Leitsatz (amtlich)
Der Leiter einer privaten Schule mit Niederlassungen an drei Orten, die mehr als 30 Lehrkräfte hat und in der wöchentlich 750 Unterrichtsstunden gegeben werden, ist nicht mehr eigenverantwortlich tätig, selbst wenn er neben seiner eigenen Lehrtätigkeit noch die Lehrtätigkeit der anderen Lehrkräfte in gewissem Umfange kontrolliert und beeinflußt.
Normenkette
EStG 1960 § 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1-2
Tatbestand
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) unterhielt in den Kalenderjahren 1958 und 1959 eine private Sprachenschule, die zu einem internationalen System gehörte. Er war Leiter und Lizenzinhaber für drei größere Städte A, B und C. Die Schule in A ist seit 1957 im Handelsregister als Einzelunternehmen eingetragen. Die staatliche Erlaubnis zum Betrieb der Schule besaß der Steuerpflichtige seit 1934. Die Unternehmen stehen unter staatlicher Schulaufsicht. Die Lehrer sind im Besitz von Unterrichtserlaubnissen der Schulaufsichtsbehörde.
Die an der Schule gelehrten Hauptsprachen (90 bis 93 % des gesamten Unterrichts gilt ihnen) waren Englisch, Französisch, Spanisch und Deutsch. Die Schüler waren auf Oberstufen-, Mittelstufen- und Unterstufenlehrgänge aufgeteilt. In der Mittelstufe und in der Unterstufe wurde nur durch Lehrer unterrichtet, deren Muttersprache die zu unterrichtende Sprache war, während dieses Prinzip in der Oberstufe nicht völlig durchgeführt wurde. Der Steuerpflichtige unterrichtete in der Oberstufe. Er führte ferner jeweils am ersten Unterrichtstage eines neuen Kurses die Schüler in Gegenwart des Lehrers ein und unterwies sie kurz nach Beginn des Lehrgangs über die Anfertigung von Hausarbeiten. Insgesamt hielt er so etwa 18 bis 20 Wochenstunden in A, vier Stunden in B und zwei Stunden in C. Weiter leitete er die zwecks Einführung in die Methode der Schule erforderlichen Vorbesprechungen zu Beginn eines neuen Lehrgangs und die Vereinbarung des Stundenplans. Dabei bediente er sich zum Teil der Hilfe von Dolmetschern, da er einen Teil der Sprachen (mit einem Unterrichtsanteil von 7 bis 9 %) nicht selbst beherrschte. Er schulte auch die mit der Methode noch nicht vertrauten Lehrkäfte, die er durch Besuch von Unterrichtsstunden zudem kontrollierte. In der Unter- und Mittelstufe mußte er manchmal bei Erkrankungen vertreten. Wöchentlich drei- bis viermal besuchte er die Schulen in B und C.
In seiner Tätigkeit, soweit sie nicht die eigene, feste Lehrtätigkeit betraf, wurde der Steuerpflichtige durch einen Hauptlehrer weitgehend entlastet. Dieser Lehrer hatte auch die Schüler entsprechend ihren Fähigkeiten einzuteilen und in andere Lehrgänge zu versetzen.
Seit 1950 wurde die Verwaltungsarbeit von einem stellvertretenden Schulleiter geleistet, der dem Steuerpflichtigen laufend berichtete und dessen Einwilligung in wichtigen Fragen bedurfte.
Seit 1954 war ein Bruder des Steuerpflichtigen mit einer Einlage an der Schule beteiligt, ohne Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte zu besitzen. Er schied am 31. Dezember 1960 wieder aus und erhielt hierbei seine Einlage zuzüglich angesammelter Gewinnanteile zurück.
Der Schulbetrieb in A wurde für die Erhebungszeiträume 1958 und 1959 zur Gewerbesteuer herangezogen.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA nahm in der Einspruchsentscheidung an, die Schule werde von einer atypischen, aus dem Steuerpflichtigen und seinem Bruder gebildeten stillen Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) betrieben; die Gewerbesteuerpflicht ergebe sich also schon daraus. Im übrigen habe der Steuerpflichtige keine eigene leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit ausgeübt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG i. d. F. des Steueränderungsgesetzes - StÄndG - vom 30. Juli 1960), so daß es sich auch deshalb bei der Schule nicht um ein freiberufliches, sondern um ein gewerbliches Unternehmen gehandelt habe.
Das FG gab der Berufung des Steuerpflichtigen statt und führte unter Berufung auf die Rechtsprechung des BFH (vgl. die Urteile IV 373/60 U vom 25. Oktober 1963, BFH 77, 750, BStBl III 1963, 595, und IV 61/65 U vom 29. Juli 1965, BFH 83, 154, BStBl III 1965, 557) aus, der Steuerpflichtige sei leitend und eigenverantwortlich tätig gewesen. Das treffe zunächst für seine eigene Lehrtätigkeit zu; aber auch soweit die Tätigkeit von anderen Lehrern ausgeübt worden sei, habe diese den Stempel der Eigenpersönlichkeit des Steuerpflichtigen im Sinne der Rechtsprechung des BFH getragen. Der Steuerpflichtige habe die Lehrkräfte geistig geführt. Er habe mit den Schülern und Lehrkräften in engem Kontakt gestanden, und sein persönlicher Einsatz sei in Form der Einführung aller Beteiligten vor Beginn eines jeden Lehrgangs und durch seine Kontrolltätigkeit im weiteren Verlauf gewahrt und jeweils so stark gewesen, daß trotz des Umfangs des Lehrbetriebs und trotz des Verwaltungs- und Organisationsapparates die gesamte Lehrtätigkeit von der Persönlichkeit des Steuerpflichtigen geprägt gewesen sei. Richtungweisende Gedanken seien von ihm allein auf die anderen übertragen worden. Auch durch Aufnahme des Bruders habe sich nichts geändert. Der Steuerpflichtige habe nach wie vor die Schule allein betrieben. Es habe keine Mitunternehmerschaft vorgelegen, sondern ein partiarisches Darlehen.
Das FA legte Revision ein, mit der es geltend macht, die Schule sei mit 30 bis 40 Lehrkräften und ungefähr 750 wöchentlichen Unterrichtsstunden so groß gewesen, daß der Steuerpflichtige sie nach der Lebenserfahrung nicht mehr eigenverantwortlich habe leiten können. Das FG habe seine Feststellung, den Kursen sei der eigene Stempel der Persönlichkeit des Steuerpflichtigen aufgeprägt worden, damit begründet, daß der Steuerpflichtige selbst unterrichtet und Einführungsbesprechungen abgehalten habe. Diese im Verhältnis zum Gesamtbetrieb geringfügige Tätigkeit reiche nicht aus. Die weitere tatsächliche Feststellung des FG, der Steuerpflichtige bilde die Lehrkräfte aus und überwache sie, sei unrichtig.
Der Steuerpflichtige trägt vor, das FA rüge lediglich die Beweiswürdigung des FG. Diese sei aber nicht zu beanstanden, da ihr Ergebnis zumindest möglich sei. Das FA habe nur einige Einzelfälle aus der Fülle der Argumente herausgegriffen, die das FG für seine Würdigung angeführt habe. Er habe auch nicht die Leitung im wesentlichen anderen übertragen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der jetzt als Klage zu behandelnden Berufung.
Das FG nahm zu Unrecht an, der Steuerpflichtige habe eine eigenverantwortliche Tätigkeit ausgeübt. In dem vom FG erwähnten Urteil IV 373/60 U führte der Senat aus, daß durch die Einführung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG zwar die von der Rechtsprechung entwikkelte sog. Vervielfältigungstheorie wesentlich eingeschränkt, aber nicht völlig beseitigt worden sei, und daß es für die Abgrenzung der freiberuflichen von der gewerblichen Tätigkeit wesentlich darauf ankomme, ob die Tätigkeit auf der persönlichen Arbeitsleistung des selbständig Tätigen beruht. In dem weiteren Urteil IV 61/65 U sprach der Senat aus, daß das Gesetz auch weiterhin von dem geschichtlich gewordenen Begriff des Freiberuflers ausgehe, dessen Tätigkeit durch den unmittelbaren, persönlichen und deshalb individuellen Einsatz und den eigenen Kontakt mit den Personen, für die die Tätigkeit ausgeübt werde, sein besonderes Gepräge erhalte, und daß deswegen Hilfskräfte, die die eigentliche, den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Beruf ausmachende Tätigkeit anstelle des selbständigen Berufsträgers ausübten, nicht nur überwacht werden, sondern daß deren Tätigkeiten auch den Stempel der Eigenpersönlichkeit des Berufstätigen tragen müßten; die Tätigkeit verliere den Charakter des Unmittelbaren und Individuellen im selben Maße, wie der unternehmerische und organisatorische Teil der Tätigkeit zunehme und nicht mehr die eigene Leistung des Freiberuflers, sondern die Bereitstellung von anderen Kräften, die einen wesentlichen Teil der Tätigkeit übernähmen, in den Vordergrund trete. In diesem letzten Urteil führte der Senat auch aus, daß ein größeres Unternehmen noch weithin von der Persönlichkeit, die es schuf, geprägt sein möge, daß sich jedoch das Unternehmen verselbständigen könne und daß seine Leistungen nicht mehr als Leistungen des Leiters, sondern als solche des Unternehmers angesehen würden.
Mit diesen Grundsätzen, die in besonderem Maße für eine so spezifisch individuelle Leistung, wie es die Lehrtätigkeit ist, gelten, steht das angefochtene Urteil nicht in Einklang. Dem Steuerpflichtigen kann darin nicht gefolgt werden, daß das FA lediglich die unter den Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 FGO für den BFH bindenden Tatsachenfeststellungen des FG angreife. Die vom FG festgestellten Tatsachen rechtfertigen vielmehr nicht den von ihm gezogenen rechtlichen Schluß.
Richtig ist, daß der Steuerpflichtige eine eigenverantwortliche Tätigkeit ausübte, soweit er selbst Unterricht gab. Unschädlich ist auch entgegen der Ansicht des FA, daß sich der Steuerpflichtige bei der Verwaltungsarbeit weitgehend durch einen Angestellten vertreten ließ. Gerade dadurch wurde er für seine eigentliche Berufstätigkeit, die Ausübung des Lehramtes, entlastet. Seine eigene Lehrtätigkeit umfaßte jedoch nur einen kleinen Bruchteil der insgesamt an der Schule entfalteten Tätigkeit. Nur hinsichtlich der insoweit von ihm betreuten Schüler konnte er eine eigenverantwortliche Tätigkeit entfalten. Im übrigen wurde er zwar leitend, nicht aber eigenverantwortlich tätig. Das FG stellte an Tatsachen, die für eine eigenverantwortliche Tätigkeit sprechen könnten, lediglich fest, daß der Steuerpflichtige die übrigen Schüler in das Schulsystem und insbesondere auch die Abfassung der Hausaufgaben eingeführt habe. Eine Einführung ist jedoch nur der Beginn der unterrichtenden Tätigkeit: sie gewährleistete nicht, daß der Unterricht sich in der vom Steuerpflichtigen speziell geprägten Form auch weiterhin vollzog. Die Schlußfolgerungen des FG, der Steuerpflichtige sei mit allen Schülern und Lehrkräften in engem Kontakt geblieben und er habe die Lehrkräfte geistig geführt, läßt sich daraus nicht rechtfertigen. Allerdings fügte das FG noch hinzu, diese Einwirkung habe der Steuerpflichtige auch durch seine Kontrolltätigkeit gewahrt. Über das Ausmaß dieser Kontrolltätigkeit machte das FG jedoch keine Ausführungen, so daß es sich lediglich um eine unbelegte Behauptung handelt. Das Urteil konnte somit keinen Bestand haben.
Die Sache ist spruchreif. Aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt ergibt sich, daß eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen nicht vorgelegen haben kann. Er hatte, selbst wenn man unterstellt, daß er eine gewisse Kontrolltätigkeit ausübte, nur einen geringen Einfluß auf die eigentliche Lehrtätigkeit. Das ergibt sich schon daraus, daß er selbst nur in etwa 18 bis 20 wöchentlichen Lehrstunden unterrichtete, während die Mehrzahl der an der Anstalt gegebenen Stunden (750 wöchentlich) ohne eine ins Gewicht fallende Einwirkung seinerseits erteilt wurde und unter den Gesamtumständen, zu denen auch gehört, daß es sich um drei Schulen mit getrennter örtlicher Lage handelte, nach Ansicht des Senats auch nicht erteilt werden konnte. Es handelte sich nicht mehr um eine eigenverantwortliche Mitwirkung, vielmehr überwiegend um die Bereitstellung von Kräften, die ihrerseits unterrichtend tätig wurden.
Daß der Steuerpflichtige die Anforderungen, die von der Schulaufsichtsbehörde an den Leiter einer Schule gestellt werden, erfüllt, besagt noch nichts zu der nach steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Frage, ob der Steuerpflichtige eigenverantwortlich tätig war. Es ist zwar richtig, daß in schulischer Hinsicht unterstellt wird, daß ein Schulleiter mit entsprechender Qualifikation, der einerseits eine Anzahl von Pflichtstunden, andererseits aber auch nicht zu viele, seine Leitungsfunktion beeinträchtigende Lehrstunden selbst gibt, in der Lage ist, die Verantwortung für den Gesamtbetrieb der Schule zu tragen. Davon ist aber die hier allein entscheidende Frage zu unterscheiden, ob der Steuerpflichtige Freiberufler ist, weil er selbst unterrichtet oder doch einen solchen Einfluß auf die gesamte unterrichtende Tätigkeit seines Instituts ausübt, daß diese als seine eigene Tätigkeit erscheint und die aus einer solchen Tätigkeit fließenden Einkünfte als solche aus einer eigenen unterrichtenden Tätigkeit angesehen werden können.
Der Senat ist sich bewußt, daß bei der Auslegung, die er dem Wort "eigenverantwortlich" geben muß, eine Anzahl von Privatschulen gewerbesteuerpflichtig wird. Ob das vom erziehungspolitischen Standpunkt erwünscht ist, ist eine Frage, die der Senat nicht in seine Betrachtungen einzubeziehen vermag, ohne auf das Gebiet der Gesetzgebung überzugreifen.
Die vom FA in der Revision nicht mehr erörterte Frage, ob das FG das Vorliegen einer Mitunternehmerschaft zwischen dem Steuerpflichtigen und seinem Bruder zu Recht verneinte, konnte dahingestellt bleiben, da die Klage ohnehin abzuweisen war.
Fundstellen
Haufe-Index 68401 |
BStBl II 1969, 165 |
BFHE 1969, 344 |