Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Unternehmereigenschaft der Deutschen Bundespost POSTDIENST
Leitsatz (NV)
Ob und ggf. inwieweit die Deutsche Bundespost nach Durchführung der Poststrukturreform mit Wirkung vom 1. Juli 1989 im Bereich des Brief- und Paketdienstes i. S. des § 2 Abs. 3 UStG 1980 unternehmerisch tätig wird, ist ernstlich zweifelhaft i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 3; EWGRL 388/77 Art. 4 Abs. 5, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a; PostStruktG Art. 1 §§ 1, 4, Art. 2 § 7; PostV §§ 2, 17; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt die Vermietung gewerblicher Räume. Ab 1. Juli 1989 vermietete sie einen Teil eines Gebäudes (nebst Kfz- Stellplätzen) in X an die Bundesrepublik Deutschland -- Bundesrepublik -- (Deutsche Bundespost) zur Unterbringung von "Betriebsdienststellen" (Mietvertrag vom ... März 1989). Der monatliche Mietzins wurde "zuzüglich der jeweils geltenden Mehrwertsteuer" geschuldet (§ 3 des Vertrages).
Die Antragstellerin verzichtete auf die Steuerbefreiung dieser Mietumsätze (§§ 9, 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1980) und machte Umsatzsteuer, die ihr im Zusammenhang mit dem Umbau der Räume in Rechnung gestellt worden war, als Vorsteuerbeträge geltend.
Dem folgte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) im Anschluß an zwei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen (Berichte vom 29. November 1989 und 13. Mai 1992) nicht. Das FA war (und ist) der Auffassung, die Antragstellerin könne die Vermietungsumsätze nicht als steuerpflichtig behandeln, weil diese nicht -- wie § 9 Abs. 1 UStG 1980 voraussetze -- an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt worden seien. Die Deutsche Bundespost sei im allgemeinen hoheitlich tätig und deshalb nicht Unternehmerin i. S. des § 2 UStG 1980.
Dementsprechend beurteilte das FA in den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre (1988 und 1989) die Vermietungsumsätze der Antragstellerin an die Deutsche Bundespost als steuerfrei, ließ insoweit die geltend gemachten Vorsteuern nicht zum Abzug zu, nahm eine Vorsteuerkorrektur nach § 15 a UStG 1980 vor, weil der Anteil der steuerfreien Vermietungsumsätze nunmehr gestiegen sei, und setzte Umsatzsteuern nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 fest, weil die Antragstellerin der Deutschen Bundespost zu Unrecht Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt habe.Ü
ber die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden.
Dem zunächst vom FA und der Oberfinanz direktion (OFD) abgelehnten Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen, gab das FG im wesentlichen statt. Es führte zur Begründung u. a. aus: Bei summarischer Prüfung treffe die Auffassung der Antragstellerin zu, daß die Deutsche Bundespost POSTDIENST seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der Deutschen Bundespost (Poststrukturgesetz -- PostStruktG --) vom 8. Juni 1989 (BGBl I 1989, 1026) am 1. Juli 1989 mit ihrer ganz überwiegenden Tätigkeit einen Betrieb gewerblicher Art i. S. von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980 unterhalte und insoweit als Unternehmerin handele. Der Beschluß ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 749 abgedruckt.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA u. a. geltend: Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 UStG 1980 n. F. gelte ab 1. Juli 1990 nur die Tätigkeit der Deutschen Bundespost TELEKOM als unternehmerisch. Im Rahmen dieser Änderung des UStG 1980 habe der Gesetzgeber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die Deutsche Bundespost nach dem 30. Juni 1989 steuerrechtlich weiterhin ein Hoheitsbetrieb sei (BTDrucks 11/6174 vom 27. Dezember 1989). Entgegen der Annahme des FG richteten sich die Rechtsbeziehungen zwischen der Post und ihren Kunden nicht ausschließlich nach Privatrecht. Im übrigen sehe die Deutsche Bundespost POSTDIENST sich selber hinsichtlich des Brief-, Paket-, Fracht- und Postzeitungsdienstes als Hoheitsbetrieb.
Die Antragstellerin tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen und macht u. a. unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Urteil vom 17. Oktober 1989 Rs. 231/87, 129/88 (Slg. 1989, 3233, Umsatzsteuer-Rundschau -- UR -- 1991, 77) geltend, daß die Deutsche Bundespost POSTDIENST in den angemieteten Räumen Tätigkeiten unter den gleichen rechtlichen Bedingungen ausgeübt habe wie private Wirtschaftsteilnehmer.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des FA ist unbegründet.
An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide für 1988 und 1989 bestehen in dem vom FG angenommenen Umfang ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Ernstliche Zweifel im Sinne der bezeichneten Vorschriften bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend entschieden zu werden. Andererseits muß die Prüfung so weit reichen, bis feststeht, ob gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes sprechen (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 1977 I R 162--163/76, BFHE 123, 3, BStBl II 1977, 765 unter 1.; BFH-Beschluß vom 26. Februar 1988 V B 138/87, BFH/NV 1988, 532; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 69 FGO Rz. 69; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Anm. 107).
Es sprechen gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide, soweit sie auf der Auffassung be ruhen, die Antragstellerin sei nicht zum Vorsteuerabzug aus den Bauleistungen berechtigt bzw. der Vorsteuerabzug sei gemäß § 15 a UStG 1980 zu berichtigen, weil das Gebäude für steuerfreie Vermietungsumsätze verwendet worden sei; die Antragstellerin habe die streitigen Vermietungsumsätze nicht i. S. des § 9 Abs. 1 UStG 1980 an einem anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt, weil die Deutsche Bundespost im allgemeinen hoheitlich und deshalb nicht unternehmerisch i. S. des § 2 UStG 1980 tätig werde.
a) Die Deutsche Bundespost, an die die Antragstellerin ab dem 1. Juli 1989 Vermietungsumsätze ausgeführt hat, ist auch nach der ab 1. Juli 1989 aufgrund des PostStruktG geltenden Fassung ohne zivilrechtliche Rechtsform und damit juristische Person des öffentlichen Rechts i. S. des § 2 Abs. 3 UStG 1980. Sie hat die Mieträume -- wie unter den Beteiligten nicht streitig ist -- für Zwecke des Brief- und Paketzustelldienstes als Postverteilerstelle genutzt.
b) Während die Deutsche Bundespost früher grundsätzlich als Hoheitsbetrieb behandelt wurde (vgl. FG Baden-Württemberg, Beschluß vom 9. Juni 1992 9 V 14/91, EFG 1992, 632, und Urteil vom 17. Mai 1993 9 K 48/93, EFG 1993, 748; Birkenfeld in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 2 Abs. 3 Satz 1 Rz. 1339, § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Rz. 1833; kritisch Wagner in Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft -- DStJG --, Band 13, 1990, S. 59, 68, 73 ff.), ist noch nicht geklärt, ob -- und ggf. in welchem Umfang -- nach Durchführung der Poststrukturreform durch das PostStruktG eine andere Beurteilung angezeigt ist.
aa) Seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes am 1. Juli 1989 nimmt der Bundesminister für Post und Telekommunikation politische und hoheitliche Aufgaben wahr; er übt die Rechte des Bundes auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldewesens aus. Der Deutschen Bundespost obliegen in Wahrnehmung ihres öffentlichen Auftrags im nationalen und internationalen Bereich unternehmerische und betriebliche Aufgaben des Post- und Fernmeldewesens. Die Deutsche Bundespost ist nun in drei Teil bereiche gegliedert, die als "öffentliche Unternehmen" mit den Bezeichnungen Deutsche Bundespost POSTDIENST, Deutsche Bundespost POSTBANK und Deutsche Bundespost TELEKOM geführt werden. Diese Unternehmen beteiligen sich in Wahrnehmung ihrer Aufgaben am Wettbewerb (vgl. Art. 1 §§ 1, 4 PostStruktG). Zudem ist nunmehr bestimmt, daß die durch die Inanspruchnahme der Einrichtungen des Postwesens entstehenden Rechtsbeziehungen -- mit einer im Streitfall nicht einschlägigen Ausnahme -- privatrechtlicher Natur sind (vgl. Art. 2 § 7 PostStruktG).
bb) Diese Vorschriften sind Teil der mit dem PostStruktG beabsichtigten Trennung der Hoheits- und Aufsichtsaufgaben von unternehmerisch-betrieblichen Aufgaben (vgl. Lerche in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 87 Rz. 108 ff.; Müssig, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1991, 472; Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluß vom 17. Mai 1993 1 W 14/93, NJW 1993, 2945).
cc) Die bezeichneten Vorschriften sprechen -- trotz der mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe -- dafür, daß die Deutsche Bundespost seit dem 1. Juli 1989 in dem Bereich des Brief- und Paketdienstes, um den es im Streitfall geht -- jedenfalls teil weise --, unternehmerisch i. S. des § 2 Abs. 3 UStG 1980 tätig wird (vgl. Wagner in DStJG, Band 13, 1990, S. 59, 68 f.; Birkenfeld in Hartmann/Metzenmacher, a. a. O., § 2 Abs. 3 Satz 1 Rz. 1339, § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Rz. 1929 ff.; Sorgenfrei, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1993, 1893 ff.).
Denn nach der Rechtsprechung des Senats betätigt sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts u. a. dann unternehmerisch i. S. von § 2 Abs. 3 UStG 1980, wenn sie Tätigkeiten ausführt, wie sie auch von einem privaten Unternehmer ausgeführt werden können (vgl. Urteil vom 30. Juni 1988 V R 79/84, BFHE 154, 192, BStBl II 1988, 910) oder wenn eine Nichtbesteuerung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (vgl. Urteil vom 10. Dezember 1992 V R 3/88, BFHE 170, 277, BStBl II 1993, 380).
Diese Abgrenzung unternehmerischer Tätigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts i. S. von § 2 Abs. 3 UStG 1980 durch den Senat deckt sich grundsätzlich mit der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe zur Behandlung "öffentlicher Einrichtungen" als Steuerpflichtige gemäß Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern -- Gemeinsames Mehrwertsteuersystem -- 77/388/EWG -- (Sechste Richtlinie), Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABlEG) 1977 Nr. L 145, S. 1. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt bereits dann keine Tätigkeit "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" durch öffentliche Einrichtungen vor, wenn sie die Tätigkeit unter den gleichen Bedingungen ausüben wie private Wirtschaftsteilnehmer (Urteil vom 17. Oktober 1989 Rs. 231/87 und 129/88, Slg. 1989, 3233, UR 1991, 77), d. h., wenn sie ihre Leistungen -- wie im Streitfall die Postdienste gemäß Art. 2 § 7 PostStruktG -- aufgrund privatrechtlicher Rechtsbeziehungen ausführen. Bei Tätigkeit auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Regelungen sind die Leistungen der öffentlichen Einrichtungen dann der Umsatzsteuer zu unterwerfen, wenn anderenfalls größere Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Privaten einträten (EuGH, a. a. O.).
Soweit nach Art. 4 Abs. 5 letzter Unterabsatz der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten die Tätigkeiten der öffentlichen Einrichtungen, die nach Art. 13 und 28 von der Steuer befreit sind, als Tätigkeiten be handeln können, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, ergibt sich daraus keine andere Beurteilung des Streitfalls. Zwar erfaßt die Befreiungsregelung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie "die von den öffentlichen Posteinrichtungen ausgeführten Dienstleistungen und die dazugehörenden Lieferungen von Gegenständen mit Ausnahme der Personenbeförderung und des Fernmeldewesens".
Das UStG 1980 "befreit" aber die hier streitigen Leistungen der Post (POSTDIENST) weder in § 4 noch (im Ergebnis) -- ausdrücklich -- in § 2 Abs. 3. Ob sich die Deutsche Bundespost (POSTDIENST) -- die kein Beteiligter des vorliegenden Verfahrens ist -- bei dieser Rechtslage gegenüber einer Behandlung als Steuerpflichtige zu ihren Gunsten auf Art. 13 i. V. m. Art. 4 Abs. 5 letzter Unterabsatz der Sechsten Richtlinie berufen könnte, hält der Senat ebenfalls für eine Rechtsfrage, die nicht eindeutig beantwortet werden kann und die Aussetzung der Vollziehung der von der Antragstellerin angefochtenen Umsatzsteuerbescheide rechtfertigt.
Ob eine unternehmerische Tätigkeit allenfalls insoweit angenommen werden kann, als die Deutsche Bundespost POSTDIENST seit dem 1. Juli 1989 sog. Wettbewerbsdienstleistungen angeboten hat (vgl. § 17 der Postdienstverordnung -- PostV -- vom 24. Juni 1991, BGBl I 1991, 1372), also nicht in dem Bereich der sog. Monopoldienstleistungen (vgl. § 2 PostV), für die -- nach wie vor -- ein Beförderungs vorbehalt nach § 2 des Gesetzes über das Postwesen in der durch Art. 2 Nr. 2 PostStruktG geänderten Fassung besteht, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung. Denn dafür, daß auch Monopoldienstleistungen unternehmerisch i. S. des § 2 Abs. 3 UStG 1980 erbracht werden können, lassen sich die -- zu berücksichtigenden -- Bestimmungen des Art. 4 Abs. 5 der Sechsten Richtlinie (vgl. Wagner, UR, 1993, 301 ff.) anführen (vgl. auch § 4 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes). Dementsprechend bestehen auch insoweit ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 419993 |
BFH/NV 1995, 455 |