Entscheidungsstichwort (Thema)
Mietvertrag unter Angehörigen nach Grundstücksübertragung gegen wiederkehrende Leistungen ‐ kein Gestaltungsmissbrauch
Leitsatz (amtlich)
Der Abschluss eines Mietvertrages unter Angehörigen stellt nicht schon deshalb einen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO 1977 dar, weil der Mieter das Grundstück zuvor gegen wiederkehrende Leistungen auf den Vermieter übertragen hat.
Normenkette
EStG §§ 9, 21; AO 1977 § 42
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Vater des Klägers und Revisionsbeklagten übertrug auf diesen im April 1993 ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück. Nach dem Übertragungsvertrag gewährte der Kläger seinen Eltern als Gesamtberechtigten an sämtlichen Räumen des Obergeschosses des Hauses ein unbeschränktes ausschließliches Wohnungsrecht; über die Nutzung der Räume war der Abschluss eines Mietvertrages vorgesehen. Der Kläger war verpflichtet, die Wohnung auf seine Kosten innen und außen instand und bewohnbar zu halten. Der Kläger verpflichtete sich ferner, an seine Eltern als Gesamtgläubiger einen monatlichen Unterhaltsbetrag in Höhe von 400 DM vorschüssig bis zum 3. eines Monats als dauernde Last zu zahlen und sie in kranken und alten Tagen zu pflegen bzw. pflegen zu lassen.
Nach dem mit den Eltern abgeschlossenen ―formularmäßigen― Mietvertrag vom 20. Mai 1993 begann das Mietverhältnis zwischen ihnen und dem Kläger am 1. Juni 1993. Die Miete betrug monatlich 500 DM und war unbar auf ein Konto des Klägers zu zahlen. Die Nebenkosten für Heizung, Wasser, Abwasser und Müllabfuhr sollten in Form monatlicher Abschlagszahlungen erhoben und jährlich nach dem Stichtag 31. Dezember abzurechnen sein. Sonstige Vereinbarungen über Nebenkosten oder die Kostenpflicht zu Schönheitsreparaturen enthält der Vertrag nicht. Das Wohnungsrecht wurde als beschränkt persönliche Dienstbarkeit zugunsten der Eltern des Klägers am 3. August 1993 in das Grundbuch eingetragen.
Im Jahre 1993 baute der Kläger an die Erdgeschosswohnung, die er selbst bewohnte, einen Windfang (6 qm groß) an, führte umfangreiche Renovierungen im Erd- und Obergeschoss sowie an der Fassade und am Dach durch und errichtete eine Garage für eigene Zwecke. Für den Windfang und die Garage wandte er 28 000 DM auf, für die Renovierungsmaßnahmen insgesamt 86 396,84 DM.
In der Steuererklärung für das Streitjahr 1993 machte der Kläger ―im Rahmen der Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau― hinsichtlich der Obergeschosswohnung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ab 1. Juni 1993 in Höhe von ./. 22 360 DM geltend. Hierbei erklärte er u.a. Erhaltungsaufwendungen in Höhe von 23 818 DM. Die Zahlungen an seine Eltern in Höhe von insgesamt 2 800 DM machte er als dauernde Last geltend.
Mit dem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) zwar die dauernde Last, ließ jedoch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unberücksichtigt und wies auch den Einspruch insoweit als unbegründet zurück: Für die Anerkennung des Mietverhältnisses fehle die Kausalität zwischen der Gebrauchsüberlassung der Obergeschosswohnung und der Mietzahlung durch die Eltern des Klägers, weil den Eltern das Nutzungsrecht an der Wohnung bereits aufgrund des im Übergabevertrag vereinbarten Wohnungsrechts zugestanden habe. Ferner halte der Mietvertrag einem Fremdvergleich nicht stand.
Das Finanzgericht (FG) gab der daraufhin erhobenen Klage insoweit statt (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2001, 636).
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Der Mietvertrag sei zwar zivilrechtlich wirksam zustande gekommen und im Wesentlichen tatsächlich durchgeführt worden; er könne aber wegen Gestaltungsmissbrauchs nicht anerkannt werden. Es seien keine nichtsteuerlichen Gründe ersichtlich, für die Übertragung des Grundstücks einerseits eine dauernde Last zu vereinbaren und andererseits einen Mietvertrag abzuschließen. Hilfsweise wird geltend gemacht, die Vorentscheidung weiche vom Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Mai 1995 IX R 5/93 (BFHE 178, 40, BStBl II 1996, 588) ab, indem das FG trotz der Qualifizierung der Renovierungsaufwendungen als anschaffungsnahe Herstellungskosten nur den auf den entgeltlichen Teil der Übertragung entfallenden Anteil dieser Aufwendungen als Herstellungskosten berücksichtigt habe.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Begründung des FG-Urteils, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger im Streitjahr einen Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung in der geltend gemachten Höhe erzielt hat.
1. Dem streitigen Mietverhältnis ist entgegen der Auffassung des FA nicht wegen Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 der Abgabenordnung ―AO 1977―) die steuerrechtliche Anerkennung zu versagen.
a) Ein Gestaltungsmissbrauch im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung: BFH-Urteile vom 16. Januar 1996 IX R 13/92, BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214; vom 14. Januar 2003 IX R 5/00, BFHE 201, 246, BStBl II 2003, 509, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 39/99, BFHE 190, 173, BStBl II 2000, 224). Auch Angehörigen steht es danach frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH in BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214).
b) Danach liegt ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts bei Abschluss eines Mietvertrages unter Angehörigen nicht schon deshalb vor, weil das Objekt vor der Vermietung vom jetzigen Mieter gegen wiederkehrende Leistungen auf den Vermieter übertragen wurde.
aa) Dem Eigentümer eines Immobilienobjekts steht es nämlich frei, dieses ohne jede Auflage oder Einschränkung zu übertragen oder im Zuge der entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung mit dem Erwerber eine ―wie auch immer geartete― Nutzungsmöglichkeit für sich vorzusehen (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 1988 III R 268/84, BFHE 156, 403, BStBl II 1989, 872). Deshalb ist es nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nicht unangemessen, ein Grundstück unter gleichzeitiger Vereinbarung eines Mietvertrages mit dem vormaligen Eigentümer ―auch wenn es sich um einen Angehörigen handelt― zu übertragen (vgl. dazu BFH-Urteile vom 12. September 1995 IX R 54/93, BFHE 178, 542, BStBl II 1996, 158; vom 26. November 1996 IX R 51/94, BFH/NV 1997, 404; BFH-Beschluss vom 29. November 1996 IX B 80/96, BFH/NV 1997, 406, m.w.N.).
Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, dass die Eigentumsübertragung einerseits und die anschließende Vermietung andererseits jeweils zivilrechtlich und wirtschaftlich getrennt und deshalb auch steuerrechtlich grundsätzlich unabhängig voneinander zu beurteilen sind.
bb) Ob das Eigentum entgeltlich oder unentgeltlich übertragen wurde, ist danach für die Prüfung von Nutzungsverhältnissen zwischen dem Übertragenden und dem Erwerber am Maßstab des § 42 AO 1977 ebenso wenig von Bedeutung (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 178, 542, BStBl II 1996, 158, betreffend die Vermietung einer zuvor von der Mieterin entgeltlich übertragenen Wohnung), wie die Art der Entgeltvereinbarung. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Kaufpreis für das Grundstück in einem Betrag oder in Raten beglichen oder gestundet wird. Für die Übertragung gegen Versorgungsleistungen ―wie im Streitfall― gilt nichts anderes (vgl. BFH-Urteile vom 27. Februar 1992 X R 136/88, BFHE 167, 375, BStBl II 1992, 609; vom 21. Juli 1992 IX R 72/90, BFHE 169, 317, BStBl II 1993, 486; vom 25. November 1992 X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663; Seithel, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1993, 674, 677).
cc) In Folge dessen kann ein Gestaltungsmissbrauch nicht allein mit der Begründung bejaht werden, die im Zusammenhang mit dem Erwerb vereinbarte Versorgungsleistung an den Übertragenden (als dauernde Last) entspreche der Höhe nach im Wesentlichen der vereinbarten Miete (vgl. auch Stöcker, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1991, 80, 81; Spiegelberger, Die Steuerberatung ―Stbg― 1995, 481, 486 f.; a.A. FG des Saarlandes, Urteil vom 17. Oktober 2000 2 K 77/97, juris-Dokument-Nr. STRE200170117; Stein, Finanz-Rundschau ―FR― 1999, 474, 475).
Insbesondere ist jede der Vereinbarungen für sich allein ―wirtschaftlich― sinnvoll. Wer sein Grundstück gegen Versorgungsleistungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge überträgt, erhält damit die Mittel für seinen Lebensunterhalt, die er gleichermaßen für die Anmietung des übertragenen Objekts oder eines fremden Objekts verwenden kann; der Erwerber erhält durch die Eigentümerstellung eine vermietbare Immobilie, deren Nutzbarkeit nicht auf die Vermietung an den Übertragenden beschränkt ist, sondern gleichermaßen eine Fremdvermietung eröffnet (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 201, 246, BStBl II 2003, 509, m.w.N).
c) Auch ein Nebeneinander von Wohnungsrecht und Mietvertrag ist zivilrechtlich zulässig und steuerrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden. Über dieselbe Wohnung kann ein Mietvertrag und gleichzeitig oder auch nachträglich ein dingliches Nutzungsrecht bestellt werden (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 25. Januar 1974 V ZR 68/72, Der Deutsche Rechtspfleger, 1974, 187; vom 10. Mai 1968 V ZR 221/64, Betriebs-Berater 1968, 767; vom 13. November 1998 V ZR 29/98, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ―ZIP― 1999, 404; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, S. 372 f.; Rothe in Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des BGH, § 1093 Rn. 5). Dementsprechend steht ein Nebeneinander von Mietvertrag und Wohnungsrecht grundsätzlich auch der steuerrechtlichen Berücksichtigung des Mietvertrags nicht entgegen (BFH-Urteil vom 27. Juli 1999 IX R 64/96, BFHE 190, 125, BStBl II 1999, 826).
d) Im Übrigen ist der zwischen den Vertragsparteien geschlossene Mietvertrag steuerrechtlich anzuerkennen, wenn er zum einen bürgerlich-rechtlich wirksam geschlossen ist und darüber hinaus sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht; dabei schließt nicht jede Abweichung vom Üblichen notwendigerweise die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus (BFH-Urteile vom 20. Oktober 1997 IX R 38/97, BFHE 184, 463, BStBl II 1998, 106; vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196).
2. Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nicht gegeben und das Mietverhältnis steuerrechtlich anzuerkennen.
a) Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG ist der Mietvertrag in fremdüblicher Weise ―auch nach Auffassung des FA bürgerlich-rechtlich wirksam― abgeschlossen und tatsächlich durchgeführt worden.
b) Der Auffassung des FA, allein die Vereinbarung eines Mietvertrages im Zusammenhang mit der Übertragung eines Grundstücks gegen Versorgungsleistungen als dauernde Last schließe die Anerkennung des Mietvertrages nach § 42 AO 1977 aus, ist nach den vorstehenden Ausführungen (II.1.b) nicht zu folgen. Für die Anerkennung eines Mietverhältnisses ist es unerheblich, ob der Vermieter das betroffene Objekt zuvor von dem Mieter entgeltlich oder unentgeltlich erworben hat.
3. Die Revision führt auch nicht aus den vom FA hilfsweise vorgetragenen Gründen zum Erfolg.
Gegen die tatsächliche Würdigung des FG, die im Haus des Klägers durchgeführten Renovierungsarbeiten hätten Erhaltungsaufwand betroffen, hat das FA keine Einwendungen erhoben; sie ist vom Senat als mögliche Würdigung zugrunde zu legen. Als Erhaltungsaufwendungen sind sie allerdings entgegen der Auffassung des FA nach der zwischenzeitlich geänderten Rechtsprechung des Senats nicht mehr allein wegen ihrer Höhe und ihrer zeitlichen Nähe zur Anschaffung der Immobilie als sog. anschaffungsnahe Herstellungskosten, sondern ―entsprechend der Behandlung durch das FG― als sofort abziehbare Werbungskosten zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 12. September 2001 IX R 39/97, BFHE 198, 74, BStBl II 2003, 569).
4. Die Sache ist spruchreif. Insbesondere ist auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG davon auszugehen, dass der aus dem übernommenen Vermögen erzielbare ―nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 12. Mai 2003 GrS 1/00 (BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) zu ermittelnde― Nettoertrag ausreicht, um die dauernde Last gegenüber den Eltern des Klägers zu erbringen und damit die Voraussetzungen für deren Abzug als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes zu erfüllen.
Fundstellen
Haufe-Index 1127424 |
BFH/NV 2004, 680 |
BStBl II 2004, 643 |
BFHE 2004, 62 |
BFHE 205, 62 |
BB 2004, 920 |
DB 2004, 793 |
DStRE 2004, 455 |
HFR 2004, 658 |