Entscheidungsstichwort (Thema)
Praxisvermietung zwischen Ehegatten
Leitsatz (NV)
Bei der Prüfung, ob die Vermietung einer Arztpraxis zwischen Ehegatten wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Vermieter-Ehegatten rechtsmißbräuchlich ist, sind Aufwendungen nur insoweit anzusetzen, als sie der Praxisvermietung wirtschaftlich zuzurechnen sind. Aufwendungen, die der Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken zuzuordnen sind, bleiben unberücksichtigt. Zinsen und Tilgungen, die der Vermieter-Ehegatte auf ein ihm vom Mieter gewährtes Darlehen zu entrichten hat, sind wie die entsprechenden Leistungen bei Fremdmitteln zu behandeln.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 9, § 4 Nr. 14 S. 1, § 10 Abs. 4-5, §§ 14, 15 Abs. 1-2; AO 1977 § 42; BKGG § 3 Abs. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb im Zuge einer Erbauseinandersetzung das Eigentum an einem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück, das sie zusammen mit ihrem Ehemann, einem Arzt, bewohnt. Das Grundstück ist mit Grundschulden belastet, die zum 31. Oktober 1987 insgesamt mit ... DM valutiert waren.
Zwischen Ende 1987 und Sommer 1988 errichtete die Klägerin auf dem Grundstück einen Erweiterungsbau und stattete diesen mit Praxismöbeln aus. Zur Finanzierung erhielt die Klägerin von ihrem Ehemann ein Darlehen in Höhe von ... DM.
Die Klägerin vermietete die eingerichtete Praxis sowie Garagen ab 1. Juli 1988 für monatlich ... DM zuzüglich Umsatzsteuer an ihren Ehemann. Für den Fall, daß die Kostenmiete die vereinbarte Miete übersteigt, kann die Klägerin von ihrem Ehemann die Zahlung des Differenzbetrags zuzüglich Umsatzsteuer verlangen. Sie erzielte im Jahr 1988 monatliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von ... DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte die von der Klägerin für das 3. Kalendervierteljahr 1988 begehrte Festsetzung negativer Umsatzsteuer ab.
Das Finanzericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage statt. Dem Vorsteuerabzug stehe - so führte es aus - § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht entgegen. Die gewählte Gestaltung sei der Sachlage angemessen und nicht mißbräuchlich. Die Übertragung eines Grundstücksanteils auf den Ehemann der Klägerin sei nicht zumutbar gewesen. Die Errichtung des Anbaus durch den Ehemann auf einer von ihm gemieteten Teilfläche hätte schwerwiegende zivil- und einkommensteuerrechtliche Folgen gehabt.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 42 AO 1977. Nach seiner Auffassung weicht die Vorentscheidung vom Senatsurteil vom 16. Januar 1992 V R 1/91 (BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541) ab.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie legt hierzu ihre Einkommensverhältnisse dar und verweist insbesondere darauf, daß ihr außer der Miete ab 1989 ein wesentlich höheres Gehalt als 1988 und zudem Kapitaleinkünfte und eigenes Vermögen für die Finanzierung zur Verfügung gestanden hätten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Nach Aktenlage ist für das Jahr 1988 bisher kein Umsatzsteuer-Jahresbescheid ergangen.
2. Die Feststellungen des FG ermöglichen keine abschließende Entscheidung, ob der Klägerin der begehrte Vorsteuerabzug zusteht.
a) Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Die Klägerin war Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 UStG 1980). Sie erbrachte durch die Vermietung der Praxis eine sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG 1980). Nach dem Willen der Klägerin und ihres Ehemannes vollzog sich die Nutzungsüberlassung der Praxis nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft, sondern durch entgeltliche Vermietung, also durch steuerbaren Leistungsaustausch.
b) Dem Vorsteuerabzug steht möglicherweise § 42 AO 1977 entgegen.
aa) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541, m.w.N.).
Eine Rechtsgestaltung ist unangemessen, wenn der Steuerpflichtige, dessen Steuerschuld zu beurteilen ist, die vom Gesetzgeber bei seiner Regelung vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele nicht gebraucht, hierfür keine beachtlichen außersteuerrechtlichen Gründe vorliegen und er einen Erfolg zu erreichen versucht, der nach den Wertungen des Gesetzgebers auf diesem Weg nicht erreichtbar sein soll (Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).
Umgangen wird nach § 42 Satz 1 AO 1977 das Steuergesetz. Darunter ist nicht die gesamte Steuerrechtsordnung zu verstehen. Vielmehr ist für jede Steuerart zu fragen, welche steuerlichen Vorteile durch die gewählte rechtliche Gestaltung des Sachverhalts erreicht werden sollen. Es ist zu beurteilen, ob diese Vorteile nach den Wertungen des Gesetzgebers, die den einschlägigen steuerrechtlichen Vorschriften zugrunde liegen, durch die gewählte Gestaltung erzielbar sein sollen. Den Einzelsteuergesetzen liegen vielfach unterschiedliche Wertungen zugrunde. Häufig wird eine bestimmte Gestaltung nur für eine Steuerart zu Vorteilen führen, während sie für andere Steuerrechtsgebiete zu Nachteilen führt oder ohne Auswirkungen bleibt.
bb) Wie der Senat im Urteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541 näher dargelegt hat, ist es als unangemessene Gestaltung zu beurteilen, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt, die hierzu erforderlichen finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, damit dieser den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen vorgeschaltet, um unter Vermeidung eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis einer solchen zu erzielen, indem der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen.
Eine derartige Vorschaltung liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß.
cc) Ob diese Voraussetzungen im Streitfall vorlagen, läßt sich den Feststellungen des FG nicht entnehmen.
Bei der anzustellenden Berechnung wird inbesondere folgendes zu berücksichtigen sein:
Sollte die Klägerin von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, den Unterschied zwischen der vereinbarten Miete und der Kostenmiete nachzufordern, sind insoweit ebenfalls Einnahmen gegeben. Erhöhungen der Nettobezüge aus nichtselbständiger Arbeit in dem maßgebenden überschaubaren Zeitraum sind zu berücksichtigen (Senatsurteil vom 10. September 1992 V R 100/90, BFH/NV 1993, 447). Das Kindergeld ist bei der Klägerin als Einnahme zu erfassen, soweit sie Berechtigte i.S. des § 3 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) war (Senatsurteil in BFH/NV 1993, 447). Hat die Klägerin eigenes Vermögen zur Deckung der bezeichneten Aufwendungen eingesetzt, ist dies wie die Verwendung von Einkommen zu beurteilen. Entscheidend ist nur, ob der Vermieter-Ehegatte auf Zuwendungen des Mieter-Ehegatten in nicht unwesentlichem Umfang angewiesen ist, um die genannten Belastungen tragen zu können.
In die Aufwendungen sind nur diejenigen einzubeziehen, die der Praxisvermietung wirtschaftlich zuzurechnen sind. Aufwendungen, die der Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken zuzuordnen sind, bleiben unberücksichtigt. Letztere betreffen nur die eheliche Lebensgemeinschaft der Klägerin und ihres Ehemannes. Zinsen und Tilgungen, die die Klägerin auf das von ihrem Mann gewährte Darlehen zu entrichten hatte, sind wie die entsprechenden Leistungen bei Fremdmitteln anzusetzen.
dd) Sollten die vom FG nachzuholenden Feststellungen ergeben, daß die Klägerin die bezeichneten Aufwendungen in dem maßgebenden überschaubaren Zeitraum nicht aus eigener wirtschaftlicher Kraft tragen konnte, sondern hierfür auf eine Beteiligung ihres Ehemannes in nicht unwesentlichem Umfang angewiesen war, ist die gewählte Gestaltung einer Nutzungsüberlassung gegen Entgelt unangemessen. Eine verständige Partei hätte in einem solchen Fall angesichts der Verhältnisse vom Abschluß eines Mietvertrags abgesehen und es dem Arzt-Ehegatten überlassen, entsprechend seiner wirtschaftlichen Stellung die entstehenden Aufwendungen als solche zu tragen, anstatt sie z.T. dem Eigentümer-Ehegatten verdeckt als Mietzins zuzuwenden.
Die vom FG angeführten Erwägungen führen bei Vorliegen dieser Voraussetzungen zu keinem anderen Ergebnis. Das FG hat die Möglichkeit einer unentgeltlichen Überlassung der Praxis nicht in seine Erwägungen einbezogen. Diese Möglichkeit vermeidet die vom FG angenommenen zivilrechtlichen Schwierigkeiten bei einer anderen Gestaltung als der Errichtung des Anbaus durch die Klägerin.
Auch Bedenken aus ertragsteuerrechtlicher Sicht sind nicht begründet. Wie dargelegt (oben aa), liegen den einzelnen Steuergesetzen vielfach unterschiedliche Wertungen zugrunde. Es ist deshalb nicht zu prüfen, ob eine aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht unangemessene Gestaltung den ertragsteuerrechtlichen Interessen der Beteiligten gerecht wird. Insbesondere ist es für die Anwendung des § 42 AO 1977 für den Bereich der Umsatzsteuer nicht zwingend, daß die Vermietung auch aus einkommensteuerrechtlicher Sicht unberücksichtigt bleiben müßte.
ee) Liegt eine unangemessene Gestaltung in diesem Sinne vor, widerspricht sie den Wertungen des Gesetzes, weil der Ehemann der Klägerin als Arzt zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt ist (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG 1980; vgl. im einzelnen Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).
ff) Sollten die weiteren Feststellungen des FG ergeben, daß die objektiven Voraussetzungen für die Anwendung des § 42 AO 1977 gegeben sind, wird sich das FG ferner mit der Mißbrauchsabsicht zu befassen haben (vgl. hierzu im einzelnen Senatsurteil vom 10. September 1992 V R 104/91, BFHE 169, 258, BStBl II 1993, 253).
gg) Das FG hat nicht geprüft, ob die Miete niedriger als die sog. Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG 1980) ist. Auf den Vorlagebeschluß des Senats vom 24. Juni 1992 V R 151/84 (BFHE 168, 477) wird verwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 418903 |
BFH/NV 1993, 25 |
BFH/NV 1994, 200 |
BFHE 1993, 299 |