Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißbräuchliche Vermietung einer Arztpraxis zwischen Ehegatten
Leitsatz (NV)
Kann die Ehefrau eines Arztes, die ihrem Ehemann in einem von ihr errichteten Gebäude Praxisräume vermietet hat, die laufenden Aufwendungen für das Grundstück und den Kapitaldienst nicht aus der Miete und aus sonstigem eigenen Einkommen deken, so daß ihr Ehemann in erheblichem Umfang Fehlbeträge übernehmen muß, steht ihr wegen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten bei Option für die Steuerpflicht der Vermietungsumsätze kein Vorsteuerabzug zu.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 12 Buchst. a, Nr. 14, §§ 9, 15 Abs. 1-2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist mit einem Arzt verheiratet. Sie war in den Streitjahren (02 und 03) in dessen Praxis gegen einen Monatslohn von 539 DM beschäftigt.
Sie erwarb Ende 01 ein unbebautes Grundstück, auf dem sie ein Wohngebäude mit Arztpraxis errichtete. Zur Finanzierung des Bauvorhabens nahm die Klägerin ... Darlehen in einer Gesamthöhe von ... DM auf, für die ihr Ehemann die selbstschuldnerische Bürgschaft übernahm und die mit einem Betrag von monatlich 5691,50 DM zu verzinsen und zu tilgen sind. Ein weiteres Darlehen über ... DM (Zins und Tilgung monatlich 284 DM) nahm der Ehemann auf; die Klägerin erklärte zum 1. Oktober 03 die Schuldübernahme.
Die Klägerin vermietete ihrem Ehemann ab 1. September 03 die Praxis für eine Monatsmiete von 2407 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Die in dem Gebäude ebenfalls befindlichen Wohnungen vermietete sie umsatzsteuerfrei für insgesamt 1680 DM monatlich an Dritte.
Die Klägerin verzichtete gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) auf die Steuerbefreiung für die Umsätze aus der Vermietung der Praxis und machte die Umsatzsteuer, die im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes angefallen war, insoweit anteilig als Vorsteuerbeträge geltend.
Das FA, das zunächst den Umsatzsteuervoranmeldungen gefolgt war, vertrat im Anschluß an eine im Jahre 04 durchgeführte Außenprüfung die Auffassung, daß der Mietvertrag der Klägerin mit ihrem Ehemann aufgrund von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht anerkannt werden könne, und lehnte mit Bescheiden vom 15. März 05 und 7. April 05 eine Veranlagung der Klägerin zur Umsatzsteuer für die Streitjahre ab.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung im wesentlichen aus: Der Klägerin stehe der begehrte Vorsteuerabzug nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) nicht zu. Zwar lägen die formalen Voraussetzungen (Nutzungsüberlassung bei Option zur Steuerpflicht) vor, ein Leistungsaustausch im wirtschaftlichen Sinne sei aber nicht gegeben. Unabhängig davon stelle sich die gewählte Gestaltung als Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar. Die gewählte Gestaltung habe nur darauf abgezielt, den Vorsteuerabzug für die Errichtung der Praxisräume zu erlangen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 1, 2, 15 UStG 1980 sowie von § 39 Abs. 2 Nr. 1 und § 42 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, entsprechend ihrem Verpflichtungsbegehren zur Umsatzsteuer veranlagt zu werden. Ihr steht der begehrte Vorsteuerabzug nicht zu.
Sie erfüllt zwar die Voraussetzungen, von denen das UStG 1980 den Vorsteuerabzug abhängig macht. Der Abzug kann jedoch wegen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht zugelassen werden.
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i. S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Die Klägerin war in den Streitjahren Unternehmerin i. S. des § 2 Abs. 1 UStG 1980. Die langfristig vereinbarte entgeltliche Vermietung der Wohnungen und der Praxisräume war eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980).
Nach dem Willen der Vertragsparteien vollzog sich die Nutzungsüberlassung der Praxisräume nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern durch Abschluß eines (entgeltlichen) Mietvertrags als steuerbarer Leistungsaustausch im Sinne des Umsatzsteuerrechts. Die Vermietung ist nach den Feststellungen des FG vertragsgemäß durchgeführt worden.
2. Dem Vorsteuerabzug steht § 42 AO 1977 entgegen.
a) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z. B. Urteile vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; vom 10. September 1992 V R 104/91, BFHE 169, 258, BStBl II 1993, 253) ist es als unangemessene Gestaltung zu beurteilen, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die hierzu erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Zu beanstanden ist dies dann, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß.
c) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nach den Feststellungen des FG, die den erkennenden Senat binden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), erfüllt. Danach reichten Nettomieten und Arbeitslohn der Klägerin nicht einmal aus, um die von ihr aufgenommenen Darlehen zu bedienen. Das FG hat ausdrücklich ausgeführt, daß der Ehemann der Klägerin von Beginn an in erheblichem Umfang Fehlbeträge übernehmen mußte. Revisionsrügen hat die Klägerin insoweit nicht erhoben.
d) Diese unangemessene Gestaltung widerspricht den Zwecken des Vorsteuerabzugs und der Vorschriften, die diesen ausschließen, weil der Ehemann der Klägerin als Arzt selbst nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980; vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).
e) Ob § 42 AO 1977 das Vorliegen einer Mißbrauchsabsicht voraussetzt (vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 169, 258, BStBl II 1993, 253), bedarf keiner Entscheidung, da die Mißbrauchsabsicht der Klägerin zu vermuten ist. Grundlage für die tatsächliche Vermutung ist die objektive Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann, wie sie oben beschrieben worden ist. Der Klägerin waren die der Gestaltung zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse ausweislich der von ihr getroffenen Vereinbarungen bekannt, auch wenn sie bei ihrer Anhörung durch das FG zum Ausdruck gebracht hat, keine Kenntnis der Abwicklung im einzelnen gehabt zu haben. Nach den Feststellungen der Vor instanz ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß statt der Absicht einer Steuer umgehung wirtschaftlich beachtliche Gründe für die gewählte Gestaltung maßgebend gewesen sein könnten. Das Bestreben, der Klägerin eine eigene, sichere Einkunftsquelle zu verschaffen, macht den Abschluß eines Mietvertrags nicht plausibel. Denn dieses Ziel hätte auch ohne entgeltliche Nutzungsüberlassung der Praxisräume durch rechtlich bindende Vereinbarungen im Rahmen der ehelichen Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft erreicht werden können.
Fundstellen