteilten Generalvollmacht, so kann die Bevollmächtigung als Verfahrenshandlung ohne Rücksicht auf Willensmängel oder nach den Grundsätzen der Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht wirksam sein.

 

Normenkette

AO 1977 § 80; BGB §§ 116-117

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bestellte mit notarieller Urkunde aus dem Jahr 1975 ihren Sohn zu ihrem Generalbevollmächtigten und ermächtige ihn, alle ihre Angelegenheiten zu besorgen. Im Jahr 1987 teilte der Sohn dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) mit, daß er Vermögensverwalter der Klägerin sei und legte zum Nachweis Fotokopien von zwei Seiten der notariellen Bevollmächtigung vor. Daraufhin gab das FA den Einkommensteuerbescheid 1988 dem Sohn der Klägerin bekannt. Ein Einspruch wurde gegen den nach der Postzustellungsurkunde niedergelegten Schätzungsbescheid nicht eingelegt.

Im Jahr 1995 ging dem FA eine Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Einkünften der Klägerin aus der Beteiligung an einer KG zu. Das FA wertete die Mitteilung aus und setzte unter Berufung auf §175 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die ursprünglich festgesetzte Einkommensteuer herab. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein und begehrte die Herabsetzung der Einkommensteuer auf 0 DM. Das FA lehnte eine weitere Herabsetzung der Einkommensteuer mit der Begründung ab, dem stehe die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids aus dem Jahr 1991 entgegen (§351 Abs. 1 AO 1977).

Dagegen machte die Klägerin geltend, der Bescheid sei nicht wirksam bekanntgegeben. Ihr Sohn sei nicht vertretungsberechtigt gewesen, denn die notarielle Vollmacht sei nur zum Schein erteilt worden und deshalb gemäß §117 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig. Dies habe ein anderes Finanzamt in einem Betriebsprüfungsbericht von Ende April 1986 festgestellt. Das beklagte FA müsse die Nichtigkeit gegen sich gelten lassen, zumal der Sohn und nicht die Klägerin die Vollmacht vorlegte. Auch habe der Sohn nur Fotokopien von zwei Seiten und nicht die ganze Originalvollmacht übersandt. Im übrigen werde der Zugang des Einkommensteuerbescheids im Jahr 1991 mit Nichtwissen bestritten. Ggf. sei der Bescheid aus dem Jahr 1991 nach §173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, denn der Klägerin könne aufgrund ihres Alters nicht vorgeworfen werden, daß die zutreffenden Einkünfte aus Kapitalvermögen dem FA erst nachträglich bekanntgeworden seien. Ein Verschulden des Sohnes sei ihr nicht zurechenbar. Einspruch und Klage blieben erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1487).

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig. Die Klägerin hat die behauptete grundsätzliche Bedeutung nicht ausreichend i.S. des §115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt.

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Beschluß des erkennenden Senats vom 31. August 1995 VIII B 21/93, BFHE 178, 379, BStBl II 1995, 890, 892). Die Rechtsfrage muß klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. Senatsbeschluß vom 5. Dezember 1997 VIII B 11/97, BFH/NV 1998, 681). Dies muß -- abgesehen vom Fall der Evidenz der grundsätzlichen Bedeutung -- in der Beschwerdeschrift dargelegt werden.

An der Klärungsfähigkeit fehlt es, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von der Rechtsfrage abhängt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Vorinstanz mit der Rechtsfrage befaßt hat, sondern allein darauf, ob sie für das Revisionsverfahren bedeutsam sein kann (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rz. 146).

Die Klärungsbedürftigkeit fehlt regelmäßig, wenn der Bundesfinanzhof (BFH) eine Rechtsfrage bereits entschieden und damit geklärt hat. Eine Ausnahme von dieser Regel gilt dann, wenn gewichtige neue rechtliche Gesichtspunkte in der Rechtsprechung oder in der Literatur vorgetragen sind, die der BFH noch nicht geprüft hat. In diesem Fall hat die Beschwerde allerdings in der Begründung substantiiert darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung dieser (bereits entschiedenen) Rechtsfrage umstritten und inwiefern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden ist. Dazu ist es erforderlich, daß die Klägerin ausgehend von der Entscheidung des BFH im einzelnen in der Beschwerdeschrift konkret darlegt, welche neuen gewichtigen rechtlichen Gesichtspunkte zu der aufgezeigten Rechtsfrage in welcher Entscheidung der Finanzgerichte und/oder der Literatur vorgetragen werden, die der BFH bisher noch nicht geprüft hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. November 1995 VIII B 16/95, BFH/NV 1996, 406; vom 20. Dezember 1995 VIII B 83/95, BFH/NV 1996, 468, und vom 4. August 1997 VIII B 77/96, BFH/NV 1998, 192).

2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht. Sie legt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage, ob im Steuerrecht bzw. bei Zustellungen nach §8 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht allgemein gelten, nicht ausreichend dar. Ebensowenig läßt die Beschwerde erkennen, daß sich eine grundsätzliche Frage aus den geltend gemachten Besonderheiten des Streitfalls (Vorlage von Fotokopien von nur zwei Seiten der Originalvollmacht durch den Bevollmächtigten; Kenntnis eines anderen Finanzamts davon, daß die Vollmacht nur zum Schein erteilt worden sei) ergibt.

a) Die Beschwerde enthält keine Darlegungen zur Frage, ob in einem Revisionsverfahren die Problematik einer Anscheins- oder Duldungsvollmacht klärungsfähig wäre. Dies wäre nicht der Fall, wenn selbst bei einer zwischen der Klägerin und ihrem Sohn nur zum Schein erteilten notariellen Generalvollmacht von einer wirksamen Vollmacht auszugehen ist. Mit dieser naheliegenden Rechtsfolge hätte sich die Beschwerdeschrift auseinandersetzen müssen.

Nach der überwiegenden Ansicht der Literatur ist die Vollmachtserteilung als Verfahrenshandlung anzusehen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, §80 AO 1977 Rz. 3; Rüsken in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §80 AO 1977 Rz. 23; Helsper in Koch/Scholz, Abgabenordnung, §80 AO 1977 Rz. 3; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, §80 AO 1977 Rz. 23). Verfahrenshandlungen entfalten ihre Wirkung grundsätzlich unabhängig von Willensmängeln bei ihrer Ausübung. Auch vorgetäuschte Verfahrenshandlungen (Simulationen) sind wirksam, wenn die Täuschung nicht erkennbar ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 56. Aufl., Grundz. §128 Rz. 56). Im Streitfall würde nach den Feststellungen des FG (§118 Abs. 2 FGO) somit die von der Klägerin formell erteilte und dem FA mitgeteilte Bevollmächtigung ihre Wirkung unabhängig von Willensmängeln i.S. des §117 BGB entfalten. Für dieses Ergebnis spricht zudem der Rechtsgedanke des §116 BGB, denn aus der Sicht des FA liegt ein geheimer Vorbehalt, die erklärte Bevollmächtigung nicht zu wollen, vor.

b) Weiterhin läßt die Beschwerde die Klärungsbedürftigkeit der gestellten Rechtsfragen nicht erkennen. Der BFH hat wiederholt entschieden, daß im Steuerrecht die Grundsätze der Anscheins- oder Duldungsvollmacht zur Anwendung kommen (vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1976 IV R 168/73, BFHE 118, 49, BStBl II 1976, 344, und vom 25. September 1990 IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120; s. ferner den während des Beschwerdeverfahrens veröffentlichten Beschluß vom 12. Februar 1997 X B 146/96, BFH/NV 1997, 542). Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Beschwerde nicht auseinander und erschöpft sich weitgehend in der unsubstantiierten Behauptung grundsätzlicher Bedeutung. Insbesondere gibt die Beschwerde keine Gründe an, die für die Notwendigkeit einer erneuten Entscheidung des BFH sprechen. Auch ist nicht erkennbar, welche Besonderheiten bei einer Bescheidbekanntgabe nach §8 VwZG zur grundsätzlichen Bedeutung führen sollen.

3. Im übrigen ergeht die Entscheidung nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 302837

BFH/NV 1998, 1454

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