Leitsatz (amtlich)
Ein Steuerpflichtiger, der mit Zustimmung des Versicherers als Versicherungsnehmer in einen von einem anderen abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag gegen laufende Beitragsleistung eintritt, kann die Beiträge, die nach seinem Eintritt fällig werden, nach Maßgabe der für diesen Vertrag geltenden steuerlichen Vorschriften als Sonderausgaben abziehen. Der Eintritt gilt nicht als Abschluß eines neuen Vertrages.
Normenkette
EStG 1958 § 10 Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 1; EStG 1967 § 52 Abs. 7 Nr. 2
Tatbestand
I. Sachverhalt, Urteil des Finanzgerichts und Begründung der Revision
1. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte bei der Zusammenveranlagung der Ehegatten für 1967 u. a. die Anerkennung eines Betrages von 7 829,25 DM als Sonderausgaben ab, die der Kläger an die Lebensversicherung X geleistet hatte. Den dieser Zahlung zugrunde liegende Lebensversicherungsvertrag hatte ein Kaufmann W. am 26. Mai 1961 als Versicherungsnehmer und Versicherter über eine Versicherungssumme von 50 000 DM abgeschlossen, die am 1. Juni 1970 fällig sein sollte. Nachdem W. seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag zunächst zur Sicherung einer Darlehnsforderung der Klägerin aus dem Jahre 1965 an diese abgetreten hatte, war der Kläger, nachdem W. im Jahre 1967 in Vermögensverfall geraten war, am 11. September 1967 mit Zustimmung des Versicherers und Ws. an dessen Stelle in den Lebensversicherungsvertrag eingetreten. W. hatte schon vorher im Februar 1967 gegenüber dem Versicherer die Kläger unwiderruflich als Bezugsberechtigte bezeichnet. Bei dem Betrage von 7 829,25 DM handelte es sich um rückständige und fällige Versicherungsbeiträge, die der Kläger neben rückständigen Zinsen von 875,60 DM an die Versicherung entrichtete. Die Versicherungssumme wurde ihm am 1. Juni 1970 ausgezahlt. Das FA verweigerte den Sonderausgabenabzug mit der Begründung, das Versicherungsverhältnis erfülle nicht die Mindestlaufzeit von sieben Jahren nach § 10 Abs. 1 Nr. 2b Satz 2 EStG 1967.
2. Die Klage hatte sowohl wegen der Zinsen als auch in diesem Punkte Erfolg. Das FG sah § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG 1958 als maßgeblich an und ging von einer vorgeschriebenen Mindestvertragsdauer von fünf Jahren aus. Es führte u. a. aus: Der Eintritt des Klägers in den Versicherungsvertrag sei steuerlich nicht als Neuabschluß anzusehen.
3. Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 2b und des § 52 Abs. 7 Nr. 2 EStG 1967 bzw. § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG 1958. Es führt u. a. aus: Der Eintritt in einen Lebensversicherungsvertrag stelle - zumindest steuerrechtlich - einen neuen Vertrag dar. Deshalb sei nach § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG 1967 zu entscheiden, ob die streitigen Beiträge Sonderausgaben seien. Das Vertragsverhältnis des Klägers habe mit der Abtretung am 11. September 1967 begonnen und am 1. Juni 1970 enden sollen, so daß die nach der bezeichneten Vorschrift vorgesehene Mindestvertragsdauer von mindestens sieben, höchstens zwölf Jahren nicht erreicht worden sei.
Die Revision des FA, die sich nur gegen die Berücksichtigung der Prämien, nicht aber gegen die Berücksichtigung der Zinsen als Sonderausgaben wendet, ist begründet.
Entscheidungsgründe
II. Entscheidung des Senats
1. Nach der Überleitungsvorschrift in § 52 Abs. 7 Nr. 2 EStG 1967 sind für den Sonderausgabenabzug von Lebensversicherungsbeiträgen, die nach dem 31. Dezember 1966 aufgrund von nach dem 31. Dezember 1958 und vor dem 1. Juli 1965 abgeschlossenen Verträgen geleistet worden sind, die Vorschriften des § 10 Abs. 1 Nr. 2b EStG 1958 maßgebend. Der Senat tritt der Vorinstanz darin bei, daß diese Vorschriften auf die Beitragsleistungen des Klägers im Jahre 1967 grundsätzlich anzuwenden sind, da in dem Eintritt des Klägers als Versicherungsnehmer in den am 26. Mai 1961 abgeschlossenen Vertrag kein neuer Vertragsabschluß zu sehen ist, so daß die erforderliche Mindestlaufzeit des Vertrages bei der für 1970 vereinbarten Auszahlung der Versicherungssumme gewahrt ist. Die Beitragsleistungen des Klägers sind deshalb grundsätzlich als Sonderausgaben abzugsfähig.
2. In dem Urteil vom 20. November 1952 IV 6/52 U (BFHE 57, 91, BStBl III 1953, 36) hat der IV. Senat dargelegt, daß bei der Prüfung der Frage, inwieweit Lebensversicherungsprämien als Sonderausgaben im Rahmen der Höchstbeträge abgezogen werden können, lediglich darauf abzustellen ist, wer der Versicherungsnehmer ist. Es wurde ferner ausgesprochen, daß es nicht darauf ankomme, wer nach dem Versicherungsvertrag bezugsberechtigt ist, oder darauf, wessen Leben versichert ist. Dieser Auffassung tritt der Senat mit der zur Entscheidung IV 6/52 U gegebenen Begründung bei.
Der Kläger ist dadurch, daß er am 11. September 1967 anstelle des Kaufmanns W. im Einvernehmen mit dem Versicherer in den Vertrag eintrat, Versicherungsnehmer aus diesem Vertrag geworden.
a) Bürgerlich-rechtlich bestehen gegen die Zulässigkeit und Wirksamkeit der Übertragung der Rechtsstellung des Versicherungsnehmers keine Bedenken. Der Versicherungsnehmer hat als Vertragspartner des Versicherers nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Die Vertragsübernahme kann daher nicht wie die Abtretung einer Forderung (§ 398 BGB) ohne Beteiligung des Vertragspartners erfolgen. Auch liegen die Voraussetzungen des § 177 des Versicherungsvertragsgesetzes, nach denen der Bezugsberechtigte, wenn bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt werden, mit Zustimmung des Versicherungsnehmers, aber ohne Beteiligung des Versicherers, als Versicherungsnehmer in den Versicherungsvertrag eintreten kann, nicht vor. Im Streitfall ist die Vertragsübernahme durch den Kläger indessen im Einvernehmen aller Beteiligten, also auch mit Zustimmung des Versicherers, erfolgt und somit bürgerlich-rechtlich möglich und wirksam (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 33. Aufl., 1974, § 398 BGB Anm. 4 am Ende).
b) Der Senat vermag auch keine steuerlichen Bedenken zu erkennen, die der Anerkennung der Vertragsübernahme durch den Kläger und damit seinem Eintritt als Versicherungsnehmer in den weiterbestehenden Vertrag entgegenstehen könnten. Der Vertrag ist, abgesehen von der Auswechslung des Versicherungsnehmers, seinem Inhalt und seinem wirtschaftlichen Gehalt nach unverändert geblieben. Insbesondere haben sich die hierfür entscheidenden Merkmale, nämlich Laufzeit, Versicherungssumme, Versicherungsprämie und Prämienzahlungsdauer, nicht geändert, da der Versicherte, von dessen Lebensalter und Gesundheitszustand diese Merkmale weitgehend abhängig sind, der Kaufmann W. geblieben ist.
Die Verhältnisse liegen ähnlich wie im Falle des Eintritts eines neuen Bausparers in einen bereits laufenden Bausparvertrag. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 7. März 1958 VI 24/57 U (BHFE 66, 576, BStBl III 1958, 222) ausgesprochen, daß der Eintritt eines anderen Bausparers in einen Bausparvertrag steuerlich nicht den Abschluß eines neuen Bausparvertrages bedeute. Er hat dementsprechend anerkannt, daß die Bausparbeiträge des neuen Bausparers grundsätzlich die Sonderausgabenbegünstigung genießen, die auf der Grundlage der beim Abschluß des Vertrages maßgeblichen Bestimmungen dafür in Betracht kommt. Diese Auffassung hat der Senat erneut in seinem Urteil vom 21. August 1959 VI 254/58 U (BFHE 69, 504, BStBl III 1959, 448) bestätigt. Demgegenüber hat der Einwand des FA, die Lebensversicherung ziele nicht in erster Linie auf die allgemeine Altersvorsorge, sondern auf die Altersvorsorge des Versicherten ab, kein Gewicht. Denn wie bereits dargelegt, knüpft das Gesetz die Sonderausgabenvergünstigung allein an die Tatsache der Zahlung von Lebensversicherungsbeiträgen durch einen Versicherungsnehmer. Wenn aber hierfür die Person des Versicherten und die Person des in dem Vertrage bezeichneten Bezugsberechtigten ohne Bedeutung sind, so zeigt dies, daß für den Gesetzgeber nicht die Überlegung des FA bestimmend waren. Als Förderungszweck, der dem Gesetzgeber vorgeschwebt hat, kann nach diesen Überlegungen vielmehr nur die allgemeine Förderung der Altersvorsorge durch den Abschluß von Lebensversicherungen gesehen werden, ebenso wie es Ziel der Bausparvergünstigung ist, allgemein den Wohnungsbau zu fördern (vgl. hierzu z. B. die ausdrückliche Zweckbezeichnung in § 1 WoPG).
c) Die Änderung der Bezugsberechtigung dadurch, daß der Kaufmann W. schon vor der Übertragung des Vertrages die Kläger als Bezugsberechtigte bezeichnete, bedeutete eine Abtretung des Anspruchs auf die Versicherungssumme an die Kläger. Die Folgen einer Abtretung sind in § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG 1958 und 1967 geregelt. Beide Vorschriften sehen für den Fall der Abtretung eine Nachversteuerung nur bei Versicherungen gegen Einmalbeitrag vor. Es besteht also insbesondere nicht wie bei Bausparverträgen (z. B. schon § 10 Abs. 2 Nr. 2 EStG 1958) eine Regelung, die allgemein bei Abtretungen eingreift. Im Streitfall liegt ein Versicherungsvertrag gegen laufende Beitragsleistungen vor, der nicht unter die genannte Nachversteuerungsvorschrift fällt. Es entspricht also dem eindeutig zum Ausdruck gelangten Willen des Gesetzgebers, daß im Streitfall eine Nachversteuerung nicht Platz greift. Diese Überlegungen zeigen in Verbindung mit den Erwägungen des Urteils IV 6/52 U, nach denen die Sonderausgabenvergünstigung nur dem Versicherungsnehmer, nicht aber dem Bezugsberechtigten, zusteht, daß auch die Änderung der Bezugsberechtigung auf das Recht des Versicherungsnehmers zur Vornahme des Sonderausgabenabzugs keinen Einfluß haben kann.
3. Das FG hat aber nicht beachtet, daß der Kläger nicht nur Prämien entrichtet hat, die auf die Zeit entfallen, in der er selbst Versicherungsnehmer war, sondern daß er auch rückständige Versicherungsbeiträge, die auf die Versicherungsnehmerzeit des Kaufmanns W. entfallen, zahlte. Diese rückständigen Versicherungsbeiträge leistete er nicht als Versicherungsnehmer; vielmehr erfüllte er durch deren Zahlung eine Verpflichtung des Kaufmanns W. als Versicherungsnehmer gegenüber der Versicherungsgesellschaft. Insoweit könnte nach den Ausführungen oben zu 1. also nur Kaufmann W. den Sonderausgabenabzug geltend machen. Das FG hat nicht festgestellt, welcher Teil der Zahlungen des Klägers von insgesamt 7 829,25 DM auf rückständige und welcher auf fällige Versicherungsbeiträge entfällt. Die nichtentscheidungsreife Sache war deshalb an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Fundstellen
BStBl II 1974, 633 |
BFHE 1974, 484 |