Leitsatz (amtlich)
Mittelbare Anteilsvereinigung in der Hand des Treugebers bei Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch Treuhänder.
Orientierungssatz
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG will die Sachherrschaft erfassen, welche jemand an dem Gesellschaftsgrundstück über die rechtliche Verfügungsmacht an den Gesellschaftsanteilen erlangt. Aus dieser Sicht kommt es nicht darauf an, ob diese Sachherrschaft direkt oder indirekt --durch zwischengeschaltete Gesellschaften oder Treuhänder-- ausgeübt wird (vgl. BFH-Rechtsprechung). Die Sachherrschaft kann auch "mehrstufig" indirekt ausgeübt werden, in dem eine Gesellschaft und ein Treuhänder zwischengeschaltet werden.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (Entscheidung vom 30.05.1985; Aktenzeichen I 72/83) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger mindestens 95 % aller Anteile an einer grundstücksbesitzenden Gesellschaft erworben und damit die Voraussetzungen des § 1 Abs.1 Nr.3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) Berlin erfüllt hat.
Eigentümerin des betreffenden Grundstückes in Berlin war die L KG in Berlin. Deren Gesellschafter waren die L GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin und die F GmbH als Kommanditistin.
Am 17.August 1978 kaufte Herr B im Auftrag (als Treuhänder) des Klägers alle Anteile der vorgenannten persönlich haftenden Gesellschafterin, der L GmbH; gleichzeitig wurden ihm die Anteile in notariell beurkundeter Form abgetreten. Der Treuhandvertrag ist privatschriftlich abgefaßt.
Am 18.August 1978 kaufte Herr P im Auftrag (als Treuhänder) des Klägers die Kommanditbeteiligung an der KG. Zugleich wurde ihm diese Beteiligung privatschriftlich abgetreten.
Das beklagte Finanzamt (FA) setzte (nach einer unstreitigen Bemessungsgrundlage) Grunderwerbsteuer fest. Als Gegenstand der Besteuerung bezeichnete es den vorgenannten Vertrag vom 18.August 1978, durch welchen Herr P im Auftrag (als Treuhänder des Klägers) die Kommanditbeteiligung erworben hatte.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) den Steuerbescheid auf.
Das FG-Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 624 veröffentlicht.
Mit der Revision begehrt das FA, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet.
1. a) Der Erwerb der Kommanditbeteiligung durch Herrn P im Auftrag des Klägers am 18.August 1978 hat Steuerpflicht gemäß § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG ausgelöst.
Nach der genannten Vorschrift unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. auch ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung von Gesellschaftsanteilen begründet, wenn durch die anschließende Übertragung dieser Anteile mindestens 95 v.H. aller Gesellschaftsanteile in der Hand des Erwerbers vereinigt werden und der Gesellschaft ein im Land Berlin belegenes Grundstück gehört.
Mit der Übertragung der Kommanditbeteiligung entsprechend dem Verpflichtungsgeschäft vom 18.August 1978 wurden i.S. des § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG in der Hand des Klägers mindestens 95 v.H. der Anteile (nämlich alle Anteile) an der KG vereinigt. Über den Treuhänder B und die von diesem gehaltenen Anteile an der L GmbH hatte der Kläger die rechtliche Verfügungsmacht an dem Gesellschaftsanteil der persönlich haftenden Gesellschafterin, und über den Treuhänder P hatte er die rechtliche Verfügungsmacht an der Kommanditbeteiligung. Auch eine solche "mittelbare" Anteilsvereinigung erfüllt den Tatbestand der genannten Vorschrift. Denn diese will die Sachherrschaft erfassen, welche jemand an dem Gesellschaftsgrundstück über die rechtliche Verfügungsmacht an den Gesellschaftsanteilen erlangt. Aus dieser Sicht kommt es nicht darauf an, ob diese Sachherrschaft direkt oder indirekt --durch zwischengeschaltete Gesellschaften oder Treuhänder-- ausgeübt wird (vgl. dazu die Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11.Juni 1975 II R 38/69, BFHE 116, 406, BStBl II 1975, 834, und vom 18.Mai 1977 II R 191/72, BFHE 122, 360, BStBl II 1977, 678). Die Sachherrschaft kann auch "mehrstufig" indirekt ausgeübt werden, indem --wie hier-- eine Gesellschaft und ein Treuhänder zwischengeschaltet werden. Unerheblich ist daher im vorliegenden Fall, daß der Kläger die Anteile an der persönlich haftenden Gesellschaft (L GmbH) nicht selbst, sondern durch den Treuhänder B hielt. Diese dem Sinn des § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG entsprechende Auslegung ist auch mit dessen Wortlaut zu vereinbaren. Als Beispiele für die genannten Gesellschaften werden nicht nur juristische Personen (Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung), sondern auch Personengesellschaften (Offene Handelsgesellschaft, Gesellschaft des bürgerlichen Rechts) genannt. Bei den letztgenannten Gesellschaften ist eine Anteilsvereinigung i.S. des § 1 Abs.3 GrEStG --sofern sie nicht in der Hand von herrschenden und abhängigen Unternehmen geschieht-- überhaupt nur mittelbar (durch Treuhänder oder zwischengeschaltete Gesellschaften) möglich; denn bei der unmittelbaren Vereinigung aller Anteile an einer Personengesellschaft (mit Ausnahme derjenigen in dem genannten Konzernbereich) erlischt diese und die Grunderwerbsteuer entsteht nicht nach § 1 Abs.3, sondern nach § 1 Abs.1 Nr.3 GrEStG (BFH-Urteil vom 25.Februar 1969 II R 142/63, BFHE 95, 292, BStBl II 1969, 400).
Der Kläger war auch Erwerber i.S. des § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG. Im Rahmen dieser Vorschrift ist ihm der Erwerb des Herrn P zuzurechnen, der in seinem Auftrag handelte. Will das Gesetz nach seinem bereits dargelegten Wortlaut sowie Sinn und Zweck auch die sog. mittelbare Anteilsvereinigung erfassen, so sieht es zwangsläufig auch denjenigen, in dessen Hand sich die mittelbare Anteilsvereinigung vollzieht, als Erwerber an.
Ob der Treuhandvertrag mit Herrn B --wie der Kläger vor dem FG vorgetragen hat-- bürgerlich-rechtlich unwirksam war, ist unerheblich; denn die Vertragspartner haben ihn als wirksam behandelt (§ 41 Abs.1 der Abgabenordnung --AO 1977--).
b) Nach Auffassung des FG ist § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG hier entgegen dem BFH-Urteil vom 28.Juni 1972 II 77/64 (BFHE 106, 138, BStBl II 1972, 719) nicht anwendbar, weil diese Vorschrift nur vertraglich geschaffene Ansprüche besteuere, der Herausgabeanspruch des Klägers gegen seinen Treuhänder dagegen aus § 667 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und daher kraft Gesetzes entstanden sei.
Dieser Ansicht schließt sich der Senat nicht an. Der vorliegende Fall ist anders als der Sachverhalt, über welchen der Senat mit dem vorgenannten Urteil (BFHE 106, 138) zu entscheiden hatte. Dort hatte die Klägerin mit Hilfe von Treuhändern eine GmbH gegründet. Der gemäß § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG steuerbegründende "Anspruch" war der Herausgabeanspruch (§ 667 BGB) der Klägerin gegen ihre Treuhänder. Im vorliegenden Fall wird dagegen --wie bereits ausgeführt-- das auf den Erwerb der Kommanditbeteiligung gerichtete Rechtsgeschäft steuerlich erfaßt, welches der Treuhänder P (für den Kläger) abgeschlossen hatte. Das Treuhandverhältnis zwischen Herrn P und dem Kläger führt hier lediglich dazu, daß aufgrund des § 667 BGB im Rahmen des § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG dem Kläger die von Herrn P gehaltene Beteiligung zugerechnet wird.
2. Ergibt sich die Steuerpflicht bereits aus § 1 Abs.3 Nr.1 GrEStG, so kann unerörtert bleiben, ob der Steueranspruch andernfalls aus § 42 AO 1977 gerechtfertigt wäre, etwa weil der Erwerb der Gesellschaftsanteile nur der Beschaffung des Gesellschaftsgrundstückes diente (vgl. dazu das BFH-Urteil vom 4.Dezember 1985 II R 142/84, BFHE 145, 242, BStBl II 1986, 190).
3. Der Senat entscheidet in der Sache selbst (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 61141 |
BStBl II 1987, 225 |
BFHE 148, 340 |
BFHE 1987, 340 |
BB 1987, 325 |
BB 1987, 325-326 (ST) |
DStR 1987, 234-234 (ST) |
HFR 1987, 195-195 (ST) |