Entscheidungsstichwort (Thema)
Begebung einer ,,Pro-forma-Rechnung"
Leitsatz (NV)
Der Aussteller einer ,,Pro-forma-Rechnung" schuldet - unter den weiteren Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 UStG 1973 - den offen ausgewiesenen Mehrwertsteuerbetrag auch dann, wenn der Empfänger der Rechnung diese vereinbarungsgemäß nur dazu verwendet, einen Betriebsmittelkredit zu erhalten.
Normenkette
UStG 1973 § 14 Abs. 3; BGB § 138
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erteilte der Firma R in N eine Rechnung Nr. vom 5. September 1975 über 257 347 DM zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von 28 308,17 DM. Die in dieser Rechnung bezeichnete Lieferung einer Maschine wurde nicht ausgeführt. Die Firma R hatte diese Rechnung von der Klägerin ausschließlich erbeten, um einen Betriebsmittelkredit erlangen zu können. Zwischen der Klägerin und der Rechnungsempfängerin bestand aufgrund einer mündlichen Absprache Einvernehmen darüber, daß diese Rechnung nicht für umsatzsteurrechtliche Zwecke, insbesondere nicht zur Erlangung eines Vorsteuerabzugs, verwendet werden durfte. Diese Vereinbarung wurde eingehalten.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) erhob von der Klägerin auf der Rechtsgrundlage des § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973) Umsatzsteuer in Höhe von 28 308,17 DM. Die gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 4. September 1978 nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. Das Urteil des FG ist veröffentlicht in der Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1982, 206.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 14 Abs. 3, erste Alternative, UStG 1973.
Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. a) Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3, erste Alternative, UStG 1973 sind erfüllt, wenn ein Abrechnungspapier mit gesondertem Steuerausweis erstellt wurde, das, als Rechnung in den Verkehr gebracht (begeben), geeignet ist, im Rahmen des Vorsteuerabzugs beim Rechnungsempfänger wie eine Rechnung i. S. des § 14 Abs. 1 UStG 1973 verwendet zu werden (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Februar 1980 V R 146/73, BFHE 129, 569, BStBl II 1980, 283), und wenn der Rechnungsaussteller die in der Rechnung beschriebene Leistung nicht ausführt. Die Vorschrift ist als Gefährdungstatbestand ausgestaltet. Bereits das Begeben der Rechnung begründet die Steuerschuld. Es wird hierbei nicht vorausgesetzt, daß sich die Gefährdung des Steueraufkommens durch Eintritt eines konkreten Schadens realisiert (BFH-Beschluß vom 21. Mai 1987 V R 129/78, BFHE 150, 90, BStBl II 1987, 652).
b) Das FG hat zu Recht die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3, erste Alternative, UStG 1973 als erfüllt angesehen. Die Klägerin hat die ,,Pro-forma-Rechnung" durch Aushändigung an die Firma R ,,begeben". Die Rechnung ist mit Willen der Klägerin in den Geschäftsbereich der Firma R gelangt, die dadurch faktisch in die Lage versetzt wurde, die Rechnung auch gegenüber Finanzbehörden für umsatzsteuerrechtliche Zwecke zu verwenden. Es bestand somit nicht nur abstrakt die Gefahr eines Mißbrauchs der Rechnung, dem § 14 Abs. 3, erste Alternative, UStG 1973 entgegenwirken will.
c) ,,Begebung" ist die körperliche Übergabe des (scheinbar richtigen, in Wirklichkeit inhaltlich falschen) Abrechnungspapiers zu Händen seines Adressaten. Damit betätigt der Aussteller seinen Willen, das (falsche) Abrechnungspapier in den Verkehr zu bringen. Zwar hat der BFH im Urteil in BFHE 129, 569, 573, BStBl II 1980, 283 ausgeführt, bei dieser Willensbetätigung genüge es, ,,wenn der Aussteller in Kauf nimmt, daß der Adressat von dem Abrechnungspapier als Rechnung Gebrauch macht".
Auf ein die subjektiven Vorstellungen des Rechnungsausstellers berücksichtigendes Tatbestandsmerkmal deutet auch die Feststellung im BFH-Urteil vom 20. März 1980 V R 131/74 (BFHE 130, 122, 125, BStBl II 1980, 287) hin, im Streitfall sei der Klägerin ,,der Zweck der Rechnungsbegebung bekannt" gewesen, nämlich mit Hilfe des Vorsteuerabzugs durch den Rechnungsempfänger Finanzierungsmittel zu beschaffen. Indes hat der BFH im Urteil vom 10. Dezember 1981 V R 3/75 (BFHE 135, 107, BStBl II 1982, 229) ausgeführt, der als Gefährdungstatbestand besonderer Art konzipierte § 14 Abs. 3 UStG 1973 sei nach seinem Wortlaut, seiner Zielsetzung und seiner Entstehungsgeschichte schon durch (mißbräuchliche) Rechnungsbegebung verwirklicht; es komme weder auf eine konkrete Beeinträchtigung des Steueraufkommens noch auf vorwerfbares Verhalten an (vgl. auch Beschluß in BFHE 150, 90, BStBl II 1987, 652). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
d) Durch die Absprache mit der Geschäftsleitung der Firma R war die Gefährdung zwar vermindert, aber nicht ausgeschlossen. Allein die Möglichkeit, daß sich der Rechnungsempfänger nachträglich auf Sittenwidrigkeit (§ 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches) beruft (vgl. Dilcher in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., 1980, § 138 Rdnr. 50 unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Januar 1966 VII ZR 16/64, Wertpapier-Mitteilungen / Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 1966, 495), rechtfertigt die Schlußfolgerung, daß die faktischen Möglichkeiten der Klägerin, auf die Verwendung der Rechnung durch die Empfängerin Einfluß zu nehmen, gering waren.
Fundstellen