Leitsatz (amtlich)
Zur Verteilung der Beweislast (Feststellungslast) im Steuerprozeß.
Normenkette
FGO § 96
Verfahrensgang
Gründe
Die Anschlußrevision des HZA ist begründet. Das FG hat insoweit die Verteilung der Beweislast verkannt.
a) Die Anschlußrevision betrifft die Eingangsabgaben für den ursprünglichen Inhalt von 89 bestimmten Fässern mit Kirschen in Alkohol, die aus Jugoslawien kamen. Das FG hat festgestellt, daß die im offenen Zollager der Klägerin befindlichen Fässer im Jahre 1970 nur noch teilweise befüllt waren. Es ist ferner davon ausgegangen, daß die Fässer im Zeitpunkt ihrer Einlagerung in den Jahren 1966 bis 1968 voll gewesen waren. Da sich die Waren, die der Differenz entsprachen, nicht mehr im Lager befanden, waren die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ZG (in der damaligen Fassung) erfüllt. Kraft gesetzlicher Fiktion galt die eingelagerte und inzwischen verschwundene Ware als entnommen.
Dieser Sachverhalt hätte nur dann nicht zur Entstehung der Eingangsabgabenschuld nach § 46 Abs. 3 Satz 1 ZG geführt, wenn die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 2 ZG vorgelegen hätten. Danach gilt in Fällen des § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ZG das Zollgut als nicht entnommen, soweit der Lagerinhaber nachweist, daß es vorher untergegangen ist. Einen solchen Untergang behauptet die Klägerin auch, indem sie vorbringt, der Zustand der Fässer beruhe auf natürlichen Ursachen ohne ihre Einwirkung. Ihr oblag es, den entsprechenden Beweis zu führen. Insoweit traf die Klägerin die objektive Beweislast (Feststellungslast). Diese Verteilung der Feststellungslast hat das FG verkannt.
b) Das HZA hat Eingangsabgaben nicht nur für die vorstehend genannten fehlenden Mengen gefordert, sondern für den gesamten ursprünglichen Inhalt der 89 Fässer mit der Begründung, auch der in den Fässern festgestellte Rest sei vorher aus dem Lager entfernt und dann wieder zurückverbracht worden. Auch insoweit hat das FG zu Unrecht entschieden, die Feststellungslast treffe das HZA.
Das FG ist zwar zu Recht ohne weitere Begründung davon ausgegangen, daß insoweit die Fiktion des § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZG nicht eingreift. Diese Bestimmung betrifft lediglich die unzulässige gewillkürte Veränderung der Ware im Lager selbst. Diese kann nicht schon darin gesehen werden, daß aus demselben Behältnis Waren nur teilweise entnommen worden sind. Anders wäre es nur dann, wenn die Entnahme ungleichmäßig derart durchgeführt worden wäre, daß sich ihre durchschnittliche Beschaffenheit verändert hätte (z. B. Entnahme nur von Flüssigkeit oder nur von Kirschen). Dafür fehlen in den Feststellungen des FG aber jegliche Anhaltspunkte.
§ 46 Abs. 2 Satz 2 ZG ist auf die Menge der eingelagerten Ware, die der im Jahre 1970 noch in den Fässern befindlichen Menge entsprach, nicht anwendbar. Denn insoweit steht nicht von vornherein fest, daß ein Fall des § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 ZG vorlag. Deswegen ist auch dieser Bestimmung nichts für die Verteilung der Feststellungslast zu entnehmen.
Eine gesetzlich festgelegte Regel über die Verteilung der Feststellungslast fehlt für den Steuerprozeß (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, 341, BStBl II 1979, 482, 487). Nach der Rechtsprechung des BFH gilt im Regelfall, daß die Finanzbehörde die Feststellungslast für die Tatsachen trägt, die vorliegen müssen, um einen Steueranspruch geltend machen zu können, der in Anspruch genommene Steuerpflichtige dagegen für Tatsachen, die Steuerbefreiungen und -ermäßigungen begründen oder einen Steueranspruch aufheben oder einschränken (vgl. insbesondere Urteil vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, 165, BStBl II 1971, 220). Von dieser Regel ist das FG ausgegangen. Es hat dabei aber verkannt, daß sie nicht ohne Ausnahme gilt (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 7. August 1974 II R 177/73, BFHE 113, 540, 543, BStBl II 1975, 119; vom 12. Juni 1975 IV R 10/72, BFHE 116, 341, 347, BStBl II 1975, 853; vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, 167, BStBl II 1976, 562; vom 5. März 1980 II R 148/76, BFHE 130, 179, 182, BStBl II 1980, 402, und vom 30. Januar 1980 II R 140/76, BFHE 130, 77, 80, BStBl II 1980, 339). Die vorliegende Streitsache ist ein solcher Ausnahmefall. Es bedarf deshalb keines Eingehens auf die in letzter Zeit im Schrifttum verstärkt gestellte Frage, ob an der oben zitierten Standardformel der Rechtsprechung noch uneingeschränkt festgehalten werden könne (vgl. Berg, Die Verwaltungsrechtliche Entscheidung bei ungewissem Sachverhalt, Berlin 1980, insbesondere S. 218 bis 240; Bettermann in Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. II, E 37, 38, 44, 45; Weber-Grellet, In dubio pro quo?, Zur Beweislast im Steuerrecht, Steuer und Wirtschaft -- StuW -- 1981, 48, 52ff.; Martens, Die eigenartige Beweislast im Steuerrecht, StuW 1981, 322).
Daß im vorliegenden Fall nicht nach der genannten allgemeinen Beweislastregel vorgegangen werden kann, ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Nach den zu den 164 Fässern getroffenen Feststellungen des FG steht fest, daß aus dem Zollager der Klägerin Waren ohne Anmeldung zur Versteuerung entnommen worden waren. Der Befüllungsgrad der hier zu behandelnden weiteren 89 Fässer läßt ebenfalls auf einen außergewöhnlichen Sachverhalt schließen (vgl. auch BFHE 116, 341, 347, BStBl II 1975, 853). Den oben genannten Feststellungen hinsichtlich der 164 Fässer zufolge herrschten in dem offenen Zollager der Klägerin ungeordnete Verhältnisse. Diese lagen in der Verantwortungssphäre der Klägerin. Nur der Klägerin ist daher im Grunde die Beweisführung zur Klärung des Sachverhalts möglich und auch zumutbar (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 1980 VII R 97/76, BFHE 130, 209, 212; Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 5. Dezember 1980 I ZR 51/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1982, 242; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 26. März 1975 II C 11.74, BVerwGE 47, 365, 375; Weber-Grellet, a. a. O., S. 55; Martens, a. a. O., S. 331 und 332, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Die Last einer etwaigen Unerweislichkeit der von der Klägerin erhobenen Behauptung, daß die Restbestände in den 89 Fässern den Rest der eingelagerten Ware gebildet hätten und daß sich diese Ware insoweit im Jahre 1970 noch im Zollager unverändert befunden habe, trägt daher die Klägerin.
c) Das FG hat somit die Rechtsfrage der Verteilung der Beweislast, die dem materiellen Recht angehört (BFHE 101, 156, 165, BStBl II 1971, 220; Berg, a. a. O., S. 177) unrichtig entschieden. Die Vorentscheidung war daher insoweit aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß die Art und Weise der Beweisantritte der Klägerin von der unrichtigen Rechtsauffassung des FG zur Frage der Beweislastverteilung beeinflußt war. Die Sache ist daher an das FG zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, soweit die angefochtenen Bescheide nicht durch die Zurückweisung der Revision der Klägerin bestandskräftig geworden sind. Eines näheren Eingehens auf die Rügen des HZA hinsichtlich der Beweiswürdigung des FG bedarf es unter diesen Umständen nicht.
Das FG wird bei seiner neuerlichen Entscheidung zu beachten haben, daß es auf die Frage der Beweislastverteilung nur ankommt, wenn es sich auf Grund der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Erkenntnisse keine Überzeugung von dem Geschehensablauf bilden kann (BFHE 130, 179, 182, BStBl II 1980, 402).
Fundstellen
Haufe-Index 74761 |
BStBl II 1983, 760 |
BFHE 1983, 527 |