Leitsatz (amtlich)
Die Inanspruchnahme des Schachtelprivilegs setzt voraus, daß die sie begründende Beteiligung unmittelbar der beteiligten Kapitalgesellschaft gehört. Das ist nicht der Fall, wenn die Beteiligung zum Gesellschaftsvermögen einer Personengesellschaft gehört, an der die Kapitalgesellschaft beteiligt ist.
Normenkette
KStG § 9 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine OHG. An ihrem Unternehmen sind zu 99 v. H. eine Aktiengesellschaft und zu 1 v. H. eine GmbH beteiligt. Die Klägerin selbst ist zu mehr als 25 v. H. am Stammkapital dreier Gesellschaften mbH beteiligt; eine Gewinnabführungsvereinbarung zwischen der Klägerin und diesen Gesellschaften besteht nicht.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat in den einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheiden 1960 bis 1964 (vom 2. Juni 1969) die Gewinnanteile, die der Klägerin aus ihren Beteiligungen zugeflossen sind, der Klägerin zugerechnet, während die Klägerin sie gemäß § 9 Abs. 1 KStG außer Ansatz gelassen wissen will, weil ihre Gesellschafterin - die Aktiengesellschaft - über sie - die Klägerin - zu mehr als 25 v. H. an diesen Gesellschaften mbH beteiligt sei.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG, dessen Entscheidung in den EFG 1972, 201, veröffentlicht ist, hat ausgeführt, daß das Schachtelprivileg nur bei unmittelbarer Beteiligung einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft am Stammkapital einer anderen unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft gegeben sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die festgestellten Gewinne um die in den Streitjahren angefallenen Schachtelerträge zu mindern. Zur Begründung läßt sie vortragen:
Das FG berufe sich zur Begründung seiner Auffassung, daß das nach § 9 Abs. 1 KStG erforderliche Moment der Unmittelbarkeit der Beteiligung im Streitfalle nicht gegeben sei, zu Unrecht auf das Urteil des BFH vom 11. Oktober 1966 I 85/64 (BFHE 87, 78, BStBl III 1967, 32) zur Frage der unmittelbaren Beteiligung im Sinne von § 19 Abs. 1 Nr. 2 (letzte Voraussetzung) KStG. Die Lösung sei in erster Linie aus § 9 Abs. 1 KStG zu suchen. Als Beteiligter im Sinne von § 9 Abs. 1 KStG dergestalt, daß eine Beteiligung ihm "gehöre", sei vom RFH (Urteil vom 13. April 1937 I A 304/36, RStBl 1937, 758) wie vom BFH (Urteil vom 25. September 1968 I 52/64, BFHE 93, 444, BStBl II 1969, 18) derjenige verstanden worden, der die Beteiligung zu Eigentum besitze oder doch zumindest wie ein Eigentümer über sie verfügen könne. Das seien bei einer Personengesellschaft die Gesellschafter, da der Gesellschaft keine Rechtssubjektivität zukomme.
Zwar stehe nach Handelsrecht das Gesellschaftsvermögen einer OHG den Gesellschaftern (nur) zur gesamten Hand zu. Für die Besteuerung vom Einkommen sei die OHG indes nur formell existent; materiell steuerpflichtig seien allein die Gesellschafter (BFH-Urteil vom 2. November 1960 I 173/60 S, BFHE 72, 20, BStBl III 1961, 9). Das FG räume deshalb auch ein, daß die Bilanzbündeltheorie bei folgerichtiger rechtstheoretischer Anwendung zur Anerkennung einer unmittelbaren Beteiligung der Gesellschafter am Gesellschaftsvermögen der OHG führen müsse, sehe indes in ihrer Anwendung auf den Streitfall eine konstruktive Überspitzung, die zur Umgehung des Tatbestandsmerkmals der Unmittelbarkeit führe (BFH-Urteil vom 31. Januar 1964 VI 337/62 S, BFHE 79, 19, BStBl III 1964, 240). Dem könne nicht zugestimmt werden; umgekehrt würde die Außerachtlassung der Bilanzbündeltheorie bei der Auslegung des Begriffs der Unmittelbarkeit eine formal überspitzte Betrachtungsweise darstellen, die mit dem Zweck dieser Theorie nicht vereinbar sei.
Darüber hinaus seien bei der Auslegung einer Vorschrift deren Sinn und Zweck zu berücksichtigen. Sie müßten im Zweifel Vorrang vor der Wortauslegung haben. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG sei es, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die dreifache Besteuerung der Erträge einer Kapitalgesellschaft zu vermeiden. Dies fordere in Fällen wie dem vorliegenden nach der Rechtsprechung eine über den Wortlaut des Gesetzes hinausführende erweiternde Auslegung, wenn die Anwendung der in ihrem Wortlaut eindeutigen Vorschrift zu einem ihrem Sinn und Zweck offenbar widersprechenden Ergebnis führe (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1970 I R 122/68, BFHE 101, 79, BStBl II 1971, 187). Auch habe der BFH im Urteil vom 17. Februar 1971 I R 8/69 (BFHE 102, 41, BStBl II 1971, 535) selbst darauf hingewiesen, daß zwischen den Zielsetzungen der Vorschriften des § 19 Abs. 3 KStG einerseits und des § 9 Abs. 1 KStG andererseits kein Zusammenhang bestehe und daß - so im Urteil I 85/64 - sich die Gleichstellung einer mittelbaren mit einer unmittelbaren Beteiligung bei Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift auch aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben könne.
Wolle man dem nicht zustimmen, so liege eine Gesetzeslücke vor, die der Ausfüllung bedürfe.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Ausgangspunkt der Entscheidung müsse der Wortlaut des Gesetzes sein. Die gesamthänderische Gebundenheit der Gesellschafter einer Personengesellschaft führe dazu, daß die Gesellschafter zwar am Gesellschaftsvermögen beteiligt seien, nicht aber an den einzelnen Sachen und Rechten, die dieses Vermögen ausmachten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Nach § 6 Abs. 1 KStG bestimmt sich nach den Vorschriften des EStG und der §§ 7 bis 16 KStG, was als Einkommen der nach § 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen juristischen Personen und der ihnen nach dieser Vorschrift gleichgestellten Unternehmen gilt und wie es zu ermitteln ist. Die Klägerin zählt nicht zu diesem Kreise, so daß die Vorschrift des § 9 Abs. 1 KStG auf die Ermittlung ihres Gewinns (vgl. § 215 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 120 Abs. 1 HGB) keine Anwendung findet. Dagegen findet sie Anwendung bei der Ermittlung des Einkommens ihrer Gesellschafter, soweit diese die Voraussetzungen der Anwendbarkeit dieser Vorschrift - insbesondere auch hinsichtlich der vom Gesetz geforderten Unmittelbarkeit der Beteiligung - erfüllen.
2. Der erkennende Senat hat im Urteil I 85/64 ausgeführt, daß die Gleichstellung einer mittelbaren Beteiligung mit einer unmittelbaren einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift (wie z. B. der des § 16 Abs. 4 des Aktiengesetzes - AktG -) bedarf, es sei denn, daß sich die Gleichstellung aus dem Sinn und Zweck einer gesetzlichen Vorschrift eindeutig ergebe. Das wurde in jenem Urteil für die Vorschrift des § 19 Abs. 1 Nr. 2 (letzte Voraussetzung) KStG hinsichtlich der zum Betriebsvermögen einer Personengesellschaft gehörenden Beteiligungen verneint; Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die im Gesellschaftsvermögen einer Personengesellschaft des Handelsrechts liegen, stehen anteilsmäßig nicht den einzelnen Gesellschaftern der Personengesellschaft, sondern allen Gesellschaftern in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit zu, so daß nicht die Mitglieder der Personengesellschaft, sondern diese als solche als Gesellschafterin der Kapitalgesellschaft anzusehen ist. Diese Auffassung hat der Senat zuletzt in seinem Urteil vom 3. Oktober 1973 I R 24/72 (BFHE 110, 365, BStBl II 1974, 15; zustimmend Keuk, StuW 1974 Bd. 1 S. 15 unter A I 4 b) für die Vorschrift des § 19 Abs. 1 Nr. 2 (erste Voraussetzung: "gehören") KStG erneut bestätigt.
3. Darüber hinaus fehlt es im Streitfalle aber am Merkmal der Unmittelbarkeit der Beteiligung, das in § 9 Abs. 1 KStG für die Anwendbarkeit ausdrücklich gefordert wird, auch unter den von der Klägerin in den Vordergrund ihrer Überlegungen gestellten Gesichtspunkten.
a) Das Wesen der Gesamthand besteht nach herrschender Meinung in einer mitgliedschaftlichen und damit personenrechtlichen Verbundenheit der Gesellschafter, durch die die Einzelmitglieder zwar nicht zu einer Personeneinheit mit eigener Rechtspersönlichkeit, aber doch zu einer so starken Gemeinschaftsorganisation vereint werden, daß innerhalb der so geschaffenen Gemeinschaftssphäre nicht mehr der Wille des einzelnen Mitglieds, sondern nur noch der Gesamtwille herrscht. Es wird ein Gemeinschaftsvermögen, ein für die Gesellschaftszwecke personenrechtlich gebundenes Sondervermögen gebildet.
Da die Personengesellschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, keine juristische Person ist, müssen die Rechte an den einzelnen das Gesellschaftsvermögen bildenden Sachen und Rechten den Gesellschaftern zustehen; sie zusammen in ihrer Gesamtheit sind die Rechtsträger. Die Vorschrift des § 719 Abs. 1 BGB entzieht den einzelnen Gesellschaftern deshalb die Verfügungsberechtigung über ihre Anteile an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Sachen und Rechten.
Die den Einzelwillen - insbesondere nach der Vermögensseite - ausschaltende Gesamtheit der Gesellschafter unterscheidet die Gesamthandsberechtigung von der nach Bruchteilen geteilten Mitberechtigung.
Auf die Ausführungen von Kessler bei Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., Vorbemerkung 42a und 43a zu § 705 BGB, wird hingewiesen. Der Senat befindet sich damit im Einklang mit der in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung, nach der "Träger der materiellen Rechte" die Gesellschafter der Personengesellschaft "in ihrer Zusammenfassung zur Gesellschaft" sind (Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12. Juni 1951, NJW 1952, 28; Urteil des BGH vom 30. Juni 1954 II ZR 82/53, BB 1954, 700).
b) Wie die Klägerin zutreffend ausgeführt hat, hat bereits der RFH im Urteil I A 304/36 darauf abgestellt, daß beteiligt an einer Kapitalgesellschaft im Sinne von § 9 Abs. 1 KStG derjenige ist, der die Rechte aus dem Gesellschaftsverhältnis (der Beteiligung) als eigene geltend machen kann, d. h. wer die die Beteiligung bildenden Gesellschaftsrechte (Geschäftsanteile) als Eigentümer besitzt oder doch zumindestens wie ein Eigentümer über sie verfügen kann. Das sind im Streitfalle nicht die einzelnen Gesellschafter der Klägerin, sondern nur ihre Gesellschafter in ihrer Gesamtheit. Damit aber steht fest, daß die im Gesellschaftsvermögen der Klägerin liegenden GmbH-Beteiligungen im Sinne von § 9 Abs. 1 KStG nicht unmittelbar ihrer Gesellschafterin - der Aktiengesellschaft - "gehören".
c) Dem kann auch nicht mit dem Hinweis auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift begegnet werden. Auch wenn das Gesetz das Schachtelprivileg an das Vorliegen einer Beteiligung im oben dargelegten Sinne knüpft, so kann die Vergünstigung doch nur in Anspruch nehmen, wer durch die mehrfache Erhebung von Körperschaftsteuer vom Ertrag der gleichen Beteiligung selbst betroffen ist, d. h. wer selbst als unmittelbarer Empfänger der Gewinnausschüttung auf die Beteiligung anzusehen ist. Das ist hier die Klägerin, sind nicht ihre Gesellschafter.
4. Auch die Ausführungen von Barz-Hohner (DB 1973, 2109), Kruse (StuW 1973 S. 211), Schwichtenberg (DStZ A 1973, 391; BB 1973, 1567) und van der Velde (DB 1974, 642) sowie der einzelnen von ihnen in Bezug genommenen Autoren vermögen von der Richtigkeit der Rechtsauffassung der Klägerin nicht zu überzeugen (siehe auch Flume, DB 1973, 2470; Keuk, a. a. O.). Sie wollen die Gesamthandsgemeinschaft weithin als Bruchteilsgemeinschaft verstanden wissen und verkennen damit, daß die Gesamthandsgemeinschaft eine Übergangsform zwischen Bruchteilsgemeinschaft und juristischer Person darstellt, die mit eigener Rechtszuständigkeit ausgestattet ist (Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl., S. 33, 226 ff.).
Es kann für den Senat - wie oben ausgeführt - keinem Zweifel unterliegen, daß die im Gesellschaftsvermögen der Klägerin liegenden GmbH-Beteiligungen im Sinne von § 9 Abs. 1 KStG der Klägerin und damit ihren Gesellschaftern nur in ihrer gemeinschaftlichen Bindung, "in ihrer Zusammenfassung zur Gesellschaft" gehören (§ 105 Abs. 2 HGB, § 718 Abs. 1 BGB: Gesamthandsvermögen der Gesellschafter = Gesellschaftsvermögen). Solange das bürgerliche und das Handelsrecht Personenzusammenschlüssen (Personengesellschaften), deren Zweck auf die gemeinschaftliche Verwirklichung eines bestimmten Strebens gerichtet ist, eine gewisse, wenn auch die der Kapitalgesellschaften nicht erreichende Selbständigkeit zuerkennen, kann diese relative rechtliche Selbständigkeit auch vom Steuerrecht dort nicht außer Acht gelassen werden, wo es auf sie abstellt, wie bei der Verwendung des Begriffs der Unmittelbarkeit bezüglich der Zuordnung bestimmter Sachen und Rechte auf diese Personenzusammenschlüsse (§ 9 Abs. 1 KStG; BFH-Urteil I R 24/72). Die Gesamthandsgemeinschaft ist etwas anderes als eine Bruchteilsgemeinschaft, weshalb die Vorschrift des § 11 Nr. 5 StAnpG hier nicht weiterhilft, weil sie nur Platz greift, "soweit nichts anderes bestimmt ist", wie hier in § 9 Abs. 1 KStG. Auf die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Personengesellschaft kommt es deshalb hier nicht an.
Fundstellen
Haufe-Index 70997 |
BStBl II 1974, 645 |
BFHE 1974, 351 |