Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH für Anfechtung eines Duldungsbescheids
Leitsatz (NV)
1. Zur Darlegung hinreichender Erfolgsaussichten reicht im PKH-Verfahren ein schlüssiges Vorbringen mit Beweisantritt aus, wenn infolge dessen eine Beweisaufnahme im Hauptsacheverfahren ernsthaft in Betracht kommt. Ist der Antragsteller seinen Darlegungspflichten hinsichtlich des Streitgegenstands nachgekommen, ist eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung auch im Rahmen des PKH-Verfahrens grundsätzlich nicht zulässig.
2. Zu den Darlegungspflichten, wenn vorgebracht wird, die mit Duldungsbescheid angefochtene Abtretung einer Kaufpreisforderung sei keine unentgeltliche Verfügung, sondern zwecks Tilgung eines mündlich vereinbarten Privatdarlehens erfolgt.
Normenkette
AO 1977 § 191 Abs. 1; AnfG § 3 Abs. 1 Nr. 3; BGB § 607; FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114
Tatbestand
Die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist 93 Jahre alt und bezieht eine monatliche Rente von derzeit 1 518,05 DM netto. Sie wohnt bei ihrem Enkel und dessen Ehefrau, denen sie Miete zahlt. Die Ehefrau des Enkels (im folgenden: Schuldnerin) schuldet dem Beklagten (Finanzamt -- FA --) Steuern und steuerliche Nebenleistungen in Höhe von 43 394,88 DM, wovon 13 028 DM bestandskräftig festgesetzt sind.
Im April 1995 veräußerte die Schuldnerin ihre Eigentumswohnung. Der Kaufpreis war vom Käufer beim beurkundenden Notar zu hinterlegen, der daraus zunächst die Belastungen zu tilgen und den nach Ablösung verbleibenden Teil dann an die Schulderin auszuzahlen hatte. Mit Abtretungsvertrag vom gleichen Tage trat die Schuldnerin ihren Kaufpreisanspruch sowie den Anspruch auf Auszahlung des Hinterlegungsbetrages an die Klägerin ab. Diese Abtretung soll nach einem von der Klägerin und ihrem Ehemann unterzeichneten Schriftstück zur teilweisen Tilgung eines ihnen von der Klägerin in den Jahren 1988 bis 1995 sukzessiv in kleineren Beträgen gewährten zinslosen Darlehens in Höhe von 20 000 DM dienen. Einer Bestätigung und Einzelaufstellung der Klägerin zufolge handelt es sich um einen Betrag von insgesamt 28 850 DM, den die Klägerin in dem genannten Zeitraum in Einzelbeträgen zwischen 300 DM und 2 500 DM von ihren Sparbüchern abgehoben hatte und nach ihrem Bekunden ihrem Enkel und der Schuldnerin mit der Abrede der Rückzahlung, sobald dies wirtschaftlich möglich sei, zur Verfügung gestellt hat. Diese wollen das Geld für Aus- und Umbaumaßnahmen an ihrem Haus verwendet haben. Die einzelnen Abhebungen hat die Klägerin durch Vorlage der entwerteten Sparbücher nachgewiesen.
Mit Duldungsbescheid vom 27. September 1995 focht das FA die Abtretung der Kaufpreisforderung gemäß §191 Abs. 1 der Abgabenordnung i.V.m. §3 Abs. 1 Nr. 3 des Anfechtungsgesetzes (AnfG) gegenüber der Klägerin an. Das FA sah in der Abtretung eine unentgeltlich vorgenommene Verfügung der Schuldnerin. Von einer Darlehensgewährung könne nicht ausgegangen werden, da von den Beteiligten keine schriftlichen Vereinbarungen über Verzinsung und Rückzahlung getroffen worden seien und auch die Auszahlung des Geldes über einen Zeitraum von fast 7 Jahren in Teilbeträgen nicht für ein Darlehen, sondern für Schenkungen spreche.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin beim Finanzgericht (FG) Anfechtungsklage gegen den Duldungsbescheid und beantragte, ihr für die Durchführung des Klageverfahrens Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren.
Das FG lehnte diesen Antrag ab. Es ist der Auffassung, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da die Voraussetzungen des §3 Abs. 1 Nr. 3 AnfG erfüllt seien. Zwar könne davon ausgegangen werden, daß die Klägerin ihren Enkel und die Schuldnerin trotz der ihr als Rentnerin zur Verfügung stehenden geringen finanziellen Mittel über den betreffenden Zeitraum mit Zuwendungen in Höhe von insgesamt 28 850 DM durch Abhebungen von ihren Sparbüchern unterstützt habe. Dem Vortrag, es habe sich dabei um Teilbeträge eines zinslosen Kredits gehandelt und nicht um Schenkungen, könne aber nicht gefolgt werden. Dazu führt das FG aus: "Die Klin. ist 1905 geboren und war zum Zeitpunkt der ersten Zahlung (1 000 DM in 1988) bereits 83 Jahre alt. Ein schriftlicher Darlehensvertrag wurde zwischen ihr und ihrem Enkel bzw. der Schuldnerin nicht geschlossen. Nach dem Vortrag der Klin. wurde mündlich eine Rückzahlung der ungesichert hingegebenen Beträge entsprechend den wirtschaftlichen Möglichkeiten der ,Darlehensnehmer` vereinbart, ohne daß bis Anfang 1995 eine auch nur teilweise Tilgung erfolgt wäre. Das behauptete Darlehen wurde vielmehr über den Zeitraum von ca. 7 Jahren permanent aufgestockt, obwohl sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Enkels und der Schuldnerin offenbar nicht verbessert hatten. Die Klin. konnte daher -- schon aufgrund ihres hohen Alters -- gar nicht davon ausgehen, daß sie noch Rückzahlungen erhalten werde. Bei dieser Sachlage kann realistischerweise nur davon ausgegangen werden, daß die Klin. ihrem Enkel und der Schuldnerin die Geldbeträge wegen der zu ihnen bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen geschenkt hat."
Hiergegen hat die Klägerin Beschwerde eingelegt und dabei gerügt, das FG habe seiner Entscheidung eine vorweggenommene Beweisaufnahme zugrunde gelegt. Das sei nicht zulässig, zumal ihre Beweisangebote (Einvernahme ihres Enkels und der Schuldnerin als Zeugen) unberücksichtigt geblieben seien. Darin liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. In der Sache hält die Klägerin an ihrem Vortrag fest. Sie betont, daß ein Darlehen keiner Schriftform bedürfe und es den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche, daß im familiären Kreis nicht alles schriftlich festgehalten werde. Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags hat die Klägerin im Beschwerdeverfahren eine eidesstattliche Versicherung ihres Enkels vorgelegt. Darin bestätigt dieser, daß es sich bei dem Betrag in Höhe von 28 850 DM um ein Darlehen gehandelt habe, welches die Großmutter ihm und seiner Frau zur Behebung einer finanziellen Notlage -- hohe Verschuldung infolge fehlerhafter Finanzberatung -- mit der Abrede der Rückzahlung bei Besserung der finanziellen Verhältnisse zur Verfügung gestellt habe.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Nach seiner Auffassung sei weder das Vorliegen einer Darlehensvereinbarung noch überhaupt die Geldhingabe glaubhaft oder nachgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat Erfolg.
1. Nach §142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. §114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist PKH zu bewilligen, wenn der Kläger bzw. Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn ferner die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Er darf nicht von vornherein aussichtslos erscheinen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, vgl. Beschlüsse vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217; vom 15. September 1992 VII B 62/92, BFH/NV 1994, 149, und vom 22. Februar 1994 VII B 114/92, BFH/NV 1994, 822, m.w.N.). Der Regelung in §117 Abs. 1 Satz 2 ZPO, nach der der Antragsteller in dem Antrag auf PKH das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen hat, ist zu entnehmen, daß der Antragsteller die hinreichende Erfolgsaussicht mit eigenen Angaben aufzuzeigen hat, ob und in welchem Umfang die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Zur Darlegung einer hinreichenden Erfolgsaussicht reicht ein schlüssiges Vorbringen mit Beweisantritt aus, wenn infolge dessen eine Beweisaufnahme im Hauptverfahren ernsthaft in Betracht kommt. Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist auch im Rahmen des PKH- Verfahrens grundsätzlich nicht zulässig. Das gilt jedenfalls dann, wenn es um die erstmalige Vernehmung von Zeugen geht, deren Ergebnis typischerweise nicht zuverlässig vorausgesagt werden kann (Senat in BFH/NV 1994, 149, 150, m.w.N.).
Im PKH-Verfahren ist der BFH Tatsachengericht. Daher kann noch im Beschwerdeverfahren neues, die Erfolgsaussicht begründendes tatsächliches Vorbringen vorgetragen und können weitere Beweismittel vorgelegt werden, falls die Klage noch beim FG anhängig ist und dort im Klageverfahren solches neues tatsächliches Vorbringen berücksichtigt werden muß (Senat in BFH/NV 1994, 822).
Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Erfolgsaussichten sind in der Regel dann als hinreichend anzusehen, wenn die Gründe für und gegen einen Erfolg als gleichwertig zu bewerten sind, so daß im Ergebnis für beide Beteiligte eine hinreichende Erfolgsaussicht bestehen kann. Bei Abwägung der für und gegen den Erfolg sprechenden Umstände darf eine abschließende Prüfung nicht vorgenommen werden. Eine Vorwegnahme der Endentscheidung im PKH-Verfahren würde sonst zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, daß der Antragsteller gehindert wäre, seine Rechte aus der Gewährung der PKH in vollem Umfang wahrzunehmen. Das schließt nicht aus, daß das Gericht die Möglichkeit einer Beweisführung dann für ganz unwahrscheinlich hält, wenn das FA für die Richtigkeit des von ihm angenommenen Sachverhalts konkrete Tatsachen und Schlußfolgerungen benennt und der Betroffene dies lediglich pauschal bestreitet (Senat in BFH/NV 1994, 149, 150).
2. Bei Anwendung der dargelegten Grundsätze hat die Beschwerde der Klägerin Erfolg. Das FG hat nach Auffassung des Senats die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung im PKH- Verfahren überspannt. Im Hauptsacheverfahren kommt nämlich nach den Umständen eine Beweisaufnahme, deren Ergebnis nicht vorhergesehen werden kann, ernsthaft in Betracht.
a) Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt bei summarischer Betrachtung allein davon ab, ob sich der Vortrag der Klägerin, sie habe die von ihren Sparbüchern in dem angegebenen Zeitraum abgehobenen Beträge ihrem Enkel und dessen Frau, der Schuldnerin, mit der Maßgabe der Verpflichtung zur Rückzahlung gewährt, sobald dies wirtschaftlich möglich sei, als zutreffend erweist. In diesem Fall hätte die Klage Erfolg, weil es sich bei der Abtretung der Kaufpreisforderung aus dem Verkauf des Grundstücks durch die Schulderin an die Klägerin dann nicht um eine unentgeltliche Verfügung i.S. des §3 Abs. 1 Nr. 3 AnfG handeln würde, sondern um eine Leistung zur Tilgung des Darlehens. Stellt sich hingegen die Auffassung des FA, die von den Sparbüchern abgehobenen Beträge seien, wenn sie überhaupt der Schuldnerin und deren Ehemann zugeflossen seien, als Schenkungen im Familienkreis anzusehen, als richtig heraus, so hätte die Klage gegen den Duldungsbescheid keinen Erfolg, weil die angefochtene Abtretung dann als unentgeltliche Verfügung zu beurteilen wäre und auch alle weiteren Voraussetzungen der Anfechtungsvorschrift -- das ist zwischen den Beteiligten wohl unstreitig -- erfüllt sind. Zur Klärung dieser Frage ist allein eine tatsächliche Würdigung des Lebensvorgangs erforderlich, die vor Gericht typischerweise die Durchführung einer Beweisaufnahme voraussetzt.
b) Die Klägerin hat alles ihr Mögliche und Zumutbare getan, ihrer Darlegungspflicht hinsichtlich des Streitstands nachzukommen. Sie hat schlüssig und substantiiert vorgetragen, daß sie im Laufe eines Zeitraums von nahezu 7 Jahren in 28 Fällen Beträge zwischen 300 DM und 2 500 DM von ihren Sparbüchern abgehoben und ihrem Enkel und der Klägerin als unverzinsliches und unbefristetes Darlehen zur Verfügung gestellt hat. Die verschiedenen Abhebungen hat sie durch Vorlage der Sparbücher vor dem FG nachgewiesen. Dafür, daß die Beträge den Begünstigten auch zugeflossen sind, und zwar mit dem Rechtsgrund der Darlehensabrede, hat sie Beweis angeboten durch Einvernahme der beiden Begünstigten als Zeugen. Diese haben dies schriftlich bestätigt, wenn auch anfänglich lediglich einen Darlehensbetrag in Höhe von 20 000 DM angegeben. Darüber hinaus hat sie im Beschwerdeverfahren noch eine den Anforderungen entsprechende eidesstattliche Erklärung ihres Enkels vorgelegt, welche ihre Darstellung bestätigt.
c) Dies alles zusammen reicht nach Auffassung des Senats für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht im Hauptsacheverfahren aus. Aufgrund des schlüssigen und substantiierten Vortrags kommt eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht, wobei die Möglichkeit einer Beweisaufführung im Sinne der Darstellung der Klägerin nicht unwahrscheinlich erscheint. Demgegenüber verfangen die vom FG angestellten Erwägungen, mit denen es ohne Beweiserhebung bereits im PKH-Verfahren zu einem für die Klägerin negativen Ergebnis gekommen ist, nicht.
Zunächst ist mit der Klägerin davon auszugehen, daß eine Darlehensabrede nach dem Gesetz keiner Schriftform bedarf (vgl. §607 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Zwar ist die Schriftform im Geschäfts- und Wirtschaftsleben schon aus Beweisgründen üblich. Dies gilt jedoch nicht unbedingt für zinslose und ungesicherte Privatdarlehen im Familienkreis. Die fehlende Schriftlichkeit allein kann somit der Klägerin weder aus Rechtsgründen noch als Erfahrungssatz entgegengehalten werden. Insbesondere ist kein Fremdvergleich anzustellen, da es bei den Zahlungen der Klägerin an ihren Enkel und dessen Frau nicht um die Frage der Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile geht.
Die Erwägungen des FG, angesichts des hohen Alters der Klägerin schon zu Beginn der Zahlungen, was eine Rückzahlung nicht mehr erwarten lasse, und der ständigen Aufstockung des "Darlehens", obgleich sich die wirtschaftliche Situation der Begünstigten nicht gebessert habe, könne "realistischerweise" nur von einer Schenkung aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehung ausgegangen werden, sind bloße Mutmaßungen, die weder durch Tatsachen noch durch Erfahrungssätze belegt werden. Ebensogut ließe sich vertreten, die ratenweise Aufstockung des Darlehens sei gerade durch die fortwährend schlechte wirtschaftliche Situation der zur Familie gehörenden Begünstigten bedingt gewesen. Letzten Endes ersetzen bloße Mutmaßungen des FG das mögliche Ergebnis einer Beweisaufnahme im Hauptverfahren. Es liegt eine Art vorweggenommene Beweiswürdigung vor. Das ist im PKH-Verfahren unzulässig und zwingt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
3. Der Senat hält es für angezeigt, die Sache an das FG zurückzuverweisen (§§132, 155 FGO i.V.m. §575 ZPO). Da nach dem gegenwärtigen Sachstand die Annahme gerechtfertigt erscheint, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, wird das FG nur noch darüber zu befinden haben, ob auch die übrigen für die Bewilligung der PKH erforderlichen Voraussetzungen des §114 ZPO im Streitfall erfüllt sind. Insbesondere das Vorliegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat das FG -- von seinem Standpunkt zutreffend -- noch nicht geprüft.
Fundstellen
Haufe-Index 153986 |
BFH/NV 1999, 342 |