Leitsatz (amtlich)
Der umsatzsteuerliche Grundsatz, daß die Aufspaltung eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorganges unzulässig ist, kann im Einzelfalle dazu führen, einem Kraftwagenhändler die Großhandelsvergünstigung des § 7 Abs. 3 UStG zu versagen, auch wenn über die Lieferung eines Kraftwagens und die Lieferung und den Einbau eines Rundfunkgeräts getrennte Verträge abgeschlossen sind und der Einbau des Rundfunkgeräts in den fabrikneuen Kraftwagen zeitlich nach der Verschaffung der Verfügungsmacht am Kraftwagen liegt.
Normenkette
UStG § 3 Abs. 2, § 7 Abs. 3; UStDB 1938 § 2; UStDB 1951 § 2; UStDB 1938 § 12; UStDB 1951 § 12
Tatbestand
Streitig ist, ob die Steuerpflichtige (Stpfl.) für ihre Lieferungen von fabrikneuen Personenkraftwagen in den Veranlagungszeiträumen 1949 bis 1951 die Großhandelsvergünstigung nach § 7 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Anspruch nehmen kann. Das Finanzamt hat dies in den Fällen verneint, in denen die Stpfl. auf Wunsch der Kunden Radioapparate in die Wagen eingebaut hat, weil hierin eine steuerlich schädliche Bearbeitung im Sinne des § 12 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) liege.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ergibt sich folgender unstreitige Sachverhalt: In den vom Finanzamt beanstandeten Fällen sind die Radioapparate noch am gleichen Tage, aber nach erfolgter polizeilicher Zulassung der Wagen in diese eingebaut worden. Die Bestellung der Wagen durch die Kunden liegt zeitlich wegen der langen Lieferfristen etwa 4 bis 8 Monate zurück. Der zeitlich getrennt erfolgende Verkauf und Einbau des Radioapparates wird von der Stpfl. auch organisatorisch und buchhalterisch getrennt behandelt. Der Verkaufsleiter der Stpfl. für die Wagen hat keine Kenntnis, ob ein Radiogerät in ein Fahrzeug eingebaut werden soll. Es liegen mithin getrennte Bestellungen und Verträge über Kraftwagen ohne Zubehör und über Lieferungen und Einbau von Radiogeräten vor. Sowohl über den Wagen als auch über das Radiogerät einschließlich Einbaukosten sind getrennte Rechnungen ausgestellt worden. Die Stpfl. hat die Entgelte für den Kraftwagen dem begünstigten Großhandels atz, für die Lieferung und den Einbau des Radioapparates dem normalen Steuersatz des § 7 Abs. 1 UStG unterworfen.
Das Finanzgericht ist der Auffassung, Lieferung und Einbau der Radiogeräte lägen zeitlich nach der Verschaffung der Verfügungsmacht am unbearbeitet gebliebenen Kraftwagen, so daß in dem Einbau eine schädliche Bearbeitung des Liefergegenstands, nämlich des Kraftwagens, nicht mehr erblickt werden könne.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Zubilligung der Großhandelsvergünstigung gerichtete Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Die von den Beteiligten nicht bezweifelte Auffassung, daß der Einbau von Radiogeräten in Kraftfahrzeuge der Inanspruchnahme der Großhandelsvergünstigung durch den Kraftwagenhändler nach § 7 Abs. 3 UStG entgegenstehe, unterliegt keinen Bedenken. Der Rechtsstreit beschränkt sich demnach auf die Entscheidung der Frage, ob der Einbau der Radiogeräte, wie die Vorentscheidung und die Beschwerdegegnerin (Bgin.) annehmen, nach der Lieferung des unbearbeitet gebliebenen Wagens erfolgt und aus diesem Grunde dem Händler nicht zugerechnet werden darf, oder ob, wie die Rechtsbeschwerde annimmt, ein einheitliches Rechtsgeschäft vorliegt, das umsatzsteuerlich nicht in zwei Lieferungen aufgespaltet werden darf.
Der von der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (vgl. u. a. Urteile des Reichsfinanzhofs V A 757/28 vom 6. Mai 1929, Slg.Bd. 25 S. 122, Reichssteuerblatt -- RStBl. -- 1929 S. 499; V A 152/37 vom 15. Oktober 1937, Slg. Bd. 42 S. 182, RStBl. 1937 S. 1180, und V 96/42 vom 9. Oktober 1942, RStBl. 1942 S. 1055) entwickelte Grundsatz von der Unzulässigkeit der Aufspaltung einheitlicher wirtschaftlicher Vorgänge ist von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anläßlich verschiedener Tatbestände wiederholt bestätigt worden (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs V 117/53 S vom 30. Oktober 1953, Slg. Bd. 58 S. 196, Bundessteuerblatt -- BStBl. -- 1953 III S. 366). Er beruht auf der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und führt zu einer vom bürgerlichen Rechte losgelösten Beurteilung des Tatbestands nur nach umsatzsteuerlichen Gesichtspunkten ohne Rücksicht darauf, obdas hiernach gefundene Ergebnis dem Steuerpflichtigen wirtschaftlich ungünstig ist oder nicht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 236/53 U vom 25. Februar 1954, Slg. Bd. 58 S. 630, BStBl. 1954 III S. 151). Dem von der Stpfl. mehrfach betonten Gesichtspunkt, daß angesichts der Wertverhältnisse von Wagen einerseits und Radiogerät andererseits die Auffassung des Finanzamts für sie wirtschaftlich nicht tragbar sei, kann deshalb keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, auch schon deshalb nicht, weil die gleiche wirtschaftliche Betrachtungsweise wiederholt ein dem Steuerpflichtigen günstiges Ergebnis gezeitigt hat (vgl. z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs V A 182/25 vom 23. Oktober 1925, Slg.Bd. 17 S. 228, und Urteil des Bundesfinanzhofs V 116/52 U vom 17. September 1953, Slg. Bd. 58 S. 147, BStBl. 1953 III S. 347) und letzten Endes nur dem Gedanken steuerlicher Gerechtigkeit dient, indem wirtschaftlich gleichgelagerte Tatbestände auch gleichermaßen zur Steuer herangezogen werden. Bei dem Charakter der Umsatzsteuer als der allgemeinen Verbrauchsteuer ist dieser Gesichtspunkt ausschlaggebend.
Die Stpfl. will im Streitfalle diese Grundsätze nicht angewendet wissen, weil der tatsächliche Geschäftsablauf hier der von den Parteien gewählten rechtlichen Gestaltung entsprochen habe. Habe ein Käufer des Wagens den Einbau des Radiogeräts vor der Lieferung des Wagens, ja sogar vor der Beendigung des polizeilichen Zulassungsverfahrens begehrt, so sei ihm dies strikt abgelehnt worden. Von einem übereinstimmenden Vertragswillen könne deshalb nicht gesprochen werden. Kommt es aber auf die rechtliche Gestaltung nicht an, so kann es hier auch nicht entscheidend sein, ob der tatsächliche Geschäftsablauf dieser rechtlichen Gestaltung entspricht. Sicherlich ist das Auseinanderfallen von rechtlicher Gestaltung und tatsächlicher Handhabung ein wichtiges Beweisanzeichen, in der Mehrzahl der Fälle sogar ein entscheidendes Merkmal, das der Anerkennung der gewählten Rechtsform entgegensteht. Darauf kann es aber nicht ankommen, wenn die nähere Prüfung ergibt, daß sich trotz der gewählten rechtlichen Gestaltung und der dieser entsprechenden Geschäftsabwicklung an dem wirtschaftlichen Ergebnis, daß durch den Kraftwagenhändler in einen von diesem ohne Zubehör erworbenen Kraftwagen auf Wunsch des Kunden ein Radiogerät eingebaut worden ist, nichts geändert hat. Denn Vorgänge, die das gleiche wirtschaftliche Ergebnis zeitigen, müssen auch in gleicher Weise durch die Umsatzsteuer erfaßt werden. Gerade das hier erwähnte Vorbringen der Bgin. zeigt, daß weder die rechtliche Gestaltung und Abwicklung des Geschäfts noch die betriebsorganisatorische Trennung beider Vorgänge das in Rede stehende wirtschaftliche Ergebnis beeinflußt haben. Der Wille des Kunden geht doch unbestreitbar dahin, daß in das bestellte und gelieferte fabrikneue Kraftfahrzeug durch den Lieferanten des Wagens ein Radioapparat eingebaut werden soll. Dem hat die Bgin. auch entsprochen, und zwar in einem Zeitpunkt, als das Geschäft jedenfalls noch nicht vollständig abgewickelt war. Das von der Bgin. betonte Auseinanderfallen des Vertragswillens bezog sich also nur auf Modalitäten der Geschäftsabwicklung. Ziel und Ergebnis des Umsatzgeschäfts aber wurden nicht dadurch berührt, daß ein reiner Kaufvertrag über einen unbearbeitet gebliebenen Kraftwagen und im unmittelbaren Anschluß und engsten Zusammenhang damit ein weiterer Vertrag über Lieferung und Einbau des Radiogeräts abgeschlossen wurden.
Das Finanzamt hat nur die Geschäftsvorfälledemnormalen Steuersatzunterworfen, bei denen der Einbau der Radiogeräte noch am gleichen Tage, an dem die polizeiliche Zulassung für den Kunden besorgt wurde, erfolgt ist. Insoweit kann jedenfalls der enge wirtschaftliche Zusammenhang mit dem Kaufe des Wagens nicht bezweifelt werden. Die Bgin. meint, eine solche Auffassung führe dazu, daß nun positiv ein Zeitraum zwischen Vollendung einer Lieferung und der nachträglichen Bearbeitung angegeben werden müsse, der noch auf die erste Lieferung rückwirkend als steuerlich schädlich anzusehen wäre. Wie dieser Zeitpunkt auch bemessen wäre, es könne sich dabei nur um eine willkürliche, aus fiskalischen Gründen veranlaßte Festsetzung handeln, da dann grundsätzlich unterstellt würde, daß alle Bearbeitungen innerhalb einer bestimmten Frist nach Vollendung einer Lieferung von vornherein von den Beteiligten gewollt wären, da der Belieferte einen anderen Gegenstand erhielte, als der Lieferer erworben habe.
Auf eine bestimmte Frist zwischen den Abschlüssen beider Verträge oder deren Ausführung hat der Senat auch nicht abgestellt. Die Bgin. übersieht bei diesem Einwand den natürlichen Ablauf der Dinge, wie er sich dem Kunden, aber auch jedem unbefangenen dritten Beurteiler darstellt. Die Bgin. hat schriftsätzlich selbst vorgetragen, daß 99 v. H. aller ihrer Kunden der begründeten Ablehnung des Einbaues von Zubehör vor der Abnahme des Wagens volles Verständnis entgegengebracht und daß nur 1 v. H. auf den Einbau vor der Lieferung bestanden hätten; auf diese wenigen Kunden habe sie verzichtet. Dieses Vorbringen rechtfertigt den zwingenden Schluß, daß in allen hier streitigen Fällen spätestens vor der Abholung bzw. vor der Inbetriebnahme des Wagens durch den Kunden über den Einbau des Radiogeräts gesprochen und insoweit eine Einigung hierüber erzielt worden sein muß, nur daß eben, sei es infolge des Widerspruchs der Bgin., sei es in beiderseitigem Einverständnis, der Kaufabschluß über das Radiogerät und dessen Ausführung auf einen Zeitpunkt hinausgeschoben wurde, der der Bgin. steuerlich unbedenklich erschien. Bei einer solchen Sachlage kann aber der Zeitpunkt der beiden Lieferungen nach § 2 UStDB nicht entscheidend sein, weil eine wirtschaftliche Betrachtungsweise einen einheitlichen, nicht zerlegbaren Vorgang annehmen muß. Solchenfalls ist der Senat auch einer Entscheidung der Fragen enthoben, ob die vertragliche Gestaltung als ein Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 6 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) oder als Scheingeschäft nach § 5 a. a. O. anzusehen ist, Fragen, die mit der Rechtsbeschwerde auch der erkennende Senat verneinen würde. Es kommt auch nicht darauf an, ob die von der Bgin. gewählte Vertragsgestaltung heutzutage üblich ist; üblich könnten selbst Mißbräuche werden. Sie entspricht jedenfalls solange nicht den natürlichen Gegebenheiten, als nicht die Umstände ergeben, daß ein ohne Zusammenhang mit dem Wagenkauf erfolgter, auch wirtschaftlich selbständiger Vorgang vorliegt, z. B. wenn der Einbau des Radiogeräts auf Grund eines nachträglich gefaßten Entschlusses des Käufers in ein bereits von diesem in Benutzung genommenes Kraftfahrzeug geschieht. Wenn sich das Finanzamt, offenbar in der praktischen Erwägung der Beweis möglichkeiten darauf beschränkt hat, die Lieferungen, bei denen der Einbau noch am gleichen Tage der polizeilichen Zulassung erfolgte, mit dem normalen Steuersatz heranzuziehen, so lassen sich jedenfalls hieraus keine Bedenken gegen die Annahme eines einheitlichen wirtschaftlichen Vorganges herleiten, da in diesen Fällen die enge Verflechtung der beiden getrennt abgeschlossenen Verträge unverkennbar ist.
Zu Recht beruft sich das Finanzamt für seine Annahme auch auf die Verkehrsauffassung. Die Bgin. bezweifelt eine solche auch nicht, will der Verkehrsauffassung aber nur dann Raum geben, wenn der Vorgang aus einem gleichgerichteten Willen der Parteien nicht ausgelegt werden könne; ein solcher gleichgerichteter Wille liege aber im Streitfalle vor; er stelle rechtlich gesehen das Verpflichtungsgeschäft dar und sei diesem Verpflichtungsgeschäft gemäß auch durch das für die umsatzsteuerliche Beurteilung maßgebende Erfüllungsgeschäft nicht anders bewirkt worden, als im Verpflichtungsgeschäft den Parteien auferlegt wurde. Demgegenüber aber ist schon oben betont worden, daß gleichermaßen ein übereinstimmender Parteiwille über das wirtschaftliche Ziel des ganzen Vorgangs -- Einbau eines Radiogeräts in den verkauften oder bereits gelieferten neuen Kraftwagen -- vorlag, das nur, sei es in Übereinstimmung, sei es auf einseitigen Wunsch der Bgin., durch zwei getrennte, aber in wirtschaftlichem Zusammenhang stehende Vertragsabschlüsse erreicht werden sollte.
Diese Sach- und Rechtslage hat die Vorentscheidung nicht gewürdigt. Sie war deshalb aufzuheben und die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 307 der Reichsabgabenordnung.
Fundstellen
BStBl III 1955, 215 |
BFHE 1956, 47 |