Leitsatz (amtlich)
1. Gewinnausschüttungen sind vorgenommen, wenn sie den beherrschenden oder sonst verfügungsberechtigten Gesellschaftern auf den Verrechnungskonten der Kapitalgesellschaft gutgeschrieben werden. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschafter im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausschüttung Geldeinlagen vornehmen und auf den Verrechnungskonten entsprechend belastet werden.
2. Es ist rechtsmißbräuchlich und führt zur Versagung des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes, wenn eine Kapitalgesellschaft Gewinn ausschüttet, der aus der Auflösung einer freien Rücklage stammt, und die Gesellschafter im zeitlichen Zusammenhang mit der Ausschüttung eine Einlage erbringen, die die Kapitalgesellschaft zur Wiederauffüllung der freien Rücklage verwendet.
Normenkette
KStG § 19 Abs. 3; StAnpG § 6
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war bis zum 31. Dezember 1966 eine AG. Seither ist sie eine GmbH. An ihr sind zu 98,5 v. H. Frau M und zu 1,5 v. H. deren Sohn (Geschäftsführer der Klägerin) beteiligt. Die Klägerin wies in ihrer Handelsbilanz zum 31. Dezember 1966 einen Gewinn von 470 587 DM aus, der zu einem Teilbetrag von 375 000 DM aus der Auflösung der freien Rücklage stammte. Die Gesellschaftsversammlung beschloß am 18. Mai 1967, den Gewinn für das Streitjahr 1966 in Höhe von 469 800 DM auszuschütten und ihn im übrigen vorzutragen; der Ausschüttungsbetrag wurde den Gesellschaftern abzüglich 25 v. H. Kapitalertragsteuer auf Verrechnungskonten gutgeschrieben. Noch am gleichen Tage legten die Gesellschafter im Verhältnis ihrer Beteiligungsquoten 375 000 DM ein. Die Gesellschafter-Verrechnungskonten wurden entsprechend belastet. Die Klägerin stellte den Betrag in die freie Rücklage ein.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) kürzte bei der Körperschaftsteuerveranlagung 1966 die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen (§ 19 Abs. 3 KStG) um 375 000 DM. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG, dessen Urteil in den EFG 1971, 406 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Es sei zwar unerheblich, daß der ausgeschüttete Gewinn teilweise aus der Auflösung der freien Rücklage herrühre. § 19 Abs. 3 KStG verlange aber darüber hinaus, daß die beschlossenen Gewinnausschüttungen "vorgenommen" (vollzogen) sein müßten. Das Vermögen der Kapitalgesellschaft müsse, wirtschaftlich gesehen, gemindert und dasjenige der Gesellschafter entsprechend erhöht worden sein. Hier sei hinsichtlich eines Teilbetrags von 375 000 DM nur "hin- und hergebucht" worden. Aber auch wenn man sich auf den Standpunkt stelle, es bedürfe keines wirtschaftlichen Vollzugs des Ausschüttungsbeschlusses, sei die Kürzung der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen nach § 6 StAnpG gerechtfertigt. Der Betrag von 375 000 DM habe von Anfang an in der freien Rücklage gehalten werden sollen. Die vorliegende Gestaltung sei lediglich aus Steuerersparnisgründen ohne andere wirtschaftlich vernünftigen Beweggründe gewählt worden.
Die Klägerin macht mit der Revision geltend: Es sei zweifelhaft, ob § 19 Abs. 3 KStG außer dem Gewinnverteilungsbeschluß auch dessen Vollzug verlange; denn schon der Gewinnverteilungsbeschluß begründe den Auszahlungsanspruch der Gesellschafter. Den Gesellschaftern seien die Gewinnanteile aber auch gutgeschrieben worden. Belanglos sei, daß der ausgeschüttete Gewinn teilweise wieder eingelegt worden sei. Wäre die Auffassung des FG richtig, müßte jegliche Reinvestition ausgeschütteter Gewinne zur Versagung des ermäßigten Steuersatzes führen.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuer 1966 auf 255 818 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 KStG ermäßigt sich bei unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften die Körperschaftsteuer für die berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen auf 15 v. H. des Einkommens. Berücksichtigungsfähige Ausschüttungen sind die auf Grund eines den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschlusses vorgenommenen Gewinnausschüttungen für Wirtschaftsjahre, deren Ergebnisse bei der Veranlagung berücksichtigt sind (§ 19 Abs. 3 Satz 1 KStG). Ein Gewinnverteilungsbeschluß, der dem Aktiengesetz (AktG) bzw. dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) entspricht, falls auf das Beschlußdatum abgestellt wird, liegt vor. Das FG hat es zutreffend für unerheblich gehalten, daß der ausgewiesene Gewinn 1966, auf den sich der Gewinnverteilungsbeschluß bezieht, teilweise aus der Auflösung einer freien Rücklage stammt. Eine Kapitalgesellschaft darf Entnahmen aus freien Rücklagen zur Erhöhung ihres Handelsbilanzgewinns verwenden (Urteile des BFH vom 26. April 1963 I 86/61 U, BFHE 76, 834, BStBl III 1963, 303; vom 14. Mai 1969 I R 10/67, BFHE 95, 534, BStBl II 1969, 503), wobei gleichgültig ist, ob die aufgelöste Rücklage ihrerseits aus versteuerten Gewinnen, aus Einlagen oder sonstigen Quellen herrührt (BFH-Urteil vom 12. Juli 1972 I R 205/70, BFHE 107, 186, BStBl II 1973, 59).
Der Senat folgt der Vorinstanz darin, daß beschlossene Gewinnausschüttungen entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 19 Abs. 3 KStG vorgenommen sein müssen, wenn sie bei der Anwendung des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes berücksichtigt werden sollen. Zu Unrecht hat indes das FG diese Voraussetzung im Streitfall verneint.
Gewinnausschüttungen sind vorgenommen, wenn die Gewinnanteile den Gesellschaftern zufließen und damit einerseits die Kapitalgesellschaft zur Einbehaltung der Kapitalertragsteuer verpflichtet wird (§ 43 Abs. 1 Nr. 1, § 44 Abs. 3 EStG) und andererseits die Gesellschafter Einkünfte aus Kapitalvermögen beziehen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG, bzw. andere Einkünfte nach Maßgabe des § 20 Abs. 3 EStG). Die Gewinnausschüttungen waren den Gesellschaftern sogleich nach der Beschlußfassung mit der Gutschrift auf den Verrechnungskonten zugeflossen. Zwar ist § 6 Abs. 2 Satz 2 KapStDV, demzufolge Gewinnanteile am Tage nach der Beschlußfassung als zugeflossen gelten, rechtsunwirksam (vgl. BFH-Urteil vom 1. März 1972 I R 214/70, BFHE 105, 39, BStBl II 1972, 591). Indes sind hinsichtlich der Hauptgesellschafterin die Grundsätze der Rechtsprechung anwendbar, nach denen Gesellschaftern, die eine Kapitalgesellschaft beherrschen, Gehaltsteile und andere Bezüge regelmäßig bereits mit der Gutschrift zufließen (Urteil des RFH vom 11. November 1936 VI A 780/36, RStBl 1937, 490; BFH-Urteile vom 12. Juli 1957 VI 3/56 U, BFHE 65, 147, BStBl III 1957, 289; vom 11. Februar 1965 IV 213/64 U, BFHE 82, 440, BStBl III 1965, 407). Dabei ist es unerheblich, daß eine Kapitalgesellschaft Gewinnausschüttungen - anders als Gehaltszahlungen usw. - nicht als Betriebsausgaben absetzen kann. Entscheidend ist allein, daß die Gesellschafter wie im vorliegenden Fall die Hauptgesellschafterin die Kapitalgesellschaft beherrschen und infolgedessen sogleich auf die gutgeschriebenen Beträge Zugriff nehmen können. Dem Minderheitsgesellschafter war dieser Zugriff als Geschäftsführer der Klägerin eröffnet.
Der Annahme des Zuflusses steht nicht die gleichzeitige Verbuchung von Einlagen entgegen. Die Einlagelastschriften und die Gewinnausschüttungsgutschriften beruhten auf verschiedenen wirtschaftlichen Vorgängen. Die Gutschriften stellten den Gesellschaftern die Gewinnanteile 1966 zur Verfügung. Die Lastschriften enthielten bereits eine Verfügung der Gesellschafter über die ihnen verfügbar gemachten Gewinnanteile. Aus dem Umstand, daß sich die Lastschriften und Gutschriften, soweit sie übereinstimmten, im Rahmen des Verrechnungskontos gegenseitig aufheben, kann nicht mit dem FG gefolgert werden, die Gewinnausschüttung sei gar nicht vorgenommen worden. Das FG greift bei dieser Betrachtungsweise entgegen der gesellschafts- und steuerrechtlichen Ordnung auf die hinter der Klägerin stehenden Gesellschafter durch, wenn es den Ausschüttungsbeschluß der Gesellschaft (repräsentiert durch die Gesellschaftsorgane) und den Reinvestitionsentschluß der Gesellschafter zusammenfaßt. Wäre der Standpunkt des FG richtig, müßte - worauf die Klägerin zutreffend hinweist - jede Reinvestition ausgeschütteter Gewinne zu einer Kürzung der berücksichtigungsfähigen Ausschüttungen führen, z. B. auch im Falle einer Kapitalerhöhung. Der erkennende Senat hat es in einem vergleichbaren Fall bei der Steuervergünstigung des nichtentnommenen Gewinns abgelehnt, tatsächlich vollzogene Einlagen als nicht geschehen anzusehen (BFH-Urteil vom 24. Juni 1969 I R 174/66, BFHE 97, 415, BStBl II 1970, 205).
2. Zu Recht hat das FG aber einen Gestaltungsmißbrauch im Sinne des § 6 StAnpG angenommen. Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil I R 205/70 darauf hingewiesen, daß der Anwendung des ermäßigten Körperschaftsteuersatzes § 6 StAnpG entgegenstehen kann. Die in § 19 Abs. 3 KStG für maßgeblich erklärten gesellschaftsrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften haben vor allem das Ziel, das haftende Eigenkapital zu erhalten (§ 57 Abs. 1 AktG 1965, § 30 Abs. 1 GmbHG). Freie Rücklagen stehen indes außerhalb dieser Bindung. Sie können aufgelöst, als Gewinn ausgewiesen und ausgeschüttet werden. Andererseits steht es im Belieben der Gesellschafter, durch Zuschüsse (Einlagen) die Kapitalgesellschaft in die Lage zu versetzen, freie Rücklagen zu bilden. Wirken Kapitalgesellschaft und Gesellschafter in dieser Weise zusammen, wie es insbesondere bei eindeutigen Beherrschungsfällen denkbar ist, kann ein Kreislauf der Bezuschussung und der erhöhten Gewinnausschüttung entstehen, der ohne wirtschaftliche Begründung lediglich den Sinn hat, die Körperschaftsteuer zu mindern.
Ähnlich liegt es hier. Die Klägerin und die sie beherrschenden Gesellschafter haben die freie Rücklage in Höhe von 375 000 DM aufgelöst, zur Gewinnerhöhung und Ausschüttung benutzt, um dann diesen Betrag sogleich wieder einzulegen und die freie Rücklage auf den alten Stand zu bringen. Das Wiedereinlegen der 375 000 DM in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Ausschüttung stellt eine Maßnahme zur Erhaltung einer freien Rücklage dar, die ungewöhnlich und wirtschaftlich unbegründet ist und die zu einer vom Gesetz nicht beabsichtigten Ermäßigung der Körperschaftsteuer führt. § 19 Abs. 3 KStG will die Mehrfachbelastung ausgeschütteter Gewinne mit Körperschaftsteuer und Einkommensteuer mildern (BFH-Urteil I R 205/70 unter I 2 b). Er will jedoch nicht Gestaltungen begünstigen, die in einem Hin und Her zwischen einer Auflösung und einer Bildung freier Rücklagen überhaupt keine Mittel der Kapitalgesellschaft freisetzen. Dabei ist unerheblich, daß die Gesellschafter bei der gewählten Gestaltung in Höhe des Ausschüttungsbetrages zusätzliche Einkünfte aus Kapitalvermögen beziehen (§ 20 EStG). Hierdurch wird - wie der vorliegende Fall zeigt - die Körperschaftsteuerminderung, die 36 v. H. beträgt (Regelsteuersatz 51 v. H. abzüglich Ausschüttungssteuersatz 15 v. H.), nicht immer ausgeglichen. Die Einkommensteuer der beschränkt steuerpflichtigen Hauptgesellschafterin auf die Ausschüttungen wird, ohne daß eine weitere Steuer zu zahlen wäre, durch den Kapitalertragsteuerabzug von 25 v. H. abgegolten (§ 50 Abs. 4 EStG). Auch im Bereich der unbeschränkten Steuerpflicht ist es denkbar, daß Gesellschafter, die sich wirtschaftlich mit der Kapitalgesellschaft identifizieren, eher zusätzliche Einkünfte aus Kapitalvermögen in Kauf nehmen; das ist beispielsweise der Fall, wenn sie sich in einer niedrigen Progressionsstufe befinden oder einen Verlustausgleich vornehmen können.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob den Gesellschaftern in Anwendung des § 6 Abs. 2 und 3 StAnpG die für ihre Rechnung einbehaltene Kapitalertragsteuer zu erstatten ist. Hier ist lediglich über die Körperschaftsteuerpflicht der Klägerin zu befinden.
Fundstellen
Haufe-Index 70584 |
BStBl II 1973, 806 |
BFHE 1973, 566 |