Leitsatz (amtlich)
§ 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 befreite nicht den Erwerb von Wertpapieren, die der Erblasser mittels ihm zugeflossener Entschädigungen erworben hatte.
Normenkette
ErbStG 1959 § 18 Abs. 1 Nr. 10
Tatbestand
Die Erblasserin hatte in den Jahren 1949 bis 1956 gemäß dem Gesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung Entschädigungsleistungen in Höhe von ... DM und ab dem Jahr 1957 eine monatliche Rente von ... DM erhalten. Sie ist am ... 1964 gestorben und von der Klägerin beerbt worden. Der Nachlaß bestand im wesentlichen aus Wertpapieren im Kurswert von ... DM, die mittels der Entschädigungen angeschafft worden waren, und aus einem kleineren Bankguthaben.
Das FA (Beklagter) hatte zunächst ... DM Erbschaftsteuer festgesetzt, hat aber in der Einspruchsentscheidung das Bankguthaben aus der Besteuerungsgrundlage herausgenommen und die Steuer auf ... DM herabgesetzt.
Die Klägerin ist der Ansicht, auch der Anfall der Wertpapiere sei gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 von der Erbschaftsteuer befreit. Sie hat deshalb die Aufhebung des Steuerbescheids begehrt.
Das FG hat ihre Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 bleiben steuerfrei "Ansprüche auf Entschädigungsleistungen nach dem Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in der Fassung vom 29. Juni 1956 (BGBl I 1956, 559) in der jeweils geltenden Fassung".
Diesen Ansprüchen hat der BFH in den Urteilen vom 4. März 1964 II 41/60 (BFHE 79, 37, BStBl II 1964, 246) und vom 12. März 1968 II R 110/66 (BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495) den Fall gleichgestellt, daß sich die Zahlung zur Befriedigung eines solchen Anspruchs noch "als solche" im Nachlaß befindet. Dies beruht auf der Erkenntnis, daß es für die Besteuerung eines Erwerbs von Todes wegen keinen Unterschied machen darf, ob die geschuldete Entschädigung - mehr oder minder zufällig - kurz vor oder kurz nach dem Tod des Entschädigungsberechtigten gezahlt wird; die Gründe, welche die Befreiung veranlaßt haben, greifen im einen wie im anderen Falle gleichermaßen durch.
Wegen dieser Gründe im einzelnen ist auf die vorerwähnten Urteile Bezug zu nehmen. Ihre zwangsläufige Grenze finden deren Erwägungen zu dem Zeitpunkt, in dem der Entschädigungsberechtigte das ihm zugeflossene Geld verwendet. Denn § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 gibt keine (überdies zeitlich unbegrenzte) Steuerbefreiung für alles, was mit den Mitteln einer solchen Entschädigung erlangt oder verschafft wird.
Der Rechtsgedanke der Surrogation, den die Klägerin hier angewendet wissen will, greift nicht durch. Der Bundesfinanzhof hat in dem zweitgenannten Urteil vom 12. März 1968 (BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495) deutlich gemacht, daß nicht etwa deshalb über den Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 hinauszugreifen ist, weil er der Auffassung gewesen wäre, die Entschädigungsleistung sei gewissermaßen als Surrogat des Entschädigungsanspruchs anzusehen und diese sei - etwa aus überpositivem Rechte - für steuerfrei zu halten. Er hat vielmehr allein aus dem Zweck der befreienden Vorschrift selbst gefolgert, daß es keinen Unterschied machen dürfe, ob sich im Nachlaß die noch unerfüllten Ansprüche des Entschädigungsberechtigten selbst oder die hierauf - vielleicht erst kurz vor dem Erbfall - geleisteten Entschädigungszahlungen befinden (solange diese noch nicht in anderen Werten angelegt worden sind); das stimmt mit dem Urteil vom 4. März 1964 (BFHE 79, 37, BStBl II 1964, 246) überein, das ebenfalls nur "Entschädigungszahlungen" anspricht. Für deren Befreiung bleibt es sich zwar gleich, ob sie in barem Gelde oder als Bankguthaben im Nachlaß vorhanden sind. Sind sie aber in andere Gegenstände - seien dies Grundstücke oder Wertpapiere - umgewandelt, verlieren sie die Eigenschaft, nur den Geldwert des Entschädigungsanspruchs zu repräsentieren, und nur diese Eigenschaft ermöglicht es, die gezahlte Entschädigung dem Anspruch auf die Entschädigung gleichzustellen. Dieser Unterschied gilt nicht nur für diejenigen Wertpapiere, die - wie die Aktien - unmittelbare Gesellschaftsrechte verkörpern, sondern auch für Obligationen. Denn auch deren Geldwert ist nicht mehr identisch mit ihrem Nennbetrag; dem festen Zins entspricht ein variabler Kurswert.
Als "zusätzliche Begründung für den Antrag, Surrogate wie Ansprüche und wie erhaltene Zahlungen zu behandeln", hat die Klägerin die Ansicht vertreten, der Staat könne "dem Zahlungsempfänger nicht zumuten, das Geld zu halten und damit der ständigen Entwertung auszuliefern, nur um die Steuerbefreiung sich zu erhalten". Gerade dieses Argument zeigt aber, daß die Klägerin mehr will, als dem Rechtsgedanken des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 zu entnehmen ist. Denn die Gefahr, die sie anspricht, bedroht nicht nur Entschädigungsforderungen und Entschädigungszahlungen, sondern jeden reinen Geldbesitz.
Diese Gefahr abzuwenden war weder der Sinn des § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 noch der der beiden Urteile vom 4. März 1964 (BFHE 79, 37, BStBl III 1964, 246) und vom 12. März 1968 (BFHE 92, 234, BStBl II 1968, 495). § 18 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG 1959 selbst bezweckt, die kaum in andere Werte umsetzbaren Entschädigungsansprüche eben um ihrer derzeitigen Unverwertbarkeit willen von der Besteuerung auszunehmen; in Konsequenz dieses Zwecks waren diese beiden Urteile bestrebt, durch Auslegung des Gesetzes die Zufälligkeit zu beheben, daß eine noch nicht verwertete Entschädigung je nachdem, ob sie der Erblasser noch zu Lebzeiten - womöglich kurz vor seinem Tode - erhalten hat oder nicht, der Steuer zu unterwerfen oder von der Steuer frei wäre. Hat der Erblasser jedoch die Entschädigungszahlungen - in welcher Weise auch immer - verwendet, sind die Surrogate einschließlich der Früchte nur noch dem allgemeinen Rechte unterworfen.
Fundstellen
Haufe-Index 72234 |
BStBl II 1977, 289 |
BFHE 1977, 206 |