Leitsatz (amtlich)
Der in § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmte Achtjahreszeitraum beginnt mit dem Veranlagungszeitraum, in dem der Steuerpflichtige erstmals ein positives oder negatives Betriebsergebnis bei den Einkunftsarten Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit hatte.
Normenkette
EStG § 10a Abs. 4 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10a EStG wegen Ablaufs des Achtjahreszeitraums (§ 10a Abs. 4 Satz 1 EStG) nicht mehr in Anspruch genommen werden kann.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) kam am 27. November 1960 aus der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik Deutschland; er ist zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen nach dem BVFG berechtigt.
Nach seiner Flucht nahm der Kläger eine selbständige Vertretertätigkeit auf, die jedoch 1960 bis 1962 keine Gewinne erbrachte. Zum 1. August 1963 trat er als Kommanditist in eine KG ein und wurde dort gleichzeitig Prokurist; in diesem Jahr erzielte er einen Gewinn aus Gewerbebetrieb.
Vor seiner Flucht war der Kläger bereits an der Kapitalbeteiligung einer anderen Kommanditistin der vorerwähnten KG heimlich unterbeteiligt. Aus dieser Unterbeteiligung wurde ihm für die Zeit vom 30. November bis 31. Dezember 1960 ein Gewinnanteil von 245 DM zugerechnet; nach Ausgleich mit dem Verlust aus seiner eigenen gewerblichen Tätigkeit wurde bei der Einkommensteuerveranlagung für 1960 ein gewerblicher Verlust von insgesamt 996 DM festgestellt. Für 1961 und 1962 wurden ihm aus der Unterbeteiligung Verluste von 10 183 DM und 8 853 DM zugerechnet.
Bei der Veranlagung für 1969 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA) einen Abzug des vom Kläger nicht entnommenen Gewinns als Sonderausgabe ab mit der Begründung, der in § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmte Achtjahreszeitraum sei 1969 verstrichen, da der Kläger erstmals in 1960 Einkünfte aus Gewerbebetrieb gehabt habe.
Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt und führte dazu im wesentlichen aus: Dem Kläger stehe die Steuerbegünstigung in 1969 noch zu, weil er erstmals in 1963 positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt habe und damit der Achtjahreszeitraum nach § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG erst begonnen habe. Daß es für den Beginn der Achtjahresfrist auf das erstmalige Erzielen eines gewerblichen Gewinns ankomme, sei zwar aus Sinn und Zweck des Gesetzes nicht eindeutig zu entnehmen. Dafür spreche aber der Wortlaut des § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG. Wenn dort von "Einkünften aus Gewerbebetrieb" die Rede sei, dann müsse das nach der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 4 Nr. 1 EStG als "Gewinn" verstanden werden. Demgemäß seien Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 10a EStG nur der Gewinn oder ein nach Ausgleich mit Verlusten verbleibender Gewinn. Für eine solche Auslegung spreche auch, daß es nach § 7e Abs. 3 EStG für den Beginn des dort genannten Begünstigungszeitraums auf die erstmalige Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit ankomme.
Mit der Revision des FA wird unrichtige Anwendung des § 10a EStG gerügt und dazu vorgebracht, wenn in Abs. 4 dieser Vorschrift auf das erstmalige Erzielen von Einkünften im Sinne von § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 EStG abgestellt werde, dann umfasse der Begriff "Einkünfte" sowohl positive als auch negative Betriebsergebnisse.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.
Der in der Vorentscheidung zum Ausdruck gebrachten Auffassung, der in § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmte Achtjahreszeitraum beginne erst mit dem Veranlagungszeitraum, in dem der Steuerpflichtige erstmals einen Gewinn aus Gewerbebetrieb erzielt hat, kann nicht gefolgt werden.
Nach dem Wortlaut der erwähnten Vorschrift beginnt der Achtjahreszeitraum, innerhalb dessen die Steuerbegünstigung in Anspruch genommen werden kann, mit dem "Veranlagungszeitraum, in dem der Stpfl. ... erstmals Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit erzielt hat". Diese Formulierung ist dahin zu verstehen, daß der Achtjahreszeitraum mit dem Veranlagungszeitraum beginnt, in dem der Steuerpflichtige erstmals ein Betriebsergebnis, positiv oder negativ, aus einer der genannten Einkunftsarten gehabt hat.
Seit dem EStG 1934, nach dessen amtlicher Begründung (RStBl 1935, 33 [34]) "unter Einkünften im neuen Einkommensteuergesetz die Reineinkünfte aus den einzelnen Einkunftsarten verstanden" werden, kann als gesichert gelten, daß der Begriff "Einkünfte" im Einkommensteuerrecht sowohl positive als auch negative Ergebnisse umfaßt (vgl. Gutachten des BFH vom 25. Januar 1951 I D 4/50 S, BFHE 55, 182, BStBl III 1951, 68; BFH-Urteil vom 24. April 1961 VI 246/60 U, BFHE 73, 113, BStBl III 1963, 310; BFH-Beschluß vom 11. März 1970 I B 50/68, I B 3/69, BFHE 98, 427, BStBl II 1970, 569). In textkritischer Hinsicht ergibt sich allerdings, daß das EStG den Begriff nicht in allen Stellen in diesem Sinne oder auch sonst eindeutig gebraucht (vgl. dazu im einzelnen die Untersuchungen zum Einkommensteuerrecht unter besonderer Berücksichtigung textkritischer, rechtssystematischer und verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte - Bericht der Einkommensteuerkommission -, Schriftenreihe des Bundesministers der Finanzen, Heft 7 S. 51 ff.). Es muß deshalb, worauf bereits in dem Gutachten des BFH I D 4/50 S hingewiesen wurde, stets geprüft werden, welcher Inhalt dem Ausdruck "Einkünfte" an der jeweiligen Gesetzesstelle zukommt. Dies gilt auch für die Auslegung der Vorschrift des § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG.
Wenn in § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG im Gegensatz zu den Abs. 1 bis 3 des § 10a EStG - dort ist nur der "Gewinn" bestimmter Einkunftsarten erwähnt - von "Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit" die Rede ist, dann spricht diese unterschiedliche Verwendung von Begriffen dafür, daß der Begriff "Einkünfte" hier in seinem sowohl positive als auch negative Betriebsergebnisse umfassenden Sinne verwendet wird. Daß etwas anderes gemeint sein soll, kann entgegen der Meinung der Vorinstanz nicht schon aus der Verwendung des Ausdrucks "Einkünfte" in Verbindung mit den Begriffen bestimmter Einkunftsarten wie Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständiger Arbeit gefolgert werden. In Verbindung zu einer Einkunftsart gebracht kann der Begriff "Einkünfte" zweierlei bedeuten. Zum einen kann dies bedeuten, daß die steuerlich relevanten Sachverhalte gegenüber den nicht der Einkommensteuer unterliegenden Vorgängen abgegrenzt werden. Zum anderen kann das Ergebnis gemeint sein, das sich bei den einzelnen Einkunftsarten nach den Vorschriften des Gesetzes errechnet. Ist das Ergebnis angesprochen, dann zwingt auch eine Formulierung wie "Einkünfte aus Gewerbebetrieb" nicht dazu, daß nur ein positives Ergebnis gemeint sein könne. Der für die gegenteilige Auffassung des FG gegebene Hinweis auf § 2 Abs. 4 Nr. 1 EStG geht fehl. Dort werde zwar als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der "Gewinn" bezeichnet. Daß damit aber in Wirklichkeit das Reinergebnis - Gewinn oder Verlust - gemeint ist, folgt aus der in dem Klammerzusatz gemachten Verweisung auf die §§ 4 bis 7e EStG. § 4 EStG enthält den materiellen Gewinnbegriff, der den Verlust als "negativen Gewinn" mitumfaßt.
Für eine anderweitige Wortauslegung kann auch nichts aus einem Vergleich von § 10a Abs. 4 Satz 1 mit § 7e Abs. 3 Satz 1 EStG gewonnen werden. Wenn in der einen Vorschrift für den Beginn des Achtjahreszeitraums auf das erstmalige Erzielen von Einkünften aus einer der privilegierten Einkunftsarten und in der anderen Bestimmung für den Beginn des Zehnjahreszeitraums auf die erstmalige Aufnahme einer gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit abgestellt wird, dann erlaubt das noch nicht den Schluß, der Begriff "Einkünfte" in § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG bedeute lediglich positive Ergebnisse, weil andernfalls hier auch an die "Aufnahme" einer bestimmten Tätigkeit hätte angeknüpft werden müssen. Die unterschiedliche Regelung über den Beginn der Begünstigungszeiträume liegt darin begründet, daß § 10a und § 7e EStG verschiedene Sachverhalte regeln. Beiden Bestimmungen ist lediglich gemeinsam, daß sie denselben Personenkreis begünstigen. Unterschiedlich ist jedoch die Art der Begünstigung. Während § 10a EStG eine Begünstigung enthält, die bei der Ermittlung des Einkommens als Sonderausgabe abgezogen wird, gibt § 7e EStG eine Begünstigung, die bereits bei der Gewinnermittlung in Anspruch genommen werden kann. Sonderausgaben werden immer auf den Veranlagungszeitraum bezogen. Begünstigungen, die sich bei der Gewinnermittlung auswirken, können sich dagegen über einen Veranlagungszeitraum hinaus erstrecken, z. B. bei abweichenden Wirtschaftsjahren. Hieraus erklärt sich, daß für den Beginn von Begünstigungszeiträumen an verschiedene Sachverhalte - entweder an das Erzielen von Einkünften oder an die Aufnahme einer Tätigkeit - angeknüpft werden muß.
Der vom Senat für richtiggehaltenen Wortauslegung, daß der Begriff "Einkünfte" in § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG positive und negative Betriebsergebnisse umfaßt, stehen auch Sinn und Zweck des Gesetzes nicht entgegen. Die Vorschrift des § 10a Abs. 4 Satz 1 EStG bezweckt einzig und allein, einen Zeitraum festzulegen, innerhalb dessen eine Steuerbegünstigung in Anspruch genommen werden kann, für die die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen in § 10a Abs. 1 bis 3 EStG geregelt sind. Dem Zweck einer zeitlichen Beschränkung widerspricht es nicht, wenn für den Beginn des Begünstigungszeitraums auf das erstmalige Erzielen von Einkünften im Sinne des Erzielens eines Betriebsergebnisses innerhalb einer bestimmten Einkünftsart abgestellt wird.
Die Vorentscheidung, die zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, war danach aufzuheben. Der Senat kann selbst entscheiden und weist die Klage ab.
Fundstellen
Haufe-Index 70949 |
BStBl II 1974, 544 |
BFHE 1974, 366 |