Leitsatz (amtlich)
Bei der Ermittlung des der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögens einer Gebietskörperschaft kann der Kapitalwert von Mitgliedsbeiträgen und Zuschüssen an öffentliche und private Organisationen, die soziale, mildtätige, kulturelle oder ähnliche Zwecke verfolgen, nicht als Schuldposten abgezogen werden.
Normenkette
LAG § 21; BewG i.d.F. vom 21.6.1948 § 15; BewG i.d.F. vom 21.6.1948 § 67 Nr. 4; BewG i.d.F. vom 21.6.1948 § 74
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Steuerpflichtige), eine Stadtgemeinde, hat in den Jahren vor und nach dem Währungsstichtag bis heute ohne rechtsverbindliche Verpflichtung Mitgliedsbeiträge und Zuschüsse an öffentliche und private Organisationen, die im wesentlichen soziale, mildtätige und kulturelle Zwecke verfolgen, bezahlt. Bei der Ermittlung des abgabepflichtigen Vermögens (§ 21 LAG) hat das FA den gemäß § 15 BewG a. F. kapitalisierten Wert der Mitgliedsbeiträge und Zuschüsse im Betrag von 3 197 340 DM unter Hinweis auf das Urteil des BFH III 218/63 vom 9. Juni 1967 (BFH 89, 153, BStBl III 1967, 545) nicht als Schuld zum Abzug zugelassen.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Steuerpflichtige Klage und begehrte den Abzug des 18fachen ihrer durchschnittlichen Zuwendungen der Jahre 1948 bis 1950 im Betrag von 427 346,61 DM.
Das FG wies die Klage als unbegründet ab.
Mit ihrer Revision beantragt die Steuerpflichtige, bei der Ermittlung des abgabepflichtigen Vermögens neutrale Schulden in Höhe des 18fachen durchschnittlichen Jahresbetrags der Zuwendungen 1948 bis 1950 im Betrag von 427 346,61 DM zu berücksichtigen.
Sie rügt Verletzung der §§ 74, 62, 67 BewG a. F. und des § 1 Abs. 2 und 3 StAnpG. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hätten die begünstigten Organisationen im Streitfall mit dem fortdauernden Bezug der Leistungen rechnen können. Dem widerspreche nicht, daß ein der Last der Steuerpflichtigen entsprechendes Forderungsrecht bei den Zuschußempfängern der Leistungen der Besteuerung nicht unterliege. Die Begründung hierfür liege darin, daß die Empfänger der Zuwendungen ausnahmslos gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke verfolgten und daher sowohl von der Vermögensteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 VStG) als auch von der Vermögensabgabe (§ 18 Abs. 1 Nr. 14 LAG) befreit seien. Die höchstrichterliche Rechtsprechung, wonach eine bewertungsrechtlich anzuerkennende Last dann gegeben sei, wenn der Empfänger, ohne einen klagbaren Anspruch zu haben, mit Sicherheit auf den fortdauernden Bezug laufender Leistungen rechnen könne, entspreche der im Steuerrecht geltenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Bei den hier in Rede stehenden Zuwendungen sei eine Entschließungsfreiheit der Steuerpflichtigen nicht gegeben. Die Pflicht der Steuerpflichtigen, wiederkehrende finanzielle Leistungen an die Empfänger zu erbringen, finde ihre Grundlage in verschiedenen gesetzlichen Vorschriften. Entgegen der Auffassung des FA sei die sich aus den wiederkehrenden Leistungen von Zuschüssen und Beiträgen ergebende Last nicht einer Vermögensmasse zuzurechnen, die nicht der Bewertung unterliege. Der Auffassung des FA, nur eine natürliche Person könne eine Verpflichtung sich selbst gegenüber übernehmen, stehe die Rechtsprechung des RFH (Urteil III A 39/32 vom 26. Mai 1933, RStBl 1933, 1345, und Urteil III 211/37 vom 10. Februar 1938, RStBl 1938, 531) und des BFH (III 277/57 U vom 9. September 1960, BFH 72, 43, BStBl III 1961, 18, und III 28/61 U vom 22. Oktober 1965, BFH 84, 4, BStBl III 1966, 3) entgegen. Auch die Annahme, daß die freiwillige Selbstbindung einer Gemeinde zur fortdauernden Leistung von Zuschüssen nicht in Betracht komme, weil die gemeindlichen Organe nur über den jeweiligen Jahresetat beschließen könnten, sei unzutreffend. Auch Gemeinden könnten Verpflichtungen eingehen, die sie für eine Vielzahl von Jahren oder gar für dauernd bänden und die mehrere Jahresetats berührten.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Die Steuerpflichtige ist als öffentlich-rechtliche Körperschaft nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f LAG unbeschränkt vermögensabgabepflichtig. Abgabefrei ist sie nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 LAG mit ihrem Vermögen, das für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch unmittelbar benutzt wird sowie mit ihrem forstwirtschaftlichen Vermögen und sonstigen Vermögen im Sinne des BewG. Gemäß § 16 Abs. 2 LAG erstreckt sich ihre unbeschränkte Abgabepflicht grundsätzlich auf das Gesamtvermögen. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 LAG ist Bemessungsgrundlage für die Vermögensabgabe das Vermögen zu Beginn des 21. Juni 1948, das sich nach den bei der Vermögensteuer (Hauptveranlagung 1949) für die Ermittlung des Gesamtvermögens maßgebenden Vorschriften errechnet, soweit sich nicht aus den §§ 22 bis 27 LAG etwas anderes ergibt. Demnach sind für die Ermittlung des abgabepflichtigen Vermögens die Vorschriften des BewG in der am 21. Juni 1948 geltenden Fassung anzuwenden.
Für den Abzug von Schulden und Lasten gilt somit § 74 BewG a. F. Nach dieser Vorschrift sind zur Ermittlung des Wertes des Gesamtvermögens vom Rohvermögen u. a. der Wert von Leistungen der in § 67 Nr. 4 BewG a. F. bezeichneten Art abzuziehen. Unter § 67 Nr. 4 BewG a. F, fällt der Kapitalwert von Nießbrauchsrechten und anderen wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen, die dem Berechtigten auf dessen Lebenszeit oder auf die Lebenszeit einer anderern Person, auf unbestimmte Zeit oder auf die Dauer von mindestens 10 Jahren zustehen. In der Entscheidung III 218/63 vom 9. Juni 1967 (a. a. O.) hat der Senat bereits ausführlich begründet, daß § 74 Abs. 2 BewG a. F. den Abzug sogenannter neutraler Schulden und Lasten, bei denen überhaupt kein wirtschaftlicher Zusammenhang mit dem Vermögen besteht, nicht ausschließt. Dies gilt auch – wie der Senat in dem oben genannten Urteil entschieden hat – bei der Ermittlung des abgabepflichtigen Vermögens von Gebietskörperschaften. Eine Ausnahme hat der Senat nur für solche neutralen Schulden angenommen, die mit der hoheitlichen Tätigkeit einer Gemeinde im Zusammenhang stehen. Dies ist bei den Zuschüssen und Beiträgen der Steuerpflichtigen an die verschiedenen Organisationen entgegen der Auffassung des FA nicht der Fall.
Der Senat ist mit dem FG der Auffassung, daß es sich bei den im Streitfall jährlich bezahlten Mitgliedsbeiträgen und Zuschüssen um keine Last im bewertungsrechtlichen Sinn handelt. Eine solche Last ist grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn am Bewertungsstichtag eine bürgerlich-rechtliche Verpflichtung zur Erfüllung der Last besteht, es sei denn, daß die Last trotz der rechtlichen Verpflichtung für den Schuldner am Stichtag keine ernstliche Belastung darstellt. Nach den unangefochtenen und daher für den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO verbindlichen Feststellungen des FG bestand im Streitfall keine rechtliche Verpflichtung für die Steuerpflichtige, die Beiträge und Zuschüsse an die verschiedenen Organisationen weiterhin zu bezahlen. In Ausnahmefällen hat allerdings der RFH (vgl. z. B. Urteil III 211/37 vom 10. Februar 1938, a. a. O.) und ihm folgend der BFH (vgl. z. B. III 276/56 U vom 5. Oktober 1956, BFH 63, 463, BStBl III 1956, 374; III 28/61 U vom 22. Oktober 1965, a. a. O.) den Abzug des kapitalisierten Wertes dauernder Leistungen auch dann zugelassen, wenn die Leistungen ohne rechtliche Verpflichtung seit längerer Zeit regelmäßig und gleichbleibend erbracht werden und mit der fortdauernden Erfüllung am Stichtag mit Sicherheit gerechnet werden muß. In diesen Fällen hat die Rechtsprechung für die Anerkennung einer Schuld ausnahmsweise das Vorliegen einer rechtsähnlichen tatsächlichen Verpflichtung genügen lassen. Diese Rechtsprechung ist jedoch entgegen der Auffassung der Steuerpflichtigen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der Senat teilt zwar die Auffassung der Steuerpflichtigen, daß es sich bei den hier in Betracht kommenden Beiträgen und Zuschüssen um faktische Verpflichtungen handelt, denen sich die Steuerpflichtige „in der Regel” nicht entziehen kann. Er ist auch mit der Steuerpflichtigen der Auffassung, daß es für die Frage der Anerkennung einer rechtsähnlichen Verpflichtung bei dem Leistenden ohne Bedeutung ist, ob eine entsprechende Forderung im Vermögen des Empfängers erfaßt wird. Schließlich stimmt der Senat der Steuerpflichtigen noch darin zu, daß eine rechtsähnliche Verpflichtung auch bei Leistungen einer juristischen Person angenommen werden kann. Der vorliegende Sachverhalt ist jedoch wirtschaftlich mit den Sachverhalten der Entscheidungen, in denen die höchstrichterliche Rechtsprechung das Vorliegen einer rechtsähnlichen Verpflichtung bejaht hat, nicht vergleichbar. In allen entschiedenen Fällen haben besondere Umstände zur Annahme einer rechtsähnlichen Verpflichtung geführt:
Solche besonderen Umstände sind in der Entscheidung III A 39/32 vom 26. Mai 1933 (a. a. O.) darin gesehen worden, daß es sich um Leistungen aus dem Vermögen eines ehemals regierenden Hauses an das Oberhaupt des Gesamthauses handelte und daß die Zuwendungen Sinn und Geist der hausrechtlichen Bestimmungen entsprachen und in diesen verankert waren. Im Falle des Urteils III A 192/36 vom 8. Januar 1937 (RStBl 1937, 347) handelte es sich um eine Rente, die eine Erbengemeinschaft aufgrund eines ihr bekannten, letztwillig aber nicht zum Ausdruck gekommenen Wunsches des Erblassers dauernd zu zahlen entschlossen war. Unter diesen Umständen ist angenommen worden, die Empfängerin habe auf die Weiterzahlung der Rente mit Sicherheit rechnen können. In dem Urteil III 211/37 vom 10. Februar 1938 (a. a. O.) sah der RFH die besonderen Umstände darin, daß eine AG seit mehr als 25 Jahren an ihre ausgeschiedenen Angestellten und Arbeiter – ausdrücklich als freiwillig bezeichnete – Ruhegehälter bezahlte. Das Urteil III 305/38 vom 15. Dezember 1938 (RStBl 1939, 207) behandelte einen Fall, in dem eine Schwester an ihrem dauernd erwerbsunfähigen in einer Anstalt untergebrachten Bruder die Anstaltskosten bezahlte. Bei dieser besonderen Sachlage hat der RFH „ausnahmsweise” eine rechtsähnliche tatsächliche Schuld angenommen. Im Fall des Urteils III 276/56 U vom 5. Oktober 1956 (a. a. O.) zahlte ein Vermögensabgabepflichtiger an seine verheiratete, in guten Verhältnissen lebende Tochter seit ihrer Verheiratung im Jahre 1936 gleichbleibend monatlich 100 RM (DM), die nach den Bestimmungen des Testaments bis zu deren Lebensende gewährt werden sollten. Die besonderen Umstände, aus denen die Tochter mit Sicherheit auch für die Zukunft mit weiteren Zahlungen rechnen konnte, sah der Senat in der jahrelangen tatsächlichen Leistung und der Anordnung des Leistenden im Testament. Das Urteil III 277/57 U vom 9. September 1960 (a. a. O.) behandelte einen Fall, in dem die Witwe eines Textdichters von einer rechtsfähigen Versorgungsstifung der GEMA seit 1938 – ohne Rechtsanspruch – eine Rente erhielt. Im Hinblick auf die länger als 10jährige Zahlung der Rente habe die Steuerpflichtige am Stichtag mit Sicherheit auf die fortdauernde Zahlung rechnen können. Schließlich hat der Senat in seinen Urteilen III 28/61 U vom 22. Oktober 1965 (a. a. O.) und III 95/69 vom 19. März 1971 (BFH 101, 554, BStBl II 1971, 421) den Wert der an eine rechtsfähige Unterstützungskasse eines Unternehmens regelmäßig geleisteten Zuwendungen des Trägerunternehmens bei diesem als abzugsfähige Last anerkannt. In diesen Fällen sah der Senat die besonderen Gründe für die Anerkennung einer rechtsähnlichen tatsächlichen Verpflichtung eines Unternehmens zur Leistung von Renten an seine Arbeitnehmer unter Bezugnahme auf das Urteil des RFH III 211/37 vom 10. Februar 1938 (a. a. O.) in der jahrelangen gleichbleibenden Leistung der Rente als Ausfluß des Arbeitsverhältnisses.
Allen diesen Fällen ist gemeinsam, daß Renten aufgrund enger wirtschaftlicher oder verwandschaftlicher Beziehungen zwischen Leistendem und Leistungsempfänger nach der übereinstimmenden Vorstellung auf Lebenszeit geleistet wurden oder – nach den Verhältnissen am Stichtag – geleistet werden sollten und die Empfänger mit Sicherheit auf die Fortdauer der Leistungen rechnen konnten. Die Empfänger der Leistungen waren in allen diesen Fällen natürliche Personen. Das erscheint dem Senat deswegen als besonders wichtig, weil sich aus dem Wortlaut des § 67 Nr. 4 BewG a. F. klar ergibt, daß der Gesetzgeber, wenn er darin u. a. auf die „Lebenszeit” des Berechtigten abstellt, nur an natürliche Personen als Leistungsempfänger gedacht hat. Wenn die Rechtsprechung bei natürlichen Personen beim Vorliegen besonderer Umstände auf das Erfordernis einer bürgerlich-rechtlichen Verpflichtung verzichtet und eine rechtsähnliche Verpflichtung auf Lebenszeit als ausreichend anerkannt hat, so hielt sie sich im Rahmen der nach § 1 StAnpG zulässigen wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Dieser Rahmen würde aber überschritten, wenn man eine rechtsähnliche Verpflichtung auch bei Zuschüssen mit Spendencharakter an juristische Personen als ausreichend ansehen würde. Da ein Abzug der kapitalisierten Beiträge und Zuschüsse schon aus diesem Grunde entfällt, braucht auf weitere Erwägungen, die gegen die Annahme einer rechtsähnlichen Verpflichtung sprechen könnten, nicht eingegangen zu werden. Das gilt auch für die Frage, ob es der Annahme einer dauernden rechtsähnlichen Verpflichtung entgegensteht, daß die Steuerpflichtige aufgrund der haushaltsrechtlichen Bestimmungen jedes Jahr unter Berücksichtigung ihrer ständig wechselnden Einnahmen über ihre Ausgaben besonders zu beschließen hat, und ob bei jährlich wiederkehrenden einmaligen Zahlungen eine rechtsähnliche Verpflichtung entstehen kann.
Fundstellen
Haufe-Index 557460 |
BStBl II 1973, 131 |