Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf Lieferung von Freistrom, der als Entschädigung für die Beeinträchtigung einer Wassernutzung gewährt wird, ist nicht Bestandteil der Wassernutzung. Er ist als selbständiges Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens neben der Wassernutzung anzusetzen.
2. Zur Bewertung eines zum Betriebsvermögen gehörenden Anspruchs auf Lieferung von Freistrom, der als Schadenersatz für die Beeinträchtigung einer Wassernutzung gewährt wird.
Normenkette
BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 12; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 15; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 17; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 66
Tatbestand
Die Klägerin hat schon seit dem vorigen Jahrhundert ein Wassernutzungsrecht zur Gewinnung von mechanischer und elektrischer Energie an dem A-Fluß. Die Ausnutzung dieses Rechts wird dadurch beeinträchtigt, daß die X-AG seit dem Jahre 1941 den A-Fluß gestaut hat und seitdem einen Teil des Wassers des A-Flusses zu einem Kraftwerk ableitet, so daß der A-Fluß unterhalb des Stausees weniger Wasser führt. Wegen dieser Beeinträchtigung wurde in dem Verleihungs- und Genehmigungsbescheid für die X-AG, der infolge des Krieges erst im August 1948 erteilt wurde, eine Bestimmung aufgenommen, nach der der X-AG die Verpflichtung auferlegt wurde, der Klägerin für den ihr an ihrem Wassernutzungsrecht erwachsenen Schaden Ersatz durch Lieferung elektrischer Energie zu leisten. Die Höhe der Ersatzenergielieferungen wurde bis zum Jahre 1954 durch tägliche Messung der Wasserführung des A-Flusses an verschiedenen Stellen ober- und unterhalb des Stausees bestimmt. Ab dem 1. Januar 1955 wurde durch einen Vertrag zwischen der Klägerin und der X-AG eine pauschale Abgeltung der Entschädigungsverpflichtung in Höhe von 4,8 Mill. kW pro Jahr vereinbart.
Bei einer im Jahr 1965 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Betriebsprüfer die Auffassung, daß sich zwar durch die Beeinträchtigung der Teilwert des Wassernutzungsrechts und der Anlagen mindere, andererseits der Anspruch auf Lieferung von Freistrom gesondert zu erfassen sei. Das FA folgte bei der Einheitswertfeststellung des Betriebsvermögens der Klägerin zum 1. Januar 1963 durch den Bescheid vom 1. August 1966 dieser Auffassung des Betriebsprüfers. Es setzte folgende Besitzposten an:
a) Wassernutzung
Ausbauleistung 4000 PS zu je
50 DM = 200 000 DM,
davon entsprechend der 1 1/2 fachen
mittleren Leistung 47 % + 23 % = 70 % 140 000 DM
zuzüglich Wasserkraftanlagen mit 47 %
des Wertes für voll genutzte Anlagen
(451 650 DM) 212 275 DM
zuzüglich Wert für die sonstigen
Wassernutzungen
(Entnahme von Gebrauchswasser) 75 175 DM
427 450 DM
b) Strombezugsrecht
Jahreswert 4,8 Mill. kW x 2,75 Pf
= 132 000 DM x 18 2 376 000 DM
2 803 450 DM
Es ergab sich damit ein Einheitswert des Betriebsvermögens von ... DM.
Mit der Spungklage beantragte die Klägerin, die Wassernutzung mit dem Wert anzusetzen, den sie ohne Beeinträchtigung der Wasserkraft haben würde, nämlich mit 726 825 DM, und keinen besonderen Wert für das Strombezugsrecht anzusetzen. Die Klage hatte Erfolg. Das FG setzte den Einheitswert herab. Es führte im wesentlichen aus: Die Grundsätze über schwebende Verträge seien im Streitfall nicht anwendbar, weil es an einem echten vertraglichen Leistungsaustausch fehle. Die X-AG leite das Recht auf Ableitung des Wassers des A-Flusses nicht von der Klägerin ab, sondern aus einem Verwaltungsakt der Verwaltungsbehörde. Es handle sich nicht um eine echte Vertragsleistung, sondern um eine Entschädigung für eine effektive Beeinträchtigung. Der Wasserentzug und die Beeinträchtigung der Stromerzeugung dauerten fort, solange die X-AG das Wasser ableite. Dadurch unterscheide sich der Sachverhalt ganz wesentlich von den Fällen, die dem RFH zur Entscheidung vorgelegen hätten. Die Entschädigungsleistung sei das Surrogat für das teilweise entzogene Wasser und bleibe insoweit dem Wassernutzungsrecht verhaftet. Sie stelle den Zustand her, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Aber selbst wenn man auf einen Leistungsaustausch abstellen wolle, liege der Gedanke nahe, Verpflichtung und Anspruch gegeneinander aufzuwiegen. Die Klägerin erhalte die Freistromlieferung in Wirklichkeit nicht kostenlos oder aufgrund einer Vorleistung, die sie schon erbracht habe, sondern sie müsse dafür die ständige Beeinträchtigung ihres Wassernutzungsrechts dulden. Der Pflicht zur Duldung und Beeinträchtigung der Wassernutzung stehe der Anspruch auf Freistromlieferung als dessen Kehrseite gegenüber, so daß nach der Saldierungstheorie ein Wertansatz für das Recht auf Freistromlieferung nur insoweit möglich sei, als die Vorteile aus diesem Recht die Nachteile der Verpflichtung überwögen. Das sei hier nicht der Fall. Die gelieferte Strommenge gleiche die verminderte Möglichkeit der Stromerzeugung aus und bringe der Klägerin insofern einen Vorteil, als sie eigene Aufwendungen bei der Stromerzeugung spare. Aber dieser Vorteil wirke sich letztlich nicht aus, weil die Klägerin verpflichtet sei, ihre Anlagen voll betriebsfertig zu erhalten. Es sei deshalb in jedem Fall richtig, das Wasserrecht mit der vollen Ausbauleistung von 4000 PS anzusetzen, was zusammen mit dem Teilwert für die Wassernutzungsanlagen und den sonstigen Wassernutzungen den von der Klägerin beantragten Wertansatz von 726 825 DM ergebe.
Mit der Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sprungklage abzuweisen. Es rügt Verletzung des § 66 Abs. 1 und 4 BewG und begründet seine Revision im wesentlichen wie folgt: Die Bewertung sei vom FA ordnungsgemäß nach den Wassernutzungsrichtlinien vorgenommen worden. Der Anspruch der Klägerin auf Lieferung von Freistrom könne nicht bei der Ermittlung des Teilwerts der Wassernutzung berücksichtigt werden. Er sei ein selbständiges Wirtschaftsgut, das mit dem ihm zukommenden Teilwert anzusetzen sei. Dieser entspreche dem kapitalisierten Jahreswert des immerwährenden Stromlieferungsrechts.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Sie hält die Vorentscheidung für zutreffend. Hilfsweise beantragt die Klägerin, das Recht auf Stromlieferung nicht mit 18, sondern mit 9 zu kapitalisieren, weil es sich um Leistungen von unbestimmter Dauer handele, und die verbleibende Wassernutzung mit der tatsächlich noch möglichen Eigennutzung von 47 % und nicht mit dem 1 1/2fachen der mittleren tatsächlichen Leistung von 70 % anzusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die X-AG ihr Recht auf Ableitung des Wassers des A-Flusses nicht von der Klägerin ableitet, sondern aus einem Verwaltungsakt der Verwaltungsbehörde, nämlich aus dem Verleihungs- und Genehmigungsbescheid vom August 1948. Dieser Verwaltungsakt ist aber auch die Rechtsgrundlage für die der X-AG auferlegte Verpflichtung, an die Klägerin für die ihr an ihrer Wassernutzung durch die X-AG entstandenen Schäden Schadenersatz durch Lieferung elektrischer Energie zu leisten. Das FG hat daraus mit Recht die Folgerung gezogen, daß diese Entschädigungsleistung "das Surrogat für das teilweise entzogene Wasser" ist und "insoweit dem Wirtschaftsgut Wassernutzungsrecht verhaftet" bleibt. Es ist auch richtig, daß die Entschädigung den Zustand wiederherstellt, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
Der Senat folgt jedoch dem FG nicht in der weiteren Folgerung, daß es deshalb richtig sei, das Wassernutzungsrecht mit der vollen Ausbauleistung anzusetzen. Ein solches Vorgehen würde nach Auffassung des Senats dem tatsächlich am Bewertungsstichtag bestehenden Zustand nicht gerecht. Die Wasserableitung durch die X-AG hat zur Folge, daß sich der Wert der Wassernutzung der Klägerin tatsächlich mindert. Es geht nicht an, trotz dieser tatsächlichen Wertminderung das Wassernutzungsrecht so zu bewerten, als hätte es noch den vollen Wert. Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben.
Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird deshalb an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG folgendes zu berücksichtigen haben: Die Einwendungen, die die Klägerin dagegen erhebt, daß das Wassernutzungsrecht mit der 1 1/2fachen mittleren Leistung angesetzt worden ist, sind nicht begründet. Das FA beruft sich mit Recht auf Abschn. 6a Abs. 2 der Wassernutzungsrichtlinien 1960 (= Abschn. 6a Abs. 2 der Wassernutzungsrichtlinien 1966). Dort ist angeordnet, daß bei Kraftwerken "mit besonders unstetiger Wasserdarbietung" für die Bewertung des Wassernutzungsrechts anstelle der tatsächlichen Ausbauleistung das 1 1/2fache der mittleren Jahresleistung zugrunde gelegt werden kann. Diese Anordnung beruht auf der Erfahrungstatsache, daß die mittlere Leistung bei jedem Wasserkraftwerk im Durchschnitt rd. 67 v. H. der Ausbauleistung beträgt (so Reindl, Richtlinien für die Bewertung von Wassernutzungen und Wassernutzungsanlagen, 1936 S. 87). Das bedeutet also, daß der normalen Bewertung nach der Ausbauleistung immer das 1 1/2fache der mittleren Leistung zugrunde liegt. Da die Wertminderung wegen der unstetigen Wasserdarbietung nach der Verminderung der tatsächlich geringeren Leistung zu der in der Bewertung nach der Ausbauleistung zum Ansatz gekommenen mittleren Leistung bemessen wird, ist sie ebenfalls mit dem 1 1/2fachen der tatsächlichen mittleren Leistung zu bemessen. Sonst würde eine im Verhältnis zu der eingetretenen Verminderung der mittleren Leistung zu hohe Wertminderung eintreten.
Die Einwendungen, die die Klägerin gegen die Bewertung des Rechts auf den Strombezug mit dem 18fachen des Jahreswerts erhoben hat, sind nach Auffassung des Senats ebenfalls nicht begründet. Das 18fache des Jahreswerts ist nach § 15 Abs. 2 BewG bei immerwährenden Nutzungen oder Leistungen anzusetzen. Immerwährende Nutzungen und Leistungen sind nach der Rechtsprechung des RFH solche, deren Ende von Ereignissen abhängt, bei denen es ungewiß ist, ob und wann sie in absehbarer Zeit eintreten. In § 11 des Vertrages von 1955 heißt es: "Die Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag sollen Wirkung haben zugunsten und zu Lasten aller künftiger Eigentümer oder Nießbraucher der ... (Klägerin) und des ... X-AG). Beide Teile verpflichten sich, die Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag ihren Rechtsnachfolgern weiterzugeben mit der Maßgabe, daß diese gehalten sind, in gleicher Weise wieder ihre jeweiligen Rechtsnachfolger zu binden." Aus dieser Vereinbarung geht nach Auffassung des Senats eindeutig hervor, daß es sich um immerwährende Nutzungen oder Leistungen handelt. Aus der Vereinbarung in § 8 des Vertrages, daß die Verpflichtung zur Ersatzkraftleistung solange bestehen soll, als durch die Ableitung des Wassers für Zwecke der X-AG das Nutzungsrecht der Klägerin beeinträchtigt wird, kann nichts Gegenteiliges gefolgert werden. Denn es ist ungewiß, ob und wann die Ableitung des Wassers in absehbarer Zeit von der X-AG beendet werden wird.
Der Senat hält jedoch den vom FA angesetzten Jahreswert für zu hoch. Er folgt allerdings nicht der Auffassung des FG, daß das Strombezugsrecht mit Null DM zu bewerten sei, weil die Vorteile aus dem Vertrag die sich daraus ergebende Verpflichtung der Klägerin, die ständige Beeinträchtigung ihrer Wassernutzung zu dulden, nicht überwögen. Denn die Verpflichtung der Klägerin, die Beeinträchtigung ihres Wassernutzungsrechts zu dulden, hat sich schon in der Wertminderung der Wassernutzung ausgewirkt. Sie kann nicht noch einmal bei dem Wertansatz des Strombezugsrechts berücksichtigt werden. Das FA hat aber je kW-Stunde Ersatzstrom einen Preis von 2,75 Pf zugrunde gelegt. Es handelt sich dabei, wie aus dem Betriebsprüfungsbericht hervorgeht, um den durchschnittlichen kW-Stundenpreis nach den mit dem Kraftwerk, das den Ersatzstrom liefert, bestehenden Verträgen. Das FA hat also den Wert des unentgeltlich gelieferten Stroms danach bemessen, was die Klägerin für diesen Strom hätte aufwenden müssen, wenn sie ihn von dem Kraftwerk hätte kaufen müssen. Diese Wertbemessung wird nach Auffassung des Senats nicht dem oben erwähnten Umstand gerecht, daß die Entschädigungsleistung das Surrogat für das teilweise entzogene Wasser ist und den Zustand wiederherstellt, der bestehen würde, wenn das Wasser von der X-AG nicht abgeleitet worden wäre. Die Klägerin wäre ohne die Ableitung des Wassers in der Lage, den jetzt als Schadenersatzleistung gelieferten Strom selbst herzustellen. Dadurch unterscheidet sich der für die Einheitsbewertung des Betriebsvermögens nach §§ 66 und 12 BewG maßgebende Teilwert von dem Kapitalwert (§§ 15, 17 BewG). Der Wert des Ersatzstroms besteht deshalb für sie nur in der Höhe, in der sie eigene Aufwendungen zur Erzeugung dieser Strommenge in den eigenen Anlagen erspart. Als Preis für den Ersatzstrom können deshalb nur die Selbstkosten der Klägerin zur Erzeugung einer entsprechenden Menge Stroms in ihren eigenen Wasserkraftanlagen angesetzt werden. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß die Klägerin nach § 8 des Vertrages von 1955 die Anlagen in vollem Umfang in betriebsfertigem Zustand erhalten muß. Das FG wird über die Höhe des danach anzusetzenden Jahreswerts der Ersatzstromleistung noch Feststellungen zu treffen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 69430 |
BStBl II 1971, 386 |
BFHE 1971, 398 |