Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung; Steuerhinter ziehung; Auswechslung der Haftungsnormen
Leitsatz (NV)
1. Zur Haftung bei Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuererklärung.
2. Das FA kann den Haftungsbescheid in der Einspruchsentscheidung grundsätzlich statt der ursprünglich angenommenen Geschäftsführerhaftung auf eine Haftung wegen Steuerhinterziehung stützen.
3. Zur Zahlungsverjährung.
Normenkette
AO 1977 §§ 34, 69, 71, 126 Abs. 1 Nr. 2, § 150 Abs. 1 S. 2, §§ 167-168, 191, § 228 ff., § 229 Abs. 1 S. 1, § 231 Abs. 1, § 367 Abs. 2 S. 1, § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 S. 1; UStG § 18 Abs. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Kommanditist einer inzwischen im Handelsregister gelöschten GmbH & Co. KG (KG) und alleiniger Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, die ebenfalls im Handelsregister gelöscht wurde. Nach den Feststellungen der Steuerfahndung wurden vom Kläger Eingangsrechnungen gefälscht; die für das Kalenderjahr ... erklärten Vorsteuerbeträge waren deshalb um einen bestimmten Betrag zu kürzen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) erließ einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid gegen die bereits im Handelsregister gelöschte KG. Mit Haftungsbescheid vom ... nahm das FA den Kläger als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH u. a. für Umsatzsteuer ... in Anspruch.
Auf seinen Einspruch hin nahm das FA den Kläger nur noch für die Umsatzsteuer ... in Höhe von ... DM als Haftenden in Anspruch und stützte die Haftung statt auf §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) auf § 71 AO 1977. Der Tenor der Einspruchsentscheidung enthielt den Satz "Die Zahlungsaufforderung ermäßigt sich auf den gleichen Betrag".
Die dagegen gerichtete Klage hatte insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die Haftung des Klägers auf ... DM herabsetzte. Insoweit habe das FA den Kläger durch die Einspruchsentscheidung zu Recht als Haftungsschuldner gemäß § 71 AO 1977 in Anspruch genommen.
Der Kläger habe, wie in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts vom ... festgestellt worden sei und dem sich das FG anschließe, für die KG für das Kalenderjahr ... mindestens Vorsteuern in Höhe des herabgesetzten Betrages unberechtigterweise geltend gemacht. Gemäß Abrechnungsbescheid vom ... wären von der KG Umsatzsteuern ( ... ) in Höhe der zu Unrecht ausgewiesenen Vorsteuern zu zahlen gewesen. In dieser Höhe habe der Kläger eine Umsatzsteuer-Verkürzung begangen.
Das FA habe den Haftungsgrund in der Einspruchsentscheidung zu Recht von § 69 auf § 71 AO 1977 umgestellt. Der Zahlungsanspruch gegen den Kläger sei nicht verjährt, weil im Tenor der Einspruchsentscheidung eine Zahlungsaufforderung ergangen sei. Diese Zahlungsaufforderung habe die Zahlungsverjährung ebenso unterbrochen wie die beiden Aufenthaltsermittlungen im Jahre 1989.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 76 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- (nicht ausreichende Aufklärung des Sachverhalts) sowie des § 90 FGO und die Verletzung des Rechts auf Gehör. Das Urteil sei widersprüchlich und verstoße gegen Denkgesetze. Außerdem halte er die Umstellung der Haftungsgrundlage von §§ 34, 69 AO 1977 auf § 71 AO 1977 in der Einspruchsentscheidung für unzulässig. Ferner sei die Haftungsschuld aus dem Haftungsbescheid verjährt; damit sei die Erledigung der Hauptsache eingetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das FG hat ohne Rechtsfehler erkannt, daß das FA den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner gemäß § 71 AO 1977 in Anspruch genommen hat und daß die Haftungssumme ... DM beträgt. Die gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
1. Die Bedenken des Klägers dagegen, daß das FA in der Einspruchsentscheidung die Haftung des Klägers für die Steuerschulden der KG auf eine andere Haftungsgrundlage, nämlich § 71 AO 1977, als im Haftungsbescheid -- dort §§ 34, 69 AO 1977 -- gestützt hat, greifen nicht durch.
a) Der Kläger haftet gemäß § 71 AO 1977 als Steuerhinterzieher für die von ihm hinterzogenen Steuern.
Er hat im Streitfall als Geschäftsführer der -- inzwischen im Handelsregister gelöschten -- KG für das Kalenderjahr ... eine unrichtige Umsatzsteuererklärung -- Steueranmeldung -- abgegeben, in der er Vorsteuerbeträge in einem Gesamtbetrag von mindestens ... DM angegeben hat, die auf zu Unrecht ausgestellten Rechnungen beruhten. Er hat damit den Tatbestand der Steuerhinterziehung mit der Folge der Haftung für die verkürzten Steuern (§ 71 AO 1977) erfüllt, weil er dem FA vorsätzlich unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen gemacht und dadurch Steuern verkürzt hat (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Nach § 370 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben, weil die (Umsatz-)Steuranmeldung, in der hier -- wegen der zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuern -- Umsatzsteuern zu niedrig angemeldet worden sind, einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§§ 150 Abs. 1 Satz 2, 167, 168 AO 1977 i. V. m. § 18 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG --). Das FA und das FG haben somit zu Recht den Tatbestand einer vollendeten Steuerhinterziehung als Haftungstatbestand i. S. des § 71 AO 1977 bejaht. Ent gegen der Auffassung des Klägers -- und wohl auch des Strafurteils -- kommt es für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einer vollendeten Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AO 1977) nicht auf eine förmliche Steuerfestsetzung durch das FA an; es genügt bereits die unzutreffende Steueranmeldung, weil sie wegen der bestehenden gesetzlichen Pflicht zur Anmeldung (§ 18 Abs. 3 UStG) als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung im Hinblick auf die Steuerhinterziehung einer Steuerfestsetzung durch das FA gleichsteht (§ 370 Abs. 4 AO 1977).
Das FG hat auch rechtsfehlerfrei festgestellt, daß infolge der Steuerhinterziehung dem FA ein Schaden insofern entstanden ist, als in Höhe von mindestens des von ihm herabgesetzten Betrages eine un getilgte Steuerschuld der KG bestand. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger nur anteilig für die nicht getilgten Umsatzsteuerschulden haften würde (vgl. dazu Senats urteil vom 26. August 1992 VII R 50/91, BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
b) Die hinsichtlich der Haftung des Klägers aus § 71 AO 1977 getroffenen Feststellungen des FG sind gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den erkennenden Senat bindend, weil die gerügten Verfahrensfehler nicht vorliegen.
aa) Das FG hat seine Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 FGO) nicht verletzt.
Das FG durfte sich, was vom Kläger auch nicht bestritten wird, die Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts zu eigen machen (vgl. u. a. Senatsbeschluß vom 17. Dezember 1991 VII B 163/91, BFH/NV 1992, 612). Dies hat das FG getan, indem es seiner Entscheidung die im Strafurteil getroffene Feststellung zugrunde gelegt hat, daß der Kläger in der Umsatzsteuererklärung ... vorsätzlich mindestens ... DM zu Unrecht als Vorsteuern angemeldet hat. Diese Feststellung reicht für die Begründung der Haftung des Klägers nach § 71 AO 1977 aus. Weiterer Feststellungen des FG bedurfte es insoweit nicht, weil -- wie oben unter a) ausgeführt -- die Umsatzsteuerhinterziehung bereits mit der unrichtigen Umsatzsteueranmeldung vollendet war.
Soweit das FG aufgrund der im Strafurteil getroffenen Feststellungen, die es sich zu eigen gemacht hat, zu dem Ergebnis gekommen ist, daß der Kläger eine vollendete Steuerverkürzung begangen hat, steht dies nicht -- wie der Kläger meint -- im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils. Zwar hat das Landgericht insoweit nur eine versuchte Steuerhinterziehung angenommen. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine andere rechtliche Würdigung, als das FG sie vorgenommen hat, nicht aber um eine andere tatsächliche Feststellung.
Soweit der Kläger ferner die Verletzung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung bezüglich der fehlerhaften Umsatzsteuervoranmeldung für das 3. Quartal ... rügt, ist dies im Streifall ohne Belang, weil sich das FA zur Begründung seines Haftungsanspruchs gegen den Kläger nur auf die unrichtig abgegebene Jahreserklärung ... gestützt hat. Aus demselben Grunde greift auch die Rüge des Klägers, daß die Kausalität zwischen der "(versuchten) Steuerhinterziehung" und dem Steuerausfall nicht hinreichend aufgeklärt sei, nicht durch. Auch insoweit beziehen sich nämlich die diesbezüglich vorgetragenen Zweifel auf die Umsatzsteuervoranmeldung für das 3. Quartal ...
Das FG durfte bei seiner Entscheidungsfindung auch die Abrechnung vom ... heranziehen, aus der sich ergibt, daß die verkürzten Abgaben nicht gezahlt worden sind und deshalb die Haftungsschuld besteht. Diese Abrechnung war Teil der vom FG im Verfahren beigezogenen Akten des FA und konnte daher vom FG verwertet werden. Im übrigen ergab sich die darin enthaltene Abrechnung, abgesehen von geringfügigen Abweichungen, auch aus der mit der Klage angefochtenen Einspruchsentscheidung und mußte dem Kläger schon deswegen bekannt sein. Er hat nicht vorgetragen, wann und wo er die Richtigkeit dieser Abrechnung substantiiert bestritten hat.
bb) Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Mündlichkeit des Verfahrens, wie ihn der Kläger unter Hinweis auf § 90 FGO geltend gemacht hat, kann schon deshalb nicht vorliegen, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom ... auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet hat. Zu der damit in Zusammenhang gebrachten Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör hat der Kläger nichts Substantielles vorgetragen.
c) Keine Bedenken bestehen auch dagegen, daß das FA die Anspruchsgrundlage für die Inhaftungnahme des Klägers in der Einspruchsentscheidung gegenüber der für den Haftungsbescheid herangezogenen Rechtsgrundlage (§§ 34, 69 AO 1977) ausgewechselt und in der Einspruchsentscheidung § 71 AO 1977 als Rechtsgrundlage herangezogen hat.
Im Einspruchsverfahren ist die Sache gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 in vollem Umfang erneut zu prüfen. Auch wenn der Senat davon ausgeht, daß die Überprüfung der Sache ihre Grenze in dem angefochtenen Verwaltungsakt als formellen Gegenstand des Einspruchs findet (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 28. November 1989 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl II 1990, 561, 563) und nicht auf Personen, Steuergegenstände oder Zeiträume ausgedehnt werden darf, die von dem angefochtenen Verwaltungsakt nicht erfaßt worden sind (Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 367 AO 1977 Rz. 5), daß also nur der steuerlich erhebliche Vorgang, der Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsakts gewesen ist, auch Gegenstand der Einspruchsentscheidung sein darf, verstößt die im Streitfall vom FA getroffene Einspruchsentscheidung hier dagegen jedenfalls nicht. Obwohl in ihr die Haftung des Klägers auf § 71 AO 1977 statt wie davor auf §§ 34, 69 AO 1977 gestützt worden ist, lag ihr derselbe haftungsrechtlich erhebliche Vorgang, nämlich die Abgabe der unrichtigen Umsatzsteueranmeldung für das Kalenderjahr ... durch den Kläger zugrunde. Das FA hat diesen Sachverhalt in der Einspruchsentscheidung lediglich rechtlich anders gewürdigt. Dadurch ist der angefochtene Haftungsbescheid aber nicht in seinem Wesensgehalt geändert worden. Die rechtliche Würdigung eines bestimmten Geschehensablaufs kann in der Einspruchsentscheidung durchaus von der des angefochtenen Verwaltungsaktes abweichen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 128 AO 1977 Rz. 4 Abs. 3). Aus den vom Kläger genannten Entscheidungen des FG Hamburg (Beschluß vom 3. Januar 1980 IV 174/79 S--H, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1980, 361) und des Hessischen FG (Urteil vom 10. November 1980 VI 284/77, EFG 1981, 214) ergibt sich nichts anderes. Im Gegensatz zu den dort entschiedenen Fällen liegt nämlich der Einspruchsentscheidung im Streitfall derselbe Sachverhalt wie dem Haftungsbescheid zugrunde.
Der Senat vermag dem Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 6. Februar 1990 5 K 1190/89 (EFG 1991, 4) nicht zu folgen, nach dem eine Umstellung der Geschäftsführerhaftung auf eine Steuerhinterzieherhaftung in der Einspruchsentscheidung nicht zulässig sein soll. Er sieht auch keine Verbindung zwischen der dort zur Begründung der gegenteiligen Auffassung herangezogenen Rechtsprechung des BFH zu sogenannten Sammelhaftungsbescheiden (Urteile vom 3. Juli 1979 VII R 53/76, BFHE 128, 158, BStBl II 1979, 655, und vom 21. Juni 1989 VI R 31/86, BFHE 157, 377, BStBl II 1989, 909; vgl. auch Urteil vom 4. Juli 1986 VI R 182/80, BFHE 147, 323, BStBl II 1986, 921) und der im Streitfall in Rede stehenden Frage, ob die recht liche Würdigung eines bestimmten Sachverhalts in der Einspruchsentscheidung zulässigerweise durch eine andere ersetzt werden darf.
In den genannten Entscheidungen hat der BFH ausgeführt, daß in den betreffenden Fällen der Sammelbescheid in bezug auf die darin zusammengefaßten Einzelfälle sachverhaltsbezogen sei und daß jeweils die Einzelfälle aufgrund verschiedener Tatumstände zu unterschiedlichen Steuer- und Haftungsschulden führen könnten; deshalb könnten sie auch auf bestimmte Einzelfälle beschränkt anfechtbar sein (BFHE 128, 158, BStBl II 1979, 655; BFHE 147, 323, BStBl II 1986, 921). Daraus ist für den einzelnen Umsatzsteuerhaftungsbescheid, der nicht Einzelfälle zusammenfaßt, sondern einen bestimmten haftungsrechtlich erheblichen Zeitabschnitt erfaßt, nichts herzuleiten.
Im übrigen wird auch der dem Haftungs bescheid zugrundeliegende Sachverhalt nicht -- wie das FG Rheinland-Pfalz anzunehmen scheint -- durch die Haftungsnorm, die zur Begründung der Haftung dient, sondern durch den Geschehensablauf bestimmt, der seinerseits eine oder mehrere bestimmte Haftungsnormen erfüllen kann.
Der BFH hat bereits entschieden, daß ein bestimmter Geschehensablauf gleichzeitig und nebeneinander die Haftung nach §§ 34, 69 und nach § 71 AO 1977 begründen kann (BFH-Urteile vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, und in BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8). So kommt bei vorsätzlicher Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteueranmeldung in der Regel neben der Haftung nach §§ 34, 69 Satz 1 Alternative 1 AO 1977 auch die Haftung wegen Steuerhinterziehung i. S. von § 71 i. V. m. § 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 AO 1977 in Betracht (vgl. BFH in BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8). So ist es auch im Streitfall, wie das FG, ohne daß dies von den Beteiligten beanstandet worden wäre, ausgeführt hat. In diesem Fall muß es dem FA freistehen, in der Einspruchsentscheidung die Haftung auch oder nur auf § 191 i. V. m. § 71 AO 1977 zu stützen, weil dadurch der tatsächliche Vorgang, der Grundlage der auf Schadens ersatz gerichteten Haftung des Klägers ist, nicht geändert wird. Selbst wenn in den nunmehr auf §§ 71, 191 AO 1977 gestützten Haftungsbescheid z. B. wegen der in diesem Fall längeren Festsetzungsverjährung (§ 191 Abs. 3 Satz 2 AO 1977) eine "Verböserung" liegen sollte, stünde dies gemäß § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 der Änderung der Rechtsgrundlage im Streitfall nicht entgegen. Wie das FG festgestellt hat, ist dem Kläger vor Erlaß der Einspruchsentscheidung Gelegenheit gegeben worden, sich zu der beabsichtigten Anwendung des § 71 AO 1977 zu äußern.
Bedenken gegen die Änderung der Haftungsgrundlage in der Einspruchsentscheidung können sich auch nicht daraus ergeben, daß das FA den nach § 191 Abs. 1 AO 1977 in seinem pflichtgemäßen Ermessen stehenden Entschluß, den Kläger als Haftenden in Anspruch zu nehmen, ggf. begründen muß und daß die Ermessens betätigung je nach der gewählten Rechtsgrundlage unter Umständen anders ausfallen könnte. Die etwa notwendige Begründung dieser Ermessensentscheidung kann bis zum Ergehen der letzten Verwaltungsentscheidung -- also der Einspruchsentscheidung -- nachgeholt werden (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977) und damit auch der Änderung der Rechtsgrundlage in der Einspruchsentscheidung angepaßt werden, was in der hier angefochtenen Einspruchsentscheidung geschehen ist.
2. Der Zahlungsanspruch gegen den Kläger ist auch nicht verjährt.
Nach § 228 AO 1977 beträgt zwar die Verjährungsfrist für den Zahlungsanspruch aus dem Haftungsbescheid 5 Jahre. Sie beginnt nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist -- im Streitfall also am ... -- und endet deshalb am ... Sie ist jedoch entgegen der Auffassung des Klägers nach § 231 Abs. 1 AO 1977 jedenfalls durch die in der Einspruchsentscheidung vom ... enthaltene schrift liche Geltendmachung des Zahlungs anspruchs und später durch die Wohnsitzanfragen des FA vom ... jeweils erneut unterbrochen worden und würde danach erst mit Ablauf des Jahres ... eintreten.
a) Eine zur Unterbrechung der Verjährung nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 erforderliche Geltendmachung des Zahlungsanspruchs ist auf jeden Fall durch die im Tenor der Einspruchsentscheidung enthaltene ausdrückliche Zahlungsaufforderung erfolgt. Die im Tenor der Einspruchsentscheidung zum Ausdruck gebrachte Ermäßigung der bereits im Haftungsbescheid enthaltenen Zahlungsaufforderung beinhaltet nicht nur eine Ermäßigung der ursprünglichen Zahlungsaufforderung. Sie kann vielmehr sinnvollerweise -- und für den Kläger auch erkennbar -- nur dahin verstanden werden, daß das FA dadurch auch die Zahlung des ermäßigten Betrages verlangt hat. In ihr ist daher eine erneute, die Zahlungsverjährung unterbrechende Geltendmachung des Zahlungsanspruchs gegen den Kläger zu sehen.
b) Auch die Bedenken des Klägers, ob durch die genannten Wohnsitzanfragen im Jahre ... eine wirksame Unterbrechung der Verjährung nach § 231 Abs. 1 AO 1977 stattgefunden hat, greifen nicht durch.
Zwar ist es zutreffend, daß derartige Wohnsitzanfragen die Verjährung nur dann nach § 231 AO 1977 unterbrechen können, wenn das FA besonderen Anlaß zu der Anfrage hatte, weil ihm der Wohnsitz des Schuldners nicht bekannt war (Senatsurteil vom 24. November 1992 VII R 63/92, BFHE 169, 493, BStBl II 1993, 220). Das Vorbringen des Klägers, das insoweit darauf hinausläuft, daß die Wohnsitzanfragen des FA unnötig waren, enthält aber bisher noch nicht vorgetragene, neue Tatsachen, die im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden können, weil sie bereits in der Tatsacheninstanz hätten geltend gemacht werden können und müssen (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 FGO Rz. 37 ff.). Der Umstand, daß die Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 169, 493, BStBl II 1993, 220 erst nach der Vorentscheidung erging, ändert daran nichts.
Aus dem Umstand, daß ein finanzgericht liches Verfahren anhängig war, ergibt sich im übrigen entgegen der Auffassung des Klägers nicht ohne weiteres, daß die zutreffende Wohnanschrift des Klägers dem FA tatsächlich bekannt war. Das FG war auch im Rahmen seiner Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 FGO) nicht verpflichtet, von sich aus Feststellungen darüber zu treffen, inwieweit die Wohnsitzanfragen des FA notwendig waren. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte durfte es vielmehr davon ausgehen, daß die Wohnsitzanfragen des FA zur Ermittlung des Wohnsitzes des Klägers notwendig waren.
Fundstellen