Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißbräuchliche Vermietung einer Arztpraxis unter Ehegatten
Leitsatz (NV)
1. Errichtet die Ehefrau eines Arztes eine Praxis und vermietet sie diese an den Arzt, steht ihr wegen Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts auch bei Verzicht auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze kein Vorsteuerabzug zu, wenn sie den Kapitaldienst und die laufenden Aufwendungen für das Grundstück nicht aus der Miete und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und deshalb auf zusätzliche Zuwendungen ihres Ehemannes in nicht unwesentlichem Umfang angewiesen ist.
2. Maßgebend für die Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein überschaubarer Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an.
3. Tilgungen von Fremdmitteln sind nur insoweit zu berücksichtigen, als sie in dem überschaubaren Zeitraum zu leisten waren.
4. Größere Beträge, die der Arzt seinem Ehegatten endgültig überläßt und die keine laufenden Zuzahlungen sind, sind bei der Prüfung des Gestaltungsmißbrauchs nicht anzusetzen.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 14, § 15 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war in den Streitjahren (1983 und 1984) in der Praxis ihres Ehemannes gegen einen monatlichen Arbeitslohn in Höhe von . . . DM beschäftigt.
Sie erwarb im Jahre 1983 ein unbebautes Grundstück, das sie ab Herbst 1983 mit einem nicht Wohnzwecken dienenden Haus bebaute und mit Teilungserklärung vom . . . 1983 nach dem Wohnungseigentumsgesetz in . . . Teileigentumseinheiten aufteilte. Sie veräußerte mit Vertrag vom . . . 1983 eine solche Einheit (Miteigentumsanteil . . ./1000) zuzüglich Umsatzsteuer, während sie eine weitere Einheit (Miteigentumsanteil . . ./1000) umsatzsteuerfrei verkaufte.
Die . . . das . . .geschoß und das . . .geschoß umfassende Einheit nebst . . . Einstellplätzen vermietete die Klägerin ab . . .1984 fest bis . . . an ihren Ehemann zur Nutzung als Arztpraxis für eine Monatsmiete von . . . DM zuzüglich Umsatzsteuer.
Das Bankkonto, über das die Finanzierung des Grundstückskaufs und der Gebäudeherstellung abgewickelt wurde, wies in den Streitjahren (1983 und 1984) teilweise erhebliche Sollsalden aus, die zum Teil durch die erzielten Kaufpreise aus der Veräußerung der Teileigentumseinheiten ausgeglichen wurden. Die Schwiegereltern der Klägerin stellten im Jahre 1983 insgesamt . . . DM zur Verfügung. Die Klägerin schloß mit ihnen am . . . 1984 einen Darlehensvertrag über diesen Betrag. Es wurde eine Verzinsung des Darlehens mit jährlich . . . v.H. und eine Sicherung durch eine am Grundbesitz der Klägerin zu bestellende Grundschuld vereinbart. Die Höhe der Tilgungsleistungen sollte gesondert geregelt werden. Der Ehemann der Klägerin führte dem Baukonto im Jahre 1984 eigene Geldmittel in Höhe von . . . DM zu. Zum Ausgleich des Baukontos erhielt die Klägerin im Jahre 1985 einen Bankkredit in Höhe von . . . DM, für den sich ihr Ehemann in Höhe von . . . DM selbstschuldnerisch verbürgte. Die Zinsen für die Darlehen betrugen jährlich . . . DM.
Die Klägerin verzichtete gegenüber dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) auf die Umsatzsteuerbefreiung der Veräußerung des Miteigentumsanteils von . . ./1000 sowie der Vermietungsumsätze. Sie erklärte für 1983 Umsätze von 0 DM und Vorsteuerbeträge von . . . DM (. . . v.H. der gesamten Vorsteuerbeträge von . . . DM) sowie für 1984 steuerpflichtige Umsätze in Höhe von . . . DM (Umsatzsteuer . . . DM) und Vorsteuerbeträge von . . . DM. Das FA stimmte diesen Steueranmeldungen zunächst zu (§ 168 Satz 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -).
Nach einer Außenprüfung erkannte das FA den Mietvertrag zwischen den Ehegatten steuerlich nicht mehr an. Durch geänderte Steuerbescheide vom 29. September 1986 setzte es die Umsatzsteuer für 1983 auf ./. . . . DM und für 1984 auf . . . DM fest.
Einspruch und Klage gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Klägerin stehe der begehrte Vorsteuerabzug nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 an sich zu. Die gewählte Gestaltung stelle sich aber als Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten dar. Sie habe nur darauf abgezielt, den Vorsteuerabzug für die Errichtung der Praxisräume zu erlangen. Beachtliche Gründe im außersteuerlichen Bereich hierfür lägen nicht vor.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 AO 1977 sowie des § 15 Abs. 1 und 2 UStG 1980. Die gewählte Gestaltung ist nach ihrer Meinung nicht unangemessen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Feststellungen des FG ermöglichen keine abschließende Entscheidung, ob der Klägerin der begehrte Vorsteuerabzug zusteht.
1. Ein Unternehmer kann die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980).
Die Klägerin war in den Streitjahren Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 UStG 1980). Sie erbrachte durch die Vermietung der Praxis eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG 1980). Nach dem Willen der Klägerin und ihres Ehemannes vollzog sich die Nutzungsüberlassung nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern durch entgeltliche Vermietung, also durch einen steuerbaren Leistungsaustausch.
2. Nach den Feststellungen in der Vorentscheidung läßt sich nicht abschließend beurteilen, ob dem Vorsteuerabzug § 42 AO 1977 entgegensteht.
a) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
b) Wie der Senat in seinen Urteilen vom 16. Januar 1992 V R 1/91 (BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541) und vom 10. September 1992 (V R 104/91, BFHE 169, 258, BStBl II 1993, 253) näher ausgeführt hat, ist es als unangemessene Gestaltung zu beurteilen, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die hierzu erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen ,,vorgeschaltet", um unter Vermeidung eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis aus den Leistungsbezügen zu erzielen, obwohl der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen. Eine derartige ,,Vorschaltung" liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (ggf. einschließlich Erstattung von Nebenkosten) und aus sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn der Mieter-Ehegatte dem Vermieter-Ehegatten bei Erwerb des Grundstücks oder bei Errichtung des Gebäudes finanzielle Mittel in ausreichender Höhe überläßt (z.B. durch Schenkung), die diesem die Lastentragung aus eigener wirtschaftlicher Kraft ermöglichen.
c) Den Feststellungen des FG läßt sich nicht entnehmen, ob die Klägerin in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung der Praxis an die genannten Aufwendungen aus der Miete und ihrem Arbeitslohn decken konnte oder ob sich der Ehemann über die Zahlung von Miete und Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang hieran beteiligen mußte. Die Zinszahlungen von insgesamt . . . DM im Jahr konnte die Klägerin aus der Nettomiete (jährlich . . . DM) finanzieren. Die Aufwendungen für die Bewirtschaftung des Grundstücks hat das FG nicht festgestellt. Tilgungen, die in dem überschaubaren Zeitraum nicht zu leisten waren, bleiben unberücksichtigt. Gleiches kann für die . . . DM gelten, die der Ehemann der Klägerin dem Baukonto im Jahre 1984 zuführte. Entscheidend ist, ob der Ehemann diesen Betrag der Klägerin endgültig überließ und ob es sich nicht um laufende Zuzahlungen handelte.
d) Sollte sich bei der weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch das FG ergeben, daß die Klägerin die genannten Aufwendungen nicht aus Miete und Arbeitslohn tragen konnte, war es unangemessen, daß sie die Nutzungsüberlassung der Praxisräume rechtlich als entgeltlichen Leistungsaustausch gestaltet hat. Eine verständige Partei hätte dann angesichts der zugrunde liegenden Verhältnisse vom Abschluß eines Mietvertrages über die Praxisräume abgesehen und es dem Arzt-Ehegatten überlassen, entsprechend seiner wirtschaftlichen Stellung die entstehenden Aufwendungen für Grundstück und Gebäude als solche zu tragen, anstatt sie zum Teil dem Eigentümer-Ehegatten verdeckt als Mietzins zuzuwenden.
e) Die unangemessene Gestaltung widerspricht in einem solchen Fall den Wertungen des Gesetzes, weil der Ehemann der Klägerin als Arzt nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980; vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).
f) Anhand dieser Grundsätze (vgl. ergänzend Senatsurteil vom 10. September 1992 V R 104/91) ist es Sache des FG festzustellen, ob die Voraussetzungen des Mißbrauchstatbestands erfüllt sind.
Fundstellen