Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine erneute Änderung eines nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977 ergangenen Änderungsbescheids aufgrund der nämlichen Zustimmung bzw. des nämlichen Antrags
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestandskraft eines nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977 ergangenen Steueränderungsbescheids steht einer erneuten Änderung der Steuerfestsetzung nach dieser Vorschrift unter Berufung auf die vorausgegangene Zustimmung bzw. den vorausgegangenen Antrag entgegen.
2. Die Ersetzungsregelung des § 365 Abs. 3 AO 1977 findet keine analoge Anwendung auf Änderungen nach §§ 172 ff. AO 1977 außerhalb eines Einspruchsverfahrens.
Normenkette
AO 1977 § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a, § 365 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Im Streit ist, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) befugt war, eine nochmalige steuererhöhende Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr (1997) durch Bescheid insbesondere nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a der Abgabenordnung (AO 1977) vorzunehmen.
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden als Ehegatten bestandskräftig und vorbehaltlos erklärungsgemäß unter Berücksichtigung u.a. von Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. In der Folge teilten die Kläger mit Schreiben vom 16. März 2000 mit, dass die dem Kläger als beherrschendem Gesellschafter der X-GmbH zustehenden Tantiemen für 1996 nicht bereits im Streitjahr als dem Jahr des Jahresabschlusses und der arbeitsvertraglichen Fälligkeit erklärt worden waren. Fälschlich seien zudem für die Vorjahre die Tantiemen erst im jeweiligen Zuflusszeitpunkt erfasst worden. Die Kläger beantragten deshalb die Änderung der Steuerfestsetzung für 1997 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977, wobei die Tantieme für 1996 vollständig in Höhe von 707 300 DM erfasst werden sollte. Durch Gegenüberstellung mit dem bis dahin bereits im erklärten Bruttoarbeitslohn enthaltenen Betrag von 249 990 DM errechneten die Kläger einen Einkünfteerhöhungsbetrag von 457 310 DM.
Das FA erließ zunächst am 8. Mai 2000 aus anderen Gründen einen Änderungsbescheid nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 (Änderungsbescheid 1) ohne Berücksichtigung des Änderungsantrags der Kläger. Dagegen wandten sich die Kläger mit einem als Einspruch bezeichneten Schreiben vom 10. Mai 2000 unter Bezugnahme auf die beantragte Korrektur der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Im Änderungsbescheid vom 18. Juli 2000 (Änderungsbescheid 2) erhöhte das FA die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 162 273 DM --statt der beantragten 457 310 DM-- und führte in den Erläuterungen aus: "Ihrem Antrag vom 16.3.2000 wurde in vollem Umfang entsprochen. Hierdurch erledigt sich Ihr Rechtsbehelf/Antrag vom 10.05.2000".
Nach einer bei der X-GmbH und beim Kläger durchgeführten Außenprüfung erging am 15. April 2002 erneut ein Einkommensteueränderungsbescheid (Änderungsbescheid 3), in dem die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit auf der Grundlage des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 wegen Auflösung einer Pensionsrückstellung auch um den Restbetrag der Tantieme von 295 037 DM (457 210 DM./. 162 273 DM) erhöht wurden.
Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch rügten die Kläger die Einbeziehung des Tantiemeteilbetrags von 295 037 DM in den Erhöhungsbetrag.
Das FA wies den Einspruch zurück, weil dem Änderungsantrag der Kläger auf Korrektur der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit im Änderungsbescheid 2 nicht vollumfänglich entsprochen worden sei, nunmehr aber zu Recht nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977 im Änderungsbescheid 3.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 839 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Die Einschränkung einer einmal erteilten Zustimmung zur Änderung der Steuerfestsetzung setze eine empfangsbedürftige Willenserklärung voraus, die auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen könne. Dieses müsse allerdings eindeutig sein, während das FG keine zwingenden Gründe für eine derartige konkludente Erklärung der Kläger bezeichnet habe. Eine Heranziehung des Klägervortrags in der mündlichen Verhandlung sei in diesem Zusammenhang keine statthafte Auslegungshilfe, weil zwischen dem Zeitpunkt der Zustimmung und dem Vortrag ein Zeitraum von fünf Jahren verstrichen sei und sich die Interessenlage beim Kläger durch den Zeitablauf verändert haben könne.
Das FA beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
1. Zutreffend sind die Beteiligten davon ausgegangen, dass die im Jahre 1997 beschlossenen und fälligen Tantiemezahlungen materiell-rechtlich dem Streitjahr (1997) als Einkünfte zuzuordnen waren. Das FA war aber verfahrensrechtlich gehindert, diese Einkünfte in Höhe des streitbefangenen Teilbetrags zum Gegenstand eines weiteren Änderungsbescheids zu machen, wie das FG im Ergebnis zu Recht erkannt hat.
a) Aus den insoweit zutreffenden Gründen des Urteils des FG konnte der Änderungsbescheid 2 weder nach § 367 Abs. 2 noch nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geändert werden. Dies ist zwischen den Beteiligten offenkundig auch nicht mehr streitig.
b) Entgegen der Auffassung des FA konnte die Änderung aber auch nicht auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977 gestützt werden. Diese Norm setzt die Zustimmung des Steuerpflichtigen zur Änderung voraus oder einen der Änderung sachlich entsprechenden Antrag. Antrag oder Zustimmung können sowohl eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen als auch zu seinen Ungunsten betreffen. Dabei ist der Antrag meist auf eine Herabsetzung der Steuer gerichtet, während die Zustimmung des Steuerpflichtigen in aller Regel für eine Steuererhöhung eingeholt wird. Demgegenüber weist der Streitfall die Besonderheit auf, dass die Kläger mit ihrem Antrag auf schlichte Änderung eine Erhöhung der Steuerfestsetzung begehrten. Dahingestellt bleiben kann, ob die Befugnis zum Antrag analog zur Einspruchsbefugnis nach § 350 AO 1977 eine Beschwer voraussetzt (so z.B. Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 172 AO Tz. 38; Fischer in Schöll/Leopold/Madle/Rader, Abgabenordnung, § 172 Tz. 8). Denn mit ihrem Antragsschreiben vom 16. März 2000, mit dem die Kläger ihrer Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nachgekommen sind, haben sie inzidenter jedenfalls auch ihre Zustimmung zur steuererhöhenden Änderung erteilt (so auch Urteil des FG München vom 28. Juni 2000 3 K 3186/96, EFG 2000, 1107 zu einem insoweit vergleichbaren Fall).
Der Änderungsbescheid 2 beruhte auf ihrer, der Kläger, Zustimmung zur Änderung.
aa) Eine Änderung dieses Bescheides nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977 hätte eine erneute oder aber fortdauernde ältere Zustimmung erfordert. Eine erneute Zustimmung haben die Kläger weder ausdrücklich noch konkludent erteilt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die im Schreiben vom 16. März 2000 liegende ursprüngliche Zustimmung über das Ergehen des bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheides 2 hinaus fortgegolten hätte. Das FA wollte dem Antrag der Kläger mit diesem Bescheid entsprechen und hat dies in den Erläuterungen auch zum Ausdruck gebracht.
Zwar wird es im Schrifttum offenbar auch für zulässig gehalten, einen Teiländerungsbescheid unter Zurückstellung der Entscheidung in einem anderen Teilbereich auch außerhalb eines Einspruchsverfahrens oder eines finanzgerichtlichen Prozesses zu erlassen (so Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 172 Tz. 33). Ob dieser Auffassung zu folgen wäre, kann aber dahingestellt bleiben, da das FA im Streitfall jedenfalls nicht so verfahren ist.
bb) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist der Änderungsbescheid 2 auch nicht auf andere Weise zum Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Änderungsverfahrens geworden. Für das Änderungsverfahren gibt es keine dem § 365 Abs. 3 AO 1977 entsprechende Vorschrift. § 365 Abs. 3 AO 1977 regelt für das Einspruchsverfahren, dass ein nicht in vollem Umfange dem Einspruchsbegehren abhelfender Änderungsbescheid zum Gegenstand des Verfahrens wird, der damit unter Hemmung des Eintritts der Bestandskraft nach Maßgabe des § 367 Abs. 2 AO 1977 überprüfbar und änderbar bleibt, und zwar auch dann, wenn das FA fälschlich das Einspruchsverfahren für erledigt erklärt hat (s. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. November 1981 II R 119/79, BFHE 134, 150, BStBl II 1982, 270). Entspricht hingegen ein außerhalb eines Einspruchsverfahrens ergangener (vorbehaltloser) Steuerbescheid nicht dem Begehren des Steuerpflichtigen, so muss dieser rechtzeitig Einspruch einlegen, wenn er sein Begehren weiterverfolgen will (s. von Wedelstädt in Beermann/Gosch, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 172 AO Tz. 52) oder ggf. einen Antrag auf schlichte Änderung stellen. Dies gilt etwa, wenn ein erstmaliger Steuerbescheid zuungunsten des Steuerpflichtigen von dessen Steuererklärung abweicht (die bei berechtigtem Interesse als Antrag auf Steuerfestsetzung anzusehen ist, s. BFH-Urteil vom 4. Juni 1986 IX R 52/82, BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3, und Beschluss vom 21. Januar 1998 IV B 34/97, BFH/NV 1998, 846), aber z.B. auch, wenn ein Änderungsbescheid dem zuvor geäußerten Begehren des Steuerpflichtigen auf Änderung zu seinen Gunsten nicht in vollem Umfang entspricht und zwar unabhängig davon, ob die Abweichung materiell-rechtlich begründet ist. Von einer Fortgeltung des ursprünglichen Antragsbegehrens über den Zeitpunkt des Ergehens des Steuerbescheides hinaus, die eine Anfechtung bzw. weitere Antragstellung entbehrlich machen könnte oder etwa den Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 3 AO 1977 hemmen würde, kann in diesen Fällen keine Rede sein.
cc) Das FA kann auch nicht von sich aus einen für unzutreffend erkannten Bescheid ändern, sondern ist vielmehr an den Inhalt des ergangenen Bescheides gebunden, sofern nicht der Tatbestand einer die Bestandskraft durchbrechenden Änderungsnorm erfüllt ist.
Es ist kein Grund ersichtlich, warum hiervon abweichend ein nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977 mit Zustimmung des Steuerpflichtigen erteilter Steueränderungsbescheid ohne die weitere Voraussetzung der Erfüllung des Tatbestands einer einschlägigen Änderungsvorschrift --hier also: durch erneute Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AO 1977-- zu seinen Lasten geändert werden dürfte. In den ausdifferenzierten Regelungen der §§ 172 ff. AO 1977 hat die vom Gesetzgeber vorzunehmende Abwägung der Verfassungsprinzipien der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (s. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22. Juli 1991 1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 423, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 168, m.w.N.) für Steuerbescheide ihren Niederschlag gefunden. Hiernach ist die Durchbrechung der grundsätzlich bestehenden Unabänderlichkeit bestandskräftiger Steuerbescheide zugunsten der materiellen Richtigkeit nur unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen zugelassen; in allen anderen Fällen ist die Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsakts hinzunehmen (s. sinngemäß Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, Vor §§ 172 ff. Tz. 1).
Unter diesen Umständen war aber die vom FG angenommene konkludente Zustimmung zu einer nur eingeschränkten Änderung bzw. einer konkludenten Teilrücknahme entbehrlich, um die erneute Änderung auszuschließen und materielle Bestandskraft der Steuerfestsetzung hinsichtlich der im Streitjahr zu erfassenden Tantiemen eintreten zu lassen.
2. Andere Korrekturvorschriften, auf die im Streitfall der angefochtene Änderungsbescheid hätte gestützt werden können, sind nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1679893 |
BFH/NV 2007, 532 |
BStBl II 2007, 236 |
BFHE 2008, 61 |
BFHE 215, 61 |
BB 2007, 314 |
DB 2007, 268 |
DStR 2007, 196 |
DStRE 2007, 257 |
HFR 2007, 309 |