Leitsatz (amtlich)

Bringt eine Muttergesellschaft das für den Erwerb der Beteiligung an einer KG durch die Tochtergesellschaft erforderliche Kapital mittels Gewährung eines zinslosen Darlehens an diese auf, so kann bei einem späteren Verzicht auf die Rückzahlung des Darlehens die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes wegen Überschuldung bzw. Verlustes des Grund- oder Stammkapitals nicht mit der Begründung verneint werden, bei Erwerb der Beteiligung sei die Kapitalausstattung der Tochtergesellschaft ungenügend gewesen.

 

Normenkette

KVStG 1959 § 9 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Gesellschafterversammlung der Klägerin, einer GmbH, beschloß im März 1967 den Erwerb einer Beteiligung von 49 v. H. an der X-KG. Der Erwerb wurde durch ein zinsloses Darlehen der Muttergesellschaft in gleicher Höhe finanziert. Die Muttergesellschaft hatte der Klägerin darüber hinaus weitere Darlehen gewährt.

Im April 1968 verzichtete die Muttergesellschaft, die bereits 1964 sämtliche Anteile an der Klägerin erworben hatte, auf die Rückzahlung eines Teilbetrages in Höhe von 5 Millionen DM 1). Sie erließ der Klägerin im April 1969 einen weiteren Teilbetrag in Höhe von 6 Millionen DM 1) und am 30. Juli 1971 den restlichen Darlehensbetrag.

Im Hinblick auf die bei ihr eingetretenen erheblichen Verluste begehrte die Klägerin für diese Leistungen den ermäßigten Steuersatz in Höhe von 1 v. H. gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959. Das Finanzamt folgte dieser Auffassung hinsichtlich der beiden zunächst erlassenen Teilbeträge, zu einem geringen Teil allerdings erst im Einspruchsverfahren.

Als die Klägerin dem Finanzamt den letzten Forderungsverzicht mitteilte, waren diesem inzwischen aufgrund einer Betriebsprüfung die konkreten Zusammenhänge zwischen der Darlehensgewährung und dem Erwerb der Beteiligung bekanntgeworden. Auf Weisung der Oberfinanzdirektion vertrat es nunmehr die Auffassung, daß wegen der für den Ankauf der Beteiligung unzureichenden Kapitalausstattung der ermäßigte Steuersatz nicht in Betracht komme. Es berichtigte die beiden bereits unanfechtbar gewordenen Steuerbescheide weisungsgemäß wegen des Bekanntwerdens neuer Tatsachen gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO und erließ hinsichtlich des dritten Forderungsverzichts einen erstmaligen Steuerbescheid unter Anwendung des Normalsteuersatzes von 2,5 v. H.

Die Klägerin hat mit Zustimmung des Finanzamts Sprungklage erhoben und beantragt, auf alle Forderungsverzichte den ermäßigten Steuersatz in Höhe von 1 v. H. anzuwenden. Während des Klageverfahrens hat das Finanzamt die beiden angefochtenen Berichtigungsbescheide auf Weisung der Oberfinanzdirektion durch betragsmäßig gleichlautende, nunmehr aber auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützte Bescheide ersetzt, die auf Antrag der Klägerin Gegenstand des Verfahrens geworden sind.

Das Finanzgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat angenommen, daß die Forderungsverzichte freiwillige Leistungen im Sinne des § 2 Nr. 4 Buchst. b KVStG 1959 gewesen seien, für die jeweils die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 vorgelegen hätten. Es seien auch nicht die Voraussetzungen gegeben, unter denen bei einer Gesellschaft mit einem von vornherein unzureichenden Kapital die Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. die Urteile vom 24. Juni 1967 II 167/61, BFHE 79, 546, BStBl III 1964, 432, und vom 7. Mai 1968 II 94/62, BFHE 92, 534, BStBl II 1968, 617) zu verneinen sei. Diese Rechtsprechung sei zwar auch dann anzuwenden, wenn der Gesellschaftszweck wesentlich geändert und erweitert werde. Ihre Anwendung scheitere im konkreten Fall jedoch daran, daß der Erwerb der Beteiligung nicht ursächlich für die späteren Verluste gewesen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Finanzamts ist unbegründet.

Dem Finanzgericht ist im Ergebnis darin zu folgen, daß der in Teilbeträgen ausgesprochene Verzicht auf die Rückzahlung des zum Erwerb der Beteiligung verwendeten Darlehens der Gesellschaftsteuer zum ermäßigten Steuersatz von 1 v. H. gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 unterliegt. Wie das Finanzgericht unangefochten festgestellt hat, bestand im Zeitpunkt des Erlasses eines jeden Teilbetrages der Darlehensforderung ein entsprechender Verlust am Stammkapital der Klägerin bzw. eine Überschuldung der Klägerin.

Die hieraus folgende Anwendung des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 kann nicht unter Berufung auf die Urteile des Senats II 167/61 und II 94/62 mit der Begründung abgelehnt werden, die Kapitalausstattung der Klägerin sei für den Erwerb der Beteiligung an der KG unzureichend gewesen, der Erlaß der Darlehensforderung habe deshalb nicht der Verlustdeckung, sondern der notwendigen Kapitalausrüstung gedient. Den genannten Urteilen des Senats lag jeweils ein Sachverhalt zugrunde, der mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist. Die Klägerin hat die Beteiligung an der KG nicht erworben, ohne daß ihr ausreichende Geldmittel zur Verfügung gestellt wurden. Durch die Gewährung eines zinslosen Darlehens hat die Muttergesellschaft vielmehr sichergestellt, daß zukünftige Erträge der Klägerin nicht durch Zinsaufwendungen belastet werden. Wenn dann gleichwohl erhebliche Verluste eintraten, so war dies nicht die Folge davon, daß die Klägerin die Anschaffung der Beteiligung durch ein zinsloses Darlehen finanzierte. Sie wären in gleicher Weise eingetreten, wenn eine entsprechende Kapitalerhöhung erfolgt wäre. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes kann deshalb nicht mit der Begründung verweigert werden, die Muttergesellschaft habe die Klägerin nicht mit ausreichendem Kapital für die Anschaffung der Beteiligung versehen. Unter diesen Umständen bedarf es keines grundsätzlichen Eingehens auf die beiden genannten Urteile des Senats.

Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes scheitert auch nicht daran, daß möglicherweise die Darlehensgewährung gemäß § 3 KVStG 1959 dem vollen Steuersatz von 2,5 v. H. unterlag, und zwar auch für den Fall, daß bereits zum damaligen Zeitpunkt ein Verlust am Stammkapital eingetreten sein sollte (vgl. hierzu den Beschluß vom 30. März 1971 II B 3/71, BFHE 101, 430, BStBl II 1971, 336). Denn der Verzicht auf die Rückzahlung der Darlehensforderung ist ein weiterer der Kapitalverkehrsteuer gemäß § 2 Nr. 4 KVStG 1959 unterliegender Vorgang. Die Tatbestände des § 2 Nr. 4 und des § 3 KVStG 1959 stehen selbständig nebeneinander. Bei Anwendung einer jeden Vorschrift ist deshalb selbständig zu prüfen, welcher Steuersatz jeweils zur Anwendung kommt. Es gilt nur die Besonderheit, daß die Zuführung desselben Kapitals nicht unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten der Kapitalzuführung - also doppelt - zur Gesellschaftsteuer herangezogen werden darf (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 18. November 1971 II 47/63, BFHE 104, 106, BStBl II 1972, 186). Wenn einer von zwei nacheinander verwirklichten Tatbeständen ermäßigt zur Steuer herangezogen worden ist, darf der andere Tatbestand noch in Höhe der Differenz zum Normalsteuersatz zur Gesellschaftsteuer herangezogen werden, unabhängig davon, ob er vorher oder nachher verwirklicht worden ist. Der Senat lehnt damit ausdrücklich die Auffassung des RFH in seinem Urteil vom 30. Juli 1929 II A 194/29 (RFHE 25, 272) ab, wonach die Darlehensgewährung auch dann nicht mehr zur Steuer herangezogen werden darf, wenn der spätere Verzicht auf die Rückzahlung des Darlehens nur ermäßigt besteuert worden ist.

1) Die Zahlen sind verändert worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72692

BStBl II 1978, 266

BFHE 1978, 239

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