Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzustellung an einen Familienangehörigen
Leitsatz (NV)
Zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung ist nicht erforderlich, dass der annahmebereite Familienangehörige Zustellungsvollmacht hatte.
Normenkette
FGO § 53 Abs. 2; VwZG § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2; ZPO § 181
Tatbestand
I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klagen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) wegen
- Stundung des Verspätungszuschlags zur Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 1. Kalendervierteljahr 1999
- Erlasses des Verspätungszuschlags zu den Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das 1. und 2. Kalendervierteljahr 1998 und
- Stundung der Umsatzsteuer 1991, des Verspätungszuschlags und der Zinsen zur Umsatzsteuer 1991
durch Urteile auf Grund der mündlichen Verhandlung am 27. November 2001 ab, weil der Kläger den Streitgegenstand nicht ausreichend bezeichnet und nicht innerhalb der ihm nach § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO) gesetzten Ausschlussfrist Tatsachen zur Beschwer angegeben habe.
Der Kläger war zur mündlichen Verhandlung vor dem FG am 27. November 2001 nicht erschienen. Die Sendung mit den Ladungen zu den mündlichen Verhandlungen war ausweislich der Postzustellungsurkunde am 7. November 2001 der Mutter des Klägers, Frau X, unter der Zustellanschrift des Klägers übergeben worden, weil der Kläger selbst in seiner Wohnung nicht angetroffen wurde.
Mit seinen Beschwerden begehrt der Kläger jeweils die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ist den Beschwerden entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerden werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden (§ 73 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil es zweckmäßig ist, über die im Wesentlichen mit den gleichen Gründen erhobenen Beschwerden einheitlich zu entscheiden.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerden haben keinen Erfolg.
Der Kläger begehrt die Zulassung wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Diese liegen aber nicht vor.
a) Der Kläger ist der Ansicht, er sei in den bezeichneten Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen (§ 119 Nr. 4 FGO), weil er nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden sei und deshalb nicht an der mündlichen Verhandlung habe teilnehmen können (vgl. zu diesem Verfahrensfehler Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 7. Februar 1996 X R 79/95, BFH/NV 1996, 567). Dazu führt er zur Begründung u.a. aus, seine Mutter, der die Sendung mit den Ladungen übergeben worden sei, habe keine Empfangsvollmacht gehabt.
Der Kläger ist jedoch ordnungsgemäß geladen worden. Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen zu laden. Ladungen sind den Beteiligten nach § 53 Abs. 1 FGO zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes ―VwZG― (§ 53 Abs. 2 FGO). Die Zustellung besteht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VwZG in der Übergabe eines Schriftstücks. Zugestellt wird durch die Post (§ 2 Abs. 1 Satz 2 VwZG). Bei einer Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde (§ 3 Abs. 1 VwZG) beurkundet der Postbedienstete die Zustellung der verschlossenen Sendung mit dem Schriftstück (§ 3 Abs. 2 VwZG). Für die Zustellung durch den Postbediensteten gelten für Zustellungen vor dem 1. Juli 2002 die Vorschriften der §§ 180 bis 186, 195 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung nicht angetroffen, kann das Schriftstück in der Wohnung (vgl. dazu Tipke/ Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 3 VwZG Rz. 19) einem erwachsenen Hausgenossen zugestellt werden (§ 181 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vor dem 1. Juli 2002).
Auf diese Weise sind die Ladungen zugestellt worden. Die Sendung mit den Ladungen ist in der Wohnung des Klägers der darin angetroffenen annahmebereiten Mutter des Klägers übergeben worden. Es ist für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung nicht notwendig, dass der Familienangehörige Zustellungsvollmacht hatte. In typisierender Betrachtung geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Sendung wirksam zugestellt wird, wenn nach der Lebenserwartung zu erwarten ist, dass sie dem Empfänger von einer in § 181 Abs. 1 ZPO bezeichneten Person alsbald übergeben wird (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 14. März 1990 VIII ZR 204/89, BGHZ 111, 1, 5; Zöller/Stöber, Zivilprozessordnung, 23. Aufl., § 181 Rz. 10). Selbst wenn der Kläger die Sendung von seiner Mutter nicht erhalten hätte, was er aber nicht behauptet, wäre die Zustellung ordnungsgemäß (Tipke/ Kruse, a.a.O., § 3 VwZG Rz. 30).
Der ordnungsgemäße Vorgang der Zustellung wird durch die vorhandene Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde i.S. des § 418 Abs. 1 ZPO bewiesen. Sie erbringt den vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Dass der Postbedienstete der Mutter des Klägers die Sendung in seiner Wohnung übergeben hat, ist unstreitig, so dass das nach § 181 Abs. 1 ZPO maßgebende Verhältnis des Ersatzempfängers zur Person, der zugestellt werden soll (zu der Familie gehörender erwachsener Hausgenosse), nicht im Streit ist (vgl. zum Nachweis dieser Tatsachen durch eine Postzustellungsurkunde: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 3. Juni 1991 2 BvR 511/89, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1992, 224; BGH-Beschluss vom 17. Februar 1992 AnwZ (B) 53/91, NJW 1992, 1963; Senatsurteile vom 1. August 1984 V R 66/84, BFHE 142, 102, BStBl II 1985, 110; vom 28. April 1994 V R 137/92, BFH/NV 1995, 278).
b) Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe ihm kein rechtliches Gehör gewährt, weil es die Ausschlussfrist nach § 79b FGO willkürlich gesetzt habe, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg. Die Beschwerdebegründung ergibt keine schlüssigen Anhaltspunkte für einen derartigen Verfahrensmangel. Die bloße Behauptung, das FG habe eine Ausschlussfrist nach § 79b FGO willkürlich gesetzt, reicht nicht aus, um einen Verfahrensmangel darzulegen und sich auf die Kausalität für eine andere Entscheidung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zu berufen.
Der Kläger hatte Gelegenheit seinen Rechtsstandpunkt schriftlich und mündlich in der mündlichen Verhandlung vor dem FG darzustellen. Er hat nicht substantiiert dargelegt, dass er dazu nicht schon innerhalb der ihm vom FG nach § 79b FGO gesetzten Frist in der Lage gewesen wäre. Welche Unterlagen unterschlagen und ihm deshalb nicht zugänglich waren, führt der Kläger nicht näher aus. Unter diesen Umständen sind keine Anhaltspunkte für die Behauptung des Klägers vorhanden, das FG habe die Ausschlussfrist nach § 79b FGO willkürlich gesetzt.
Andere Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO sind dem übrigen Vorbringen des Klägers, das sich gegen die sachliche Richtigkeit der Schätzung wendet, nicht zu entnehmen.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 870795 |
BFH/NV 2003, 180 |