Leitsatz (amtlich)
Zur Bindung des Finanzamts an ein rechtskräftiges Urteil, durch das ein Gericht den Steuerbescheid aufgehoben hat.
Normenkette
FGO §§ 100, 110
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit Juni 1954 der alleinige Gesellschafter einer GmbH. Er behandelte die Geschäftsanteile der GmbH zunächst als Privatvermögen und legte sie dann am 24. Oktober 1957 in das Betriebsvermögen seines Einzelunternehmens ein. Die Einlage bewertete er mit dem unstreitigen Teilwert von 1 246 848 DM.
Am 29. Oktober 1957 beschloß die GmbH die Umwandlung nach dem Gesetz über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften vom 12. November 1956 - UmwG - (BGBl I 1956, 844, BStBl I 1957, 471) durch Übertragung ihres Vermögens auf den alleinigen Gesellschafter, den Kläger. Der Umwandlung wurde die Umwandlungsbilanz vom 31. Dezember 1956 zugrunde gelegt, in der ein Reinvermögen von 218 085 DM ausgewiesen war. Der Kläger stockte in seiner Bilanz die Buchwerte des übernommenen Vermögens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwStG (BGBl I 1957, 1713, BStBl I 1957, 468) soweit auf, daß sie den Wert erreichten, mit dem die Anteile an der umgewandelten GmbH zu Buche standen, nämlich auf den Teilwert von 1 246 848 DM.
Das damals zuständige FA setzte dagegen in der Bilanz des Klägers die Anteile an der umgewandelten GmbH mit 200 000 DM an, da sie am Umwandlungsstichtag noch nicht Bestandteil des Betriebsvermögens des Klägers gewesen seien, und berechnete den Umwandlungsgewinn des Klägers für 1956 wie folgt:
Summe der Buchwerte der übernommenen
Wirtschaftsgüter 218 085 DM
Anschaffungskosten der Anteile ./. 200 000 DM
Umwandlungsgewinn 18 085 DM
In einem Rechtsstreit, der die Einkommensteuer 1956 zum Gegenstand hatte, hat der BFH durch Urteil vom 25. September 1968 I 110/64 (BFHE 94, 134, BStBl II 1969, 67) das Urteil des FG vom 12. Dezember 1963 und den damals angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1956 vom 21. Oktober 1960 aufgehoben. Zur Begründung hat der BFH abschließend ausgeführt:
"Die Einlage der Anteile an der umgewandelten GmbH war somit mit den Anschaffungskosten von unstreitig 215 000 DM zu bewerten. Das ist der 'Buchwert der Anteile' nach §§ 12, 4 Abs. 1 Satz 2 UmwStG. Die Summe der Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter (§§ 12, 3 UmwStG) betrug 218 085 DM. Das ergibt nach §§ 12, 4 Abs. 1 Satz 1 UmwStG einen Umwandlungsgewinn von 3 085 DM. Da das Urteil des FG auf der rechtlich unzutreffenden Feststellung beruht, ein Umwandlungsgewinn sei nicht entstanden, ist es aufzuheben. Aber auch der angefochtene Steuerbescheid wird aufgehoben, da er nach dem Urteil des FG und nach dem Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren wegen unstreitiger Gewinnberichtigungen und der Ermäßigung des Umwandlungsgewinns von 18 085 DM auf 3 085 DM fehlerhaft ist. Das FA wird unter Beachtung dieses Urteils (§ 100 Abs. 1 FGO) einen neuen Steuerbescheid erlassen."
Durch berichtigten Einkommensteuerbescheid 1956 vom 20. September 1971 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte, das nunmehr zuständige FA, die Einkommensteuer entsprechend den Anweisungen des BFH-Urteils I 110/64 auf 64 985 DM fest. Dabei wurde auch das Ergebnis einer im Jahr 1967 durchgeführten Betriebsprüfung berücksichtigt.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit der Klage begehrte der Kläger, den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1956 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Mai 1972 dahin zu ändern, daß die Einkommensteuer auf 64 522 DM festgesetzt wird.
Das FG (EFG 1975, 124) hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die steuerrechtliche Behandlung der Umwandlung im Jahr 1956 sei durch das BFH-Urteil I 110/64 rechtskräftig entschieden worden. Das FA sei als Rechtsnachfolger des ursprünglich zuständigen FA an das rechtskräftige Urteil des BFH gebunden, mit der Folge, daß das FG gehindert sei, erneut in eine Sachprüftung einzutreten.
Gegen das Urteil des FG richtet sich die Revision des Klägers, mit der unrichtige Anwendung des geltenden Bundesrechts sowie wesentliche Verfahrensmängel (mangelnde Sachaufklärung) gerügt werden (Verstöße gegen § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG 1955, § 17 EStG, §§ 4 und 5 Abs. 1 UmwStG 1957, §§ 76, 110 FGO, Art. 2 und 3 und 20 Abs. 3 GG).
Die veriassungsrechtlichen Bedenken richten sich gegen die Ansicht, daß eine wesentliche Beteiligung im Sinn des § 17 EStG auch in der Zeit vom 1. Januar 1955 bis 23. Juli 1958 höchstens mit den Anschaffungskosten in ein Betriebsvermögen eingelegt werden konnte. Diese Auffassung hatte das BFH-Urteil vom 21. Februar 1964 IV 26/62 S (BFHE 78, 490, BStBl III 1964, 188) vertreten, das BFH-Urteil I 110/64 hat sich diesem Urteil angeschlossen.
Das FG habe die Bindung nach § 110 FGO zu eng verstanden. Angesichts der Rechtsauffassung des BVerfG müsse die Entscheidung des FG materiell-rechtlicher Natur sein, um den Weg der Verfassungsbeschwerde nicht zu verstellen.
Hinzu komme, daß der Umwandlungsgewinn falsch berechnet worden sei. Wie aus den Akten ersichtlich, sei in der Umwandlungsbilanz der GmbH eine Ausfuhrförderungsrücklage in Höhe von 23 535 DM ausgewiesen gewesen. Da es sich dabei nicht um ein Wirtschaftsgut handele, habe der Posten in der Bilanz des aufnehmenden Gesellschafters (des Klägers) nicht mehr erscheinen dürfen und hätte dementsprechend das übernommene Vermögen und damit auch den Umwandlungsgewinn erhöhen müssen (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 4. Juni 1973 IV R 133/71, BFHE 110, 330, BStBl II 1974, 27). Danach wäre der Umwandlungsgewinn wie folgt zu berechnen gewesen:
Bisher angesetztes übernommenes Vermögen
218 085 DM
zuzüglich Ausfuhrförderungsrücklage 23 535 DM
übernommenes Vermögen 241 620 DM
Buchwert 215 000 DM
Umwandlungsgewinn 26 620 DM
Da dieser Gewinn nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UmwStG nur mit 15 v. H. zu besteuern sei, ergebe sich trotz höherer Steuerlast im Jahr 1956 insgesamt eine niedrigere Steuer. Wenn das FG in die materielle Prüfung der Sache eingetreten wäre, hätte es diesen Fehler zweifellos bemerkt. Weil die Prüfung jedoch bereits im Formellen stehengeblieben sei, habe das Gericht die Sache nicht mehr gehörig aufgeklärt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer 1956 nach beigefügter Steuerberechnung auf 68 336 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig. Der Kläger begehrt in der Revision eine höhere Einkommensteuer, als sie im angefochtenen Bescheid festgesetzt ist, weil er sich von der Auflösung der Ausfuhrförderungsrücklage im Streitjahr Vorteile für spätere Jahre verspricht. Er ist daher von seinem Standpunkt aus durch die niedrigere Steuerfestsetzung im angefochtenen Bescheid beschwert. Der Wert des Streitgegenstandes ist in diesem Fall der Unterschied zwischen der festgesetzten und der erstrebten höheren Steuer (BFH-Beschluß vom 19. Mai 1971 I B 9/71, BFHE 102, 451, BStBl II 1971, 691). Dieser übersteigt 1 000 DM (§ 115 Abs. 1 FGO).
2. Die Revision ist aber nicht begründet. Die Klage ist allerdings nicht unzulässig, wie das FG angenommen hat, sondern unbegründet, weil das FA bei Erlaß des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 1956 vom 20. September 1971 an die rechtliche und tatsächliche Beurteilung gebunden war, die dem BFH-Urteil I 110/64 zugrunde lag (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Dem BFH-Urteil I 110/64, durch das der damals angefochtene Einkommensteuerbescheid 1956 vom 21. Oktober 1960 aufgehoben wurde, liegt die rechtliche und tatsächliche Feststellung zugrunde, daß der Umwandlungsgewinn wie folgt zu berechnen ist:
Summe der Buchwerte der übernommenen
Wirtschaftsgüter 218 085 DM
Anschaffungskosten der Geschäftsanteile 215 000 DM
Umwandlungsgewinn 3 085 DM
a) Der Ansatz der Anschaffungskosten der Geschäftsanteile in Höhe von 215 000 DM beruht wiederum auf der rechtlichen Auffassung, daß eine wesentliche Beteiligung im Sinne des § 17 EStG auch in der Zeit vom 1. Januar 1955 bis 23. Juli 1958 höchstens mit den Anschaffungskosten in ein Betriebsvermögen einzulegen war. Der Kläger bekämpft diese Auffassung erneut im gegenwärtigen Verfahren. Er kann damit keinen Erfolg haben. Denn das FA war bei Erlaß des angefochtenen Einkommensteuerbescheids vom 20. September 1971 an die rechtliche Auffassung, die der Aufhebung des Einkommensteuerbescheids 1956 vom 21. Oktober 1960 zugrunde lag, gebunden (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Auffassung, daß die Einlage der Geschäftsanteile der GmbH nicht mit dem Teilwert (von 1 246 848 DM), sondern mit den Anschaffungskosten (von 215 000 DM) zu bewerten ist, setzt auch die Prüfung voraus, daß gegen diese Auffassung keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Die Bindung nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO erstreckt sich auch darauf.
Eine nochmalige sachliche Prüfung der Rechtsfrage ist auch nicht erforderlich im Hinblick darauf, daß das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen das BFH-Urteil I 110/64 mangels Beschwer nicht zur Entscheidung angenommen hat. Denn das Entstehen einer Beschwer setzt nicht eine erneute Prüfung der Rechtsfrage voraus. Die Beschwer ist spätestens gegeben, wenn die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1956 vom 20. September 1971 durch dieses Urteil rechtskräftig abgewiesen ist.
b) Die Berechnung des Umwandlungsgewinns von 3 085 DM beruht ferner auf dem Ansatz der Summe der Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter von 218 085 DM. Das FG hatte diesen Betrag im damaligen Verfahren als "unstreitig" festgestellt. Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob die Summe der Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter von 218 085 DM um eine Ausfuhrförderungsrücklage von 23 535 DM zu erhöhen gewesen wäre, wie der Kläger jetzt im Wege der Rüge der mangelnden Sachaufklärung geltend macht. Das FA war nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO auch an den Ansatz der Summe der Buchwerte der übernommenen Wirtschaftsgüter von 218 085 DM gebunden. Denn es handelt sich nicht um eine "neu bekannt werdende Tatsache" (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das Vorhandensein der Ausfuhrförderungsrücklage war vielmehr, wie der Kläger selbst vorträgt, aus den Akten ersichtlich, und zwar im Zeitpunkt des Erlasses des aufgehobenen Einkommensteuerbescheids vom 21. Oktober 1960 wie auch im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem FG. Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, auf welchen der beiden Zeitpunkte es ankommt.
Einen Sachverhalt, der unter die Bindungswirkung des § 100 Abs. 1 Satz 1 fällt, brauchte das FG im gegenwärtigen Verfahren nicht aufzuklären. Die Verfahrensrüge des Klägers ist daher nicht begründet.
c) Soweit der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1956 vom 20. September 1971 auf den Ergebnissen der Betriebsprüfung 1967 beruht, ist er nicht angegriffen.
Da der Steuerbescheid, den ein FA nach Aufhebung des ursprünglichen Steuerbescheids gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO erläßt, der Rechtmäßigkeitsprüfung nicht schlechthin entzogen ist, sondern nur, soweit die Bindung an die rechtliche und tatsächliche Beurteilung des aufhebenden Urteils nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO reicht, ist die Klage gegen den neuen Bescheid zulässig, aber unbegründet, soweit die begehrte Steuerfestsetzung an der Bindungswirkung des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO scheitert.
Fundstellen
Haufe-Index 71882 |
BStBl II 1976, 501 |
BFHE 1976, 542 |