Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelbesteuerungsabkommen
Leitsatz (amtlich)
Ein in der Schweiz wohnhafter Steuerpflichtiger, der an einem inländischen Unternehmen als echter stiller Gesellschafter beteiligt ist, unterliegt weder nach Art. 3 Abs. 4 noch nach Art. 6 Abs. 2 DBAS der deutschen Besteuerung.
Normenkette
DBA CHE Art. 6, 3; OECD-MA 7; DBA Allgemein
Tatbestand
Der Bg. wohnt in der Schweiz. Er ist mit zusammen 300.000 DM Einlagen an drei miteinander in Zusammenhang stehenden inländischen Firmen beteiligt. In den Jahren 1959 und 1960 hat er die Gewinnanteile für die Jahre 1956 bis 1959 erhalten; hierauf sind 98.478,60 DM an Kapitalertragsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt worden.
Im September 1960 erkundigte sich der Bg. nach der Kapitalertragsteuerpflicht seiner Gewinnanteile. Im Mai 1961 erhielt er die Antwort, daß er auf Grund der Neufassung des Abkommens zwischen dem Deutschen Reiche und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBAS - (BStBl 1959 I S. 1006) nicht der inländischen Besteuerung unterliege. Daraufhin stellte er den Antrag, ihm die einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt ab, indem es sich auf den Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 11. Juni 1959 (BStBl 1959 II S. 100) berief und seine zunächst erteilte Antwort aufhob. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Auf die Berufung des Bg. hin gab das Finanzgericht dem Antrag statt. Unter änderung der Einspruchsentscheidung und des ablehnenden Bescheids setzte es die zu erstattende Kapitalertragsteuer auf 98.478,60 DM fest. Nach der Auffassung des Finanzgerichts, dessen Urteil in "Entscheidungen der Finanzgerichte" - EFG - 1964 S. 269 veröffentlicht ist, steht das Recht der Besteuerung allein der Schweiz zu.
Mit seiner Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er ist der Meinung, das Besteuerungsrecht stehe, jedenfalls soweit der Kapitalertragsteuerabzug in Betracht komme, der Bundesrepublik zu. Das Finanzgericht habe zutreffend darauf hingewiesen, daß zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik unterschiedliche Auffassungen darüber bestünden, wie Einkünfte aus Beteiligungen als stiller Gesellschafter nach dem DBAS zu behandeln seien. Die unterschiedliche Auslegung rühre daher, daß das schweizerische Recht kein eigenes Rechtsinstitut der stillen Gesellschaft kenne. Ein der deutschen stillen Gesellschaft entsprechendes Rechtsverhältnis könne eine einfache Gesellschaft im Sinne der Art. 530 ff. des Schweizerischen Obligationsrechts sein, die etwa den deutschen Vorschriften über die Gesellschaft bürgerlichen Rechts entspreche, oder aber ein partiarisches Darlehen darstellen. Dabei werde in der Praxis ein Gesellschaftsverhältnis angenommen, wenn zu der stillen Finanzbeteiligung gewisse Umstände, z. B. Mitwirkungsrechte, Einflußmöglichkeiten oder Aufsichtsrechte, hinzuträten, die dem stillen Gesellschafter eine gesellschafterähnliche Stellung verliehen. In den Fällen, in denen die schweizerische Praxis ein Gesellschaftsverhältnis nicht annehme, werde die typische stille Gesellschaft deutschen Rechts in der Schweiz wie ein partiarisches Darlehen behandelt. Die Schweiz sehe deshalb in diesen Fällen die Einkünfte aus einer typischen stillen Gesellschaft im Sinne des deutschen Rechts als Kapitaleinkünfte im Sinne des Art. 6 DBAS an. Die Bundesrepublik betrachte demgegenüber die stille Gesellschaft als Beteiligung an einem gesellschaftlichen Unternehmen im Sinne des Art. 3 Abs. 4 DBAS. Der deutsche Standpunkt stütze sich auf § 335 HGB, wonach der stille Gesellschafter an dem Unternehmen beteiligt sei. Zwar stellten dessen Erträge nach § 20 Abs. 1 Ziff. 2 EStG Einkünfte aus Kapitalvermögen dar; das hindere jedoch nicht, die stille Gesellschaft im Sinne von Art. 3 Abs. 4 DBAS als Beteiligung an einem gesellschaftlichen Unternehmen aufzufassen. So sei im Verhältnis zur Schweiz auch unstreitig, daß die Erträge aus Beteiligung an Gesellschaften mit beschränkter Haftung unter Art. 3 Abs. 4 DBAS fielen, obwohl sie nach § 20 Abs. 1 Ziff. 1 EStG ebenfalls Kapitaleinkünfte darstellten. Die unterschiedliche Rechtsqualifikation und Praxis in den beiden Staaten habe zur Folge, daß einerseits die in der Bundesrepublik ansässigen Steuerpflichtigen, die eine stille Beteiligung an einem schweizerischen Unternehmen unterhielten, in der Schweiz - wenn überhaupt - nur unwesentlich besteuert würden und in der Bundesrepublik steuerfrei blieben, während andererseits die in der Schweiz ansässigen Steuerpflichtigen, die als stille Gesellschafter in der Bundesrepublik beteiligt seien, sowohl die volle deutsche Kapitalertragsteuer als auch die schweizerischen Steuern ohne Anrechnung der deutschen Steuer zu tragen hätten.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, steht das Besteuerungsrecht hinsichtlich der dem Bg. zugeflossenen Gewinnanteile allein der Schweiz zu. Seine Auffassung, daß die auf die Gewinnanteile einbehaltene Kapitalertragsteuer zu Unrecht einbehalten und an den Bg. zu erstatten sei, ist nicht zu beanstanden.
Nach Art. 3 Abs. 1 DBAS werden "Betriebe von Handel, Industrie und Gewerbe jeder Art sowie Einkünfte daraus" grundsätzlich nur "in dem Staat besteuert, in dessen Gebiet das Unternehmen seine Betriebstätte hat". Nach Art. 3 Abs. 4 DBAS sind, wie Betriebe dieser Art, "auch Beteiligungen an einem gesellschaftlichen Unternehmen zu behandeln mit Ausnahme von Kuxen, Aktien, Anteilscheinen und sonstigen Wertpapieren". Hiernach unterliegt zwar der in der Schweiz wohnende Gesellschafter einer inländischen OHG oder GmbH mit seinen Einkünften aus dieser Beteiligung der inländischen Besteuerung. Gleiches würde auch für den sogenannten atypischen stillen Gesellschafter (Mitunternehmer) gelten, dessen Einkünfte gemäß § 15 Ziff. 2 EStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gelten. Der sogenannte typische stille Gesellschafter im Sinne von § 20 Abs. 1 Ziff. 2 EStG aber zählt nicht hierher, weil es nach inländischem Recht - und nur dieses ist für die inländische Erfassung maßgebend - nicht an einem "gesellschaftlichen Unternehmen" beteiligt ist. Wie bereits das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die echte stille Gesellschaft im Sinne von § 20 Abs. 1 Ziff. 2 EStG keine Handelsgesellschaft; denn sie besitze kein Gesellschaftsvermögen - weder Gesamthandsvermögen noch Gemeinschaftsvermögen nach Bruchteilen - und keinen Betrieb der Gesellschafter. Aus Art. 3 Abs. 4 DBAS läßt sich danach für den Streitfall ein inländisches Besteuerungsrecht nicht herleiten (vgl. dazu Fricke in "Der Betrieb" 1963 S. 632 ff.).
Nach Art. 6 Abs. 1 DBAS werden "bewegliches Kapitalvermögen und Einkünfte daraus" nur "in dem Staat besteuert, in dem der Gläubiger seinen Wohnsitz hat". Bewegliches Kapitalvermögen in diesem Sinne ist auch die Beteiligung des sogenannten typischen stillen Gesellschafters, dessen Einkünfte auch nach inländischem Recht Einkünfte aus "Kapitalvermögen" sind (§ 20 Abs. 1 Ziff. 2 EStG). Danach steht das Besteuerungsrecht im Streitfall der Schweiz als dem Wohnsitzstaat zu.
Nach Art. 6 Abs. 2 DBAS steht zwar dem Quellenstaat das Besteuerungsrecht zu, soweit "Dividenden und Zinsen im Abzugsweg (an der Quelle) erhoben werden". Danach steht der Bundesrepublik das Recht der Besteuerung z. B. auf im Inland ausgeschüttete Dividenden aus Aktien zu, bei denen der Steuerabzug vorzunehmen ist (Kapitalertragsteuer). Wie das Finanzgericht aber zutreffend ausgeführt hat, sind die einem echten stillen Gesellschafter im Sinne von § 10 Abs. 1 Ziff. 2 EStG gewährten Gewinnanteile weder "Dividenden" noch "Zinsen" im üblichen Wortsinn, sondern eben "Gewinnanteile". Diese Auffassung liegt auch dem Schlußprotokoll in der durch Ziff. 20 des Zusatzprotokolls vom 9. September 1957 (BStBl 1959 I S. 151) vorgenommenen Ergänzung zugrunde. Danach läßt sich auch aus Art. 6 Abs. 2 DBAS für die Bundesrepublik als Quellenstaat nicht das Besteuerungsrecht auf die dem Bg. zugeflossenen Gewinnanteile herleiten.
Der Vorsteher des Finanzamts weist zutreffend darauf hin, daß die Beteiligung an einer GmbH unter Art. 3 Abs. 4 DBAS fällt, obwohl die GmbH-Beteiligung nach inländischem Recht ebenso wie die Beteiligung des echten stillen Gesellschafters Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Abs. 1 EStG ist. Aus dieser gleichen Einordnung nach inländischem Recht ergibt sich jedoch nicht, daß die Beteiligung des echten stillen Gesellschafters gleich wie die GmbH-Beteiligung unter Art. 3 Abs. 4 DBAS gerechnet werden müßte. Wenn Art. 3 Abs. 4 DBAS z. B. Aktien als Beteiligungen ansieht, sie dann allerdings wieder herausnimmt, so ergibt sich daraus zwar, daß hier auch die gesellschaftlichen Beteiligungen an einer Kapitalgesellschaft als "Beteiligungen an einem gesellschaftlichen Unternehmen" angesehen werden. Die gesellschaftliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist aber etwas anderes als die Beteiligung eines echten stillen Gesellschafters, so daß sich auch unter diesem Gesichtspunkt nicht die Möglichkeit ergibt, die Beteiligung des echten stillen Gesellschafters unter Art. 3 Abs. 4 DBAS einzuordnen.
Es mag auffallend erscheinen, daß einerseits ein in der Schweiz wohnender Gesellschafter einer inländischen GmbH der inländischen Besteuerung in vollem Umfang und ein in der Schweiz wohnender Aktionär einer inländischen AG hinsichtlich des Kapitalertragsteuerabzugs der inländischen Besteuerung unterliegt, während ein echter stiller Gesellschafter, obwohl er ebenfalls aus einem inländischen Unternehmen Bezüge hat, der inländischen Besteuerung nicht unterliegt. Die Bestimmungen des DBAS können aber nicht deswegen entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut ausgelegt werden. Es muß den beteiligten Staaten überlassen werden, ihre vertraglichen Vereinbarungen entsprechend zu ergänzen.
Fundstellen
Haufe-Index 411531 |
BStBl III 1965, 258 |
BFHE 1965, 29 |
BFHE 82, 29 |